Das Schlafmagazin: Ausgabe 4/2006

Das Schlafmagazin: Ausgabe 4/2006


Liebe Leserin, lieber Leser,

wir leben mit der Lüge, der Unwahrheit. Dass unser augenblickliches Gesundheitssystem nicht mehr funktioniert, wissen wir. Doch was sich die von uns gewählten Politiker da ausgedacht haben, ist jämmerlich. Der so genannte Gesundheitsfonds ist nichts anderes als ein ultimatives Bürokratiemonster, das kaum zu überbieten ist und schlichtweg zur staatlichen Einheitsmedizin führt. Dass die Bundesregierung bestimmt, wer im Gemeinsamen Bundesausschuss sitzt, ist ein Unding, denn dieses Gremium bestimmt, welche Leistungen die Kassen künftig bezahlen oder verweigern. Die Vertreter der Patientenverbände haben keinerlei Mitspracherecht. Dass man ihnen dies verweigert, zeigt die Richtung: Der Regierung geht es nicht um die Patienten, es geht darum, Geld auf Kosten der Patienten einzusparen. Die Zweiklassenmedizin, die real ohnehin schon lange existiert, wird damit weiter etabliert. Zu hoffen bleibt nur, dass die Patienten zweiter Klasse endlich aufwachen und den Politikern bei kommenden Wahlen zeigen, wer der Volkssouverän ist.

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Das Schlafmagazin widmet sich heute mit seinem Schwerpunkt einem heiklen Thema, der Sexualität. Unsere Gesellschaft ist heute alles andere als prüde, jedenfalls was die Mode, was die Medien angeht. Eigentlich existiert da kaum noch ein Tabu. Freilich sind die Protagonisten, die uns Sexualität in den Medien vorleben, allesamt jung und agil. Der heutige Mann, der kann. Doch das ist schlicht wieder eine Unwahrheit. Unzählige Männer leiden darunter, selbst in jungen Jahren, dass sie, wenn’s drauf ankommt, doch nicht ihren Mann stehen. Sexualität ist gut und wichtig, umso betrüblicher, wenn viele Paare sie nicht ausleben können. Landläufig spricht man von Impotenz, zutreffender ist der Begriff der „erektilen Dysfunktion“.

Gerade auch bei Schlafapnoe-Patienten, die zudem unter Diabetes leiden, ist dies ein Problem, über das man freilich ungern spricht. Die Münchner Urologin Dr. Kornelia Hackl, bekannt durch das Fernsehen, beschäftigt sich mit diesem Thema. Aus der Sicht eines Betroffenen beleuchtet Günther Steinmetz, der die erste Selbsthilfegruppe zu dieser Problematik gründete, das Thema. Zwei Autoren des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie beschäftigen sich mit der erektilen Dysfunktion und Narkolepsie. 

Wir haben heute aber noch viele weitere Themen auf Lager, beispielsweise einen ausführlichen Bericht über den DGSM-Kongress in Regensburg, den dieses Jahr der Schlafpapst Deutschlands, Prof. Dr. Jürgen Zulley, ausrichtete. Es muss auch hier gesagt sein: An einen perfekteren Kongress können wir uns nicht erinnern. In Regensburg stimmte einfach alles: die wissenschaftlichen Beiträge, die Kongressorganisation, das unterhaltsame Beiwerk, das Ambiente der Universität und des kleinen romantischen Regensburg.

Dr. Magda Antonic

Das Schlafmagazin: Ausgabe 4/2006
Inhalt

Das Lebenselixier des Mannes

Erektionsstörungen – Anregungen für Partnerinnen

Sexualität bei Narkolepsie

Über den Schlaf und das Wachsein

Neue Trends im CPAP-Gerätedesign: kleiner – leiser – besser

Der Streit um SomnoGuard

Die erste Schlafmesse

Ein einfacher Weg mit der Barry-Sears-Diät

Schlaf festigt das Gedächtnis​​​​​​​

Glücklich sein – sich selber finden

„Wach am Steuer“-Training für Lastkraftwagenfahrer

„Hellwach am Steuer“

Eine neue Gemeinschaft erwacht

Weniger Konkurrenz – mehr Kooperation

Was tut sich auf der Ebene der Selbsthilfe in Deutschland?

