Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2018

Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2018


Liebe Leserin, lieber Leser,

eigentlich möchten Sie in unserem Magazin darüber lesen, was die Wissenschaft an neuen Erkenntnissen und Therapien für Schlafgestörte anbietet. Dazu hat der DGSM-Kongress im vergangenen Jahr eine Fülle an erstaunlichen Neuheiten gebracht. Sich mit wirtschaftlichen Aspekten der schlafmedizinischen Versorgung zu beschäftigen, ist eine dröge Angelegenheit. Muss manchmal aber sein. Anknüpfend an unsere letzte Ausgabe ist zu bemerken: Dass die Krankenkassen ihre Ausgaben im Blick behalten, gehört zu ihrer Pflicht.

Doch die Sparmaßnahmen dürfen nicht auf Kosten der Versicherten erfolgen. Im Augenblick steht die Barmer mit ihrer skandalösen Ausschreibung am Pranger: Der Preis schlägt mit 90 % zu Buche, die Qualität mit 10 %. Der Präsident des Bundesversicherungsamtes, Frank Plate, ermittelt inzwischen gegen die Kasse.

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Der DGSM-Kongress vergangenes Jahr ist eigentlich viel interessanter als die finstere Baustelle schlafmedizinischer Versorgung. Darüber berichten wir. Wer diesen Kongress aufmerksam verfolgt hat, hat begriffen, welche grundlegende Bedeutung der erholsame Schlaf für unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit hat. Schlaf bewegt unsere Gesellschaft. Das müssen auch die Krankenkassen begreifen.

Wir berichten auch über den Schlaf und seine Probleme für Frauen. Viele Krankheiten äußern sich bei Frauen mit anderen Symptomen als bei Männern, treten häufiger oder seltener auf und nehmen auch einen unterschiedlichen Verlauf. Auch in puncto Schlaf ist bei Frauen vieles anders als bei den Herren der Schöpfung.

Unser erster Schwerpunkt gilt einer recht seltenen Erkrankung: der Narkolepsie. Diese neurologische Erkrankung mit gestörtem Schlaf-wach-Rhythmus beginnt meist schon in der Kindheit mit kurzen Schlafattacken während des Tages. Plötzliche ungewollte Erschlaffung von Muskelgruppen mit Sturz (Kataplexie) oder die minutenlange Unfähigkeit, während der Einschlaf- oder Aufwachphasen sich bei Bewusstsein zu bewegen (Schlaflähmung), beschreiben charakteristische Symptome, die im Laufe der Zeit hinzukommen können. Eine Heilung der Narkolepsie ist bis heute nicht möglich. 

Wie immer wünsche ich Ihnen eine informative Lektüre

Ihre

Dr. Magda Antonic

Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2018

Foto: © canstockphoto/Palau
Inhalt

7 Die rätselhafte Krankheit: Narkolepsie 

9 Narkolepsie – Leben mit einer chronischen Erkrankung 

10 Narkolepsie und Schlafapnoe: ein Leben mit großen Einschränkungen 

12 „Na ja, wenn ihr wüsstet …“ Splitter einer narkoleptischen Biografie   

14 Eine Reise durch ein Leben mit Narkolepsie  

16 Gummibärchen im Haar oder geschmolzene Schokolade auf meinem Kissen

18 Jubiläumskongress der DGSM in Münster: „Schlaf bewegt“  

19 Tagesschläfrigkeit: Sind Sie noch fahrtüchtig oder nicht?  

20 Sexsomnia & Co.:
Wenn der Bettpartner morgens nicht mehr weiß, was er nachts so alles getrieben hat

22 Schlafstörungen und Fatigue bei Krebserkrankungen 

24 Frauen ticken anders – auch im Schlaf! 

30 Schlafapnoe bei Frauen 

34 Atembeschwerden durch Übergewicht:
das Obesitas-Hypoventilationssyndrom

36 Wenn die Seele Trauer trägt
Diabetes und Depressionen – was tun? 

38 Nächtliche Atemaussetzer raubten ihr den Schlaf  

40 COPD und Schlafapnoe: ein unheilvolles Gespann  

43 Zungenschrittmacher:
Keine Maske, kein Schlauch, kein Lärm  

48 Eine sensible Ausstellung
Schlaf – Eine produktive Zeitverschwendung

 

RUBRIKEN

45 Abo-Formular
46 Schlafapnoe-Sprechstunde
47 Adressen 
50 Impressum   

Sexsomnia & Co.


