Liebe Leserin, lieber Leser,
die Krankheit der unruhigen Beine, das Restless Legs Syndrom (RLS) begleitet häufig eine Schlafapnoe. RLS ist das Schwerpunktthema der aktuellen Ausgabe des Schlafmagazins. Bedeutende Wissenschaftler wie Prof. Trenkwalder, Prof. Sieb und Dr. Bachmann berichten, was es Neues an Erkenntnissen dieses Leidens gibt und welche neuen Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Anlass dieses Schwerpunkts ist das Jubiläum der Restless Legs Vereinigung, die 20 Jahre Erfolg feiert. Lilo Habersack hat den Verband mit beispiellosem Engagement zu einem der erfolgreichsten Verbände der Selbsthilfe gemacht. Nur wenige Selbsthilfeorganisationen fördern mit ihren Mitgliedsbeiträgen die Forschung. Die RLS Vereinigung tut dies bis heute. Auf ihre Initiative hin wurde eine Gehirndatenbank etabliert, die wichtige Grundlagenforschung ermöglicht.
» weiterlesenWir haben für Sie auch die letzte Tagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) in Köln besucht und berichten über Neuigkeiten auf dem Gebiet der Somnologie. Alles drehte sich dort um die innere Uhr. Ein sehr wichtiges Thema: Denn wenn diese Uhr durcheinandergerät, ist nicht nur unser Schlaf gestört, sondern es können auch viele andere Krankheiten entstehen. So haben Schichtarbeiter beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Mittlerweile beschäftigt sich ein ganzer Wissenschaftszweig – die Chronobiologie – mit unserer Schlaf-wach-Rhythmik und den Störungen, die dabei auftreten können.
Die großen Firmen haben inzwischen Systeme entwickelt, die Schlafapnoe-Patienten per Telemedizin begleiten. Die Daten der nächtlichen Therapie werden morgens an ein Kontrollcenter überspielt. Bei Problemen wird der Patent kontaktiert. Eigentlich eine großartige Idee, die Kosten durch persönliche Besuche der Homecare-Berater einsparen und dem Patienten sofort helfen. Doch so einfach ist das Ganze nicht. In einem Gespräch mit Prof. Randerath versuchen wir, die Knackpunkte dieser modernen Patientenbetreuung herauszufinden. An der Telemedizin in der Schlafapnoe-Betreuung führt kein Weg vorbei. Zu fürchten ist nur, dass es ein steiniger Weg wird, bis alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Vor allem wollen die Krankenkassen überzeugt werden, dass das System wirklich den Patienten zugute kommt und Ressourcen einsparen hilft. Dazu braucht es große und transparente Studien. Das Schlafmagazin bleibt am Ball. Wir werden Sie mit dem Fortgang der Entwicklung auf dem Laufenden halten.
Hygiene ist ein absolut wichtiges Thema bei der Atemtherapie von Schlafapnoe-Patienten. Eigentlich ein selbstverständliches Thema. Doch viele Patienten empfinden das tägliche Reinigen des Atemschlauchs und der Maske als lästig. Man redet nicht darüber, doch Schlaflabormitarbeiter wissen, dass so manche Maske, mancher Schlauch recht selten gereinigt wird. Nun gibt es ein Gerät, das diese Reinigung übernimmt. Es hat das Zeug zum Bestseller! Wir stellen es Ihnen in diesem Heft vor.
