Das Schlafmagazin: Ausgabe 3/2017

Das Schlafmagazin: Ausgabe 3/2017


Liebe Leserin, lieber Leser,

ein interessantes Buch ist auf den Markt gekommen: der Schlafatlas 2017 von den beiden Schlafmedizinern Dr. Michael Feld und Prof. Peter Young. Man erfährt viel und sehr Interessantes über unseren Schlaf: warum wir wann wie schlafen, was es mit Träumen auf sich hat, mit der Wetterfühligkeit, mit dem Klima im Schlafzimmer und, und, und. Wir stellen Ihnen das Buch in dieser Schlafmagazin-Ausgabe vor.Wir berichten auch über eine neue internationale Studie, bei der Gene entdeckt wurden, die bei Ein- und Durchschlafstörungen eine wichtige Rolle spielen. Nicht neu, aber dennoch erwähnenswert, weil wirksam, ist Hypnose bei Schlafproblemen. 

» weiterlesen

Sie können hier auch einige Beiträge von und über die Selbsthilfearbeit lesen. Zwar beklagen viele Gruppenleiter, dass es immer schwieriger wird, neue Mitglieder und erst recht Nachfolger für die Gruppenleitung zu finden, dennoch lassen sie sich nicht entmutigen und geben in ihren Bemühungen, die Öffentlichkeit über die jeweiligen Krankheitsbilder zu informieren, nicht nach. Will man auch junge Menschen für die Selbsthilfe gewinnen, muss man mit der Zeit gehen und darf neue Entwicklungen nicht ignorieren – wunderbare Tipps gibt Ihnen dazu Frau Otto in ihrem Beitrag über soziale Netzwerke. 

Immer wieder wird dieses ehrenamtliche Engagement auch gewürdigt. Kürzlich erreichte uns die Meldung, dass Herrn Ernst Franke das Ehrenzeichen des Ministerpräsidenten verliehen wurde. Franke leitet seit fast 20 Jahren die Selbsthilfegruppe Schlafapnoe/Chronische Schlafstörungen Coburg-Oberfranken. 

Das amerikanische Startup-Unternehmen Somnarus Inc. hat einen tragbaren Monitor zur Erfassung von obstruktiver Schlafapnoe entwickelt: den SomnoPatch. Der Begriff „Monitor“ ist dabei nicht ganz richtig, denn es handelt sich um ein selbstklebendes Pflaster, das auf die Stirn geklebt wird. Wir wissen natürlich nicht, was daraus wird und ob es tatsächlich zum Einsatz kommt, doch wir fanden diese Entwicklung wichtig und wollten sie Ihnen nicht vorenthalten.

 

Wie immer wünsche ich Ihnen eine informative Lektüre

Ihre

Dr. Magda Antonic

Das Schlafmagazin: Ausgabe 3/2017

Foto: © MEDITEXT Dr. Antonic
Inhalt

6 Der Schlafatlas 2017 bringt es an den Tag
Wir Deutschen schlafen immer schlechter!

11 Studie findet genetische Ursachen von Ein- und Durchschlafstörungen
Neue Insomnie-Gene entdeckt!

13 COPD: So inhalieren Sie wirkungsvoll

13 Vitamin-D-Mangel und Restless Legs

14 Eine neue uralte Schlaftherapie
Tun Sie selbst etwas gegen Ihre Einschlafprobleme!

17 Mit Schlafapnoe im Gebirge

18 Paradigmenwechsel auch in der Polysomnografie?
Einmalpflaster statt Schlaflabor?  

20 Der aktuelle Trend: Mini-CPAP für unterwegs  

22 Schnarchen Sie? Leiden Sie unter Schlafapnoe?
Die Compliancefrage

25 Unser Körper liebt den Schlaf  

26 Wird die Schlafmedizin an die Wand gefahren?  

30 Nächtliche Atemstörungen einfach wegtrainieren? 

 

32 Welt im Wandel
Auch Selbsthilfe muss sich weiterentwickeln   

34 Selbsthilfegruppen
Unterwegs in sozialen Netzwerken

38 Erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko:
Statt Energy-Drinks doch lieber wieder Tee oder Kaffee trinken?  

