Aktuelles Heft

Das Schlafmagazin: Ausgabe 2/2024


Liebe Leserin, lieber Leser,

Lärm kann zu Schlafstörungen und emotionalen und kognitiven Beeinträchtigungen führen. Hoher Verkehrslärm erhöht zudem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und hat vermutlich auch Einfluss auf die Entstehung von Diabetes und Fettleibigkeit. Kein Wunder, dass das Thema Lärm auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e. V. (DGSM) im Dezember letzten Jahres eine wesentliche Rolle spielte. Gleich drei Vorträge behandelten verschiedene Arten von Umgebungslärm und ihre Auswirkungen auf den Schlaf. Wir haben die Vorträge für Sie zusammengefasst.

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Bei der obstruktiven Schlafapnoe erschlafft die Zungen- und Mundbodenmuskulatur während des Schlafs bei manchen Menschen so stark, dass ihre oberen Atemwege sich verschließen. Für die Behandlung dieser Erkrankung gibt es verschiedene Methoden: die altbekannte (und nicht von allen Patienten geliebte) CPAP-Therapie, bei der ein mit Überdruck applizierter Luftstrom den Atemweg offenhält; eine Schiene, die den Unterkiefer vorverlagert; einen Zungenschrittmacher, der den Unterzungennerv elektrisch stimuliert, damit die Zunge im Schlaf nicht mehr erschlafft; und diverse Operationsverfahren. Nicht jede Methode ist für alle Patienten gleich gut geeignet. Daher ist es ein großer Vorteil, dass mittlerweile mehrere Behandlungsverfahren existieren: So lässt sich – im Sinne einer individualisierten Schlafapnoe-Therapie – für jeden Patienten die optimale Strategie gegen seine schlafbezogene Atemstörung finden. Eines dieser Therapieverfahren ist die Elektromyostimulation (EMS), bei der die Atemwegsmuskulatur durch eine Reizstromtherapie trainiert und gekräftigt wird. Wir stellen sie Ihnen vor.

Normalerweise ist zur Diagnostik der obstruktiven Schlafapnoe ein Schlaflaboraufenthalt erforderlich. Das ist zeit- und kostenaufwendig, und die Wartelisten der Schlaflabore sind oft lang. Wir berichten in diesem Heft über eine einfachere diagnostische Methode, die ein amerikanisches Forscherteam entwickelt hat: Ein drahtloses, schluckbares Mini-Gerät kann Apnoen erkennen und sogar bei Atemdepressionen aufgrund einer Opioid-Überdosierung Alarm schlagen.

Ebenfalls in dieser Ausgabe können Sie Interessantes über die neurologische Schlaf-wach-Störung lesen: die Narkolepsie. Sie lässt sich inzwischen zwar schon ganz gut behandeln, kann die Patienten in ihrem persönlichen und beruflichen Leben aber stark einschränken.

Ich wünsche Ihnen wie immer eine informative Lektüre.
 

Dr. Magda Antonic


© Rudzhan Nagiev/iStock

Das nächste Schlafmagazin erscheint im August.
Inhalt

6 Warum wir gegen unsere innere Uhr leben …
und wie wir das ändern können

14 Fluglärm, Überschallknalle und Wärmepumpengeräusche:
Wie beeinflusst Umgebungslärm den Schlaf?

20 Elektromyostimulation bei Schlafapnoe:
So bringen Sie die
Muskulatur Ihrer oberen Atemwege wieder auf Trab!

26 Schlafapnoe-Diagnostik leicht gemacht:
Polysomnografie bald per Kapsel?

28 Endlich erholsamerer Schlaf für Frauen
in den Wechseljahren in Sicht?
Neues Mittel gegen „fliegende Hitzen“ zugelassen

29 Jeden Abend einmal sprühen,
und schon sind die Atemwege wieder frei?
Neues Nasenspray gegen Schlafapnoe

 

