Liebe Leserin, lieber Leser,
chronische Müdigkeit ist eine oft missverstandene und leider manchmal auch belächelte Krankheit. Doch das Chronische Fatigue-Syndrom ist eine schwerwiegende Erkrankung, die vielen Betroffenen nahezu jede Aktivität unmöglich macht. Manche dieser Patienten sind arbeitsunfähig und verbringen die meiste Zeit ihres Lebens im Bett, weil sie zu nichts anderem mehr in der Lage sind. Infektionen wie beispielsweise COVID-19 gehören zu den häufigsten Auslösern. Lesen Sie dazu unseren ersten Beitrag in dieser Schlafmagazin-Ausgabe.
» weiterlesenEine Frühgeborenen-Retinopathie kostete Nina Schweppe das Augenlicht; und so kam es, dass sie den Brutkasten zwar als gesundes Frühchen verließ, aber eben nichts sieht. So etwas prägt das ganze Leben und wirkt sich auch auf den Schlaf aus: Ohne Lichtwahrnehmung gerät der Schlaf-wach-Rhythmus hoffnungslos durcheinander. Aber Nina Schweppe verzweifelte nicht. Sie wurde Sozialpädagogin und berät seitdem Behinderte und andere Menschen mit Gesundheitsproblemen – nach dem Motto: „Mein Handikap ist Ihre Chance!“ Da sie weiß, wie es sich anfühlt, unter einer gravierenden Schlaf-wach-Störung zu leiden, ist sie geradezu prädestiniert dafür, auch anderen schlafgestörten Menschen zu helfen. Sie gibt Kurse und Einzelcoachings für Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen und obstruktiver Schlafapnoe und erklärt ihnen auch, wie man sich ernähren sollte, um gut und erholsam zu schlafen. Wir haben mit ihr gesprochen und sie gefragt, wie sie es schafft, trotz Blindheit und Schlafstörung ihren privaten und beruflichen Alltag zu meistern.
Das Thema CMD ist in vieler Munde und geistert durch das weltweite Netz; aber was verbirgt sich hinter dieser Abkürzung? Gleich der erste Treffer bei Google erklärt, dass CMD etwas mit „Cranium“ (dem lateinischen Wort für Schädel) und „Mandibula“ (dem lateinischen Wort für Unterkiefer) zu tun hat. Eine Fehlstellung von Ober- zu Unterkiefer und von Zähnen führe dabei angeblich zu Schmerzen. Aber nicht alles, was Dr. Google erklärt, ist unbedingt richtig und zeitgemäß. Dr. Dagmar Norden erklärt das Thema.
Vor einiger Zeit hat der „Bundesverband für Schlafapnoe und Schlafstörungen Deutschland e. V.“ (BSD) zusammen mit Dr. Hans-Günter Weeß vom Schlafzentrum des Pfalzklinikums ein Video veröffentlicht, das helfen soll, wieder leichter in den Schlaf zu finden. Eine Studie hat nun gezeigt, dass das Video als vorbeugende Maßnahme oder als Einstiegsbehandlung für Patienten mit leichten Ein- und Durchschlafstörungen sinnvoll ist. Mehr dazu ab Seite 44.
Zum Schluss leider eine schlechte Nachricht: Wanzen sind auf dem Vormarsch! In Frankreich ist eine regelrechte Wanzenepidemie ausgebrochen, und Experten befürchten, dass diese Plage sich auch auf andere Länder ausbreiten wird. Aber es gibt keinen Grund zur Panik: Wir erklären, wie Sie sich schützen können.
Ich wünsche Ihnen wie immer eine informative Lektüre.
