Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2023

Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2023


Liebe Leserin, lieber Leser,

nachdem der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin coronabedingt zwei Jahre lang virtuell stattgefunden hatte, konnten im November 2022 Referenten und Kongressbesucher nun endlich wieder wie gewohnt aufeinandertreffen, Kontakte knüpfen, sich miteinander austauschen. Und so lautete das Motto der Jahrestagung passend „Schlafmedizin hautnah“. Die spannenden neuen Erkenntnisse, die in Wiesbaden präsentiert wurden, deckten ein breites Spektrum der Schlafmedizin ab: von neuen medikamentösen Therapien der Schlafapnoe bis hin zu tagesschläfrigkeitsbedingten Unfällen; von Schlafstörungen bei Krebs bis hin zur Traumatherapie mit nächtlichen Düften. Wir haben für Sie den Kongress besucht und berichten in dieser Ausgabe des Schlafmagazins über die wichtigsten Erkenntnisse.

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Nach wie vor ist das Schlafen mit CPAP-Gerät und Maske die Standardtherapie der obstruktiven Schlafapnoe: Sie hilft den meisten Patienten, weil sie den oberen Atemweg zuverlässig offenhält. Allerdings ist sie nicht überall beliebt und wird daher auch nicht immer konsequent genutzt. Auch die Schienentherapie ist manchen Patienten unangenehm und kann unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, während andere Behandlungsmethoden (z. B. Positionstherapie, Zungenschrittmacher oder atemwegserweiternde operative Eingriffe) wiederum nur bestimmten Patienten helfen. Deshalb ist man schon seit langem auf der Suche nach medikamentösen Therapieoptionen; und nun scheint erstmals Licht am Ende des Tunnels in Sicht zu sein. 

Tagesschläfrigkeit gehört zu den größten Unfallgefahren im Straßenverkehr. Viele Menschen, insbesondere auch Berufskraftfahrer, unterschätzen die Risiken, wenn sie sich müde ans Steuer setzen. Dies ist jedoch nur einer der Gründe, warum die DGSM auf ihrer 30. Jahrestagung einen Schwerpunkt diesem Thema widmete. Denn auch die Diagnose der zugrundeliegenden Ursachen und deren Behandlung stellt nicht nur bei Berufskraftfahrern eine Herausforderung dar.

Etwa 30 % aller Bundesbürger leiden an einer Fettlebererkrankung – wobei „leiden“ eigentlich schon zu viel gesagt ist, denn diese schleichende Verfettung der Leber verursacht eigentlich kaum Beschwerden. Daher wird sie oft nur durch Zufall bemerkt, kann aber gefährlich sein, weil sie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes erhöht und sogar zu Leberkrebs führen kann. Und wie man inzwischen weiß, sind starke Schnarcher besonders anfällig dafür.

Der Frühling ist im Anmarsch. Die längeren und wärmeren Tage wecken bei vielen die Lust auf Reisen und Ausflüge. Basel wäre zum Beispiel ein schönes Ziel. Von Ende April (bis zum 21. Januar 2024) kann man im Museum der Kulturen eine interessante Ausstellung zum Thema „Nacht“ besuchen. Auch dazu mehr in unserem Schlafmagazin. 


Ich wünsche Ihnen wie immer eine informative Lektüre.

Dr. Magda Antonic


Coverbild © CSA-Printstock/iStock

Die nächste Ausgabe erscheint im Mai 2023.
Inhalt

6 „Schlafmedizin hautnah“:
Spannende neue Erkenntnisse von der 30. DGSM-Jahrestagung

14 Wann kommt endlich die „Pille gegen Schlafapnoe“?
Vielversprechende Ansätze in der medikamentösen Behandlung 
schlafbezogener Atmungsstörungen

20 somnio: Endlich wieder gut schlafen – und das ganz ohne Tabletten!

23 Vor dem Impftermin lieber erst mal richtig ausschlafen!    

26 Tagesschläfrigkeit im Verkehr – eine unterschätzte Gefahr    

29 Studienaufruf für Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen      

29 Patienten und Patientinnen mit einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung 
in Köln gesucht       

30 Nicht nur ein „kleiner Unterschied“:
Frauen schlafen anders als Männer!      

33 Schlafapnoe-Therapie wichtiger Bestandteil 
der Sekundärprävention von Schlaganfällen      

34 Fettleber: eine unterschätzte Volkskrankheit
… und was das Schnarchen damit zu tun hat

40 Ein Ratgeber, den jeder Restless Legs-Patient haben sollte     

42 Die vielen Facetten der Nacht      

44 Bequemer und rückengerechter Schlaf auf Knopfdruck    

46 Probleme im Traum lösen: möglich oder nicht?      

48 Auf ein gutes neues Jahr 2023 für Ihren Schlaf!      

Wann kommt endlich die „Pille gegen Schlafapnoe“?


