Das Schlafmagazin: Ausgabe 4/2016

Das Schlafmagazin: Ausgabe 4/2016


Liebe Leserin, lieber Leser,

während ich dieses Editorial schreibe, sind es noch wenige Tage bis zu unserem alljährlich stattfindenden Kongress „Thementag Schlaf“ (wir werden in der Februar-Ausgabe des Schlafmagazins ausführlich berichten). Wir sind natürlich ein wenig aufgeregt, freuen uns aber auch auf interessante Vorträge und Begegnungen mit Ihnen – unseren Lesern. Gestern erreichte mich eine E-Mail aus Berlin, in der die Messe „sleep for fit“ im März 2017 angekündigt wurde. Es ist lobenswert, dass das Thema Schlaf von immer mehr Seiten aufgegriffen wird. Hoffentlich dienen auch alle Aktionen immer den von Schlafproblemen Betroffenen und klären insgesamt die Bevölkerung über dieses wichtige Drittel unseres Lebens auf. Wir wünschen der Messe viel Erfolg, gleichzeitig wundern wir uns, warum die Veranstalter es nötig haben, hier von „Deutschlands einziger Publikumsveranstaltung zum Thema Schlaf“ zu sprechen. Diese Aussage ist wie ein Schlag ins Gesicht – für all die vielen Selbsthilfegruppen und Verbände, die Jahr für Jahr mit viel Herzblut ihre Kongresse planen, die Betroffenen einladen, mühevoll die Kontakte zu möglichen Referenten aufbauen. Manchmal ist man glücklich, weil der gemietete Saal übervoll ist, manchmal völlig entmutigt, weil nicht mal die Hälfte der Plätze besetzt wird. Dennoch macht man weiter. Alles ehrenamtlich. Alles für den besseren Schlaf. 

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Auch wir vom Schlafmagazin haben vor vielen Jahren unseren Kongress gestartet. In manchen Punkten war er einzigartig, etwa was die Verleihung des Preises „Somnus“ angeht. Vielleicht auch was die Fülle an Vorträgen betrifft. Aber nie haben wir uns angemaßt, von „Deutschlands einziger Publikumsveranstaltung“ zu sprechen. 

Ein weiterer großer Kongress steht vor der Tür: die 24. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e. V. (DGSM) Anfang Dezember (auch darüber werden wir im Februar-Heft berichten). Streng genommen ist dieser Kongress das genaue Gegenteil der Messe in Berlin – nämlich eben keine Publikumsveranstaltung. Leider ist das den Veranstaltern nicht von Anfang an klar gewesen, was für einige Verwirrung und Aufregung unter den Selbsthilfegruppen (= Publikum, niederes Volk) gesorgt hat, als es plötzlich keine Ausstellerausweise für sie gab. Dann gab es sie doch. Aber nicht für alle. Wie es schließlich ausgeht, kann ich erst im kommenden Heft schreiben.

Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist: Bei unserem Kongress ist jeder willkommen, Arzt, Patient, Geldgeber, alt, jung, arm, reich. Und auch unser Schlafmagazin – das wirklich erste und einzige Publikumsmagazin zum Thema Schlaf – kann und wird von allen gelesen: Von Schlafapnoikern, Insomnikern, Narkoleptikern, RLS-Kranken, Angehörigen, Ärzten, Pflegekräften, DGSM-Vorstandsmitgliedern, Geräteherstellen, Bettenherstellern, Einheitsmatratzenherstellern, Presseleuten und Messeplanern und allen anderen, denen der Schlaf lieb und auch teuer ist.