Wie immer wünsche ich Ihnen eine informative Lektüre
Ihre
Dr. Magda Antonic
6 Neues in der RLS-Therapie:
Medikamente und andere Behandlungsmethoden
10 Nebenwirkungen von L-Dopa und Dopaminagonisten bei RLS
13 Spinale transkutane Gleichstromstimulation bei Patienten mit primärem Restless Legs Syndrom
14 Langstreckenflug und Restless Legs Syndrom – wie geht das?
16 Guter Schlaf: Eine wichtige Voraussetzung für unsere psychische Gesundheit
18 Volkskrankheit Adipositas: Fraunhofer-App unterstützt den Therapieerfolg
19 Der Tod fährt immer mit: Risiko Sekundenschlaf
19 Tipps von der AGR: Rückenfreundlich bücken, heben und tragen
20 Telemedizinische Betreuung von CPAP-Patienten – Chance oder Risiko?
22 Schlafmangel: Wichtige Ursache des Delirs auf Intensivstationen
22 Restnierenfunktion beeinflusst Schlafapnoe-Schweregrad
24 Schlafbezogene Atemstörungen bei Kindern viel zu selten erkannt
26 Unsere innere Uhr:
Gestörter Schlaf-wach-Rhythmus macht krank
29 Schlaf im Alter: Achten Sie auf Ihre innere Uhr!
30 Hypnotherapie bei Schlafstörungen
32 Allzu viel ist ungesund! Warum ältere Menschen nicht so viele Medikamente schlucken sollten
34 Nach wie vor kaum Anlaufstellen für Patienten: Selbsthilfegruppe Ein- und Durchschlafstörungen in Klingenmünster feiert zehnjähriges Jubiläum
35 Die richtige Matratze verbessert die Schlafqualität
36 Maskenreinigung: Eine geniale Erfindung, die das CPAP-Leben bequemer macht
38 Neues aus der Welt des Schlafs
40 Porträt einer Krankenkasse: Die IKK classic
44 Patientenschicksal: Plötzliche Windstille im Schlaf
46 Smartphone-Diagnostik im Schlaflabor: High-Definition-Polysomnografie von SOMNOmedics
Prof. Dr. med. Jörn Peter Sieb
Es tut sich etwas in der Therapie des Restless Legs Syndroms (RLS): Im Mai wurde Targin® (Oxycodon/Naloxon) als erstes Opioid-Schmerzmedikament für die Therapie des Restless Legs Syndroms zugelassen. Targin® ist für viele Patienten, bei denen die bisherigen dopaminergen RLS-Medikamente versagt haben, eine aussichtsreiche Therapieoption. Dagegen fehlt uns ein in den USA und Japan eingesetztes RLS-Medikament. Bereits im April 2011 wurde in den USA die Substanz Gabapentin enacarbil zur Behandlung des RLS zugelassen und wird dort seither unter dem Namen Horizant® eingesetzt. Japan folgte recht bald. Japanischen RLS-Patienten steht Gabapentin enacarbil seit Anfang 2012 zur Verfügung. Anders bei uns: Derzeit ist nicht absehbar, ob es je zur Markteinführung kommen wird.
Gabapentin enacarbil – der Wirkmechanismus
Gabapentin enacarbil wirkt gänzlich anders als die derzeit in Deutschland zugelassenen RLS-Medikamente. Es ist kein Opiod-Schmerzmedikament wie Targin® und auch kein dopaminerges Medikament wie die anderen bei uns zugelassenen RLS-Medikamente, sondern es handelt sich dabei um einen sogenannten Kalziumkanalmodulator. Er verändert die Ausschüttung von Botenstoffen im Zentralnervensystem, und zwar indirekt über die Wirkung auf Ionenkanäle, durch die Kalziumionen in die Nervenendigungen einströmen. Kalziumionen sind für die Ausschüttung von Botenstoffen (Neurotransmittern), also auch von Dopamin, an den Kontaktstellen zwischen zwei Nervenzellen (Synapsen) erforderlich.
Gabapentin enacarbil wird einmal täglich zum Abendessen eingenommen. Standardmäßig beträgt die Tagesdosis 600 mg. Arbeiten die Nieren nicht ausreichend, muss die Tagesdosis reduziert werden, oder eine Therapie mit Gabapentin enacarbil verbietet sich gegebenenfalls sogar. Im Vergleich zu den anderen RLS-Medikamenten ist es sicherlich günstig, dass eine allmähliche Erhöhung der Tagesdosis bei Gabapentin enacarbil nicht notwendig ist. In den USA ist Gabapentin enacarbil nicht nur für die RLS-Therapie zugelassen, sondern auch für die Behandlung von neuralgischen Schmerzen bei Gürtelrose.
Warum werden nicht alle wirksamen Medikamente für RLS zugelassen?