Wenn der Bettpartner morgens nicht mehr weiß, was er nachts so alles getrieben hat

Von Marion Zerbst

Es kommt gar nicht so selten vor, ist aber nach wie vor ein Tabuthema – nicht zuletzt, weil viele Betroffene sich schämen, ihrem Arzt davon zu berichten: abnormales sexuelles Verhalten während des Schlafs. Das Spektrum dieser „Sexsomnien“ ist breit: Es kann von Masturbation, Stöhnen oder Streicheln des Partners bis hin zum Geschlechtsverkehr oder gar zur Vergewaltigung im Ehebett reichen. Nicht nur Männer, sondern auch Frauen sind betroffen; nur fällt es bei ihnen weniger auf, da sie in solchen Situationen weniger zu gewalttätigem Verhalten neigen. Meist sind es die Frauen, die den Mann zum Arztbesuch drängen, weil sie unter seinen nächtlichen Übergriffen leiden. 

Das Seltsame daran: Dieses Verhalten hat nichts mit Perversion oder einem zu starken Sexualtrieb zu tun, und die Betroffenen leiden auch nicht unter Sexmangel. Darin ähnelt die Sexsomnie anderen Parasomnien wie beispielsweise nächtlichem Essen, das normalerweise ebenfalls nicht auf Hunger oder „Fresssucht“ zurückzuführen ist. 


Eine CPAP-Therapie kann die nächtlichen Sexattacken beheben

Inzwischen weiß man, dass dieses seltsame nächtliche Verhalten ganz andere Ursachen hat: Oft tritt es nämlich im Anschluss an eine kurze Weckreaktion (Arousal) auf, die beispielsweise durch einen Atemaussetzer bei Schlafapnoe oder durch heftiges nächtliches Zähneknirschen verursacht wurde. Diese Weckreaktion versetzt den Schläfer in einen Zustand der Schlaftrunkenheit, in der er seine seltsamen Aktionen ausführt. Nicht selten leiden die Betroffenen gleichzeitig auch noch an einer ganzen Reihe anderer Parasomnien wie beispielsweise Schlafwandeln oder Sprechen im Schlaf. Manchmal ist auch Alkohol ein auslösender Faktor für die Sexsomnie – vor allem bei Männern.

An der Ursache orientiert sich auch die Therapie: Bei fast allen Patienten legt sich das seltsame sexuelle Verhalten, wenn man ihre Schlafapnoe mit einem CPAP-Gerät oder einer Unterkieferprotrusionsschiene behandelt. Zähneknirschen-de Patienten sollen einer zahnärztlichen Behandlung (z. B. Anpassung einer Knirscherschiene oder Biofeedback-Therapie) zugeführt werden. Das nächtliche Knirschen schädigt nämlich auf Dauer die Zähne und kann auch zu Schmerzen in der Kaumuskulatur führen. Die Einnahme eines Medikaments namens Clonazepam, das normalerweise bei der Behandlung von Epilepsien zum Einsatz kommt, hilft ebenfalls gegen die unerwünschten nächtlichen Aktivitäten. 

Eine solche Therapie ist durchaus sinnvoll, da diese sexuellen Aktivitäten manchmal bis zur Gewaltanwendung (z. B. Würgen oder Vergewaltigung der Bettpartnerin) gehen können. Außerdem belasten sie die Beziehung und stören den Schlaf.
 

Keine falsche Scham!

Deshalb empfiehlt Parasomnie-Experte Prof. Carlos Schenck, dessen Vortrag ein absolutes Highlight auf der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Schlafmedizin (DGZS) war, sich nicht durch falsche Scham vom Arztbesuch abhalten zu lassen, wenn man unter solchen nächtlichen Symptomen leidet. Dahinter kann nämlich auch eine ernsthafte Erkrankung stecken: Eine häufige Ursache für abnormales Verhalten während des Schlafs ist die REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die hauptsächlich bei Männern vorkommt und bei der der Schläfer seine (meist aggressiven oder sexuell gefärbten) Träume ausagiert. Diese Verhaltensstörung ist häufig Vorbote einer neurodegenerativen Erkrankung: Immerhin 60 bis 70 Prozent der Patienten, die darunter leiden, entwickeln nach 10 bis 30 Jahren Morbus Parkinson oder eine andere neurodegenerative Erkrankung. 