Ihre

Dr. Magda Antonic

Das Schlafmagazin: Ausgabe 4/2016

Foto: © fotolia/Sentavio 3788
Inhalt

6 Alpträume oder kreative Inspirationen
Was haben Träume mit unserer Persönlichkeit zu tun? 

12 Das Solinger Modell
Schlafapnoe-Patienten testen die „Schienentherapie“

16 Nachdenken über zaghafte Versuche
Telemonitoring ante Portas?

18 Grundlagenforschung zum Restless Legs Syndrom
Die Gene spielen eine wichtige Rolle

21 Stimulationstherapie
Mit elektrischen Impulsen gegen das Schnarchen 

22 Gespräch mit Dr. med. Alfred Wiater,
Vorsitzender der DGSM Selbsthilfe im Dialog mit Klinik und Wissenschaft 

26 Ein neues Mitglied der DreamFamily
Die erstaunliche Mini-Maske von Philips Respironics 

28 Die Maske. Und ich. Eine Annäherung. 

30 Kolumne
Unsere Gesellschaft tickt nicht richtig 

31 Heilen mit Strom
Elektrostimulation für erholsamen Schlaf 

34 Pioniere der Schlafmedizin
Der Physiker Thomas Penzel 

38 Tipps von der AGR
Das richtige Schuhwerk – wichtig für Füße und Rücken! 

38 Risiko Metabolisches Syndrom
Warum zu wenig oder gestörter Schlaf dick und krank machen kann   

39 Wie schlafen Sie, Prof. Schredl? 

40 Integrative Schlafforschung führt zu einer Weltneuheit
Schlafen in Schräglage  

42 One fits all
Die Einheitsmatratze für alle?  

44 Hightech-Matratzenkauf
Die Wirbelsäule entscheidet!  

45 Mitteilung des Vorstands des BSD  

48 Die Zeit zwischen den Jahren
Rauhnächte    

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RUBRIKEN

33 Abo-Formular

46 Schlafapnoe-Sprechstunde

47 Adressen    

50 Impressum   

Grundlagenforschung zum Restless Legs Syndrom:


Die Gene spielen eine wichtige Rolle

 

Prof. Dr. Juliane Winkelmann

Lange Zeit wusste man nicht viel über die Krankheit der unruhigen Beine, die mit quälenden Missempfindungen in Füßen oder Beinen einhergeht, gepaart mit einem unwiderstehlichen Bewegungsdrang – und das ausgerechnet nachts, wenn man doch eigentlich schlafen will. Dank der Genforschung haben wir nun bahnbrechende neue Erkenntnisse über das Restless Legs Syndrom gewonnen, auf deren Basis hoffentlich auch bald neue RLS-Medikamente entwickelt werden können.

Im Mittelpunkt unserer Forschungsarbeit steht die Suche nach Genen, die mit dem Restless Legs Syndrom in Zusammenhang stehen; denn man weiß, dass das RLS familiär gehäuft auftritt. Doch die genetische Veranlagung allein reicht nicht aus, um ein RLS zu verursachen; sie erhöht lediglich das Risiko für diese Erkrankung. Es müssen auch noch bestimmte Umweltfaktoren hinzukommen, um die Krankheit letztendlich auszulösen.

In vielen Studien wurde untersucht, wie wichtig der Beitrag der Gene zur Entstehung des Restless Legs Syndroms denn eigentlich ist und welche Rolle Umweltfaktoren spielen. Wenn man eineiige Zwillinge untersucht, die genetisch vollkommen identisch sind, so leiden zehn von zwölf Zwillingspaaren an einem RLS. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Gene tatsächlich eine sehr wichtige Rolle spielen (wahrscheinlich machen sie über 50% des RLS-Risikos aus); aber man darf die Umwelteinflüsse darüber nicht vernachlässigen.

Lange Zeit wusste man sehr wenig über die Ursachen des Restless Legs Syndroms. Bekannt war lediglich, dass es sich um eine Erkrankung des zentralen Nervensystems handelt und dass der Nervenbotenstoff Dopamin dabei möglicherweise eine Rolle spielt; denn sonst wären dopaminhaltige Medikamente und Dopaminagonisten gegen das RLS nicht so gut wirksam. Doch wie diese Medikamente wirken, wusste und weiß man immer noch nicht so genau; bekannt ist lediglich, dass sie ihre Wirkung im zentralen Nervensystem entfalten. Aber wo? Im Rückenmark oder im Gehirn, und wenn ja, in welcher Hirnregion? Die genetische Komponente hilft uns, diese Erkrankung besser zu verstehen und den Wirkmechanismus von RLS-Medikamenten zu ergründen.


Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen

Wir haben anhand vieler Familien untersucht, wie das Restless Legs Syndrom vererbt wird. Hunderten von Familien und Tausenden von Einzelpatienten haben wir Blut abgenommen, um das Erbmaterial (die DNA) daraus zu isolieren. Das tun wir auch heute noch bei Patienten, die in unsere Ambulanz kommen und an Forschungsprojekten teilnehmen möchten – was natürlich eine ganz individuelle, freiwillige Entscheidung ist und sich in keiner Weise auf die Behandlung dieser Patienten auswirkt. Und selbstverständlich halten wir uns bei unserem Vorgehen an strenge Datenschutzrichtlinien.

Die technologischen Fortschritte in der Genforschung waren uns bei unserer Arbeit eine enorme Hilfe. Im Jahr 1985 wurde das humane Genomprojekt gegründet. Mittlerweile kann man innerhalb relativ kurzer Zeit das Erbmaterial Tausender von Patienten genetisch untersuchen. Das bezeichnet man in der genetischen Fachsprache als Sequenzierung: DNA-Sequenzierung ist nichts anderes als die Bestimmung der Abfolge genetischer Bausteine in einem DNA-Molekül mit dem Ziel, Genmutationen zu entdecken. Wir haben im letzten Jahr in München eine Sequenzierplattform gegründet, können solche Untersuchungen also nun selbst durchführen. Das kommt freilich der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen gleich: In mühevoller Kleinarbeit fahndeten wir nach Basenpaaren, die bei RLS-Patienten anders sind als bei Menschen ohne RLS.

Im Jahr 2007 fanden wir erstmals Gene, von denen man ganz klar sagen kann: Das sind RLS-Gene, die für die Entstehung dieser Krankheit wirklich eine Rolle spielen. Das RLS-Hauptgen heißt MEIS1. Inzwischen weiß man: Wenn jemand eine genetische Variante in diesem Gen aufweist, hat er wirklich ein hohes Risiko, an RLS zu erkranken. Deshalb haben wir dieses Gen genau untersucht und festgestellt, dass es in der embryonalen Entwicklung des Nervensystems eine sehr wichtige Rolle spielt. Irgendwann muss aus einem kleinen Zellhaufen ja einmal ein Mensch werden; und dieses RLS-Gen spielt eine wichtige Entscheidung darüber, was aus einer Zelle später wird – ob sie sich beispielsweise zu einer Nervenzelle entwickelt, die für Bewegung zuständig ist. Anhand von Tierexperimenten an Mäusen und Zebrafischlarven konnten wir feststellen, dass dieses Gen die Entwicklung von Nervenzellen in einer Hirnregion beeinflusst, die für die Verarbeitung von Motorik und sensiblen Reizen sehr wichtig ist – und das sind genau die Komponenten, die wir auch vom RLS her kennen: die Missempfindungen, der quälende Bewegungsdrang. An dieser Schaltstelle scheint bei  RLS-Patienten also irgendetwas anders zu laufen.
Daraus haben wir gelernt, dass das RLS möglicherweise eine neurologische Entwicklungsstörung ist. Die Entstehung dieses Krankheitsbildes wird schon sehr früh angelegt; und irgendwann im Alter kommen dann noch weitere, nicht-genetische Risikofaktoren hinzu, die dazu führen, dass das RLS ausbricht. Aber die Veranlagung dafür ist möglicherweise schon beim Embryo vorhanden.