Die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Medikaments bedeutet nicht unbedingt, dass dieses auch zugelassen wird. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Arzneimittels ergibt sich aus wissenschaftlichen Untersuchungen. Nächster Schritt wäre dann der Antrag auf eine staatliche Zulassung durch einen Arzneimittelhersteller, was heute zunächst auf europäischer Ebene geschieht. Die zuständige Behörde, die European Medicines Agency (kurz: EMA), hat ihren Sitz in London. Einen Zulassungsantrag stellen Pharmaunternehmen aber nur dann, wenn die Markteinführung wirtschaftlichen Gewinn verspricht. Daher werden viele Medikamente mit gutem Erfolg und wissenschaftlich gesichert bei Erkrankungen eingesetzt, obwohl keine behördliche Zulassung erfolgt ist. Im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit war diese die Zulassung überschreitende Behandlung – die sogenannte Off-label-Therapie – bisher auch bei gesetzlich Versicherten unproblematisch. Seit einem im März 2002 ergangenen Urteil des Bundessozialgerichts in Berlin weigern sich die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland jedoch, die Kosten für Off-label-Rezepte zu übernehmen, es sei denn, dass eine lebensbedrohliche Erkrankung besteht und gleichzeitig keine Therapiealternativen vorhanden sind.
Und es gibt auch noch eine weitere Entwicklung bei uns: Zunehmend wird gesundheitspolitisch die Einführung neuer Wirkstoffe erschwert, und zwar durch das seit 2011
geltende Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG). Unter der Überschrift „Gute Medizin bleibt außen vor“ berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung im vergangenen Jahr über die Folgen dieses Gesetzes (1): Boehringer Ingelheim ist das größte forschende Pharmaunternehmen in Deutschland. Es hat zum Beispiel Pramipexol (Sifrol®) entwickelt und für die Zulassung dieses Medikaments für die RLS-Therapie gesorgt. Eben dieses Unternehmen hatte gerade entschieden, ein neues Diabetesmedikament namens Trajenta® trotz der Zulassung in mehr als 40 Ländern nicht in Deutschland zu vertreiben. „Wo wir Trajenta eingeführt haben, wird uns etwas mehr als ein Euro je Tagesdosis erstattet. In Deutschland bekämen wir nur rund 20 Cent. Damit lassen sich die Forschungskosten nicht zurückverdienen“, heißt es von Boehringer Ingelheim in diesem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
In Deutschland hatte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Trajenta® keinen Zusatznutzen im Vergleich zur bisherigen Diabetes-Standardtherapie bescheinigt. In Deutschland müssen pharmazeutische Unternehmen laut AMNOG aber einen Zusatznutzen neuer Medikamente im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie belegen. Der Preis des neuen Arzneimittels wird dann im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie festgelegt. Damit will die Gesundheitspolitik „Mondpreise“ für Scheininnovationen verhindern.
Beim RLS sind mit der Einführung der Pramipexol- und Ropinirol-Generika die Therapiekosten deutlich zurückgegangen. Als Generika werden Arzneimittel bezeichnet, die wirkstoffgleiche Kopien eines bereits unter einem Markennamen auf dem Markt befindlichen Medikaments sind, dessen Patentschutz abgelaufen ist. Neue RLS-Medikamente haben es folglich schwer. Höhere Preise sind nur bei Nachweis eines Zusatznutzens im Vergleich zur Standardtherapie zu erzielen. Die Indizien dafür mehren sich, dass beim AMNOG die individuell überaus unterschiedliche Wirkung und Verträglichkeit nicht ausreichend berücksichtigt wird. Auch wenn ein neues Medikament für die Mehrzahl der betroffenen Patienten keinen zusätzlichen Nutzen bringen mag, so kann es dennoch für eine Minderzahl eine entscheidende, zum Beispiel besser verträgliche, Innovation bedeuten.
Gabapentin und Pregabalin
Zwei mit Gabapentin enacarbil verwandte Medikamente sind in Deutschland bereits seit etlichen Jahren verfügbar. Dies sind Gabapentin (Neurontin® und Generika) und das nur noch kurze Zeit unter Patentschutz stehende Pregabalin (Lyrica®). Beide Medikamente sind nicht für die RLS-Therapie zugelassen. Eine Behandlung damit bietet sich insbesondere bei Patienten an, die unter chronischen Schmerzen leiden.