Sexualität bei Narkolepsie

von Dipl.-Psych. Renate Wehrle und Dr. Pierre Beitinger
Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München 

Sexualität allgemein
Sexualität stellt natürlich ein sehr komplexes Thema dar, bei dem viele kulturelle, soziale, psychologische und biologische Faktoren eine Rolle spielen. Das Verstehen von sexuellen Funktionen beginnt jedoch nicht zuletzt mit dem Verstehen, wie sexuelle Reaktionen ablaufen und auch wo und wie Hirnregionen und Botenstoffe darin eingebunden sind. So weiß man heute, dass Gene, die das Immunsystem bestimmen, auch einen gewissen Einfluss auf unsere Partnerwahl haben. Dies konnte nicht nur bei Tieren, sondern auch bei Menschen anhand von Vorlieben für den Geruch von Partnern gezeigt werden, den man sprichwörtlich „gut riechen“ kann. Der Zustand der Verliebtheit teilt einiges mit der Wirkung von Drogen: Botenstoffe wie Dopamin oder Phenylethylamin stimulieren das Belohnungszentrum im Gehirn. Sie wirken ähnlich dem Amphetamin Ecstasy und erzeugen ein Hochgefühl – oder bei Liebeskummer regelrecht entzugsähnliche Symptome.

Wissenschaftlich hatte sich zuerst der Biologe Alfred Kinsey in den 50er Jahren durch umfangreiche Interviews dem Themenkreis der menschlichen Sexualität genähert. Seine Ergebnisse, die großteils heute noch Gültigkeit besitzen, zeigen die Häufigkeit verschiedener sexueller Verhaltensweisen auf. Er sammelte dabei auch wesentliche Erkenntnisse zu homosexuellem Verhalten, der Masturbation und dem Orgasmus, was damals noch ein absolutes Tabuthema war. 

„Sexualität ist der einzige weiße Fleck auf der Landkarte der Wissenschaft“, nach diesem Motto begannen die Wissenschaftler William H. Masters und Virginia E. Johnson in den 60er Jahren die körperliche Seite der sexuellen Reaktion zu untersuchen. Auf ihren Studien basiert bis heute die Einteilung der vier Phasen im Ablauf einer sexuellen Reaktion: 

• Erregungsphase

• Plateauphase

• Orgasmus

• Rückbildungsphase.

Diese können in unterschiedlichen Längen, mit mehreren, verfrühten oder ausbleibenden Orgasmen auftreten. So dauert es im statistischen Mittel länger, bis bei Frauen ein Orgasmus erreicht wird als bei Männern, die so genannte „Orgasmuslücke“. Masters und Johnsons Verdienst war es auch, die Häufigkeit sexueller Probleme zu einem öffentlichen Thema zu machen und Behandlungsmethoden zu etablieren.

Sexuelle Funktionsstörungen
Im weitesten Sinne umfassen sexuelle Funktionsstörungen eine Beeinträchtigung des sexuellen Erlebens und Verhaltens in Form von ausbleibenden, reduzierten oder unerwünschten Reaktionen. Darunter zählen neben frühzeitigen Orgasmen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr auch Störungen der sexuellen Appetenz (d. h. der „Lust auf die Lust“) und mangelnde Befriedigung. Obwohl sexuelle Funktionsstörungen eines der häufigsten Störungsbilder darstellen (einer aktuellen Studie zufolge schilderten 43% der Frauen und 35% der Männer mindestens eine sexuelle Störungsform im vergangenen Jahr), so ist der Kenntnisstand darüber nach wie vor eher mangelhaft. Methodische Probleme wie Künstlichkeit von Laboruntersuchungen oder hohe Subjektivität und Verweigerungsrate bei Befragungen erschweren solide empirische Untersuchungen.