Auch die REM-Schlaf-Verhaltensstörung ist übrigens keineswegs Anzeichen einer besonders aggressiven Persönlichkeit des Schläfers und hat auch nichts mit traumatischen Erlebnissen in seinem Vorleben zu tun, sondern geht auf eine Störung der Motorik im Schlaf zurück: Normalerweise ist unsere Muskulatur während des REM-Schlafs (in dem wir unsere lebhaftesten Träume haben) gelähmt, damit wir die Träume nicht ausleben und uns und andere Menschen dadurch in Gefahr bringen können. Bei der REM-Schlaf-Verhaltensstörung ist diese motorische Hemmung aufgehoben – so kommt es zu den aggressiven und manchmal sexuellen Handlungen während des Schlafs. Weckt man die Schläfer auf, so erzählen sie von Träumen, die sich erstaunlich genau mit ihren Aktionen während des Schlafs decken – bis hin zum Japaner, der während einer Videopolysomnografie dabei gefilmt wurde, wie er mit dem Samuraischwert auf einen imaginären Gegner einschlug. 

Diese Erkrankung betrifft vorwiegend ältere Männer um die 60 Jahre. Für die Diagnostik ist ein Aufenthalt im Schlaflabor notwendig. Da die REM-Schlaf-Verhaltensstörung der Entstehung einer solchen neurodegenerativen Erkrankung um Jahre vorausgehen kann, wird Betroffenen empfohlen, sich bei einer neurologischen Fachklinik, die auf solche Erkrankungen spezialisiert ist, in Behandlung zu begeben. Außerdem besteht die Möglichkeit, an Studien teilzunehmen, in deren Rahmen die Patienten engmaschig kontrolliert werden und die bestmögliche medizinische Versorgung erhalten. (Die Forschungsaktivitäten über die REM-Schlaf-Verhaltensstörung in Deutschland werden von der Klinik für Neurologie an der Universität Marburg koordiniert; Ansprechpartner: Frau Sittig, Tel.: 06421-586 5215.)

Im Übrigen hilft auch diesen Patienten die Gabe von niedrigdosiertem Clonazepam vor dem Schlafengehen; manchmal lässt sich auch mit Melatonin ein Behandlungserfolg erzielen. Allerdings kann man mit diesen Medikamenten nur die unerwünschten nächtlichen Aktivitäten beheben, nicht aber dem Fortschreiten der REM-Schlaf-Verhaltensstörung zu einer Parkinson-Krankheit oder Demenz vorbeugen. 
 

Wenn nachts der Kühlschrank geplündert wird

Eine weitere gar nicht so seltene Parasomnie ist das Essen während des Schlafs. Im Gegensatz zur REM-Schlaf-Verhaltensstörung tritt diese schlafbezogene Essstörung, die meist im jungen Erwachsenenalter beginnt und oft mit Schlafwandeln einhergeht, hauptsächlich bei Frauen auf. Menschen, die im Kindesalter geschlafwandelt sind oder an einer anderen schlafbezogenen Erkrankung (z. B. Schlafapnoe oder Restless Legs Syndrom) oder Essstörung leiden, scheinen ein erhöhtes Risiko dafür zu haben.

Auch die „Schlaf-Esser“ erinnern sich am nächsten Morgen häufig nicht mehr an ihre nächtliche Fressorgie. Und zu allem Übel ernähren sich Menschen, die während des Schlafs essen, normalerweise nicht gesund, sondern bevorzugen eher hochkalorische Lebensmittel wie Süßigkeiten, Nudeln oder Erdnussbutter und konsumieren manchmal sogar ungenießbare Dinge wie Zigaretten oder Kaffeebohnen. 