30 Narkolepsie:
eine Schlaf-wach-Störung, die das ganze Leben verändert

37 Sport: morgens besonders gesund

38 Von Schwerbehindertenausweis bis Nachteilsausgleich:
Narkolepsie-Patienten haben ein Anrecht auf Unterstützung!

41 Ein Kind – oder lieber doch nicht?
Für Narkolepsie-Patientinnen keine ganz einfache Entscheidung

42 Schlafstörungen in der „Rushhour des Lebens“ –
und was man dagegen tun kann

46 Gut Snooze:
die Schlummertaste drücken oder nicht?

48 Die Kolumne

48 Nachruf Heinrich Hübner

Warum wir gegen unsere innere Uhr leben


… und wie wir das ändern können

Marion Zerbst

Immer mehr Menschen leben gegen ihre innere Uhr. Teilweise zwingt unsere moderne Gesellschaft uns dazu: In vielen Berufen wird von Mitarbeitern verlangt, dass sie auch nach Feierabend für wichtige E-Mails, Anrufe oder Telefonkonferenzen (deren Teilnehmer oft über den ganzen Erdball verstreut sind) zur Verfügung stehen. Auch Schichtarbeit nimmt immer mehr zu – und bringt unsere innere Uhr gründlich durcheinander, vor allem, wenn man häufig zu Früh- oder Nachtschichten antreten muss. Aber auch Geselligkeit und Vergnügungen spielen sich vorwiegend abends und nachts ab, insbesondere bei der jüngeren Generation: In die meisten Clubs oder Discos braucht man vor zwölf oder ein Uhr nachts gar nicht zu gehen, weil dort vor Mitternacht gähnende Leere herrscht. 
Aber auch bei älteren Menschen gerät die innere Uhr durcheinander – wofür es wiederum ganz andere Gründe gibt: Die Produktion des Schlafhormons Melatonin lässt mit zunehmendem Alter nach; außerdem haben Senioren, die nicht mehr in die Versorgung von Kindern eingebunden sind und oft auch keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen, einen anderen Lebensrhythmus – weniger Verpflichtungen, mehr Freizeit, die oft dazu genutzt wird, auch tagsüber zu schlafen.   
Und alle Menschen sind – unabhängig von ihrem Lebensalter – von zunehmender Lärmbelästigung und Lichtverschmutzung betroffen, vor allem in den Großstädten: Da wird es nachts oft gar nicht mehr richtig dunkel – und seit der Erfindung der Glühbirne sind wir ohnehin unabhängig vom Tageslicht und können, wenn wir mögen, nach Herzenslust die Nacht zum Tage machen. Unsere innere Uhr läuft also gleich aus den verschiedensten Gründen Gefahr, aus dem Takt zu geraten! In den folgenden Szenarien beschreiben wir Beispiele für eine durcheinandergeratene innere Uhr aus allen Generationen – und erklären, was man für einen gesünderen, natürlicheren Lebensrhythmus tun kann. Denn wenn die innere Uhr aus dem Takt kommt, schläft man nicht nur schlecht, sondern wird auch anfälliger für die verschiedensten Erkrankungen – von Diabetes bis hin zu Krebs.