Dr. Magda Antonic
6 Immer mehr Menschen leiden am
chronischen Müdigkeitssyndrom
10 Warum nächtliches Wachsein gefährlich sein kann
14 Nächtliches Grübeln:
Ein völlig unnötiger Schlafräuber
18 Zusammenhänge zwischen Albträumen, posttraumatischer
Belastungsstörung und Schlafapnoe
20 Schlafberaterin aus eigener Erfahrung
24 Was CMD, Schlaf und Unterkieferprotrusionsschiene
wirklich miteinander zu tun haben
28 Kein Übergewicht mehr dank Ozempic & Wegovy?
34 Wann ist nächtliches Schwitzen krankhaft,
und was kann man dagegen tun?
37 BESSER SCHLAFEN –
die neue Messe rund um den Schlaf
38 Fünf Kopfkissen gekauft und keines passt…
40 Das E-Rezept:
Was es kann und was bislang noch nicht
42 Wanzen auf dem Vormarsch!
44 Selbsthilfe-Video bessert Schlafstörungen
46 Mit DiGA besser schlafen
48 Es tut sich was in der Behandlung von Schlafstörungen!
Dr. Dagmar Norden
Stimmt es, dass eine Unterkieferprotrusionsschiene CMD verursacht? In manchen Büchern steht das schwarz auf weiß. Muss man sich also deswegen Sorgen machen, wenn der Schlafmediziner eine Schiene verordnet?
Das Thema CMD ist in vieler Munde und geistert durch das weltweite Netz; aber was verbirgt sich hinter dieser Abkürzung? Gleich der erste Treffer bei Google erklärt, dass CMD etwas mit „Cranium“ (dem lateinischen Wort für Schädel) und „Mandibula“ (dem lateinischen Wort für Unterkiefer) zu tun hat. Eine Fehlstellung von Ober- zu Unterkiefer und von Zähnen führe dabei angeblich zu Schmerzen. Aber nicht alles, was Dr. Google erklärt, ist unbedingt richtig und zeitgemäß.
CMD – was ist das eigentlich?
Unter einer CMD – kurz für craniomandibuläre Dysfunktion – versteht man in einer modernen, international abgestimmten und mit kritischer Forschung begründeten Zahnmedizin drei körperliche Probleme:
1. Schmerzen in der Kaumuskulatur oder in den Kiefergelenken,
2. Bewegungseinschränkungen oder Blockaden in den Kiefergelenken. Diese Bewegungseinschränkungen können manchmal mit Geräuschen wie Knacken oder Reiben und auch mit Schmerzen einhergehen.
3. Schläfenkopfschmerzen, die vom Kaumuskel- und Kieferbereich ausgehen.
Diese drei körperlichen Probleme beschreiben die sogenannte Achse I der CMD. Die Auswirkungen dieser körperlichen Probleme auf das seelische und zwischenmenschliche Wohlbefinden machen die Achse II der CMD aus. Man kann diese psychosozialen Auswirkungen einer CMD mit geeigneten Fragenbögen erfassen und damit insbesondere schmerzbezogene Einschränkungen der Lebensqualität genauer abschätzen.
Eine CMD belastet viele Menschen; sie kommt in der Bevölkerung häufig vor. Betroffen sind vor allem Frauen im gebärfähigen Alter: Sie leiden um ein Vielfaches häufiger unter CMD-Beschwerden als Männer in der gleichen Altersgruppe. Bei Kindern und Senioren treten diese Störungen eher selten auf.
Das erklärt, warum eine Fehlstellung der Kiefer nicht die entscheidende Ursache einer CMD sein kann. Denn Frauen haben grundsätzlich weder schiefere Zähne als Männer, noch sind bei Männern die Kiefer besser angeordnet und die Kiefergelenke korrekter beweglich. Bei Kindern befinden Zähne und Kiefer sich wachstums- und entwicklungsbedingt ohnehin in ständiger Veränderung. Senioren fehlen häufig sogar mehrere Zähne, die Stellung der Kiefer ist hier oft alles andere als ideal (was auch immer ein Lehrbuch sich unter „ideal“ vorstellen mag). Trotzdem leiden vor allem Frauen unter einer CMD.