Es liegt auf der Hand, dass Menschen, die unter dieser Parasomnie leiden, nicht nur am nächsten Morgen unausgeschlafen sind, sondern oft auch zunehmen und außerdem durch den Verzehr schädlicher Substanzen ihre Gesundheit gefährden. Falls im Liegen gegessen wird, besteht außerdem Erstickungsgefahr. Daher sollte auch diese schlafbezogene Erkrankung unbedingt behandelt werden. Auch hier erfolgt die Therapie meist durch Medikamente: Helfen können Antiepileptika wie Topiramat, aber auch Pramipexol, ein Mittel, das normalerweise zur Behandlung der Parkinson-Krankheit eingesetzt wird. Wurde die schlafbezogene Essstörung durch Arzneimittel wie beispielsweise Zolpidem, Lithium oder Neuroleptika ausgelöst, so sollten diese Medikamente abgesetzt werden. 

 

FALLBEISPIELE
 

Zu wenig Sex?

Mehrmals in der Woche weckt Peter W. seine Frau Carla* mitten in der Nacht mit eindeutigen Annäherungsversuchen: Er drängt sich an sie heran, streichelt sie und will Sex mit ihr haben. Meistens geschieht das, nachdem er bereits zwei bis drei Stunden geschlafen hat, und Carla W. fällt auf, dass dieser nächtliche Geschlechtsverkehr irgendwie anders ist als ihr „normales“ Liebesleben vor dem Einschlafen: Er ist heftiger, wilder, und oft murmelt Peter W. dabei auch Obszönitäten vor sich hin. Gegen die Leidenschaft hat Carla W. nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil – nur auf das „Dirty Talking“ könnte sie gerne verzichten. Manchmal steht Peter W. nach dem Schäferstündchen sogar mitten in der Nacht auf und geht unter die Dusche. Dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmt, wird Carla W. erst klar, als er ihr eines Tages vorwirft, sie hätten zu wenig Sex: „Wir schlafen doch fast jede Nacht miteinander“, sagt sie daraufhin fassungslos. „Du erinnerst dich nur nicht daran!“
 

Zeltabenteuer mit dramatischem Ausgang

Schon lange haben sich die Kinder darauf gefreut, in den Sommerferien mit ihrem Vater in einem Zelt im Garten übernachten zu dürfen. Leider erweist sich dieses Abenteuer zu dritt nicht als ungetrübtes Vergnügen: Immer wieder wird Hubert K. durch seinen Sohn geweckt. Endlich sinkt er erschöpft in einen tiefen Schlaf, aus dem er jedoch ebenfalls bald unsanft wieder herausgerissen wird – diesmal durch die Schreie seiner kleinen Tochter, die er während des Schlafs unsittlich berührt hat. Daraufhin erzählt seine Frau ihm, dass er auch im Ehebett schon öfters ungewöhnliche Verhaltensweisen gezeigt habe – von lautem Zähneknirschen bis hin zu nächtlichem Masturbieren. Beschämt und entsetzt sucht Herr K. einen Arzt auf, der ihm ein Arzneimittel verordnet. Daraufhin bessern sich seine Probleme. 
 

Der Mann, der seine Frau mit einem Apfel verwechselte

Frank M. hat schon viele gescheiterte Beziehungen hinter sich: Vier Ehen und drei Lebenspartnerschaften sind in die Brüche gegangen. Das Problem: Er neigt dazu, seine Partnerinnen nachts sexuell zu attackieren, wobei er manchmal leider auch gewalttätig wird. Am nächsten Morgen kann er sich an nichts mehr erinnern. 

Auch seine jetzige Frau leidet sehr unter dem Problem. Als er sie eines Nachts heftig ins Ohr beißt und ihr (nachdem sie ihn empört geweckt hat) erklärt, er habe geträumt, in einen saftigen Apfel hineinzubeißen, reicht es ihr: Sie besteht auf einem Arztbesuch, zu dem sie ihren Mann begleitet. Denn sie will ihn nicht verlieren, aber auch nicht so weiterleben, und getrennte Schlafzimmer kommen für sie nicht in Frage. 