39 Tipps von der AGR
Wie bleibt der Rücken gesund und was hilft bei Schmerzen?  

39 Therapie mit Musik
Mit dem Alphorn gegen Schlafapnoe 

40 Matratzenkauf – mit einem Click im Internet?

42 Mit Matratzenauflagen die Liegequalität verbessern?

48 Wenn Sternschnuppen vom Himmel fallen, könnten sich Wünsche erfüllen  

 

RUBRIKEN

44 Abo-Formular
46 Schlafapnoe-Sprechstunde
47 Adressen
50 Impressum   

Der Schlafatlas 2017 bringt es an den Tag:


Wir Deutschen schlafen immer schlechter!

In Diskussionen, Vorträgen und Medienbeiträgen darauf hinzuweisen, dass unsere Gesellschaft den Schlaf weitgehend ignoriert und ihr natürliches Schlafbedürfnis mit Füßen tritt, ist heutzutage fast schon selbstverständlich. Dies gilt natürlich insbesondere für die jüngere Generation und für Menschen, die voll im Berufsleben stehen. Als Hauptfeind eines erholsamen Schlafs gilt schon seit langem das Smartphone mit seiner Kommunikationstyrannei. Aber auch Stress, Überforderung und Existenzängste lassen uns schlecht schlafen. Der Schlafatlas 2017 fasst zusammen, wie genau es um unsere Schlafqualität steht. 

Werner Waldmann 

Der Kölner Schlafmediziner Michael Feld betreibt Schlafmedizin auf erfrischend unkonventionelle Weise. Es ist ihm ein echtes Anliegen, die Öffentlichkeit für den im Alltag so missachteten Schlaf zu sensibilisieren. Feld entdeckte im Produktangebot der Firma 

Beurer, die elektronische Gesundheitsprodukte wie Blutdruck- oder Blutzuckermessgeräte herstellt, den sogenannten Schlafsensor SE SleepExpert und führte eine Studie damit durch, wobei ihm der renommierte Neurologe und Neurogenetiker Prof. Dr. Peter Young von der Universität Münster zur Seite stand.

Beurer hat sich vor allem mit diversen Blutdruckmessgeräten einen Namen gemacht. Dann kamen Pulsoxymeter, Fieberthermometer, Lauf- und Pulssensoren dazu. Alles Geräte, die der Laie zur Kontrolle bestimmter Körperfunktionen einsetzen kann. Inzwischen hat sich ein eigener Terminus für diese Hilfsmittel etabliert: Wearables nennt man sie. Recht bald hat man bei Beurer begriffen, dass sich mit dem Thema Schlaf ein zukunftsträchtiges Terrain für eine Produktdiversifikation geradezu anbietet. Denn der Schlaf wird ein immer bedeutenderes Thema werden. So hat Beurer beispielsweise eine SleepLine entwickelt: eine ganze Produktlinie, die sich nur dem erholsamen Schlaf widmet. Ein Produkt davon ist der erwähnte Schlafsensor SE 80.

Bei diesem Gerät handelt es sich um einen – so die Prospektbroschüre– „kontaktlosen Sensor zur professionellen Schlafdokumentation in den eigenen vier Wänden“. Sozusagen das Schlaflabor zu Hause. Welche Daten werden erfasst? Einschlafdauer, Aufwachhäufigkeit, Gesamtschlafdauer. Außerdem werden aber auch noch Herz- und Atemfrequenz sowie Atemaussetzer erfasst. 

Die Fähigkeiten des Schlafsensors haben Michael Feld dazu inspiriert, mit diesem Hilfsmittel doch einmal die Schlafqualität der Deutschen zu erkunden. 222 Probanden bekamen das Gerät, und so liefert dieser Teil der Untersuchung konkrete Daten aus deutschen Schlafzimmern. Doch damit noch nicht genug: Um ein einigermaßen repräsentatives Bild vom deutschen Schlafverhalten zu bekommen, befragte das Emnid-Institut 3491 Bundesbürger. Die Daten aus den Schlafzimmern und die Antworten der Befragten wurden vom Deutschen Institut für Regenerations- und Schlafwissenschaft (DIRS) zusammengeführt und ausgewertet. Michael Feld und sein Koautor Prof. Peter Young vermittelten und kommentierten die Ergebnisse.

Unterm Strich kam heraus, dass sich die Schlafdauer der Deutschen doch wohl deutlich verkürzt hat und der Schlaf weniger erholsam ist.