Neben dem Gabapentin-Originalpräparat Neurontin® gibt es eine Reihe von Generika in Deutschland. Zugelassen ist es zur Behandlung neuropathischer Schmerzen und bei bestimmten Indikationen im Bereich der Epilepsie-Behandlung. Man beginnt mit 300 mg pro Tag. Die Kapseln und Tabletten sind recht groß, sodass manchem Patienten das Schlucken schwerfällt. Die Dosis wird dann schrittweise – abhängig von der jeweiligen Wirkung – bis auf eine maximale Tagesdosis von 3600 mg (verteilt auf drei Einnahmezeitpunkte) gesteigert, wohingegen Gabapentin enacarbil nur einmal täglich eingenommen werden muss. Bei der Neuentwicklung von Gabapentin enacarbil wurden im Vergleich zu Gabapentin die Aufnahmeeigenschaften im Darm und die Wirkungszeit optimiert. In der RLS-Therapie ist häufig eine Einnahme des herkömmlichen Gabapentin im höheren Dosisbereich erforderlich (3, 5). Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion muss Gabapentin ebenso wie Gabapentin enacarbil deutlich niedriger dosiert werden. Besondere Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gibt es nicht. Insbesondere ältere Menschen vertragen Gabapentin manchmal schlecht und klagen über unerwünschte Begleitwirkungen wie Schläfrigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit.
Ob es sich lohnt, Gabapentin enacarbil, also Horizant®, gegebenenfalls mit erheblichen Kosten und Mühen aus den USA zu beschaffen, erscheint fraglich. Das in Deutschland verfügbare Pregabalin ist sicher eine aussichtsreiche Alternative zu diesem Medikament. Dagegen ist Gabapentin ungünstiger aufgrund der kürzeren Wirkzeit und der im Vergleich zu Horizant® schlechteren Aufnahme aus dem Darm bei höherer Dosierung.
Pregabalin (Lyrica®) wurde bei uns bereits 2004 eingeführt. Die Zulassung umfasst die Behandlung neuropathischer Schmerzen, bestimmter Epilepsieformen und generalisierter Angststörungen. Seit einiger Zeit wird es aber auch beim RLS eingesetzt. In einer vor kurzem im überaus renommierten New England Journal of Medicine publizierten Vergleichsstudie erzielte Pregabalin in der Behandlung des Restless-Legs-Syndroms eine zumindest gleich gute Wirkung wie der Dopaminagonist Pramipexol (2). Unter Pregabalin kam es aber deutlich seltener zu einer Augmentation, also einer paradoxen Verschlechterung der RLS-Symptome unter der Therapie. Bei einer Augmentation treten die RLS-Beschwerden früher im Tagesverlauf auf, sind intensiver und breiten sich gelegentlich auf die Arme und sogar den Rumpf aus.
Der Patentschutz von Pregabalin läuft recht bald aus, sodass bald günstige Nachahmermedikamente zur Verfügung stehen werden. Für die Herstellerfirma von Pregabalin lohnt es sich trotz der erfolgreichen Studien wirtschaftlich nicht mehr, die Zulassung für die RLS-Therapie zu beantragen. Vielfach wird Pregabalin aber bereits jetzt insbesondere bei Polyneuropathie-Patienten mit RLS-Beschwerden eingesetzt. Polyneuropathie ist ein medizinischer Oberbegriff für bestimmte Erkrankungen des peripheren Nervensystems, die mehrere Nerven betreffen. (Als „peripher“ bezeichnet man alle Nerven, die außerhalb des Gehirns und Rückenmarks liegen.) Zu Polyneuropathien kann es beispielsweise durch die Stoffwechsellage bei Diabetes oder eingeschränkter Nierenfunktion kommen. Die Pregabalin-Behandlung wird meist mit einer Tagesdosis von 150 mg, verabreicht in zwei oder drei Einzeldosen, begonnen. Abhängig vom Therapieeffekt und der individuellen Verträglichkeit wird die Tagesdosis nach drei bis sieben Tagen auf 300 mg erhöht und gegebenenfalls nach weiteren sieben Tagen auf eine Höchstdosis von 600 mg täglich gesteigert.
Lebensweise und alternative Methoden
Viele RLS-Patienten versuchen durch eine Änderung ihrer Lebensweise eine Linderung ihrer Beschwerden zu erreichen. Wichtig ist eine ausreichende Eisenzufuhr mit der Nahrung. Ausdruck des Eisenspeichers im Körper ist der Ferritin-Wert im Blut. Mittlerweile ist gut belegt, dass bei Ferritin-Werten von unter 50 µg/l im Blutserum eine Eisenzufuhr helfen kann, die RLS-Beschwerden zu bessern und das Risiko einer Augmentation zu mindern. Der Ferritin-Wert im Blut steigt jedoch auch bei Entzündungen an und kann dann fälschlicherweise einen ausreichenden Eisenspeicher signalisieren. Bei einem zu niedrigen Ferritin-Wert reicht die Einnahme von Eisentabletten aus. Eine Infusionstherapie bietet keinen zusätzlichen Nutzen, wie die wenigen Untersuchungen hierzu belegen.