Der Arzt stellt eine ungewöhnliche Diagnose: Sexsomnia – sexuelle Aktivitäten während des Schlafs, die dem Patienten nicht bewusst sind, für die er also auch nichts kann. Die Befragung ergibt, dass Herr M. schon als Kind verschiedene ungewöhnliche Schlafverhalten wie Schlafwandeln und nächtliches Essen gezeigt hat. Eine Untersuchung im Schlaflabor zeigt außerdem, dass er an einer obstruktiven Schlafapnoe leidet. Der Arzt verschreibt Herrn M. ein Medikament und leitet eine CPAP-Therapie ein. Daraufhin verschwinden seine nächtlichen Sexattacken innerhalb kürzester Zeit, und sein Eheleben verläuft wieder glücklich und harmonisch. 
 

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

 

COPD und Schlafapnoe:


Ein unheilvolles Gespann

Die Abkürzung COPD kommt aus dem Englischen und bedeutet „chronisch-obstruktive Lungenerkrankung“. Bei dieser Krankheit sind die Bronchien chronisch verengt und entzündet und werden zunehmend zerstört. Im weiteren Verlauf werden auch die Lungenbläschen in Mitleidenschaft gezogen. Es handelt sich dabei also um eine sehr schwere Erkrankung, die in der Regel kontinuierlich fortschreitet, sodass die Patienten immer schlechter Luft bekommen. Anfangs tritt diese Luftnot nur bei starken Belastungen, später auch schon bei leichteren Anstrengungen und letztlich sogar in Ruhe auf. Hinzu kommen Husten und Auswurf. Besonders schlecht ist die Prognose dieser Patienten, wenn auch noch eine obstruktive Schlafapnoe vorliegt. Werner Waldmann sprach mit dem Lungenfacharzt Dr. med. Georg Nilius, der als Chefarzt der Pneumologie an der Helios Klinik in Hagen-Ambrock tätig ist, über Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten.

 

Wodurch entsteht eine COPD?

Dr. Nilius: In den westlichen Ländern kommen normalerweise zwei Ursachen zusammen: 

Genetik und frühe Kindheit: ES gibt eine angeborene Disposition für diese Erkrankung. Es scheint aber auch eine frühkindliche Veranlagung dafür zu geben, z. B. wenn die Kinder schon im Mutterleib oder im frühen Säuglingsalter mit Zigarettenrauch in Kontakt kommen, weil die Eltern rauchen. 

Rauchen: Die wesentliche Ursache ist das inhalative Zigarettenrauchen des Patienten selbst. Offenbar reagieren die Lungen von Frauen empfindlicher auf das Rauchen als Männer. Momentan geht man davon aus, dass von vier Rauchern einer an COPD erkrankt.  


Spielt unsere zunehmende Umweltverschmutzung (beispielsweise durch Autoabgase) dabei auch eine Rolle?

Dr. Nilius: Wenn man bereits an einer COPD leidet, kann es durch die Umweltbelastung, die das Autofahren mit sich bringt, möglicherweise zu einer Verschlechterung dieses Krankheitsbilds kommen. Auch Exazerbationen können dadurch ausgelöst werden. Ob die Belastung durch Autoabgase bei jemandem, dessen Lungen völlig unempfindlich sind und der nie geraucht hat, ausreichen würde, um so eine Erkrankung zu verursachen, weiß man nicht. Gerade wenn verschiedene Faktoren zusammenkommen (also jemand raucht und seine Lungen zusätzlich auch noch am Arbeitsplatz durch Stäube oder andere Schadstoffe belastet werden), erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für eine COPD. 


Wie unterscheiden sich COPD und Asthma voneinander?

Dr. Nilius: Die Atemnot des Asthmatikers ist oftmals von der Jahreszeit abhängig: Es gibt Zeiten, da geht es ihm schlecht, z. B. während der Pollensaison. Doch bei den meisten Asthmatikern bildet sich die Atemnot zwischenzeitlich wieder zurück. Beim COPD-Patienten dagegen bleibt die Luftnot relativ konstant. 
 

Wie verläuft eine COPD?

