Das Schlafmagazin: Ausgabe 3/2023

Das Schlafmagazin: Ausgabe 3/2023


Liebe Leserin, lieber Leser,

die schlafmedizinische Diagnostik steckt mitten in einer großen Umbruchphase. Noch immer werden schlafbezogene Atmungsstörungen meistens per Polysomnografie im Schlaflabor diagnostiziert. Doch in vielen Fällen wäre das eigentlich gar nicht notwendig. Außerdem sind die Wartezeiten auf eine Untersuchung im Schlaflabor sehr lang. Bald werden Diagnostik-Geräte, die der Patient in den eigenen vier Wänden nutzen kann, zum schlafmedizinischen Alltag gehören. Prof. Ulrich Sommer vom Klinikum rechts der Isar beschreibt neue Wege in der Diagnostik schlafbezogener Atmungsstörungen.

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Wenn man einem Arzt von Schlafstörungen berichtet, verschreibt er oft als Erstes ein Schlafmittel – obwohl das nicht immer die beste Option ist. Es gibt aber auch durchaus Situationen, in denen es ohne Schlafmittel nicht geht. Was für schlaffördernde Medikamente gibt es, und welche Mittel sind aus schlafmedizinischer Sicht zu empfehlen – das erklärt Prof. Peter Young vom Medical Park in Bad Feilnbach.

Und vielleicht kann in Zukunft ja speziell fürs Ein- und Durchschlafen konzipierte Musik die Einnahme von Schlafmitteln ersetzen. Darüber können Sie im Beitrag „Von Wiegenliedern und Sleep Music“ lesen.

Der Wald ist schon seit jeher für viele Menschen ein Sehnsuchts- und Erholungsort. Womöglich liefert er auch Wege zu einem besseren Schlaf. Mehr dazu lesen Sie in unserem Beitrag zum Thema „Wald-baden“.  


Ich wünsche Ihnen wie immer eine informative Lektüre.
 

Dr. Magda Antonic


Cover © ana_tiago/Shutterstock

Das nächste Schlafmagazin erscheint im November.
Inhalt

6 Brauchen wir bald keine Schlaflabore mehr?
Neue Wege in der Diagnostik schlafbezogener Atmungsstörungen

12 Neuartiger Migräne-Antikörper verbessert den Schlaf

14 Erhöhtes Restless Legs-Risiko bei Patienten
mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen

14 Schlafstörungen und Fatigue:
bei multipler Sklerose sehr häufig

16 Melatonin, Benzodiazepine, Z-Substanzen & Co:
Was sagt der Schlafmediziner dazu?

24 Schlaftagebuch, Polysomnografie, Aktigrafie:
Wie werden Schlafstörungen diagnostiziert?

28 Shinrin-Yoku:
Warum Waldbaden Stress abbaut und uns besser schlafen lässt

34 Jeder Patient reagiert anders:
Individualisierte Restless Legs-Reha in Bad Feilnbach

37 Gesunder Schlaf: Was Sie selbst dafür tun können

40 „Schlaf ist die beste Medizin“ – in jedem Lebensalter

42 Der Mach-dein-Bett-Tag

44 Hilfe bei Schlafstörungen

46 Von Wiegenliedern und Sleep Music

48 Termine

50 Was tun, damit der Erholungseffekt nach dem Urlaub möglichst lange anhält?

Schlaftagebuch, Polysomnografie, Aktigrafie:


Wie werden Schlafstörungen diagnostiziert?

Anne Greveling

Bei der Diagnostik von Schlafstörungen unterscheidet man zwischen subjektiven und objektiven Verfahren. Zu den subjektiven diagnostischen Methoden gehören diejenigen, die auf den Angaben des Patienten beruhen: also Schlaffragebögen, Schlaftagebücher und alles, was der Patient dem Arzt während des Anamnesegesprächs (der Erhebung der Krankheitsgeschichte) berichtet. Diese Angaben sind für den Arzt zwar sehr aufschlussreich und liefern ihm wichtige Anhaltspunkte; aber sie sind nicht hundertprozentig zuverlässig, weil sie eben nur die subjektive Einschätzung des Patienten wiedergeben. Oft beurteilt dieser seinen Nachtschlaf ganz anders, als er in Wirklichkeit ist; beispielsweise neigen Menschen mit Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnien) dazu, ihre Schlafdauer und Schlafqualität zu unterschätzen und ihre Wachliegezeiten zu überschätzen. Andererseits können sie über kurze nächtliche Aufwachereignisse und Wachphasen gar keine Auskunft geben, weil sie diese bis zum nächsten Morgen längst wieder vergessen haben. Auch nächtliche Atemstillstände bei einer obstruktiven Schlafapnoe werden von den Patienten oft nicht wahrgenommen.