Szenario Nr. 1: 
Der Fernfahrer

Als LKW-Fahrer, der für eine Spedition arbeitet, hat Klaus F. viel Stress und bekommt wenig Schlaf. Ständiger Termindruck; hastiges, oft ungesundes Essen in der Autobahnraststätte; unerholsamer Schlaf auf den LKW-Parkplätzen, die leider häufig direkt neben der Autobahn liegen. 
Als junger Mann konnte Klaus F. das alles noch ganz gut wegstecken; denn er liebte seinen Beruf und empfand gelegentlichen Stress und Zeitdruck früher stets als Herausforderung: „Wär doch gelacht, wenn ich das nicht schaffe!“ Doch als er dann älter wurde und sich aufgrund des Bewegungsmangels und der kalorienreichen Ernährung mit der Zeit immer mehr Pfunde auf seinen Rippen ansammelten, musste er sich eingestehen, dass er doch nicht mehr ganz so belastbar war. Seine fast ständige lähmende Müdigkeit vertrieb er mit Kaffee und Zigaretten; abends versuchte er bei ein paar Bierchen abzuschalten und den Stress zu vertreiben. 
Bis ein Herzinfarkt ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholte und ihm klarmachte: So kann es nicht weitergehen. Die gründliche ärztliche Untersuchung zeigte, dass offenbar nicht nur der exzessive Zigarettenkonsum Klaus F.’s Gefäße geschädigt hatte: Er litt auch an einer schweren obstruktiven Schlafapnoe – krankhaftem Schnarchen mit Atemaussetzern. Deshalb war er also immer so müde! Die Atemaussetzer fragmentieren den Schlaf und machen ihn unerholsam, erklärten die Ärzte ihm – für einen Berufskraftfahrer wegen des erhöhten Unfallrisikos besonders fatal. Ans Steuer setzen dürfe er sich erst wieder, wenn seine Schlafapnoe adäquat behandelt sei; andernfalls würde er zu einer echten Gefahr für sich und andere Verkehrsteilnehmer – gewissermaßen zu einer tickenden (oder in diesem Fall: schnarchenden) Zeitbombe. 
Was Klaus F. seinen Ärzten nicht zu sagen wagte: In den letzten Monaten war er schon mehrmals am Steuer eingenickt, zum Glück aber jedes Mal noch in letzter Minute – bevor er die Kontrolle über sein 35 Tonnen schweres Fahrzeug verlor – wieder aufgewacht. Er hatte seine Müdigkeit auf den Stress und den schlechten Schlaf auf den LKW-Parkplätzen geschoben und sich vom kommenden Sommerurlaub Besserung versprochen: „Dann schlafe ich mich endlich mal wieder richtig aus.“ Doch seine Ärzte machten ihm unmissverständlich klar, dass er so lange nicht mehr warten dürfe: Er müsse jetzt gleich etwas für seine Gesundheit tun.

Was Klaus F. falsch gemacht hat
• Bei Schläfrigkeit am Steuer darf man nicht erst so lange warten, bis man einschläft, sondern muss rechtzeitig gegensteuern. Das heißt, man muss Warnsignale für einen Sekundenschlaf rechtzeitig erkennen und – weil diese individuell sehr verschieden sein können – sich selbst genau beobachten und in solchen Situationen sofort ein Schläfchen machen und eine Tasse Kaffee trinken. Danach ist man wieder ein paar Stunden lang fit zum Autofahren.
• Außerdem sollte man Tagesschläfrigkeit, die zum Dauerzustand wird, nicht einfach als Selbstverständlichkeit hinnehmen – schon gar nicht als Berufskraftfahrer. In so einem Fall muss man sich ärztlich untersuchen lassen. Falls der Hausarzt keine Ursache für die Tagesschläfrigkeit findet, sind weiterführende schlafmedizinische Untersuchungen angezeigt. Jeder Berufskraftfahrer trägt selbst die Verantwortung dafür, sich ausgeruht ans Steuer zu setzen! Das gilt natürlich auch für alle anderen Menschen, die aus privaten oder beruflichen Gründen öfters längere Strecken mit dem Auto fahren.

Was Klaus F. jetzt besser macht
Aus seinem gesundheitlichen Zusammenbruch hat Klaus F. gelernt, dass man mit seinem Körper keinen Raubbau treiben darf. Im Schlaflabor wurde er auf eine CPAP-Therapie gegen seine Schlafapnoe eingestellt, und die Ärzte haben ihm ein LKW-taugliches CPAP-Gerät verschrieben, das inzwischen bei all seinen Touren mit von der Partie ist. Seitdem fühlt er sich sehr viel wacher. Um auf der sicheren Seite zu sein, wenn ihn bei langen, monotonen Fahrten doch einmal wieder die Müdigkeit überkommt, hat er sich selbst genau beobachtet und eine Liste seiner ganz persönlichen Sekundenschlaf-Frühwarnzeichen erstellt. Die klebt jetzt an seinem Armaturenbrett; und immer wenn er merkt, dass er müde wird, hält er an, trinkt eine Tasse Kaffee und hält anschließend einen 20 bis 30 Minuten langen „Powernap“, aus dem er sich von seinem Smartphone stets rechtzeitig wieder wecken lässt, bevor er in den Tiefschlaf abtaucht. Diese „Kaffee-und-Nickerchen“-Strategie ist die einzige wirklich hilfreiche Vorbeugungsmaßnahme gegen Sekundenschlaf. 
Außerdem geht er in seiner Freizeit regelmäßig schwimmen, achtet trotz seines stressigen Berufs auf eine gesündere Ernährung und nimmt sich auch öfter mal einen Salat von zu Hause mit, statt sich in der Autobahnraststätte ein Schnitzel mit einer doppelten Portion Pommes zu bestellen. Die Erfolge stellen sich zwar nur langsam ein – doch immerhin hat er im letzten Jahr fünf Kilo abgenommen.