Besser dokumentiert noch ist die Situation bei Männern (was nicht zuletzt auch auf Interesse der Pharmaindustrie zurückgeht). Zu den männlichen Funktionsstörungen zählen vor allem

• Erektionsstörungen (ca. 19% der 30- bis 80-Jährigen, davon ca. 8% behandlungsbedürftig, nimmt mit Alter zu)

• Orgasmusstörungen (35–40% vorzeitig, 1–10% Orgasmushemmung, nicht altersabhängig)

• Appetenzstörungen (12–15%).

 

Bei den weiblichen Funktionsstörungen werden häufig genannt:

• Appentenzstörungen (30–40%, umfasst Mangel/Verlust an sexuellem Verlangen und auch sexuelle Aversion)

• Erregungsstörungen (4–77%, altersabhängig)

• Orgasmusstörungen (5–25%)

• Vaginismus und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dispareunie, 10–15%).

Die teils stark schwankenden Zahlen stammen aus unterschiedlichen Studien, die mit unterschiedlichen Messmethoden erhoben wurden – verdeutlichen aber dadurch auch die noch bestehenden Unsicherheiten auf dem Gebiet. 

Noch zu nennen ist, 

• dass es bei diesen Problembereichen immer auch graduelle Abstufungen gibt

• dass für beide Geschlechter zu gelten scheint, dass Appetenzstörungen, d. h. mangelnde Lust auf die Lust, zunehmend häufiger genannt werden. Sie können sich als Erektionsstörungen tarnen bzw. werden durch Einsatz von Pharmaka „demaskiert“

• dass ein Ausbleiben des Orgasmus beim Koitus noch keine Orgasmusstörung darstellt

• dass eine deutliche Diskrepanz zwischen Behandlungsbedarf und Inanspruchnahme besteht – aufgrund Hemmung seitens des Patienten, aufgrund Unterschätzung und mangelnder Kenntnis seitens der Behandelnden: das „84%-Problem“.

 

Sexualität bei Narkolepsie
Gibt es sexuelle Problembereiche, die bei Narkolepsie gehäuft oder speziell auftreten?

Bislang gibt es dazu kaum Untersuchungen und Veröffentlichungen. Karacan (1992) nennt, mit – männlichen – Fallbeispielen unterlegt:

• Libidoverlust aufgrund von Müdigkeit

• Kataplexie bei Erregung

• arzneimittelinduzierte sexuelle Dysfunktion (v. a. durch Antidepressiva)

• Nebenwirkung aufgrund von Diabetes mellitus (bei Narkolepsie gehäuft)

Ein Fallbeispiel:
Neben den durch starke emotionale Erregung auch im sexuellen Bereich auslösbaren Kataplexien ist das „alltägliche“ sexuelle Erleben vor allem durch die erhöhte Tagesschläfrigkeit in Mitleidenschaft gezogen. Karacan schildert dazu Herrn H. (73 Jahre), der berentet ist und seit vielen Jahren unter erhöhter Tagesmüdigkeit leidet. Diese Schläfrigkeit, die in ähnlichen Formen auch bei Patienten mit Schlafapnoe oder Hypersomnie auftreten kann, geht mit einer reduzierten Aktivierbarkeit des autonomen Nervensystems einher. Somit wird sowohl die Libido als auch die körperliche Erregbarkeit reduziert, und im weiteren Kontext natürlich bereits das Interesse an sozialen Kontakten per se herabgesetzt.