Vielversprechende Ansätze in der medikamentösen Behandlung schlafbezogener Atmungsstörungen

Marion Zerbst

Nach wie vor ist das Schlafen mit CPAP-Gerät und Maske die Standardtherapie der obstruktiven Schlafapnoe: Sie hilft den meisten Patienten, weil sie den oberen Atemweg zuverlässig offenhält. Allerdings ist sie nicht überall beliebt und wird daher auch nicht immer konsequent genutzt. Auch die Schienentherapie ist manchen Patienten unangenehm und kann unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, während andere Behandlungsmethoden (z. B. Positionstherapie, Zungenschrittmacher oder atemwegserweiternde operative Eingriffe) wiederum nur bestimmten Patienten helfen. Deshalb ist man schon seit langem auf der Suche nach medikamentösen Therapieoptionen; und nun scheint erstmals Licht am Ende des Tunnels in Sicht zu sein.


Die Vorstellung ist verlockend: Einfach jeden Tag eine Tablette einwerfen, und schon ist die Schlafapnoe gebannt! Bisher ist es leider noch keiner Pharmafirma gelungen, ein wirksames Medikament gegen das krankhafte Schnarchen mit Atemaussetzern auf den Markt zu bringen; aber natürlich wird ständig an neuen medikamentösen Therapieansätzen geforscht, und mittlerweile scheint es tatsächlich ein paar Lichtblicke zu geben. Allerdings werden diese medikamentösen Behandlungsmethoden zurzeit erst in kleineren klinischen Studien mit geringen Patientenzahlen getestet. Wahrscheinlich wird also noch einige Zeit ins Land gehen, bis der Traum von der „Pille gegen Schlafapnoe“ endlich wahr wird. 

Zwei wichtige Ansatzpunkte für eine medikamentöse Therapie
Die Idee, die obstruktive Schlafapnoe (OSA) medikamentös zu therapieren, ist nicht neu. Schon vor 20 bis 30 Jahren wurde dies mit dem atem-stimulierenden Asthma-Medikament Theophyllin versucht. Diesen Versuch hat man aber letztendlich wieder aufgegeben, weil die Wirksamkeit des Theophyllins nicht ausreichte und dieses Arzneimittel außerdem ein sehr enges therapeutisches Fenster hat: Das heißt, es kann dabei sehr schnell zu einer Überdosierung mit teils schweren Nebenwirkungen kommen. 
In neueren Studien versucht man nun Medikamente zu finden, die gezielt bestimmte Krankheitsmechanismen der OSA beeinflussen. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass die obstruktive Schlafapnoe nicht nur anatomische Ursachen hat. Bahnbrechend waren in dieser Hinsicht die Erkenntnisse des australischen Schlafforschers Prof. Danny Eckert. Hier ein kurzer Überblick über seine Forschungsergebnisse, die interessante neue Möglichkeiten für medikamentöse Therapieansätze bieten:
Bei jedem OSA-Patienten liegt ein anatomisches Problem vor, nämlich eine Neigung zum Zusammenfallen der oberen Atemwege während des Schlafs (sog. Atemwegskollaps) – sei es aufgrund von Übergewicht, zu großen Strukturen im Rachenraum oder einem zu schmalen oder zurückgesetzten Unterkiefer. Zusätzlich gibt es aber auch wichtige nicht-anatomische Faktoren, die zur Entstehung einer obstruktiven Schlafapnoe beitragen können, z. B.:

1. Die Funktion der atemwegserweiternden Muskeln, die einem Atemwegskollaps entgegenwirken, wobei der Kinn-Zungen-Muskel (Musculus genioglossus) für die Weitstellung des Rachens eine besonders wichtige Rolle spielt. Wenn diese Muskulatur nicht richtig funktioniert, kann es leichter zu Atemstillständen kommen. 