Szenario Nr. 2: 
Die Frau des Fernfahrers

Sabine F. arbeitet als Kassiererin in einem Supermarkt. Da ist Stress an der Tagesordnung: Sie muss den ganzen Tag über viele Kunden bedienen, die nicht immer geduldig sind. Während der Stoßzeiten geht es hektisch zu – und abends muss die Kasse stimmen. Mittags kann Sabine sich oft nur eine kurze Pause gönnen – zu wenig Zeit, um etwas Richtiges essen zu gehen. Meistens kauft sie sich dann nur einen kleinen Imbiss in dem Geschäft, in dem sie arbeitet – eine Tüte Kartoffelchips, ein paar Kekse – oder holt sich eine Bratwurst vom Imbissstand gegenüber und schlingt das Essen blitzschnell in sich hinein. Aber richtig satt wird sie davon natürlich nicht und greift deshalb auch während der Arbeitszeit zwischendurch immer wieder zu einem kleinen Snack, wenn sie gerade nicht so viel zu tun hat. Wenn sie dann abends nach Hause kommt, ist ihr Mann meistens noch unterwegs – als Fernfahrer muss er oft auswärts übernachten. Sabine F. fühlt sich einsam; außerdem findet sie es langweilig, abends allein in der Wohnung herumzusitzen – vor allem, seit der inzwischen schon erwachsene Sohn aus dem Haus ist. Also setzt sie sich vor den Fernseher und schaut sich eine Realityshow oder einen Krimi an; dabei liegt die Chipstüte natürlich immer daneben, und auch die Bierflasche ist nicht fern. 
Irgendwann schläft Sabine F. vor dem Fernseher ein und wacht manchmal erst nach Mitternacht auf. Wenn sie dann ins Bett geht, ist sie merkwürdigerweise plötzlich hellwach, kann längere Zeit nicht einschlafen – und fühlt sich am nächsten Morgen, wenn um sechs Uhr der Wecker schellt, wie gerädert. Richtig „nachholen“ kann sie den viel zu kurzen Schlaf eigentlich immer nur am Wochenende: Dann schläft sie morgens lange und legt sich manchmal auch mittags noch ein Stündchen hin. Das führt aber leider dazu, dass sie dann am Sonntagabend hellwach ist und ewig nicht in den Schlaf findet. Ohnehin hat sich bei Sabine in den letzten Monaten durch den vielen Arbeitsstress eine richtige Schlafstörung entwickelt: Sie liegt abends oft lange wach, grübelt über ihre Eheprobleme nach, denkt daran, was sie am nächsten Tag alles erledigen muss, und schleppt sich dann morgens todmüde zur Arbeit. 
Außerdem haben sich bei Sabine F. im Lauf der Zeit (ebenso wie bei ihrem Mann) leider auch etliche überflüssige Pfunde angesammelt, die sie einfach nicht mehr wegbekommt. Denn irgendwie schafft sie es einfach nicht, sich bei ihrer hektischen Lebensweise auch noch um ihr Gewicht und ihre Gesundheit zu kümmern. „Das ist halt das Alter“, denkt sie, wenn ihre Waage wieder mal ein paar Kilo mehr anzeigt. „Da kann man nichts machen.