Auch wenn umfassende Studien fehlen, das große Interesse an einem Workshop auf der Herbsttagung der DNG spiegelte die Wichtigkeit des Themas wider. Den Teilnehmern sei an dieser Stelle für die offene und rege Beteiligung gedankt! Mitunter fiel in den Diskussionen die Abgrenzung zu allgemein verbreiteten Störungen im Bereich der Sexualität etwas schwer, aber einige Beschwerden wurden sehr offensichtlich von mehreren Teilnehmern geteilt. Sehr aufgeschlossen sind viele der Bitte nach freier Meinungsäußerung (schriftlich auf Karten) zur Sexualität bei Narkolepsie nachgekommen. Im Folgenden sollen die Anzahl der Nennungen zu verschiedenen Problembereichen, soweit eindeutig zuzuordnen, kurz dargestellt werden (Mehrfachzählungen; die Symbole repräsentieren das Geschlecht des jeweiligen Verfassers; es hatten mehr Frauen Stellung genommen).

 

Unlust und mangelnde Erregungsfähigkeit stellen sowohl aus Sicht der Betroffenen als auch der Partner die stärkste Beeinträchtigung dar („Müdigkeit wird immer als Missachtung oder Desinteresse interpretiert“). Vereinzelt wurde das Vermeiden von näheren Kontakten aufgrund von Beziehungsängsten sogar als noch gravierender erlebt. Der eine oder andere Teilnehmer schilderte nur mäßige Beeinträchtigungen, jedoch kann es auch bis zum vollständigen Erliegen der Sexualität in einer Partnerschaft aufgrund der Narkolepsie, im schlimmsten Fall zur Trennung kommen. „Nimm’s nicht persönlich – kann sein, dass ich einschlafe“ ist nicht für jeden Partner eine erträgliche Situation.

Ein abgesprochener und gut geplanter Zeitpunkt („am besten morgens – am besten abends“), oder aber auch absolute Spontaneität kann ein Gelingen des Kontaktes fördern, auch bei Patienten, die schwer betroffen sind. Eine Kommunikation über die erlebten Symptome und die individuellen Vorstellungen beider Seiten steht jedoch an erster Stelle. Mitunter mag ein humorvoller Zugang zu dem Thema („Du hast eine umwerfende Wirkung“) etwas Verkrampftheit aus der Situation nehmen …

Neben den Antidepressiva können auch einige Stimulanzien die sexuelle Erregbarkeit (sowohl die Libido als auch die körperliche Fähigkeit) deutlich reduzieren, bei Frauen wie bei Männern. Auch dies ein Punkt, bei dem (neben einem Gespräch mit dem behandelnden Arzt) eine genauere „Planung“ in Bezug auf Einnahme der Medikamente ein erfüllteres Sexualleben ermöglichen kann. Hinzu kommt noch das Thema der zuverlässigen Verhütung, da einige Medikamente den Abbau und die Wirkung anderer Medikamente beeinträchtigen können. Durch die Einnahme von Modafinil kann so die Wirkung oraler Verhütungsmittel (Anti-Baby-Pille) beeinträchtigt werden. Sowohl der behandelnde Schlafmediziner als auch der Gynäkologe sollten dazu zu Rate gezogen werden.

Definition sexueller Gesundheit nach der WHO 2002:

• Sexuelle Gesundheit bezeichnet einen Zustand von physischem, emotionalem, geistigem und sozialem Wohlergehen im Zusammenhang mit Sexualität; es ist nicht nur das Fehlen von Krankheit, Dysfunktion oder Schwäche. 

• Sexuelle Gesundheit basiert auf einer positiven und respektvollen Grundhaltung gegenüber Sexualität und sexuellen Beziehungen wie auch auf der Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, ohne Zwang, Diskriminierung und Gewalt.

• Um sexuelle Gesundheit zu erlangen und zu erhalten, müssen die sexuellen Rechte aller Personen respektiert, geschützt und erfüllt werden.