2. Die Atemantwort auf Apnoen: Die Aktivität unserer Atemmuskeln wird vom Atemzentrum im Gehirn gesteuert. Bei nächtlichen Atemstillständen (Apnoen) entsteht Sauerstoffmangel. Gleichzeitig steigt der Kohlendioxidgehalt im Blut an, weil dann kein Kohlendioxid mehr abgeatmet werden kann. Als Reaktion darauf aktiviert das Atemzentrum die Atemmuskulatur. Bei manchen Schlafapnoe-Patienten neigt das Atemzentrum zu besonders starken Reaktionen: Diese Patienten reagieren schon auf eine leichte Apnoe mit einer sehr schnellen und/oder tiefen Atmung (Hyperventilation). Dadurch wird nun wiederum zu viel Kohlendioxid abgeatmet, was eine erneute Apnoe auslöst. Denn immer wenn der Kohlendioxidgehalt im arteriellen Blut unter einen bestimmten Grenzwert (die sogenannte Apnoeschwelle) sinkt, löst das Gehirn einen Atemstillstand aus. Anschließend beginnt der Patient erneut zu hyperventilieren, und der ganze Teufelskreis beginnt von vorn. Durch diese überschießenden Reaktionen des Atemzentrums entsteht also eine instabile Atmung mit ständigem Hin und Her zwischen Apnoen und Hyperventilationsphasen, wodurch sich die Schlafapnoe verschlimmert.

Bei diesen beiden Faktoren, die eine obstruktive Schlafapnoe begünstigen bzw. verstärken können, setzen zwei neue medikamentöse Behandlungsmethoden an, die zurzeit in klinischen Studien getestet werden.  

Mehr Power für die Muskeln der oberen Atemwege
Ein Team von Schlafforschern an der Harvard Medical School in Boston versuchte die atemwegserweiternde Muskulatur (vor allem den Kinn-Zungen-Muskel) mit einer Kombination aus zwei Medikamenten auf Vordermann zu bringen: dem Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Atomoxetin und dem Anticholinergikum Oxybutynin. 
Mit Atomoxetin wird normalerweise die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) behandelt. Oxybutynin entspannt die glatte Muskulatur in der Blase und hilft somit gegen übermäßigen Harndrang und Inkontinenz aufgrund einer Überaktivität des Harnblasenmuskels. Beide Medikamente wirken sich nebenbei jedoch auch positiv auf die Aktivität der Muskeln in den oberen Atemwegen aus. 
In einer Pilotstudie wurden 20 OSA-Patienten für eine Nacht mit diesen Medikamenten behandelt und im Schlaflabor untersucht – mit sehr erfreulichen Ergebnissen: Der Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) ließ sich durch das Kombi-Paket aus Atomoxetin und Oxybutynin um 63 % senken. Dadurch verbesserte sich auch die nächtliche Sauerstoffsättigung der Patienten. Ferner gibt es Hinweise darauf, dass diese Kombinationstherapie – zumindest bei Schlafapnoe-Patienten – auch eine schlafverfestigende Wirkung hat: Bei 13 der 20 Patienten wirkte sie sich positiv auf die Schlafeffizienz und den Arousal-Index aus. Schwerere unerwünschte Nebenwirkungen traten nicht auf. 
„Unsere Studie zeigt, dass eine Kombination aus Atomoxetin und Oxybutynin, vor dem Zubettgehen eingenommen, eine OSA bei Patienten mit sehr unterschiedlichen Schweregraden deutlich verbessern oder sogar völlig beseitigen kann“, lautet das Fazit des Schlafmediziners Dr. Luigi Taranto-Montemurro, der diese Studie zusammen mit seinem Team durchgeführt hat. „Bisher hat keine andere pharmakologische Therapie eine so starke Auswirkung auf die obstruktive Schlafapnoe gezeigt.“  
Aber die positive Wirkung, die zwei Medikamente über einen Zeitraum von nur einer Nacht an einer kleinen Patientengruppe gezeigt haben, ist noch lange kein Beweis dafür, dass man mit diesem Medikamenten-Duo die obstruktive Schlafapnoe besiegen kann: „Es müssen noch längere und größere Studien durchgeführt werden, um die Wirksamkeit und Sicherheit dieser beiden Substanzen bei OSA-Patienten zu bestätigen.“ Außerdem nahm der Schweregrad der obstruktiven Schlafapnoe in dieser Studie unter der neuartigen Kombitherapie zwar deutlich ab; trotzdem hatten einige Patienten immer noch einen Rest-AHI von mindestens 10. „Das deutet darauf hin, dass sich die OSA bei einer bestimmten Subgruppe von Patienten durch diese potenzielle Therapie vielleicht nicht völlig beseitigen lässt“, vermuten die Studienautoren. Und die Frage nach Nebenwirkungen ist natürlich auch noch nicht endgültig vom Tisch; denn selbst wenn innerhalb einer Nacht keine unerwünschten Nebeneffekte aufgetreten sind, könnten diese sich bei einer längeren medikamentösen Therapie mit der Zeit doch noch einstellen: „Man darf nicht vergessen, dass Atomoxetin (…) von Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie beispielsweise Herzinsuffizienz nicht eingenommen werden darf und dass Oxybutynin starke dosisabhängige, für Anticholinergika typische Nebenwirkungen (z. B. Mundtrockenheit, Sehstörungen, Verstopfung, Müdigkeit, Schwindel und Delir) verursachen kann.“ 
Nicht zuletzt können beide Wirkstoffe auch zu Schlafstörungen führen. „In unserer Studie haben wir nur eine einzige Dosis (80 mg Atomoxetin plus 5 mg Oxybutynin) getestet; bisher weiß man nicht, ob niedrigere Dosen dieser Medikamentenkombination ähnlich wirksam sein könnten, und das bei weniger Nebenwirkungen und einem günstigeren Sicherheitsprofil.“ Dennoch setzt Dr. Montemurro offenbar große Hoffnungen in die neue Kombitherapie, denn er hat inzwischen sogar eine Firma namens Apnimed gegründet, die das Medikamenten-Duo mittlerweile im Rahmen klinischer Studien untersucht. 