Was Sabine F. falsch gemacht hat
• Unser Körper ist ein Gewohnheitstier: Er braucht feste Rhythmen und eine gewisse Routine. Deshalb sollte man möglichst immer um die gleiche Zeit zu Bett gehen und aufstehen – auch am Wochenende und selbst dann, wenn wir in einer Nacht einmal ein bisschen weniger geschlafen haben. Das gilt natürlich vor allem für Menschen mit Schlafstörungen. 
• Viele Leute sind „Abendmenschen“: Das heißt, sie werden erst gegen elf oder halb zwölf Uhr abends so richtig müde und können vorher nicht einschlafen. Und natürlich hält uns auch der Stress abends im Bett oft wach. Aber der Wecker klingelt am nächsten Morgen trotzdem unbarmherzig um sechs oder sieben Uhr. So sammeln viele Menschen während der Woche ein Schlafdefizit an – ein Phänomen, das die Chronobiologie als „sozialen Jetlag“ bezeichnet. Versuchen wir den versäumten Schlaf jedoch am Wochenende nachzuholen, indem wir morgens länger schlafen, so gerät unser Schlaf-wach-Rhythmus durcheinander, und es fällt uns dann schwer, am Montag wieder in die Arbeitswoche mit den frühen Aufstehzeiten hineinzufinden.
• Der Fernsehschlaf ist keineswegs der beste Schlaf, sondern im Gegenteil das Dümmste, was wir tun können: Denn während des Tages und zeitigen Abends, wenn wir wach und aktiv sind, baut sich in uns ein gewisser „Schlafdruck“ auf. Dieser Druck führt dazu, dass wir dann abends mit der nötigen Bettschwere in die Federn sinken. Wer vor dem Fernseher schläft, nimmt einen Teil seines Nachtschlafs vorweg – der Schlafdruck nimmt ab, und man braucht sich dann nicht zu wundern, wenn man nach dem Zubettgehen lange wachliegt.
• Für unser Körpergewicht spielt nicht nur die Kalorienaufnahme eine wichtige Rolle, sondern auch die Zeitspanne pro Tag, in der wir Nahrung aufnehmen. Dieses sogenannte Essenszeitfenster ist sogar von ganz entscheidender Wichtigkeit. Die meisten Leute halten sich heutzutage nicht mehr an die früher üblichen drei Hauptmahlzeiten, sondern futtern ständig zwischendurch – was vielleicht auch beruflichen Zwängen, unserer hektischen modernen Lebensweise und dem ständigen Stress geschuldet ist. Doch das ist falsch, denn der Körper braucht nicht nur einen festen Schlaf-wach-Rhythmus, sondern auch regelmäßige Essenszeiten. Alles andere ist ungesund, kann unseren Schlaf-wach-Rhythmus durcheinanderbringen und zu Übergewicht führen.

Was Sabine F. jetzt besser macht
Statt jeden Abend vor dem Fernseher zu sitzen, hat Sabine F. sich in letzter Zeit ein bisschen mit der Frage beschäftigt, was man denn gegen Übergewicht tun kann. Sie hat sich ein paar Bücher gekauft und auch im Internet recherchiert. Was könnte ihr helfen? Zum Sport ist sie abends zu kaputt; und vor einer „Abnehm-Operation“, bei der der Magen verkleinert oder gleich das ganze Verdauungssystem chirurgisch umstrukturiert wird, fürchtet sie sich, obwohl der Hausarzt ihr beim letzten Beratungsgespräch versichert hat, dass so etwas durchaus hilfreich sein kann. In den letzten Monaten hat Sabine F. ziemlich viel über die beiden „Abnehmspritzen“ Ozempic® und Wegovy® gelesen und will ihren Arzt beim nächsten Gespräch darauf ansprechen. Die Kosten für diese Spritzen sind zwar für jemanden mit niedrigem Einkommen schon eine ziemliche Belastung; aber ihr Sohn hat versprochen, ihr dabei finanziell unter die Arme zu greifen.
Damit sie wieder besser schläft, hat der Arzt Sabine F. ein Schlafmittel (Zolpidem®) verschrieben, das sie gut verträgt. Er hat ihr aber auch das Versprechen abgenommen, sich in Zukunft an regelmäßigere Zubettgehzeiten zu halten, weil sie das Schlafmittel nicht ihr Leben lang einnehmen sollte. Außerdem hat Sabine sich auf sein Anraten hin zu einem Kurs für autogenes Training bei der Volkshochschule angemeldet. Die Autosuggestionen, mit denen man seinen Körper in einen Zustand der Wärme, Schwere und Entspannung versetzen soll, sind nicht leicht zu erlernen; aber sie wird dadurch tatsächlich ruhiger, kann ihren Stress besser bewältigen und hofft, dass diese Übungen bald ihr einziges „Schlafmittel“ sein werden und sie auf die medikamentöse Einschlafhilfe verzichten kann.