Belastend, aber nicht gefährlich
Die moderne Wissenschaft kann die CMD besser erklären als Dr. Google: Ausgelöst wird eine CMD nach heutigem Verständnis meist durch ein Trauma, also eine Über- oder Fehlbelastung. Das kann z. B. ein langes Öffnen der Kiefer während einer umfangreichen Zahnarztbehandlung sein oder eine Zahnoperation in Narkose, wenn die Schutzreflexe ausgeschaltet sind. Auch übertriebenes Kaugummikauen oder ein Schleudertrauma durch einen Verkehrsunfall kommen als auslösende oder verletzende Faktoren in Frage.
Diese Traumata sind von außen oft nicht sichtbar, sondern spielen sich mikroskopisch klein im Muskel und in den Bändern ab, z. B. in Form winziger Risse oder Unterbrechungen der Blutversorgung in den allerkleinsten Gefäßen. Auf diese Mikro-Verletzungen folgen automatisch Schmerzempfindungen als Schutzantwort des Körpers sowie selbstheilende Reparaturvorgänge. Oft spielen aber auch schmerzverstärkende Einflüsse eine wichtige Rolle: z. B. die Menge körpereigener Nervenreparaturstoffe, die Menge der Andockstellen für körpereigene Warnsubstanzen oder aber Hormonschwankungen, die im komplizierten Wunderwerk Mensch im Hintergrund ablaufen. Diese Schwankungen sind bei Frauen wegen ihres Menstruationszyklus ausgeprägter als bei Männern. Das erklärt zu einem großen Teil die höhere Empfindlichkeit für eine CMD bei Frauen. Auch erbliche Faktoren, bestimmte Medikamente oder seelische Belastungen können eine wichtige Rolle dafür spielen, warum eine CMD sich verfestigt und beim einen Menschen mehr, beim anderen weniger zum dauerhaften unliebsamen Begleiter werden kann.
Die gute Nachricht dabei lautet, dass eine CMD nicht gefährlich ist. Man kann mit einer CMD 100 Jahre oder noch älter werden. Außerdem verschwindet eine CMD häufig mit dem Alter von selbst. Es ist eine typische Erkrankung im jungen und mittleren Erwachsenenalter mit einer guten Prognose, also guten Aussichten auf Besserung oder Verschwinden. Auch ohne jede Behandlung kann die CMD kommen und gehen. Vielen Patient:innen hilft schon die Gewissheit, dass eine CMD nichts Bedrohliches ist, besser mit den Beschwerden klarzukommen. Eine CMD ist keine Katastrophe, auch wenn sie sich für die Betroffenen manchmal so anfühlen kann: Sie hindert immerhin 5 bis 10 % der betroffenen Patienten daran, ihr Leben unbeschwert zu gestalten. So werden beispielsweise soziale Kontakte gemieden. Betroffene ziehen sich nicht nur wegen der Schmerzen, sondern auch aufgrund von Sorgen und Ängsten rund um diese Schmerzen zurück.
Deshalb ist es wichtig, CMD-Betroffene ernst zu nehmen und ihnen Behandlung und Hilfe anzubieten. Anerkannte und nachweislich wirksame Behandlungen sind konservativ, umkehrbar und nicht invasiv, also nicht zusätzlich verletzend. Konkret sind das vor allem Zahnschienen, die meist nur auf einem der beiden Kiefer getragen werden, Physiotherapie sowie Kiefergymnastik, die man als Betroffene:r mit der Kau- und Zungenmuskulatur selbst übt.