Hilfreich ist auch körperliche Aktivität und Sport, wie ein sechsmonatiges Trainingsprogramm im Rahmen einer kontrollierten Studie bei Niereninsuffizienz-Patienten mit RLS gezeigt hat (4). Die Patienten führten dreimal wöchentlich ein an ihre jeweilige Leistungsfähigkeit angepasstes Training auf einem Fahrradergometer durch. Unter dem Training gingen die RLS-Beschwerden genauso zurück wie durch die Einnahme eines niedrig dosierten Dopaminagonisten.
Ein ganz neuer nicht-medikamentöser Therapieansatz ist die transkutane Gleichstromstimulation des Rückenmarks, bei der ein ungefährlicher Gleichstrom geringer Stärke mit Hautelektroden verabreicht wird (siehe auch den Artikel auf 13ff.). Mit dem Gleichstrom kann die Aktivität von Nervenzellen im Rückenmark verändert werden. Erste Studienergebnisse aus der Abteilung für Klinische Neurophysiologie in Göttingen sprechen dafür, dass diese Gleichstromstimulation beim RLS gut wirksam ist (6). Dagegen gibt es nichts Neues zur Behandlung des RLS mit Akupunktur oder mit anderen Mitteln der traditionellen chinesischen Medizin (7). Nach wie vor existieren dazu keine wissenschaftlichen Studien. Die traditionelle chinesische Medizin kennt auch keine Erkrankung, die dem westlichen RLS entspricht, und bietet somit auch keine spezifische Behandlungsoption hierfür an. Die Wirksamkeit von komplementären und alternativen Methoden bei der RLS-Behandlung ist somit weiterhin unklar.
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine aktualisierte Zusammenfassung des am 27. April 2013 bei der Mitgliederversammlung der Deutschen RLS Vereinigung in München gehaltenen Vortrags.
Literatur
1 „Gute Medizin bleibt außen vor“ Im Gespräch: Andreas Barner, Boehringer Ingelheim, Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 25.04.2013, S. 16
2 Allen RP, Chen C, Garcia-Borreguero D et al. Comparison of pregabalin with pramipexole for restless legs syndrome. N Engl J Med 2014; 370: 621–631
3 Garcia-Borreguero D, Larrosa O, de la Llave et al. Treatment of restless legs syndrome with gabapentin: a double-blind, cross-over study. Neurology 2002; 59: 1573–1579
4 Giannaki CD, Hadjigeorgiou GM, Karatzaferi C et al. A single-blind randomized controlled trial to evaluate the effect of 6 months of progressive aerobic exercise training in patients with uraemic restless legs syndrome. Nephrol Dial Transplant 2013; 28: 2834–2840
5 Happe S, Sauter C, Klösch G et al. Gabapentin versus ropinirole in the treatment of idiopathic restless legs syndrome. Neuropsychobiology 2003; 48: 82–86
6 Heide AC, Winkler T, Helms HJ et al. Effects of transcutaneous spinal direct current stimulation in idiopathic restless legs patients. Brain Stimul 2014; 7: 636–642
7 Yan X, Wang WD, Walters AS et al. Traditional Chinese medicine herbal preparations in restless legs syndrome (RLS) treatment: a review and probable first description of RLS in 1529. Sleep Med Rev 2012; 16: 509–518
Anne Greveling
Beim letzten Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) drehte sich alles um die innere Uhr. Ein sehr wichtiges Thema: Denn wenn diese Uhr durcheinandergerät, ist nicht nur unser Schlaf gestört, sondern es können auch viele andere Krankheiten entstehen. So haben Schichtarbeiter beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Mittlerweile beschäftigt sich ein ganzer Wissenschaftszweig – die Chronobiologie – mit unserer Schlaf-wach-Rhythmik und den Störungen, die dabei auftreten können.Tagsüber sind wir auf Wachheit und Leistung programmiert, nachts auf Ruhe, Schlaf und Erholung. Für diesen Rhythmus ist unsere innere Uhr zuständig: ein kleiner Nervenknoten namens Nucleus suprachiasmaticus, der über der Kreuzung der beiden Sehnerven liegt.