Zusammenfassend meinen die Autoren: „Es gibt deutliche Anzeichen für einen erheblichen und zunehmenden Schlafmangel. 34% der Deutschen haben regelmäßig den Wunsch, mehr zu schlafen. 31% fühlen sich morgens matt, und 30% nicken tagsüber unfreiwillig ein. Das sind Signale von Übermüdung, die zumeist aus beruflicher Überforderung resultieren.“

Interessant ist auch, wie die deutschen Schläfer ihre Schlafqualität selbst einschätzen. Die Messdaten zeigen deutlich, dass die Probanden ihren Schlaf subjektiv für besser und vor allem für länger halten, als er in Wirklichkeit ist. Geschlafen wurde im Schnitt sechs Stunden, die gefühlte Schlafdauer war aber fast eine Stunde länger. Man macht sich also etwas vor und will sich offenbar nicht so leicht eingestehen, dass der Schlaf zu kurz kommt.

 

Arbeitsstress und Überforderung stören den Schlaf

Ein- und Durchschlafstörungen sind ein ernst zu nehmendes Problem: 11,3 % der Studienteilnehmer brauchten mehr als 40 Minuten, um endlich in den Schlaf zu finden; und bei sage und schreibe 30 % traten mehr als acht Schlafunterbrechungen auf. Schließlich ist für einen erholsamen Schlaf auch noch das Verhältnis von Leichtschlaf, Tiefschlaf und Traumschlaf (der berühmten REM-Schlafphase) entscheidend. In der Studie hatten die meisten Menschen einen zu geringen Tief- und Traumschlafanteil und dafür zu viel Leichtschlaf.

Die alarmierende Erkenntnis der Studie: Ein Drittel der Deutschen hat das Gefühl, unter einem Schlafdefizit zu leiden, und würde gerne mehr schlafen. Das liegt wohl an den Lebensumständen: Nahezu 50 % der arbeitenden Bevölkerung haben keine reguläre Fünf-Tage-Woche. Fast regelmäßig wird an Samstagen gearbeitet, oft auch an Sonn- und Feiertagen. Wir wissen ja, dass jeder Supermarkt und die meisten Geschäfte in der City samstags bis 20 oder 22 Uhr geöffnet haben und dass das Ladenschlussgesetz, das Sonn- und Feiertagsarbeit für den Verkauf bislang untersagt, gehörig wackelt. Diese Servicefreundlichkeit hat freilich ihre Schattenseite für die Beschäftigten. Und dann gibt es natürlich auch noch das Heer der Schichtarbeiter, die im Nacht- oder Bereitschaftsdienst tätig sind.

 

Gefährlicher Sekundenschlaf

Bedenklich: Fast ein Drittel aller Deutschen würde morgens gar nicht erst aus den Federn kriechen, wenn es nicht sein müsste. Jedenfalls beginnt der Tag für viele mit Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Kopfschmerzen. Nur 19 % der Befragten fühlen sich morgens wie neu geboren und machen sich voller Elan an ihr Tagewerk. Der Rest der Bevölkerung laviert sich irgendwie durch den Tag hindurch, ohne richtig wach zu sein. Das ist kein gutes Zeichen, denn darunter leidet die Qualität der Arbeit; und für Menschen, die in diesem Dämmerzustand eine verantwortungsvolle Arbeit verrichten müssen – Kraftfahrer, Piloten, Maschinenführer –, kann das sogar lebensgefährlich sein. Dass der Sekundenschlaf eine häufige Ursache für dramatische Unfälle auf den Autobahnen ist, wissen inzwischen viele. Doch Polizei, Versicherer und Politik halten sich bedeckt. 

Neben Überforderung und daraus resultierendem Schlafbedürfnis kann hinter dem Sekundenschlaf übrigens auch eine Krankheit stecken: die berüchtigte Schlafapnoe. Darüber redet man schon, auch in der Öffentlichkeit, doch wird immer noch nicht konsequent genug gegen dieses Problem vorgegangen. Noch mehr Schlafapnoiker in der Bevölkerung zu diagnostizieren, wäre ein Leichtes, denn da sind noch unzählige nicht erfasst und erst recht nicht therapiert. Doch Krankenkassen und Politiker wollen sich daran nicht die Finger verbrennen. Zehntausende neuer Schlafapnoe-Betroffener zu entdecken, würde bedeuten, dass immense Kosten auf die Kassen zukommen. Also lieber weiter so und vordergründig Diagnose- und Therapiekosten gespart. 