 

Szenario Nr. 3: 
Daniel F. (der Sohn)

Daniel F. arbeitet als Ingenieur in einer großen Computerfirma. Da ist es natürlich mit einer normalen 40-Stunden-Woche nicht getan: Daniel muss viele Überstunden machen und auch nach Feierabend und am Wochenende per E-Mail oder Smartphone erreichbar sein. Denn wichtige Geschäftspartner aus dem Ausland melden sich wegen der Zeitverschiebung oft außerhalb der Arbeitszeiten, und ihre Anliegen lassen sich leider nicht immer bis zum nächsten Morgen aufschieben. Auch Tele- und Videokonferenzen finden manchmal spätabends oder nachts statt; und so sitzt Daniel zu Hause oft noch bis in die Nacht hinein vor dem Computer – und sein Smartphone nimmt er selbstverständlich mit ins Bett und wirft auch bei nächtlichem Aufwachen reflexartig einen Blick darauf, um zu sehen, ob wichtige Nachrichten gekommen sind.
Seit einigen Jahren schläft er nachts immer schlechter. Nicht genug, dass er wegen seiner beruflichen Überlastung ohnehin viel zu spät ins Bett kommt – er schläft dann auch oft lange nicht ein oder wird mitten in der Nacht wach und denkt über irgendein wichtiges Projekt nach. Anfangs war er dann morgens nach zwei oder drei Tassen Kaffee wieder fit; doch in letzter Zeit kommt er kaum noch gegen seine lähmende Müdigkeit an und quält sich eigentlich nur noch durch die Arbeitswoche hindurch. „Hoffentlich ist das kein Burnout“, denkt er. „Bei meinem verantwortungsvollen Job kann ich es mir nicht leisten, krank zu werden.“

Was Daniel F. falsch gemacht hat
• Wer glaubt, abends direkt vom Computer ins Bett gehen und dann gut schlafen zu können, der irrt. Denn erstens ist man kurz nach der Arbeit geistig noch viel zu wach. Unser Gehirn braucht eine klare Zäsur zwischen geistiger Aktivität bzw. Arbeit und Schlafengehen: Dazwischen sollte eine kleine Entspannungs- oder Abschaltphase liegen. Idealerweise praktiziert man während dieser Zeit ein Einschlafritual – irgendetwas, was man als beruhigend und entspannend empfindet, z. B. ein heißes Bad oder einen gemütlichen Abendspaziergang.
• Noch kontraproduktiver ist es, vor dem Schlafengehen am Computer zu sitzen oder immer wieder auf sein Smartphone zu schauen, denn der Blaulichtanteil von LED-Computerbildschirmen und Smartphone-Displays unterdrückt die Ausschüttung des körpereigenen Schlafhormons Melatonin, das unser Gehirn abends und nachts ausschüttet und das uns müde macht. Und schon gar nicht sollte man nachts beim Aufwachen nach dem Smartphone greifen: Denn durch die erneute Beschäftigung mit der Arbeit wird man wieder hellwach, und durch das Blaulicht wird die nächtliche Melatoninproduktion gedrosselt. Daniel F. sollte sich vornehmen, seinen Rechner abends um eine bestimmte Zeit auszuschalten und dann nicht mehr an die Arbeit, sondern nur noch an Ruhe und Entspannung zu denken. Das ist bei seinem Stress sicherlich nicht einfach, aber mit ein bisschen Konsequenz und Selbstdisziplin kann man es erlernen.