Dieser Knoten erhält von den Augen die Hell-Dunkel-Signale aus der Außenwelt und gibt diese über Nervenbahnen an die Zirbeldrüse im Zwischenhirn weiter. Aufgrund dieser Informationen schüttet die Drüse nachts das „Schlafhormon“ Melatonin aus, das uns müde macht, während die Melatoninproduktion gegen Morgen wieder gedrosselt wird. So bleiben unsere inneren Rhythmen im Einklang mit dem Tag-Nacht-Wechsel. Wahrscheinlich hat sich diese 24-Stunden-Rhythmik im Lauf der Evolution durch die Erdrotation herausgebildet: Sie erzeugt einen konstanten 24-Stunden-Wechsel von Licht und Dunkelheit, auf den alle Lebewesen auf der Erde sich mit der Zeit einstellten, indem sie innere Uhren entwickelten.Der Nucleus suprachiasmaticus ist aber nicht unsere einzige Uhr. In den vergangenen 30 Jahren hat die chronobiologische Grundlagenforschung wesentliche neue Erkenntnisse erbracht: So weiß man inzwischen, dass die individuelle 24-Stunden-Information in jeder einzelnen Zelle vorhanden ist. Rund 10 % aller Gene exprimieren ihre Eiweiße im 24-Stunden-Rhythmus. Dementsprechend hat jedes System unseres Körpers (ob Niere, Leber, Haut, Herz, Drüsen oder Nervensystem) seine eigene zirkadiane Rhythmik.
Unsere innere Uhr: ein störanfälliges System
Dementsprechend funktioniert der menschliche Körper nachts völlig anders als tagsüber. Und so ist es natürlich auch kein Wunder, dass es uns nicht gut bekommt, wenn wir – gezwungenermaßen oder aufgrund persönlicher Präferenzen – „die Nacht zum Tage machen“. Probleme mit der inneren Uhr kennt jeder, der Zeitverschiebungen erlebt – sei es die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit oder ein Transkontinentalflug. Dadurch kann es zu Beschwerden wie Schwindel, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schlafstörungen und Verdauungsproblemen kommen. Ähnliche Symptome mit stärkerem Ausprägungsgrad erleben Menschen, die chronisch Schicht arbeiten. Diese Symptome sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs: Sie sind Ausdruck eines „Nicht-Funktionierens“ des inneren Uhrensystems. Einem Schweizer Uhrwerk gleich, in das Sand geschüttet wird, knirscht es hier und knirscht es da – der Körper leidet unter der Störung seiner natürlichen Rhythmik und wird irgendwann krank.
Nicht ohne Grund treten bei chronischer Schichtarbeit fast alle Erkrankungen häufiger auf als bei Menschen mit „normalem“ Lebens- und Arbeitsrhythmus. Das Wörtchen „normal“ haben wir deshalb in Anführungszeichen gesetzt, weil in Deutschland mittlerweile über 20 % aller Arbeitnehmer in einem nicht-normalen Arbeitsrhythmus tätig sind. Und es gibt kaum eine Arbeitsbedingung, die Körper und Psyche stärker belastet! Schichtarbeiter müssen zu Zeiten arbeiten, schlafen und essen, die ihrem natürlichen Schlaf-wach-Rhythmus zuwiderlaufen. Über die Hälfte aller Schichtarbeiter klagt über Schlaf-wach-Störungen, Müdigkeit und/oder Schlafprobleme. Und nicht nur das: Wer Schicht arbeitet, hat auch ein erhöhtes Risiko für krankhaftes Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes.