„Offiziell leiden in Deutschland nur etwa 3 bis 5 % aller erwachsenen Männer an einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom“, schreiben die Autoren der Studie dazu. „Die reale Prozentzahl dürfte aber weitaus höher liegen, da die Schlafapnoe nach wie vor ein grotesk unterdiagnostiziertes und selbst in den Köpfen vieler Ärzte noch immer unbekanntes oder nicht ernst genommenes Krankheitsbild ist.“

Tagesschläfrigkeit kann aber auch eine ganz banale Folge miserabler Schlafhygiene sein. Und das dürfte für viele Mitbürger gelten: Man stürzt sich nach der ohnehin aufreibenden Arbeit in ein nicht weniger anstrengendes Feierabendvergnügen und unterdrückt die ganz normale Müdigkeit womöglich auch noch mit Energy-Drinks. Das hat Folgen für den nächsten Tag!

 

Notfalls eine Schlaftablette einwerfen…

Ein Beweis für die schlechte Schlafqualität der Deutschen ist der extrem hohe Verbrauch an Schlafmitteln. Wer schlecht einschläft und nachts immer wieder aufwacht, ist mit diesem Zustand natürlich nicht sonderlich glücklich. Dann nimmt man eben ein Schlafmittel. Insofern ist der Verbrauch an dieser Medikamentengruppe ein Indiz für echte Schlafprobleme.

Die erhobenen Daten erlauben aber auch Interpretationen zum Schlaf im Lebensverlauf und zu Aspekten wie Schlaf und Arbeitswelt oder Familie und Schlaf. (Wer leidet in der Familie am ehesten unter Schlafmangel? Natürlich die Frauen!) Auch über Träume, Wetterfühligkeit, das Klima im Schlafzimmer, Stress und Burnout liefert die Studie wichtige Erkenntnisse. Es ist erstaunlich, was man mit solchen Datenerhebungen alles herausfinden kann. Allein schon die Frage, wer wann zu Bett geht und aufsteht: werktags und am Wochenende, Paare mit und ohne Kinder.

Das Wort „Schlafatlas“ hört sich vielleicht eher etwas langweilig an. Wenn man das Buch noch nicht durchgeblättert hat, mag man an viele Fakten denken: Tabellen, Diagramme, Kurven. Das ist sicherlich ein wesentlicher Bestandteil des Buches. Doch die Autoren legen bei der Interpretation der Daten ihr Hauptaugenmerk auf deren praktische Konsequenzen. Was kann man aus dieser Untersuchung lernen? Es ist klar, was Feld und Young beabsichtigen: Sie wollen die Leser für den Schlaf interessieren und auch dazu motivieren, das eigene Schlafverhalten möglicherweise einmal auf den Prüfstand zu stellen. Und persönliche Konsequenzen daraus zu ziehen. Zum Wohl der eigenen Gesundheit oder besser: Leistungsfähigkeit. Arbeits- und Privatleben fordern heutzutage viele Menschen bis an ihre Grenzen. Das Fitnessstudio allein ist keine Garantie fürs Überleben im Alltagsstress. Schlaf ist eigentlich die wichtigste Vorsorgemaßnahme, die es gibt. Wer schlecht schläft, wird früher oder später dafür büßen müssen: in Form von Depressionen, Burnout, Bluthochdruck und Katastrophen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Der Schlafatlas zeichnet schon ein etwas bedrückendes Bild; aber bei dieser Faktenvermittlung bleibt er nicht stehen. Man erfährt eine Menge über das Phänomen Schlaf und auch darüber, was man für einen gesunden Schlaf alles tun kann. 

 

Glückliche Bremer und Rheinland-Pfälzer

Die Schlafqualität unterscheidet sich merkwürdigerweise von Bundesland zu Bundesland. Die Bremer sind am zufriedensten mit ihrem Schlaf, die Berliner am unglücklichsten. 43% der Bayern sind mit ihrer Schlafsituation unzufrieden und wünschen sich mehr Schlaf. Die Rheinland-Pfälzer dagegen finden ihren Schlaf ganz okay: In diesem Bundesland wünschten sich nur 19% der Bevölkerung mehr Schlaf.

 

Studie findet genetische Ursachen von Ein- und Durchschlafstörungen:


Neue Insomnie-Gene entdeckt!