Dr. Nilius: Oft verschlechtert sich die Lungenfunktion der Patienten schon mit Mitte 20. Doch am Anfang läuft diese Verschlechterung ganz langsam und nahezu unmerklich ab: Vielleicht merkt der Patient beim Sport, dass er es allmählich ein bisschen langsamer angehen lassen muss, weil seine Lungen nicht mehr mitmachen; dann kann er irgendwann nicht mehr bis zum vierten Stock die Treppe hochsteigen, sondern nimmt lieber den Fahrstuhl. Die Belastungsluftnot nimmt immer mehr zu, und der Patient passt sich an diesen Zustand an, indem er solche Situationen einfach vermeidet. Erst wenn schon ein großer Teil der Lunge zerstört ist, wird sein Problem so offensichtlich, dass er zum Arzt geht. Deshalb wird die COPD oft erst relativ spät diagnostiziert und behandelt.
 

Was kann man als Patient selber gegen eine COPD tun?

Dr. Nilius: Der wichtigste Baustein der Therapie ist die Nikotinkarenz: Wenn man nicht möchte, dass die Erkrankung weiter voranschreitet, muss man mit dem Rauchen aufhören. Der zweite wichtige Baustein besteht darin, dass man trotz seiner Erkrankung nach Möglichkeit körperlich aktiv bleiben sollte. Das ganz große Problem bei der COPD ist, dass man sich aufgrund der Luftnot mit der Zeit immer weniger bewegt; dadurch verliert man Muskulatur und entwickelt mit der Zeit auch eine Osteoporose, was die Bewegungsfähigkeit noch weiter einschränkt. Diese Abwärtsspirale gilt es aufzuhalten.
 

Und welche Maßnahmen verordnet der Arzt?

Dr. Nilius: Bronchienerweiternde Sprays lindern die Luftnot und verhindern auch Exazerbationen (Phasen, in denen das Krankheitsbild sich verschlechtert). Am Verlauf der Erkrankung kann man durch diese Sprays aber letztendlich nichts ändern. Viele bronchienerweiternde Sprays werden auch nicht richtig angewendet; daher sollten die Patienten im Umgang damit geschult werden. Oft kommt es leider vor, dass der Patient aus Kostengründen einfach auf ein billigeres Spray umgestellt wird, ohne dass ihm die Handhabung erklärt wird. 

Wichtig sind darüber hinaus Impfungen – die Pneumokokken-Impfung gegen Lungenentzündung und die Grippeschutzimpfung im Herbst –da COPD-Patienten besonders anfällig für Atemwegsinfektionen sind. Bei einer akuten Exazerbation verschlimmert sich die Luftnot, und der Patient hat deutlich mehr Auswurf, der gelb-grünlich verfärbt ist. In solchen Fällen sollte man bei COPD-Patienten großzügig mit Antibiotika umgehen: Sie müssen bei jeder Atemwegsinfektion Antibiotika bekommen, weil der Infekt die Lungenfunktion sonst noch weiter verschlechtert und immer die Gefahr besteht, dass diese sich nach dem Infekt nicht wieder erholt.
 

Und was kann man sonst noch tun?

Dr. Nilius: Alles, was den Patienten auf den Beinen hält, wirkt lebensverlängernd. Rehabilitation – stationär oder ambulant – verbessert den Zustand des Patienten und die Lebensqualität und erhöht seine Lebenserwartung. Im Rahmen der Rehabilitation wird der Patient auch zu körperlicher Aktivität angehalten. Wichtig ist, dies hinterher im häuslichen Umfeld auch weiter fortzusetzen: Der Patient sollte jeden Tag, mindestens aber viermal pro Woche 30 Minuten lang körperlich aktiv sein. Hier ist Lungensport sicherlich von ganz entscheidender Bedeutung. Dieser wird zunehmend angeboten und von den Krankenkassen ja auch finanziert; aber leider gibt es längst noch nicht so viele Angebote, wie es notwendig wäre; und manchmal sind die Patienten auch nicht motiviert genug, um diese Angebote zu nutzen. Denn sie leiden ja unter Luftnot, und da ist es eine ganz natürliche Reaktion, Situationen, in denen Luftnot auftritt, zu vermeiden. 
 

Wie ist die Compliance – also die Bereitschaft zur Therapiemitwirkung – bei den Patienten?