Im US-amerikanischen Silicon Valley gibt es eine Firma namens 23andME an die man seinen Speichel schicken kann, um sein Erbmaterial daraus extrahieren zu lassen. Daraufhin erhält man einen Code, mit dem man sich auf der Webseite der Firma einloggen kann und dann über seine genetischen Varianten informiert wird. Mit dieser Firma haben wir eine Kooperation begründet und nach langem Hin und Her tatsächlich einen Datensatz von 80 000 Personen bekommen, zu denen sehr viele RLS-Patienten gehörten. Diese Proben werten wir in unserem Labor gerade aus. Inzwischen haben wir viele neue Regionen auf dem Genom identifiziert, von denen wir wissen, dass sie bei der Entstehung des RLS eine Rolle spielen.


Längst keine Zukunftsmusik mehr

Das Ziel unserer Arbeit besteht darin, herauszufinden, wo die Reise in Zukunft hingeht: Welche Erkenntnisse sind für die RLS-Forschung wichtig, um neue Medikamente entwickeln zu können? Wir wissen ja, dass die derzeit zur Verfügung stehenden RLS-Medikamente teilweise recht schwere oder zumindest unangenehme Nebenwirkungen haben.

Bei unserer Arbeit kooperieren wir sehr eng mit Frau Lilo Habersack, der Leiterin der Selbsthilfeorganisation RLS e.V. Frau Habersack hat vor einigen Jahren ein sehr ungewöhnliches Projekt auf die Beine gestellt: Um neue RLS-Medikamente zu finden, können wir natürlich nicht nur an Fischen oder Mäusen forschen, sondern müssen irgendwann auch einmal anfangen, die Patienten selbst zu untersuchen. Und da es sich beim RLS um eine neurologische Erkrankung handelt, benötigen wir Hirngewebe von Patienten, um unsere Forschungsergebnisse zu validieren. Frau Habersack hat hier mit der Gründung einer RLS-Hirnbank wirklich Außergewöhnliches geleistet: Sie startete einen Aufruf in der Zeitung, in dem sie RLS-Patienten bat, sich zu überlegen, ob sie nicht bereit wären, nach dem Tod ihr Gehirn an die Forschung zu vererben. Inzwischen haben einige Patienten dieser Aufforderung Folge geleistet; und wir haben uns nun in einem ersten Arbeitsschritt auf Hirnregionen konzentriert, die wir genau unter dem Mikroskop untersuchen und mit Kontrollgehirnen von Menschen ohne RLS vergleichen möchten – nicht nur, um weitere RLS-Gene zu finden, sondern auch, um mögliche Umwelteinflüsse auf die Entstehung dieser Krankheit zu identifizieren.

Welche Umweltfaktoren dabei eine Rolle spielen, wissen wir noch nicht genau. Bekannt ist, dass dem Alter und hormonellen Faktoren ein wichtiger Stellenwert zukommt. Ein weiterer Risikofaktor ist die Schwangerschaft: Je mehr Schwangerschaften man durchlebt hat, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, an einem RLS zu erkranken. Manche Patienten berichten, dass ihr RLS sich bei Fieber verschlimmert. Auch die sogenannte Multimorbidität spielt eine Rolle: Je mehr andere Erkrankungen jemand hat, umso wahrscheinlicher ist es, dass er auch ein RLS entwickelt. Jemand, der bereits unter Diabetes, zu hohem Blutdruck und anderen Krankheiten leidet, hat also ein erhöhtes RLS-Risiko.

Unser Ziel ist es, neue RLS-Gene zu finden, um auf der Basis dieser Erkenntnisse später einmal neue RLS-Medikamente entwickeln zu können. Und das ist keineswegs nur Zukunftsmusik – das passiert bereits jetzt! Eine US-amerikanische Arbeitsgruppe ist mittlerweile dabei, aufgrund eines dieser Gene ein neues RLS-Medikament zu entwickeln. In den letzten Jahren hat sich vieles getan, was zu einem besseren Verständnis dieser belastenden neurologischen Erkrankung beiträgt. Vielleicht wird das RLS bald schon kein lebenslanger Begleiter mehr sein, mit dem man sich irgendwie abfinden und arrangieren muss!