Eine CMD kann man sich als nicht Betroffene:r ähnlich wie Rückenschmerzen vorstellen. Diese können vom plötzlichen Hexenschuss über quälende Dauerschmerzen bis hin zu einem Gefühl der Steifigkeit im Rumpf reichen. Auch hier helfen meist konservative Maßnahmen wie vorübergehende Einnahme eines Schmerzmittels, Wärme- oder Kälteanwendung und eben auch vorsichtige Gymnastik, ausgleichende Bewegung und allgemeine körperliche Aktivität. Allein das Wissen, selbst etwas gegen das eigene Muskel-Skelett-Leiden tun zu können und ihm nicht ausgeliefert zu sein, entlastet viele Betroffene. Eine Veranlagung zu einer CMD bringt der/die Betroffene zwar meist mit sich, kann dabei aber auf risikoarme und bewährte Behandlungsmethoden zurückgreifen und auf die Selbstheilungskräfte des Körpers vertrauen.
CMD und Schlaf
Für diese Selbstheilungskräfte ist erholsamer Schlaf sehr wichtig. In der Tat hängen CMD und Schlaf eng zusammen. Nicht zufällig halten Sie „das schlafmagazin“ in den Händen, während Sie etwas über CMD lesen.
Menschen mit einer Schlafstörung quälen sich nämlich überdurchschnittlich häufig gleichzeitig auch mit einer CMD. Eine nachvollziehbare Erklärung hierfür liegt in dem gestörten Schlaf selbst: Schlechter Schlaf macht empfindlicher für das Schmerz-
erleben und kann dazu führen, dass Schmerz auch dann weiter bestehen bleibt, wenn der Auslöser längst beseitigt ist, und chronisch wird, also lange andauern kann.
Der Schlafbruxismus gehört zu den schlafbezogenen Bewegungsstörungen und steht im Verdacht, bei manchen Menschen eine CMD zu verstärken. Beim Schlafbruxismus kommt es zu einer Überaktivität der Kaumuskulatur im Schlaf, von der Umgebung oft als Zähneknirschen oder Aufeinanderpressen der Zähne beobachtet bzw. gehört. Dieser Schlafbruxismus wiederum tritt nicht selten begleitend zu einer Insomnie (also einer Einschlaf- oder Wiedereinschlafstörung) auf.
Etwa 30 % aller Patient:innen, die an einer Insomnie leiden, klagen gleichzeitig über Kiefer- und Gesichtsschmerzen. Dazu gehört auch die CMD. Das Gleiche gilt für Patient:innen mit einer Schlafapnoe.
CMD und Protrusionsschiene: Geht das gut?
Deswegen wird eine Zahnärztin ihre Patienten vor Beginn einer Behandlung mit einer Unterkieferprotrusionsschiene (UPS) auch zu möglichen Kiefer-, Gesichts- oder Kopfschmerzen befragen. Das kann z. B. mithilfe eines wissenschaftlich begründeten und standardisierten Fragebogens geschehen. Mit dieser Eingangsuntersuchung möchte man Risikofaktoren erkennen, indem man mehr über die Schmerzvorgeschichte und mögliche Funktionseinschränkungen in Erfahrung bringt. Der Zahnarzt kann so die Behandlung besser auf den einzelnen Patienten abstimmen, z. B. indem er ihm bei der Feineinstellung (Titration) der Schiene – also der allmählichen Verstärkung des Unterkiefervorschubs – ein bisschen mehr Gewöhnungszeit gibt. Man möchte durch so eine Voruntersuchung aber auch Nebenwirkungen einer UPS-Behandlung besser einordnen und gezielter begleiten können. Dazu hilft es zu wissen, ob ein Problem schon aus der Vergangenheit bekannt ist, bereits länger besteht oder neu aufgetreten ist.
Eine CMD ist kein Grund, auf eine UPS-Therapie zu verzichten. Vielmehr haben Patienten, die eine UPS zur Behandlung ihrer Schlafatmungsstörung verordnet bekommen, überdurchschnittlich häufig eine bereits bestehende CMD-Begleitproblematik oder CMD-Vorgeschichte.