Gerade deshalb sind auf objektiven Messungen beruhende Diagnoseverfahren so wichtig. Am aussagekräftigsten ist in dieser Hinsicht die Polysomnografie. Diese im Schlaflabor durchgeführte Untersuchung ermöglicht eine sehr genaue Einschätzung des Schlafs: Die verschiedenen Schlafphasen werden anhand eines EEGs ermittelt, das auch kürzeste Aufwachereignisse anzeigt und Aufschluss darüber gibt, ob der Patient eine normale oder gestörte Schlafarchitektur hat. Die Messung von Atemströmen und Atembewegungen (in Kombination mit Schnarchmikrofon und Pulsoxymetrie) verrät, ob der Patient an einer obstruktiven Schlafapnoe leidet. Auch viele andere Schlafstörungen und schlafbezogene Erkrankungen können anhand einer Polysomnografie diagnostiziert werden. Allerdings ist dieses Verfahren sehr aufwendig und kostspielig, und die Wartezeiten auf einen Termin im Schlaflabor sind oft lang. Deshalb wird eine Polysomnografie nur bei Schlafproblemen durchgeführt, die sich mithilfe einfacherer Methoden nicht abklären lassen.

So einfach wie das Tragen einer Armbanduhr
Ein unkomplizierteres, bequemeres und kostengünstigeres objektives Diagnoseverfahren ist die Aktigrafie. Dabei trägt der Patient ein Gerät namens Aktometer, das nicht größer und schwerer ist als eine Armbanduhr, für längere Zeit an seinem nicht-dominanten Handgelenk. Dieses Gerät zeichnet seine Bewegungen auf, und die Daten werden anschließend auf einen Computer heruntergeladen und ausgewertet. 
Die Aktigrafie gibt Aufschluss über Ruhe- und Aktivitätsphasen und (indirekt) auch über Schlaf- und Wachzeiten: Denn wenn man sich viel bewegt, ist man normalerweise wach; liegt man ruhig da und bewegt sich wenig, so deutet dies darauf hin, dass man schläft. Zusätzlich können mithilfe einer Aktigrafie oft auch noch andere wichtige Parameter (beispielsweise Helligkeit, Lichtintensität und Umgebungstemperatur) erfasst werden.
Ein großer Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass sich damit das Bewegungsverhalten von Patienten über einen längeren Zeitraum (mindestens ein oder zwei Wochen bis mehrere Monate) dokumentieren lässt. Denn das Gerät am Handgelenk stört nicht; und da die meisten Aktometer mittlerweile wasserdicht sind, muss man sie auch zum Duschen nicht abnehmen. Bei vielen Schlafstörungen liefern längere Messungen detailliertere und aussagekräftigere Informationen, die man innerhalb von ein oder zwei Schlaflabornächten nicht bekommen kann. Außerdem vermittelt die Aktigrafie dem Arzt Informationen über das Schlafverhalten des Patienten unter natürlichen Alltagsbedingungen, während man im Schlaflabor aufgrund der vielen Kabel und der ungewohnten Umgebung oft nicht so gut schlafen kann, was den Befund natürlich bis zu einem gewissen Grad verfälscht.

Was kann die Aktigrafie?
Eine Aktigrafie gibt Aufschluss über:
• Bettzeitbeginn, Bettzeitende und Bettliegezeit 
• die Zeit, die der Patient bis zum Einschlafen braucht (sogenannte Einschlaflatenz) 
• Schlafdauer und
• Häufigkeit und Dauer nächtlicher Wachphasen.
• Aus diesen Parametern lässt sich die Schlaf-
effizienz (der Anteil der Bettliegezeit, den der Patient schlafend verbringt) errechnen. 
Außerdem kann man anhand der Aktigrafie die Anzahl der Schlafepisoden bei Tage ermitteln. Auch das ist wichtig; denn manche (vor allem ältere) Menschen schlafen tagsüber zu viel und wundern sich dann darüber, dass sie nachts wachliegen. Andere machen den Fehler, zu sehr unregelmäßigen Zeiten aufzustehen und zu Bett zu gehen, was sich ebenfalls negativ auf den Schlaf auswirkt und eine Schlafstörung verschlimmern kann. Anhand der Aktigrafie-Daten kann man solchem falschen Schlafverhalten auf die Spur kommen und es dem Patienten verdeutlichen. Somit kann eine Aktigrafie (in Kombination mit einer schlafmedizinischen Anamnese und einem Schlaftagebuch) wichtige Informationen zur Abklärung von Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnien) liefern. 