Leben in ewiger Dämmerung
Chronobiologen erforschen die Schlaf-wach-Rhythmik des Menschen zurzeit sehr intensiv, um herauszufinden, wie man unsere schulische Ausbildung und unsere beruflichen Anforderungen besser an diese naturgegebenen Rhythmen anpassen kann. Einer der bekanntesten Forscher auf diesem Gebiet ist Professor Till Roenneberg vom Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Aufgrund seiner Erkenntnisse über die Chronobiologie des Menschen plädiert er für flexible Arbeitzeitmodelle, mehr Verständnis für die Bedürfnisse von Schülern – und mehr Respekt vor dem Schlaf.Eigentlich ist es kein Wunder, dass unser Schlaf-wach-Rhythmus immer mehr durcheinandergerät. „Die inneren Uhren der meisten Menschen in Industrieländern gehen nach, weil wir ihnen zu wenig Kontrast zwischen Tageslicht und Dunkelheit geben“, meint Roenneberg. „Wir halten uns fast nur noch in Gebäuden auf, wo die Lichtintensität bis zu tausendmal schwächer ist als tagsüber unter freiem Himmel. Nach Sonnenuntergang setzen wir uns dann immer noch künstlichem Licht aus. Wir leben also in einer Dauerdämmerung. Unter diesen Umständen hinkt unsere innere Uhr hinterher, sodass wir zwar immer später einschlafen können, aber immer noch zu traditionell frühen Zeiten zur Arbeit gehen müssen.“Als der Mensch sich noch vorwiegend im Freien aufhielt und abends kein elektrisches Licht hatte, stand seine Innenzeit mit der Außenzeit (den sozialen Zeitstrukturen) im Einklang.
Er erwachte morgens in aller Herrgottsfrühe und ging abends „mit den Hühnern schlafen“, wie es so schön heißt. Für uns moderne Menschen vielleicht nicht gerade eine reizvolle Vorstellung – aber für einen geregelten Schlaf-wach-Rhythmus und für die Gesundheit sicher sehr förderlich. Und da die meisten Leute körperlich hart arbeiten mussten und weniger Stress hatten als wir heutzutage, waren auch Schlafstörungen damals nicht so verbreitet. So bekamen die Menschen normalerweise immer genügend Schlaf.Das hat sich inzwischen drastisch verändert – nicht zuletzt durch die Erfindung des elektrischen Lichts: „Heute stimmt unsere Innenzeit nicht mehr mit der sozialen Zeit überein“, so Roenneberg. Die Innenzeit wird immer später, während die soziale Zeit relativ konstant bleibt. Sprich: Die meisten Menschen müssen morgens immer noch relativ früh aufstehen und zur Arbeit gehen, finden abends aber immer später ins Bett. Dadurch bauen sie während der Arbeitswoche ein kontinuierliches Schlafdefizit auf, das sie nur am Wochenende abbauen können, indem sie „bis in die Puppen schlafen“. Für diese Divergenz zwischen unserer inneren Uhr und unseren sozialen Alltagsstrukturen hat Professor Roenneberg den Begriff „sozialer Jetlag“ geprägt.
Flexible Arbeitszeiten – neue Lichtarchitektur
Diesem Problem können wir mit zwei Maßnahmen entgegenwirken: „Einmal sollten wir die Arbeitszeiten auf allen Ebenen und in allen Sparten unserer Wirtschaft flexibilisieren, sodass die Menschen wieder in dem von der inneren Uhr vorgegebenen Zeitfenster schlafen können und keinen Wecker brauchen. Dann müssen sie auch nicht die Hälfte ihrer arbeitsfreien Tage verschlafen, um das arbeitswöchentliche Defizit auszugleichen.“ Sprich: Betriebe sollten die Arbeitszeit je nach Chronotyp der Mitarbeiter (Eule oder Lerche) flexibel beginnen lassen. Außerdem sollte die Architektur möglichst viel blauhaltiges, wach machendes Tageslicht von den Dächern in die Räume spiegeln. Die künstliche Beleuchtung wiederum sollte auf intelligente Weise dynamisch sein: „Das heißt, sie muss nach Sonnenuntergang die Blaulichtanteile aus der Beleuchtung nehmen, ohne unsere Sehleistung zu schwächen. Das sind sicherlich schwierige Aufgaben, ich bin aber optimistisch, dass diese Fortschritte machbar sind.“Auch die Schichtarbeit muss revolutioniert werden. „Langsam beginnen wir zu verstehen, wie wir Arbeitszeiten individuell anpassen können, sodass selbst Schichtarbeit weniger gesundheitsschädlich werden könnte“, prophezeit Roenneberg.