Prof. Juliane Winkelmann ist Fachärztin für Neurologie, Inhaberin des Lehrstuhls für Neurogenetik an der Technischen Universität München und seit 2015 Direktorin des Instituts für Neurogenomik am Helmholtz Zentrum München. An der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Klinikums rechts der Isar an der TU München leitet Sie die „Sektion Neurogenetik“ und
betreut im Rahmen einer Spezialambulanz Patienten mit RLS. Der Arbeitsgruppe von Prof. Winkelmann gelang es, federführend in Kollaboration mit einem internationalen Forscherteam weltweit erstmals genetische Risikofaktoren für das Restless Legs Syndrom (RLS) zu identifizieren.

 

Gespräch mit Dr. med. Alfred Wiater, Vorsitzender der DGSM

Selbsthilfe im Dialog mit Klinik und Wissenschaft

Die Zeiten sind vorbei, als Patienten gläubig zu ihrem Arzt aufblickten und widerspruchslos seinen Therapievorgaben folgten. Patient und Arzt treffen sich heute auf Augenhöhe. Und immer mehr Patienten informieren sich im Netz und fordern als mündige, wissende Patienten die Mediziner heraus. Die Wissenschaft gibt sich da teils noch erschrocken, verunsichert und restriktiv, glauben sogar manchmal, Patienten hätten nichts auf wissenschaftlichen Kongressen zu suchen. Ein großer Irrtum, der gestrigem Elitedenken entspringt. Nichtmediziner, die wissenschaftliche Kongresse besuchen, verfügen über erstaunliche intellektuelle Kapazitäten. Wir „Laien“ verstehen die Diktion der Mediziner inzwischen exzellent. Insbesondere Patientenvertreter sind heute in der Lage, wissenschaftliche Studien zu erfassen und auch kritisch zu hinterfragen. Der Vorsitzende der DGSM (Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin), Dr. med. Alfred Wiater bricht da eine Lanze für den unmittelbaren Dialog zwischen Patientenvertretern und der Wissenschaft. Lesen Sie, welche Bedeutung er im intensiven Dialog mit der Selbsthilfe sieht.

Werner Waldmann: Herr Dr. Wiater, Sie sind Vorsitzender der DGSM. Welche Bedeutung fällt Ihrer Meinung nach der Selbsthilfe auf dem Terrain der schlafbezogenen Erkrankungen zu?

Dr. Alfred Wiater: Der Dialog mit den Selbsthilfegruppen ist für die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin von sehr großer Bedeutung. Für uns ist es wichtig, dass eine Rückmeldung seitens der Selbsthilfegruppen, seitens der Patientinnen und Patienten kommt, wie die Maßnahmen, die wir ärztlich verordnen, wirken. Für uns ist es auch wichtig, dass wir die Patientinnen und Patienten regelmäßig über neue Entwicklungen informieren, auch über Grundlagenforschungsergebnisse in der Schlafmedizin. In unserer Gesellschaft haben die Selbsthilfegruppen auch eine sehr, sehr große Bedeutung, weil es nur durch die Patientenvertretungen letztlich auch politisch gelingen kann, entsprechende Fortschritte in unserem Gesundheitswesen und für die Versorgung der Patienten zu erreichen.

Werner Waldmann: Wie könnten die Anliegen der im BSD vertretenen Patienten intensiver in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht werden?

Dr. Alfred Wiater: Für uns ist es wichtig, mit den Selbsthilfegruppen in regelmäßigem Dialog zu bleiben, regelmäßig Informationen weiterzugeben, regelmäßig die Resonanz der Selbsthilfegruppen zu erfassen. Das ist für uns ein entscheidender Schritt in die Richtung, die Kenntnisse, die sich aus der Versorgung der Patienten ergeben, auch in die wissenschaftliche Forschung mit einzubeziehen.