Wenn Ihre innere Uhr anders tickt
Auch bei der Diagnostik von Schlaf-wach-Rhythmusstörungen kann die Aktigrafie wertvolle Dienste leisten. Sie kann z. B. Klarheit darüber verschaffen, ob jemand ein Morgentyp („Lerche“) oder ein Abendtyp („Eule“) ist. Auch extremere Verschiebungen des Schlaf-wach-Rhythmus bringt eine Aktigrafie – im wahrsten Sinn des Wortes – ans Tageslicht: Bei der verzögerten Schlafphasenstörung ist die Hauptschlafphase beispielsweise um mindestens zwei bis sechs Stunden nach hinten verlagert. Solche Menschen machen die Nacht zum Tage, weil sie aufgrund ihres (großenteils genetisch bedingten) Schlaf-wach-Rhythmus gar nicht anders können: Sie werden eben einfach erst gegen zwei oder drei Uhr nachts müde und schlafen dafür am nächsten Morgen „bis in die Puppen“ (falls sie die Möglichkeit dazu haben). Menschen mit einer vorverlagerten Schlafphasenstörung sind dagegen extreme Lerchen, denen oft schon am zeitigen Abend die Augen zufallen und die dafür schon am frühen Morgen hellwach sind. 
Oft können solche Menschen ihren eigentlichen Schlaf-wach-Rhythmus nur am Wochenende „ausleben“. Genau diese Diskrepanz zwischen dem Schlaf während der Arbeitswoche und dem Schlafverhalten an freien Tagen zeigt die Aktigrafie und verrät damit, dass der Patient nicht etwa an einer Insomnie leidet, sondern dass schlicht und einfach seine innere Uhr anders tickt als bei den meisten Menschen. Wenn man das weiß, kann man entweder versuchen, seinen Schlaf-wach-Rhythmus durch bestimmte Behandlungsmethoden wie Lichttherapie und/oder die Einnahme von Melatonin zu verschieben (was allerdings gar nicht so einfach ist) oder aber – sofern dies möglich ist – seinen Lebensrhythmus und seine beruflichen Verpflichtungen an den Gang seiner inneren Uhr anzupassen. 

Schlafmedizinische Diagnostik bei Demenzpatienten
Viele ältere Menschen leiden an einer obstruktiven Schlafapnoe; bei Demenzpatienten sind sogar über 50 % von dieser schlafbezogenen Atmungsstörung betroffen. Dadurch verschlechtert sich ihr Zustand noch mehr, denn die Schlafapnoe macht sie tagsüber müde und lethargisch, schränkt ihr Denk- und Konzentrationsvermögen ein und verschlimmert – langfristig gesehen – die Beeinträchtigung ihrer Gedächtnisleistung: Vor allem die wiederholten Sauerstoffmangelzustände (Hypoxämien) schädigen auf Dauer das Gehirn.
Gerade bei älteren und demenzkranken Menschen ist es also sehr wichtig, eine Schlafapnoe möglichst frühzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln. Das Problem ist nur, dass Demenzpatienten die Untersuchung im Schlaflabor mit all den vielen Kabeln häufig nicht akzeptieren. In solchen Fällen kann eine reduzierte Diagnostik (beispielsweise in Form einer Pulsoxymetrie oder Aktigrafie) ein ganz guter Ersatz sein. Ein Pulsoxymeter wird am Handgelenk oder Finger getragen und dient zur Messung des Pulses und der Sauerstoffsättigung des Blutes. Insofern kann eine Pulsoxymetrie viel darüber aussagen, ob jemand an einer obstruktiven Schlafapnoe leidet oder nicht; denn bei den nächtlichen Atemstillständen (Apnoen) sinkt die Sauerstoffsättigung immer wieder vorübergehend ab. Auch mithilfe der Aktigrafie lassen sich wichtige Informationen über das Schlafverhalten von Demenzpatienten gewinnen, bei denen der Schlaf-wach-Rhythmus oft völlig durcheinandergerät, was eine große Belastung für die pflegenden Angehörigen darstellt. 

Nachteile der Aktigrafie
Freilich ist eine Aktigrafie nicht so aussagekräftig und präzise wie die Untersuchung im Schlaflabor. So ist beispielsweise eine Erfassung der Schlafstadien nicht möglich; auch viele Schlafstörungen und schlafbezogenen Erkrankungen kann man mit einer Aktigrafie allein nicht dia-gnostizieren. Hinzu kommt, dass diese Untersuchungsmethode in Deutschland (anders als in der Schweiz) bisher nicht als Krankenkassenleistung anerkannt ist; Ärzte können sie lediglich als IGeL (individuelle Gesundheitsleistungen) abrechnen, was bedeutet, dass der Patient sie aus eigener Tasche bezahlen muss. Daher ist dieses Verfahren bei uns bisher leider nicht so weit verbreitet, wie es eigentlich sein sollte. 

Quelle:
Jens G. Acker et al.: Stellenwert der Aktigraphie in der schlafmedizinischen Versorgung
Somnologie vol. 26, S. 32–39 (2022)