Dazu muss man bei der Schichtplanung auf den Chronotyp des einzelnen Arbeitnehmers eingehen und genau messen, welche Rotationspläne für welchen Menschen (Spät- oder Frühtyp, jung oder alt) am geeignetsten sind. Beides wird zurzeit intensiv erforscht. „Außerdem sollten Mittel und Wege gefunden werden, die wenigstens in der Industrie Arbeiten zwischen drei und sechs Uhr unnötig machen. Diese Maßnahmen werden die Situation von Schichtarbeitern mit Sicherheit verbessern.“
Schlechte Karten für unsere Schüler
Aber mit einer Optimierung unserer Arbeitsbedingungen allein ist es nicht getan. Die Veränderungen müssen schon in der Schule beginnen. Denn der Chronotyp verändert sich im Laufe unserer Entwicklung: Kindergarten- und Grundschulkinder sind normalerweise „Lerchen“, die (manchmal zum Kummer ihrer Eltern) schon frühmorgens putzmunter sind und abends zeitig müde werden. Doch mit Beginn der Pubertät ändert sich das: Die innere Uhr von Jugendlichen „geht nach“, sodass sie abends nur noch schwer in den Schlaf finden und sich morgens, wenn der Wecker schellt, wie gerädert fühlen.
Und so sind diese Schüler denn – zumindest in der ersten Schulstunde – noch gar nicht richtig aufnahmefähig. „Die inneren Uhren von 14- bis 21-Jährigen gehören zu den spätesten in der Bevölkerung“, sagt Roenneberg. Deshalb plädiert er dafür, dass zumindest für Oberstufenschüler die Schule eine Stunde später beginnen sollte. „Ich schlage seit Jahren in Deutschland vor, mit ausgewählten Schulen Pilotprojekte durchzuführen und wissenschaftlich zu begleiten. Leider ist es dazu nie gekommen. Meine Kollegen in England führen nun solche Versuche in großem Stil an vielen Schulen durch. Dabei wäre es hierzulande viel wichtiger – in England beginnen die meisten Schulen nämlich erst um neun Uhr!“
Wichtige Grundlagenforschung: das Human Sleep Project
Um wirklich sinnvolle Verbesserungen schaffen zu können, muss man den Schlaf der Menschen aber zunächst einmal auf möglichst breiter Basis erforschen. Das heißt, man muss sich einen Überblick über den Ist-Zustand verschaffen: „Obwohl wir teilweise die biochemischen und neuronalen Prozesse, die Schlaf initiieren, steuern und aufrechterhalten, bis ins Detail kennen, haben wir immer noch keine Antworten auf die einfachsten Fragen. Wie viel Schlaf braucht denn ein Individuum oder wie kann man denn Schlafqualität im Alltag objektiv messen?“ Um Antworten auf solche Fragen zu finden, hat der Chronobiologe das „Human Sleep Project“ ins Leben gerufen. Im Rahmen dieses Projekts will er den Schlaf im individuellen Alltag über viele Wochen hinweg bei Tausenden von Menschen messen – z.B. mithilfe von Fitnessarmbändern und anderen Technologien, die man am Körper tragen kann und die Bewegungen und andere Parameter bei Tag und Nacht erfassen.
Wer an dem Projekt mitwirkt und seine Daten für die Auswertung zur Verfügung stellt, erhält als Gegenleistung eine Schlafanalyse. So können die Teilnehmer ihr Schlaf-wach-Verhalten analysieren, verstehen und eventuell zu ihren Gunsten ändern – eine echte Win-win-Situation. Zumal das Messen der eigenen Körperfunktionen ja voll im Trend liegt und es bereits ein breites Spektrum an Geräten und Apps dafür gibt. Wie sinnvoll sind solche Apps eigentlich? „Im Zuge des Ausbruchs der Forschung aus dem Versuchslabor in die reale Welt – in den alltäglichen Kontext – helfen alle Selbst-Mess-Geräte. Nur sind oft die Methoden, die diese Geräte verwenden, um Schlaf zu analysieren, weder transparent noch wissenschaftlich validiert“, meint Roenneberg. „Diagnosen des individuellen Schlafverhaltens sollten nur akademisch ausgebildete Fachkräfte geben, mit Hilfe von transparenten und validierten Methoden. Das heißt, die vielen Geräte sind hervorragend, die Auswertung der gesammelten Daten sollte man aber unabhängigen Spezialisten überlassen. Die Daten-Plattform des Human Sleep Projects wird dafür die notwendigen Voraussetzungen schaffen.“