Was Daniel F. jetzt besser macht 
Daniel hat sich an einen Schlafcoach gewendet, der vor allem beruflich stark eingespannte, gestresste Manager berät; und der hat seine Lebens- und Schlafgewohnheiten kritisch unter die Lupe genommen. Seitdem sitzt Daniel nicht mehr bis kurz vor dem Zubettgehen am Computer und arbeitet, sondern nimmt sich vorher anderthalb Stunden Zeit zum Abschalten: Er gönnt sich einen kleinen Spaziergang über die Wiesen und Felder vor seinem Haus und lässt seine Gedanken dabei einfach schweifen oder macht eine geistige Bestandsaufnahme des vergangenen Arbeitstags: Was ist gut gelaufen, was war nicht so toll? Was könnte ich in Zukunft anders machen? Manchmal notiert er sich seine Ideen dazu anschließend noch in einem Tagebuch, das er sich extra für diesen Zweck angeschafft hat. 
Außerdem hat er sich eine App mit Entspannungsübungen und Stressbewältigungsstrategien auf sein Smartphone geladen, und diese Übungen macht er nun regelmäßig – nicht nur vor dem Einschlafen, sondern auch tagsüber, wenn er merkt, dass der Stress wieder einmal überhandnimmt. Die Übungen helfen ihm, „runterzukommen“ und das Leben wieder mit mehr Ruhe und Gelassenheit anzugehen. Dadurch, dass er seinen Stress tagsüber besser in den Griff bekommt und seine arbeitsbezogenen Gedanken vor dem Schlafengehen zu Papier bringt, ist Daniel F. auch abends ruhiger und gelassener und grübelt im Bett nicht mehr stundenlang, wie er es früher so oft getan hat.


Szenario Nr. 4: 
Richard F. (der Großvater)

Richard F. wohnt ein paar Kilometer von dem beschaulichen kleinen Dorf entfernt, in dem sein Sohn Klaus und seine Schwiegertochter Sabine leben. Noch kann er allein für sich sorgen und ist stolz darauf. Doch seit dem Tod seiner Frau ist alles nicht mehr so einfach wie früher. Die Einsamkeit macht ihm zu schaffen. Als seine Frau noch lebte, hatte er einen Grund, morgens aufzustehen: Dann wurde gemeinsam gefrühstückt; anschließend ging er seinen Hobbys nach. Er hat gerne im Garten gearbeitet oder in seinem Hobbykeller herumgewerkelt. Gemeinsame Aktivitäten (Mittag- und Abendessen, gemütliches Kaffeetrinken zu zweit, Besuche bei Freunden) verliehen dem Alltag eine feste Struktur. Doch allein hat Richard F. keine Motivation mehr dazu, sich regelmäßig etwas zu kochen, Freundschaften oder Hobbys zu pflegen. Früher ist er mit seiner Frau gern spazieren gegangen; doch allein macht ihm auch das keinen Spaß, und so kommt er oft tage- oder wochenlang nicht aus seiner Wohnung heraus. Manchmal legt er sich aus purer Langeweile tagsüber hin und schläft ein bisschen. Nachts ist sein Schlaf dann sehr unruhig, und er wacht oft schon um fünf Uhr früh auf, kann dann nicht wieder einschlafen und weiß nicht, was er mit sich anfangen soll. An manchen Tagen kann er sich zu gar nichts aufraffen, und manchmal kommt ihm der Gedanke, dass sein Leben jetzt eigentlich keinen Sinn mehr hat. Vor allem im Winter mit seinen trüben Tagen stürzt Richard F. oft in eine tiefe Depression.

Was Richard F. falsch gemacht hat
Dem alten Herrn fehlt das, was man in der Chronobiologie als „Zeitgeber“ bezeichnet: Aktivitäten, die Körper und Gehirn signalisieren, dass es Tag ist – beispielsweise feste Mahlzeiten, geselliges Beisammensein mit Freunden, der regelmäßige Abendspaziergang. Diese Zeitgeber stellen unsere innere Uhr immer wieder neu und sind für unser körperliches und seelisches Wohlbefinden unerlässlich. Ein weiterer wichtiger Zeitgeber ist das Tageslicht, dem wir uns regelmäßig aussetzen sollten, um tagsüber wach zu sein und abends richtig müde zu werden. Richard F. muss sich also dazu aufraffen, wieder ein aktiveres Leben zu führen, alte Freundschaften reaktivieren und vielleicht auch neue Kontakte suchen. Falls er es alleine nicht schafft, aus seinem seelischen Tief herauszufinden, sollte er die Hilfe eines Psychotherapeuten in Anspruch nehmen.
Zusätzlich zu den psychischen Problemen aufgrund seiner Einsamkeit und der Trauer um seine Frau leidet Richard F. offenbar auch unter einer Winterdepression, die durch den Lichtmangel an den kurzen Wintertagen hervorgerufen wird. Hierfür gibt es zum Glück gute Behandlungsmöglichkeiten: beispielsweise eine Lichttherapie, die gleichzeitig auch seinen aus dem Takt geratenen Schlaf-wach-Rhythmus wiederherstellen könnte.