Die nächste gute Nachricht lautet, dass eine CMD sich durch die UPS-Therapie oft bessert. Sowohl CPAP wie auch UPS haben nachweislich lindernde Effekte auf eine CMD. In Sachen Kiefer-/Gesichts-Schmerz hilft die UPS sogar besser als CPAP. Denn wenn schmerzgeplagte Patienten wieder erholter schlafen können, klingt oft auch der Schmerz ab.
Nicht wenige Patient:innen leiden neben einer CMD an einer Schlafatmungsstörung, die noch nicht die strengen Messkriterien einer Schlafapnoe erfüllt, sondern sich lediglich in Form von Schnarchen, leichten Atemstrom-Verminderungen bzw. Mini-Weckreaktionen im Gehirn äußert. Diesen Patienten ist mit einer UPS oft besser geholfen als mit der oben beschriebenen Zahnschiene, die nur auf einen der beiden Kiefer aufgesetzt wird. Die UPS sitzt immer auf beiden Kiefern und hält oder zieht den Unterkiefer mit einem Kraftmechanismus nach vorne. Bei einer CMD mit gering ausgeprägter Schlafatmungsstörung wird die UPS nur sanft – also mit keinem oder nur sehr wenig Vorschub – eingestellt.
Vorübergehende Beschwerden zu Beginn einer
Schienentherapie: kein Grund zur Beunruhigung
Zusammenfassend kann man sagen, dass eine UPS zur Behandlung einer Schlafapnoe sogar die Lösung für ein CMD-Problem darstellen kann, statt es zu verursachen.
Doch jede Medaille hat zwei Seiten: Es kann nämlich passieren, dass gerade in der Eingewöhnungsphase einer UPS-Therapie auch bei Menschen ohne CMD-Vorgeschichte vorübergehende Beschwerden ähnlich wie bei einer CMD auftreten können. Das können Geräusche in den Kiefergelenken oder im Ohr sein, Muskelkater in der Kaumuskulatur oder auch Schmerzen in den Zähnen. Eine zeitgemäße UPS-Behandlung zielt deshalb darauf ab, die UPS von der ersten Nacht an möglichst tragefreundlich und mit dem geringsten und dennoch wirksamen Vorschub einzustellen. Dabei gibt man den Patienten Hilfestellungen an die Hand, wie CMD-ähnliche Beschwerden vermieden oder reduziert
werden können – z. B. Kiefergymnastik, bestehend aus Koordinations-, An- und Entspannungsübungen sowie Dehnübungen. (Man findet diese Übungen auch mit mehreren Abbildungen in der wissenschaftlichen Leitlinie zur UPS-Therapie unter www.awmf.de.)
In aller Regel sind diese CMD-ähnlichen Nebenwirkungen unter UPS-Therapie nur von begrenzter Dauer und gut behandelbar. Ähnliche Beschwerden durch die Kräfte eines aktiven Geräts im Mund berichten Millionen Kinder aus den ersten Tagen einer Zahnspangenbehandlung. Kinder gewöhnen sich erfahrungsgemäß allerdings schneller an etwas Neues als Erwachsene.
Und hier noch eine letzte gute Nachricht: Inzwischen konnte in wissenschaftlichen Untersuchungen über lange Nachbeobachtungszeiträume und mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die UPS-Therapie das Kiefergelenk schädigt; es hat sich gezeigt, dass CMD-ähnliche Nebenwirkungen nur selten der Grund für den Abbruch einer UPS-Therapie sind.
Dr. Dagmar Norden behandelt in ihrer Zahnarztpraxis am Theaterwall in Oldenburg Patienten mit Schnarchen, Schlafapnoe und nächtlichem Zähneknirschen.
E-Mail: info@remove-this.praxis-am-theaterwall.de
praxis-am-theaterwall.de
Marion Zerbst
Schlafen kann man lernen! Nur leider ist das oft ein sehr mühsamer und langwieriger Prozess. Denn dazu muss man vieles verändern: Schlafverhalten, Lebensgewohnheiten, seinen Umgang mit Stress, ja sogar die innere Einstellung zum Schlaf. Das schafft nicht jeder; und geschulte Therapeuten, die einem dabei helfen können, sind rar. Trotzdem gibt es einen Hoffnungsschimmer am Horizont: Hochwertige Online-Schlafkurse und Patientenratgeber können die Versorgungslücke schließen und schlafgestörten Menschen eine wertvolle Hilfe sein. Auch aus Videos kann man sehr viel über einen besseren Umgang mit dem Schlaf lernen.