Dr. Nilius: Es gibt COPD-Patienten, die ihre Erkrankung akzeptieren und sehr aktiv an der Therapie mitarbeiten. Andererseits gibt es aber auch Patienten, denen es schwerfällt, sich zu körperlicher Aktivität aufzuraffen, und deren Aktionsradius sich dadurch mit der Zeit immer weiter verengt, bis sie irgendwann gar nicht mehr aus ihrer Wohnung herauskommen. Dadurch kommt es natürlich mit der Zeit zu Muskelabbau und Osteoporose. Solche Patienten leiden auch oft unter Depressionen: Wer sich nicht mehr bewegt und in seiner Lebensführung eingeschränkt ist, bei dem treten sehr viel häufiger Depressionen auf.
 

Bei manchen COPD-Patienten wird ja auch eine Sauerstofflangzeittherapie durchgeführt, bei der der Patient durch eine Nasenbrille mit Sauerstoff angereicherte Luft einatmet. Wann ist das erforderlich?

Dr. Nilius: Eine Sauerstofftherapie ist nur dann sinnvoll, wenn die Lunge so krank ist, dass der Sauerstoffgehalt im Blut krankhaft erniedrigt ist. Das Gefühl der Luftnot lässt sich durch die Sauerstofftherapie gar nicht so sehr beeinflussen; aber bei kritischem Sauerstoffmangel wird wahrscheinlich das Herz krank. Wir wissen: Diese Patienten sterben häufiger, wenn wir keine Langzeitsauerstofftherapie durchführen. 

Eine schwere COPD führt mit der Zeit auch zur Erschöpfung der Atemmuskulatur, weil solche Patienten beim Atmen natürlich viel mehr Kraft aufwenden müssen als gesunde Menschen. Wenn die Atemmuskulatur nicht mehr richtig funktioniert, reichert sich das Kohlendioxid, das eigentlich abgeatmet werden sollte, im Blut an. Das macht müde und beeinträchtigt ihre Belastbarkeit noch mehr. Dagegen hilft nur eines: die Atemmuskeln der Patienten durch Beatmung mit einer Nasen- oder Mund-Nasen-Maske zu entlasten. Durch eine solche nächtliche nicht-invasive Beatmung (NIV) verbessern sich nachweislich Befinden und Lebensqualität, und das Fortschreiten der Erkrankung wird verlangsamt – was bedeutet, dass auch die Lebenserwartung steigt und die Patienten seltener ins Krankenhaus müssen. 
 

Mit welchen Begleiterkrankungen müssen COPD-Patienten rechnen?

Dr. Nilius: Wir haben ja vorhin schon darüber gesprochen, dass Patienten, die eine COPD haben, überwiegend Raucher sind oder waren. Solche Menschen leiden natürlich auch oft unter anderen durch Rauchen verursachten Krankheiten: zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall. Auch Durchblutungsstörungen in den Beinen kommen bei Rauchern häufig vor. Und durch den Bewegungsmangel kann es – wie gesagt – auch zu Muskelabbau, Osteoporose und Depressionen kommen.
 

COPD und obstruktive Schlafapnoe treten ja auch manchmal zusammen auf. Was ist dann zu tun?

Dr. Nilius: Inzwischen weiß man, dass COPD-Patienten, die zusätzlich an einer Schlafapnoe leiden, eine sehr viel schlechtere Prognose haben. Wir würden einem COPD-Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe also auf jeden Fall dringend zu einer Schlafapnoe-Therapie raten, weil seine Prognose sich dadurch verbessert. 
 

Gibt es auch Kombinationen zwischen Asthma und COPD?

Dr. Nilius: Diese Frage wird unter den Wissenschaftlern sehr intensiv diskutiert, und zwar mit unterschiedlichen Auffassungen: Die einen sagen, es gibt Asthma und COPD; es kann aber auch sein, dass es unterschiedliche Verlaufsformen der COPD (mit einer asthmatischen Form) gibt. Wenn jemand, der schon als Kind oder Jugendlicher unter Asthma leidet, dann auch noch über längere Zeit raucht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er zusätzlich an einer COPD erkrankt, sehr viel höher; hier besteht sicherlich ein Zusammenhang. Für Asthmatiker gilt der Grundsatz, dass man aufs Rauchen verzichten sollte, also in ganz besonderem Maße.