Dass nicht nur Stress und Grübeleien manche Menschen vom Schlafen abhalten, weiß man schon seit längerem: Schätzungen zufolge sind Schlafstörungen bei Frauen in ungefähr 60 %, bei Männern in rund 40 % aller Fälle genetisch bedingt. Jetzt wurden im Rahmen einer neuen internationalen Studie neue Gene entdeckt, die bei Ein- und Durchschlafstörungen eine wichtige Rolle spielen. 

Marion Zerbst 

Um herauszufinden, welche genetischen Ursachen Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnien) zugrunde liegen, haben Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München und der Technischen Universität München in einer groß angelegten Studie das Erbgut von über 100 000 Probanden einer britischen Biobank untersucht und nach genetischen Besonderheiten bei Personen gesucht, die unter Schlafstörungen litten. Dabei entdeckten sie sechs Bereiche im Genom, die für die Entstehung von Insomnien verantwortlich sein könnten, und stießen auf ein interessantes Phänomen: Von einem dieser Gene (MEIS1) weiß man bereits seit längerem, dass es auch für die Entstehung des Restless Legs Syndroms (RLS) eine wichtige Rolle spielt. 

Das könnte darauf hindeuten, dass zwischen Insomnien und dem Restless Legs Syndrom (RLS) ein enger Zusammenhang besteht. Welcher Art dieser Zusammenhang ist, weiß man allerdings noch nicht genau. Beim RLS liegt eine übermäßige sensorische und motorische Unruhe (Missempfindungen und Bewegungsdrang in den Beinen, vor allem abends und nachts) vor. Auch Insomnie-Patienten leiden unter Unruhezuständen: Bei ihnen besteht, wie man inzwischen weiß, ein erhöhtes Erregungsniveau – eine Art geistig-seelische Überaktivierung, die sich auch in körperlichen Symptomen niederschlägt. Ein Insomniker ist (vor allem abends, wenn er sein System eigentlich „herunterfahren“ möchte) hellwach und findet einfach nicht in den Schlaf.

Sein Kopf ist voller Gedanken, und sein Körper schüttet ständig Stresshormone aus. Diese Stressbotenstoffe machen den Schlaf unerholsam, denn sie versetzen Körper und Geist in Alarmbereitschaft: Tatsächlich konnte in mehreren Untersuchungen nachgewiesen werden, dass bei Menschen, die unter einer Insomnie leiden, Herzfrequenz und Muskeltonus nachts erhöht sind und außerdem vermehrt Hirnwellen mit schnellen Frequenzen auftreten, die auf einen höheren Bewusstseinszustand hindeuten. Bildgebende Untersuchungen haben außerdem gezeigt, dass viele Hirnareale während des Schlafs bei Insomnikern nicht ausreichend deaktiviert werden.

Auch die Körperkerntemperatur, die nachts doch eigentlich um 0,7 bis 1 Grad Celsius absinken sollte, ist bei Menschen mit Ein- und Durchschlafstörungen in den Nachtstunden zu hoch. Und wenn man sich einen Film vom Schlafverhalten eines Insomnikers im Zeitraffertempo anschaut, erkennt man ebenfalls deutliche Unterschiede zu schlafgesunden Personen: Diese Menschen bewegen sich im Schlaf viel mehr, werfen sich von einer Seite auf die andere, finden keine Ruhe. Schlafforscher bezeichnen dieses für Insomniker so typische erhöhte Erregungsniveau als „Hyperarousal“.  

 

Bei Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen fehlt ein wichtiger Botenstoff

Bereits vor einigen Jahren haben US-amerikanische Wissenschaftler neurochemische Besonderheiten im Gehirn von Insomnikern beobachtet: Bei ihnen sind die Spiegel des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (kurz: GABA) niedriger als bei schlafgesunden Menschen. 

GABA ist ein wichtiger Botenstoff, der die Erregbarkeit von Nervenzellen herabsetzt, indem er an den GABA-Rezeptoren dieser Zellen andockt. (Rezeptoren sind Eiweißstrukturen in der Membran von Nervenzellen, in die die Moleküle bestimmter Botenstoffe hineinpassen wie ein Schlüssel 

ins Schloss. An diese „Empfangsstationen“ müssen körpereigene Botenstoffe andocken, um ihre Wirkung entfalten zu können.) Aufgrund der beruhigenden Wirkung von GABA vermutet man, dass dieser Botenstoff auch an der Steuerung des Schlafbeginns beteiligt ist. 