Oft greifen schlafgestörte Menschen aus Verzweiflung früher oder später zu schlaffördernden Medikamenten, die von vielen Ärzten leider nach wie vor zu häufig verschrieben werden. Doch abgesehen von ihren Risiken und Nebenwirkungen haben Schlafmittel den zusätzlichen Nachteil, dass sie keine nachhaltige Lösung für das Schlafproblem anbieten, weil sie nicht bei dessen Ursachen ansetzen. „Diese Mittel machen genau das mit dem Patienten, was er selber nicht kann: Sie entspannen ihn – schalten ihn ab“, erklärt Schlafexperte Dr. Hans-Günter Weeß, der als Leiter des Schlafzentrums am Pfalzklinikum in Klingenmünster schon unzähligen verzweifelten Schäfchenzählern wieder zu einem besseren Schlaf verholfen hat.
„Aber Schlafmittel haben keine heilende Wirkung.“ Sprich: Dabei handelt es sich nicht um eine kausale Therapie. Bekämpft wird lediglich das Symptom – eben der gestörte Schlaf.
Abhängigkeit auf Rezept
Ein bis zwei Millionen Deutsche finden ohne Tablette nicht mehr in den Schlaf. Und das Abhängigkeitspotenzial vieler Schlafmittel ist groß. Was kann man also tun, statt jeden Abend eine Pille einzuwerfen?
„Die Patienten müssen lernen, ihre eigene Schlaftablette zu werden, sodass sie diese Tranquilizer nicht mehr benötigen“, erklärt Dr. Weeß. „Wenn sie selber wieder schlafen lernen, hat das einen anhaltenden Erfolg. Wir wissen von unseren zweitägigen Patientenseminaren, zu denen schlafgestörte Menschen aus ganz Deutschland kommen, dass diese Patienten auch Jahre danach immer noch gut schlafen.“
Im Rahmen der zweitägigen Gruppenbehandlung vermittelt Dr. Weeß zunächst wertvolles Wissen über den Schlaf. Gemeinsam mit den Patienten erarbeitet er die Ursachen ihrer Schlafstörung und übt verhaltenstherapeutische Bewältigungsstrategien ein. Neben den Gruppensitzungen bieten die Seminare auch reichlich Gelegenheit zu Einzelgesprächen, um eine individuelle Problemlösung zu finden. Denn für schlechten Schlaf kann es die verschiedensten Gründe geben – die Ursachen sehen bei jedem Menschen ein bisschen anders aus.
Diese kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (kurz: „KVT-I“) gilt als beste Methode für die Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen und wird auch in den Leitlinien empfohlen. Dabei werden dem Patienten – entweder in Gruppen- oder Einzelsitzungen – wichtige Informationen über den Schlaf und Verhaltenstipps (sogenannte Schlafhygiene) vermittelt: von Entspannungsverfahren bis hin zu Strategien zur Verhinderung von nächtlichem Grübeln.
Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner!