Werner Waldmann: Die Selbsthilfe Schlafapnoe und Schlafstörungen leidet unter dem Problem des Nachwuchses. Ältere Selbsthilfegruppenleiter geben auf aus gesundheitlichen Gründen oder versterben, aber es findet sich niemand, der diese Arbeit übernehmen möchte und so lösen sich manche Gruppen einfach auf. Haben Sie eine Idee, wie man diesen Aderlass stoppen könnte?

Dr. Alfred Wiater: Ja, das ist das Problem des ehrenamtlichen Engagements, das natürlich sehr viel Zeit und sehr viel Energie kostet. Dort engagierte Menschen zu finden, wird immer schwieriger. Bei der Vielzahl der Betroffenen kann ich es mir allerdings nicht vorstellen, dass auf Dauer dort eine Lücke entstehen wird. Und genauso, wie wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft uns um den wissenschaftlichen Nachwuchs kümmern, denke ich, werden Sie es in den Selbsthilfegruppen auch tun, um Leute zu aktivieren, hier dann auch tätig zu sein.

Werner Waldmann: Wir versuchen jetzt an Schlaflaboren, zu denen wir persönlichen Kontakt haben, Selbsthilfegruppen zu etablieren, damit diese ihre neuen Patienten von vornherein mehr motivieren, nach dem Motto: Macht doch bei unserer Selbsthilfegruppe mit, die sich auch hier in der Klinik trifft!

Dr. Alfred Wiater: Das entspricht auch meiner Erfahrung, dass es am wirkungsvollsten ist, wenn man Menschen persönlich anspricht, wenn man versucht, sie mitzunehmen, sie für eine Sache zu begeistern, und auf diesem Weg kann ich Sie nur bestärken.

Werner Waldmann: Welche technischen Entwicklungen wird die Schlafmedizin in den kommenden Jahren machen und welches sind Ihre persönlichen Wünsche und Erwartungen?

Dr. Alfred Wiater: Wir haben ja in diesem Jahr unseren Jahreskongress in Dresden auch unter dem Thema der medizinisch-technischen Innovationen, da werden wir eine ganze Menge erfahren über das, was technisch möglich ist und auch technisch sinnvoll. Ein Thema in diesem Zusammenhang ist sicherlich die Telemedizin; die Telemedizin eröffnet uns sehr viele Möglichkeiten, sie birgt aber auch viele Risiken in sich. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Fortentwicklung der telemedizinischen Möglichkeiten auch die Schlafmedizin in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stark prägen wird.

Werner Waldmann: Die technischen Möglichkeiten gibt es, aber jetzt muss die Frage beantwortet werden, wie das Ganze organisiert wird. Ob der Homecare-Versorger, der das System zur Verfügung stellt oder ob die Schlafmediziner, die die Therapie verordnen, die Oberhoheit haben?

Dr. Alfred Wiater: Die DGSM hat eine ganz klare Meinung die besagt, dass medizinische Maßnahmen auch medizinisch verordnet werden müssen und der Verordnende ist die Ärztin oder der Arzt. Dann geht es in einem zweiten Schritt darum, wie die Daten zu behandeln sind, da gilt der Grundsatz, dass jeder Patient das Recht auf seine eigenen Daten hat. Wir halten es aber für wichtig, im Dialog mit den Patienten klarzustellen, dass unterschieden werden muss zwischen medizinischen Daten, auch personenbezogenen medizinischen Daten, die ja geschützt werden müssen, und Daten die wichtig sind für den Provider, für den Hersteller, die sich auf die apparatetechnischen Dinge beziehen. Nach unserer Auffassung sollten die medizinischen Daten nicht dem Hersteller oder dem Provider, auch nicht in anonymisierter Form, zur Verfügung gestellt werden, sondern diese medizinischen Daten sollten dem Austausch, auch dem individuellen Austausch, zwischen Arzt und Patient vorbehalten bleiben. Die technischen Daten sind natürlich wichtig für die Industrie und sind auch wichtig, um die Gerätesicherheit zu gewährleisten, da gibt es überhaupt keine Frage, dass die den Providern und den Herstellern zur Verfügung gestellt werden sollten. Wir sind seit langem im Dialog mit der Industrie in dieser Frage und hoffen, dass diese Meinung, die auch aus unserer Sicht arztrechtlich geboten ist, akzeptiert und umgesetzt werden wird.