Was Richard F. jetzt besser macht 
Wie viele Menschen aus seiner Generation musste Richard F. anfangs eine gewisse Hemmschwelle überwinden, bevor er den Mut gefasst hat, sich therapeutische Hilfe zu suchen. Denn als er jung war, gingen nur Menschen zum Psychotherapeuten, die „verrückt“ waren – das war jedenfalls die damals vorherrschende Meinung.
Die Adresse des Therapeuten bekam er von einem Freund, der schon seit Jahren fast rund um die Uhr seine schwerkranke, demente Frau betreuen muss und durch die Belastungen dieser anspruchsvollen Pflegetätigkeit ebenfalls in eine Depression hineingerutscht ist. In den ersten Wochen parkte Richard F. sein Auto jedes Mal ganz weit weg von der Praxis des Psychotherapeuten, weil es ihm furchtbar peinlich wäre, wenn einer seiner Bekannten auf die Idee käme, dass er zu einem „Seelenklempner“ geht. Doch inzwischen ist es ihm egal, was die Leute denken, denn er hat gemerkt, wie sehr ihm die Therapie hilft: Dr. W., der sich auch gut in der Behandlung von Schlafproblemen auskennt (will viele psychische Erkrankungen mit einem gestörten Schlaf einhergehen), hat ihm viele Praxistipps dazu gegeben, wie er seinen Tag besser strukturieren kann – zum Beispiel, indem er sich morgens (auch wenn er nichts vorhat) einen Wecker stellt. Wenn ihn das „Mittagstief“ überkommt, darf er sich ruhig ein bisschen hinlegen, soll aber nach 20 Minuten oder spätestens einer halben Stunde wieder aufstehen, damit er nicht zu lange schläft.
Gegen seine Winterdepression hat Dr. W. ihm eine Therapielampe verordnet, die gleichzeitig dazu beiträgt, seinen Schlaf-wach-Rhythmus wieder in Ordnung zu bringen. Seitdem setzt Richard F. sich jeden Morgen vor die Therapieleuchte – das hebt seine Stimmung, und seitdem liegt er abends im Bett auch nicht mehr so lange wach. Denn durch die morgendliche „Lichtdusche“ signalisiert er seinem Körper und seinem Gehirn: „Jetzt ist es Tag!“
Sein Therapeut hat ihm auch empfohlen, eine Selbsthilfegruppe von Menschen zu besuchen, die vor kurzem ihren Ehe- oder Lebenspartner verloren haben. Zum Glück gibt es eine solche Gruppe in seiner Stadt; die Mitglieder treffen sich jeden Mittwochabend zu einem Gedanken- und Erfahrungsaustausch und um gemeinsam Trauerarbeit zu leisten. Diese Gespräche helfen Herrn F. sehr, und er ist jetzt auch nicht mehr so allein, da die Mitglieder der Gruppe auch außerhalb der allwöchentlichen Treffen öfters etwas miteinander unternehmen – von gemeinsamen Restaurantbesuchen bis hin zu Wanderungen und Wochenendausflügen. Dadurch hat Herr F. jetzt öfters etwas vor; sein Leben ist ausgefüllter, was auch seinem Schlaf zugute kommt – denn wie der bekannte Psychotherapeut und Schlafexperte Dr. Christian Peter Dogs (der mittlerweile übrigens ebenfalls im Ruhestand ist) es so schön ausgedrückt hat: „Wenn wir uns das normale Leben eines Deutschen anschauen, stellen wir fest: Viele Deutsche erleben nichts und bewegen sich auch nicht – daher bekommen sie kaum REM- und Tiefschlaf. Deshalb sollte man jeden Tag wenigstens eine Stunde wandern oder einer anderen körperlichen Aktivität nachgehen, um genügend Tiefschlaf zu bekommen. Und ab und zu einmal etwas zu erleben, wäre sicherlich auch nicht schlecht…“*

 

* Dr. Christian Peter Dogs: „Schlafstörungen und psychische Erkrankungen“. das schlafmagazin 3/2006, S. 34 ff.