Oder, kurz gefasst:

… die eigene Sexualität ins Leben integrieren

… Lust daraus gewinnen

… wer will, kann sich fortpflanzen

Schlaf festigt das Gedächtnis

Prof. Dr. med. Jan Born

Der Schlaf erfüllt viele unterschiedliche Funktionen für den Organismus. Die Verfestigung, d. h. die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten, könnte aber eine der wichtigsten Funktionen des Schlafs darstellen. Dafür sprechen neurowissenschaftliche Studien der letzten Jahre. Außerdem kann der Einfluss des Schlafs auf das Gedächtnis möglicherweise eines der wichtigsten Charakteristika des Schlafs erklären, nämlich dass wir im Schlaf das Bewusstsein verlieren. Es scheint so zu sein, dass das Gehirn nicht gleichzeitig Information aufnehmen und diese Information im Langzeitgedächtnis einspeichern kann. Da die akute Verarbeitung von Informationen und deren Abspeicherung im Gehirn in denselben neuronalen Netzwerken stattfinden, beide aber miteinander unvereinbare Prozesse sind, findet die eigentliche Einspeicherung der Information in das Langzeitgedächtnis zu einer Zeit statt, in der das Gehirn keine Informationen aufnehmen muss bzw. kann – im Schlaf.

Die Vermutung, dass der Schlaf das Gedächtnis fördert, besteht bereits sehr lange, allerdings ergaben sich entscheidende Fortschritte bei der Erforschung dieses Zusammenhangs erst, seit die Psychologie ein besseres Verständnis der Gedächtnisbildung ermöglicht hatte. Grundsätzlich sind im Rahmen der Gedächtnisbildung drei Phasen zu unterscheiden. Die erste dieser Phasen, die „Enkodierung“, bezieht sich auf den anfänglichen Lernprozess, die eigentliche Aufnahme der Information, die dazu führt, dass eine erste, aber noch sehr labile Repräsentation der aufgenommenen Information in den neuronalen Netzwerken des Gehirns entsteht. Der Enkodierung folgt die Phase der Konsolidierung. Da die frisch enkodierten Gedächtnisspuren sehr zerbrechlich sind und leicht zerfallen, wird die entsprechende Information schnell vergessen. Längerfristiges Behalten erfordert daher einen Vorgang, der die Gedächtnisspur verfestigt. Diese Verfestigung geht wahrscheinlich gleichzeitig mit einer Integration und Vernetzung der neu aufgenommenen Inhalte mit bereits im Langzeitgedächtnis gespeicherten Informationen einher. Das Konsolidieren und Behalten der Gedächtnisinhalte ermöglicht schließlich den dritten Teilprozess des Gedächtnisses, das Erinnern bzw. den Abruf des gespeicherten Materials. Erst nach der klaren experimentellen Trennung dieser Gedächtnisprozesse konnte überhaupt gezeigt werden, dass der Schlaf einen Einfluss auf die Konsolidierung von frisch aufgenommenen Gedächtnisinhalten ausübt. Was tagsüber aufgenommen und erlernt wird, wird längerfristig behalten, wenn nach dem Lernen geschlafen wird. Wir haben dies etwa in einer jüngeren Studie sehr schön demonstrieren können, in der Schüler zwischen 16 und 18 Jahren Vokabeln lernten und diese zwei Tage später wiedergaben. Bei der Abfrage waren die Schüler dann am besten, wenn sie die Vokabeln abends gelernt hatten und in der darauf folgenden Nacht schliefen. Deutlich schlechter waren die Schüler, wenn sie morgens gelernt hatten oder wenn sie in der ersten Nacht nach dem abendlichen Lernen wach geblieben waren (anschließend aber tagsüber und in der darauf folgenden Nacht geschlafen hatten). Offensichtlich fördert der Schlaf die Gedächtniskonsolidierung insbesondere dann, wenn er relativ bald nach dem Lernen auftritt. Die Rolle des Schlafs als Förderer der Gedächtniskonsolidierung schließt selbstverständlich nicht seine allgemeine Erholungsfunktion, die er auch auf Hirnfunktionen ausübt, aus. Zu wenig Schlaf führt zu Konzentrationsmängeln und damit auch zu schlechteren Lern- und Erinnerungsleistungen. 