In ihrer Studie untersuchten die amerikanischen Wissenschaftler 16 Insomnie-Patienten, die bereits seit mindestens einem halben Jahr über Schlafstörungen klagten, normalerweise weniger als sechseinhalb Stunden pro Nacht schliefen, abends mindestens eine Dreiviertelstunde zum Einschlafen brauchten oder nachts länger als eine Dreiviertelstunde wachlagen. Diese Insomniker wurden einer Protonen-Magnetresonanzspektroskopie unterzogen. (Mit diesem bildgebenden Verfahren kann man die Konzentration organischer Substanzen in einer bestimmten Körperregion messen.) Als Vergleichsgruppe dienten 16 Menschen, die nicht unter Schlafstörungen litten.

Das Ergebnis: Bei den Insomnikern war die GABA-Konzentration im Gehirn im Durchschnitt um 30% niedriger, und zwar bestand hier eine deutliche Dosis-Wirkungs-Beziehung: Je niedriger die GABA-Werte, umso schlechter die Schlafqualität. Auch bei depressiven Menschen war dieser GABA-Mangel festzustellen – allerdings nur, wenn sie gleichzeitig unter Schlafmangel litten.

 

Wichtiger Ausgangspunkt für weitere Studien

Die neue Studie der Münchner Genforscher zeigt, dass genetische Faktoren bei der Insomnie offenbar eine wichtigere Rolle spielen als bisher angenommen. Möglicherweise ist der GABA-Mangel bei Insomnikern – ebenso wie die motorische Unruhe beim Restless Legs Syndrom – genetisch bedingt. Ein gemeinsamer Nenner dieser beiden Erkrankungen sind Unruhe und nächtliche Weckreaktionen. Um mehr Klarheit über gemeinsame genetische Ursachen zu gewinnen, sind allerdings noch weitere Studien erforderlich. 

„Unsere Erkenntnisse sind ein Ausgangspunkt für weitere Analysen, um den molekularen neurobiologischen Mechanismen auf die Spur zu kommen, die der Anfälligkeit für Insomnien zugrunde liegen“, so die Autoren der Studie, in der übrigens auch festgestellt wurde, dass die Insomnie-Genvarianten betroffene Patienten gleichzeitig auch anfälliger für andere psychische Erkrankungen (vor allem für Depressionen und Angststörungen) machen: Hier liegen genetische Überlappungen vor. Dass eine enge Korrelation zwischen Insomnien und Depressionen besteht, weiß man schon seit längerem: Wer an einer schweren oder chronischen Insomnie leidet, hat ein erhöhtes Risiko, im weiteren Verlauf auch eine Depression zu entwickeln. Umgekehrt leiden fast alle depressiven Menschen unter Schlafstörungen. Schon seit geraumer Zeit rätseln Schlafforscher, warum dies so ist: Ist die Schlafstörung ein Risikofaktor oder lediglich ein erstes warnendes Anzeichen für eine Depression? Die neue Studie deutet nun darauf hin, dass beiden Erkrankungen ähnliche genetische Ursachen zugrunde liegen könnten. 

Eine weitere interessante Erkenntnis der Studie ist, dass bei Männern und Frauen mit Ein- und Durchschlafstörungen unterschiedliche Genvarianten eine Rolle spielen. Vielleicht kann man aufgrund der neu entdeckten erblichen Ursachen von Schlafproblemen eines Tages Therapien entwickeln, die bei diesen genetischen Faktoren ansetzen – und Insomnien bei Männern und Frauen womöglich sogar geschlechtsspezifisch behandeln? Das Erreichen dieses Ziels liegt allerdings noch in weiter Ferne.

 

 --------------------------------------------------------------------------------------------

Quellen:

Hammerschlag, A.R. et al. (2017): Genome-wide association analysis of insomnia complaints identifies risk genes and genetic overlap with psychiatric and metabolic traits. Nature Genetics, DOI: 10.1038/ng.3888

Ein- und Durchschlafstörungen: Einblick in die Genetik der Insomnie. Helmholtz Zentrum München

Thomas Müller: „Insomnie-Forscher haben den Botenstoff GABA im Fokus“. Ärzte Zeitung, 17.12.2008