Carboanhydrasehemmer gegen instabile Atmung
Im Schlaflabor des Schlafforschers Prof. Jan Hedner in Göteborg (Schweden) wurde vor kurzem ein weiteres potenzielles Medikament gegen Schlafapnoe untersucht, nämlich der Carboanhydrasehemmer Sultiam. 
Carboanhydrasehemmer werden hauptsächlich zur Behandlung der Höhenkrankheit und (als Augentropfen) zur Senkung eines zu hohen Augeninnendrucks beim Grünen Star eingesetzt. Gleichzeitig greifen sie aber auch in die Atmungssteuerung ein und stabilisieren so die Atmung im Schlaf. Das macht sie zu vielversprechenden Kandidaten für eine medikamentöse Schlafapnoe-Therapie.
In die von Prof. Hedner und seinem Team durchgeführte Studie wurden 68 Patienten mit schwerer obstruktiver Schlafapnoe aufgenommen, die eine CPAP-Therapie nicht tolerierten. 34 dieser Patienten erhielten vier Wochen lang Sultiam in einer Dosis von 400 mg täglich; 12 Studienteilnehmer nahmen dasselbe Medikament in einer Tagesdosis von 200 mg ein; 22 Probanden wurden mit Placebo (einem Scheinmedikament) behandelt. 
Im Durchschnitt sank der AHI durch die Behandlung mit Sultiam um über 20 pro Stunde. Die durchschnittliche nächtliche Sauerstoffsättigung stieg – sowohl in der 400- als auch in der 200-mg-Patientengruppe – um rund 1 % an. Allerdings zeigte das Mittel auch unerwünschte Nebenwirkungen: Einige mit Sultiam behandelte Patienten klagten über Kopfschmerzen, Parästhesien (Missempfindungen wie z. B. Kribbeln oder Taubheitsgefühl), Schwindel und Atemnot; neun Patienten aus der 400-mg-Gruppe brachen ihre Teilnahme an der Studie sogar ab, weil sie das Mittel nicht vertrugen. Wirklich schwerwiegende Nebenwirkungen traten jedoch nicht auf; auch die Parästhesien waren nur leicht ausgeprägt und traten normalerweise nur während der ersten Behandlungstage auf. Allerdings war die 400-mg-Dosis weniger gut verträglich als die 200-mg-Dosis. (So kam Atemnot beispielsweise nur in der 400-mg-Patientengruppe vor.)
Zu den Autoren der Studie gehören unter anderem zwei Mitarbeiter des Hamburger Arzneimittelherstellers Desitin, der ein Sultiam-Präparat namens Ospolot® zur Behandlung einer speziellen Epilepsie-Form vertreibt. Die Autoren empfinden das Sicherheitsprofil dieses Carboanhydrasehemmers als „zufriedenstellend“ und empfehlen, den Wirkstoff bei Schlafapnoe-Patienten in größeren Studien zu untersuchen. Ein Nachteil ist allerdings auch hier, dass Sultiam die Schlafapnoe in dieser Studie nur bei weniger als fünf Patienten völlig beseitigen konnte. Daher ist dieses Medikament möglicherweise eher für Patienten mit leichtgradiger OSA geeignet und/oder sollte mit anderen Behandlungsmaßnahmen kombiniert werden.