Werner Waldmann: Patienten geben, wenn sie ein CPAP- Gerät bekommen, ihre Zustimmung auf dem Blatt Papier sehr schnell und leichtfertig, auch weil sie vielleicht die ganzen Konsequenzen, die damit zusammenhängen, nicht verstehen und einschätzen können. Nun werden die Daten abgefragt. Bei Neupatienten ist das interessant, um die Compliance zu erhöhen, um zu wissen, gibt es da eine Leckage, muss ich eingreifen. Aber die Daten werden ja permanent, solange das Gerät läuft, abgerufen, anonymisiert. Da frage ich mich, was macht ein Unternehmen mit diesem riesigen Datenkonvolut?

Dr. Alfred Wiater: Das ist ein sehr kritischer Punkt den Sie da ansprechen. Wir haben in Deutschland erfreulicherweise einen sehr guten Datenschutz. Aus meiner Sicht bedeutet das auch, dass, bevor jemand zum Einverständnis gebeten wird, die Daten preiszugeben, eine umfassende Information desselben erfolgen muss, was mit seinen Daten geschieht und was mit seinen Daten eventuell auch unkontrolliert geschehen könnte. Diese Aufklärung muss auch hinreichend dokumentiert und nachvollziehbar sein. Dies ist für mich eine zwingende Voraussetzung dafür, dass das Einverständnis eines Patienten, Daten weiterzuvermitteln auch unseren rechtlichen Voraussetzungen entspricht, hier sollte man doch sehr hohe Maßstäbe anlegen.

Werner Waldmann: Wir sprechen oft vom mündigen Patienten, der sich im Internet informiert, aber ganz so mündig oder wissend ist er doch nicht, weil er die Hintergründe oft nicht einschätzen kann. Wenn dieser Patient nun die Ausdrucke von dem Therapieverlauf bekommt, also nicht nur, wie viele Stunden er sein Gerät benutzt hat oder ob er eine Leckage hatte, sondern wenn er wirklich Informationen bekommt, kann er damit was anfangen? Wäre es nicht besser, dass er dies nicht vom Homecare-Provider bekommt? Sollte das nicht mit dem betreuenden Schlafmediziner passieren, damit dieser seinen Patienten mal erläutert, was da auf dem Papier gedruckt ist?

Dr. Alfred Wiater: Patienten sind halt sehr unterschiedlich fit in der Kenntnis ihrer Krankheit. Es gibt sicherlich viele Patienten die ihr Krankheitsbild sehr gut kennen und auch viele Zusammenhänge sehr gut beurteilen können. Wir müssen aber zugrunde legen, dass medizinische Daten eines Patienten im Dialog mit dem behandelnden Arzt geklärt werden sollten, das heißt, es sollte gewährleistet sein, dass nur der Arzt, neben dem Patienten selbst, zu diesen Daten Zugang hat, dann wird es sich spätestens beim nächsten Termin oder aber auch im Rahmen irgendwelcher telemedizinischer Maßnahmen ergeben, dass Befunde auch dann korrekt und für den Patienten hilfreich besprochen werden können.

Werner Waldmann: Arzt und Patient auf Augenhöhe im Dialog, zugunsten des Patienten?

Dr. Alfred Wiater: Absolut.

Werner Waldmann: Man kann den Eindruck haben, dass viele Kostenträger, Krankenkassen, die Schlafmedizin eigentlich aushungern wollen. Vom Morbi-RSA kriegen sie ja ganz nette Zuweisungen, die sie aber eigentlich bei ihrer Pauschale im Jahr nicht ausgeben. Ich habe gehört, dass bei einer Ausschreibung jetzt die Jahrespauschale unter 100 Euro beträgt – für Gerät, Schlauch, vielleicht auch mal für zwei Masken, und dann noch für die vielleicht notwendige persönliche Betreuung durch den Provider. Wie kann das funktionieren?