Nur leider gibt es bei weitem nicht genügend Schlafmediziner und Psychotherapeuten, um dem riesigen Heer schlafgestörter Menschen zu helfen. Deshalb nehmen digitale Behandlungsangebote wie beispielsweise der auf Rezept erhältliche interaktive Online-Schlafkurs „somnio“, aber auch Patientenratgeber für schlafgestörte Menschen heute einen immer höheren Stellenwert ein. Eine an der Universität Zürich durchgeführte wissenschaftliche Untersuchung bescheinigte „somnio“ hervorragende Behandlungserfolge. Aber auch Videos können helfen, wieder leichter in den Schlaf zu finden. Das zeigt eine am Pfalzklinikum durchgeführte Untersuchung, über die vor kurzem in der Fachzeitschrift Somnologie berichtet wurde: Insgesamt 60 Versuchspersonen mit Ein- und Durchschlafstörungen wurden nach dem Zufallsprinzip in eine Behandlungsgruppe und eine Kontrollgruppe unterteilt. Die Probanden aus der Behandlungsgruppe schauten sich ein Video mit allgemeinen Informationen zum Schlaf und Praxistipps an, die es ihnen erleichtern sollten, wieder besser zu schlafen. Die Studienteilnehmer aus der Kontrollgruppe bekamen das Video nicht zu sehen. Davor und danach mussten beide Gruppen verschiedene Fragebögen (unter anderem zur Qualität und Dauer ihres Schlafs) ausfüllen.
Das Video wurde vom Schlafzentrum des Pfalzklinikums gemeinsam mit der Selbsthilfeorganisation „Bundesverband für Schlafapnoe und Schlafstörungen Deutschland e. V.“ (BSD) entwickelt und dauert ungefähr eine Stunde. Darin werden wichtige Methoden der KVT-I vermittelt: Wissen über Funktion und Bedeutung des Schlafs, Informationen über die verschiedenen Ursachen einer Insomnie und Verhaltensstrategien für einen besseren Schlaf.
Überzeugende Resultate
Zu Beginn der Untersuchung schliefen alle Teilnehmer schlecht: Rund die Hälfte litt an einer mittelschweren und ungefähr ein Drittel an einer schweren Ein- und Durchschlafstörung. Bei allen Probanden, die das Video zu sehen bekamen, besserte sich die Schlafqualität deutlich, und der Schweregrad der Insomnie nahm ab. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die Studienteilnehmer die Empfehlungen in dem Video sehr ernst nahmen: 80 % gaben an, die empfohlenen Maßnahmen umgesetzt zu haben. Vor allem die Entspannungsverfahren erfreuten sich großer Beliebtheit.
Die Autoren der Studie kamen zu dem Schluss, dass ein solches Video die herkömmliche KVT-I zwar nicht ersetzen, aber doch ergänzen kann. Außerdem könnte es als vorbeugende Maßnahme oder Einstiegsbehandlung für Patienten mit leichten Ein- und Durchschlafstörungen sinnvoll sein. Bei schweren Insomnien ist eine persönliche („Face to face“) Therapie nachweislich erfolgversprechender, vor allem, wenn der Patient zusätzlich auch noch unter Depressionen oder vermehrter Ängstlichkeit leidet. Aber ein Video wie das oben beschriebene ist eine gute Ergänzung für die schlafmedizinische Behandlung; außerdem bietet es dem Patienten eine Gedächtnisstütze, die er sich zu Hause immer wieder anschauen kann.
Quelle:
Hans G. Weeß et al.: Die Wirksamkeit einer videogestützten psychoedukativen Selbsthilfe zur Behandlung der Insomnie
Somnologie 2023. 27: 117–123
Damit Sie keine Schäfchen mehr zählen müssen, hier der Link zum
Video „Schlafen lernen“ :
Das interdisziplinäre Schlafzentrum in Klingenmünster behandelt neben schlafbezogenen Atmungsstörungen (Schlafapnoe) schwerpunktmäßig schwere und chronische Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnien). Aktuelle Termine für die zweitägigen Schlafseminare sind unter www.pfalzklinikum.de/veranstaltungen
zu finden.
Kontakt: Schlafzentrum; Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Klingenmünster; Leiter: Dr. Hans-Günter Weeß
E-Mail: schlafzentrum@remove-this.pfalzklinikum.de; Weinstraße 100; 76889 Klingenmünster
www.pfalzklinikum.de/angebote/angebote-im-krankenhaus/schlafzentrum