Dr. Alfred Wiater: Gar nicht! Diese Voraussetzungen, die Sie beschreiben, gewährleisten aus meiner Sicht nicht im Entferntesten das, was wir an Versorgungsqualität für die Patientinnen und Patienten brauchen. Wenn ich Berichte höre, wie weit auseinanderklaffend das ist, was in den Verträgen mit den Firmen steht, und das, was praktisch umgesetzt wird, so muss ich sagen, dass mir das sehr großes Kopfzerbrechen bereitet. Diese Dinge werden immer wieder thematisiert und wir sind an der Seite der Selbsthilfegruppen, um hier eine Verbesserung zu erzielen. Die Situation, so wie sie sich in den letzten Jahren hier entwickelt hat, ist absolut unzureichend.

Werner Waldmann: Mich erreichen immer mal wieder Berichte von Betroffenen, die umversorgt wurden und die einfach kein Gerät bekamen. Es wurde ihnen schließlich mit der Post zugeschickt. Doch viele ältere Menschen verstehen nicht die Betriebsanleitung und die Menüsteuerung. Sie werden allein gelassen. Die Konsequenz ist, dass sie das Gerät in den Schrank stellen und das war’s dann mit der Therapie.

Dr. Alfred Wiater: Der Punkt, den Sie ansprechen, ist die Frage der Compliance, die ja auch immer wieder untersucht wird. Ich kann mich nicht über eine schlechte Compliance beschweren, wenn ich auf der anderen Seite Voraussetzungen schaffe, die eine gute Compliance überhaupt nicht ermöglichen. Hier ist einiges durcheinandergeraten und hier läuft, auch gesellschaftspolitisch, einiges in die absolut falsche Richtung.

Werner Waldmann: Es ist sicherlich wichtig, dass die Selbsthilfedachorganisationen zusammen mit der DGSM auch im politischen Bereich informieren und Gesprächspartner suchen und überzeugen von der Notwendigkeit, der Schlafmedizin einen anderen, neuen Stellenwert einzuräumen.

Dr. Alfred Wiater: Der regelmäßige Kontakt auf politischer Ebene ist extrem wichtig. Es ist auch wichtig im regelmäßigen Gespräch mit der Medizintechnik zu bleiben und zusammen mit den Patientenselbsthilfegruppen Möglichkeiten zu finden, die Situation zu verbessern und den Stellenwert der Schlafmedizin in unserer Gesellschaft so zu bemessen, wie er der Ausprägung der Erkrankungen und der zum Teil ja erheblichen Folgen aufgrund von schlafmedizinischen Erkrankungen gerecht wird.

Werner Waldmann: Die Hausärzte sind die erste Anlaufstelle für Patienten, die schnarchen, Atemaussetzer haben, schlecht schlafen, RLS haben. Wie können wir die in die schlafmedizinische Versorgung einbinden?

Dr. Alfred Wiater:  Wir bemühen uns seit einiger Zeit sehr intensiv, den Kontakt mit den hausärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen zu intensivieren, wir sind da auf einem guten Weg. So werden wir im Dezember, erstmalig vom Hausärzteverband organisiert, ein schlafmedizinisches Symposium anbieten, auf dem wir die wichtigsten Themen präsentieren. Wir hoffen, dass wir damit die Hausärzte noch intensiver für dieses spannende Thema der Schlafmedizin gewinnen können.  


Dr. med. Alfred Wiater ist Vorsitzender der  Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) und Chefarzt der Kinderklinik des Krankenhauses Köln-Porz sowie Lehrbeauftragter der Universität zu Köln
Kontakt: Kinderklinik
Krankenhaus Porz am Rhein
Urbacher Weg 19; 51149 Köln
Tel.: 02203 5661354; Fax 02203 5661355
E-Mail: alfred.wiater@khporz.de