 

Schlaf fördert die Gedächtnisbildung in unterschiedlichen Gedächtnissystemen
In der Neuropsychologie unterscheidet man zwischen verschiedenen Gedächtnissysteme, die in unterschiedlichen Hirnstrukturen lokalisiert sind. Die bereits angesprochenen Vokabeln werden im so genannten deklarativen Gedächtnissystem abgespeichert, welches für das Behalten von Fakten (Wissensgedächtnis) und die Erinnerung an Episoden (z. B. an eine bestimmte Geburtstagsparty) verantwortlich ist und insbesondere den im Inneren des Schläfenlappens des Großhirns lokalisierten Hippocampus benötigt. Ein zweites wichtiges Gedächtnissystem ist das so genannte prozedurale Gedächtnis, an dem in erster Linie neuronale Netzwerke in der Hirnrinde und im Striatum beteiligt sind und das für die Abspeicherung von sensorischen und motorischen Fertigkeiten wie z. B. Fahrradfahren, Krawattebinden oder Schminken essentiell ist, die man vor allem durch wiederholtes Üben erlernt und sich einprägt. Schlaf fördert nicht nur die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten im deklarativen Gedächtnissystem, sondern auch im prozeduralen Gedächtnis. Trainieren beispielsweise Teilnehmer an einem Experiment am Tag vor einer regulären nächtlichen Schlafperiode, so schnell und genau wie möglich eine bestimmte Reihenfolge von Tasten auf einer Computertastatur zu drücken, so können sie das bei einer Abruftestung, die Tage später stattfindet, in der Regel nicht nur ebenso gut wie am Ende der anfänglichen Trainingsperiode, sondern sind noch etwas besser. Diese Leistungsverbesserung, die gleichsam einen latenten, während des Behaltensintervalls stattfindenden Lernprozess widerspiegelt, tritt aber nur dann auf, wenn die Probanden in der Nacht nach dem Training schlafen. Vergleichbare durch Schlaf induzierte Leistungsverbesserungen lassen sich auch im deklarativen Gedächtnissystem nachweisen. Wir haben beispielsweise zeigen können, dass Probanden nach einer Schlafperiode bestimmte Arten von Problemlöseaufgaben besser lösen können als nach entsprechenden Wachperioden. Dabei handelt es sich um eine Wirkung des Schlafs auf die Gedächtnisbildung, weil der Schlaf die Einsicht in die Lösung des Problems nur dann verbessert, wenn die Probanden sich bereits vor der Schlafphase mit dem Problem beschäftigt hat, d. h., wenn in den neuronalen Netzen des Gehirns eine entsprechende Repräsentation der Aufgabenstellung angelegt worden ist, auf die der Schlaf dann einwirken kann.

Die Befunde, dass Schlaf zu einer substantiellen Verbesserung von zuvor trainierten motorischen Fertigkeiten führt und die Fähigkeit zur Einsicht in die versteckten Strukturen eines Problems erhöht, machen eines deutlich: Der im Schlaf ablaufende Konsolidierungsprozess führt nicht einfach zu einer Verstärkung der entsprechenden Gedächtnisspuren, sondern darüber hinaus zu einer Reorganisation der entsprechenden Gedächtnisrepräsentationen. In der Tat zeigen Studien unter Verwendung so genannter bildgebender Verfahren wie der funktionellen Kernspintomografie, dass der Schlaf zur teilweisen Verlagerung der Gedächtnisinhalte in andere neuronale Netzwerke führt, so dass die entsprechenden neuronalen Gedächtnisspuren sich durch den Schlaf in andere Hirnregionen verlagern können. Diese Befunde lassen sich dadurch erklären, dass die Konsolidierung des Gedächtnisses im Schlaf kein passives „Einschleifen“ frisch erlernter Inhalte darstellt, sondern ein aktiver Prozess ist, der auf einer Art unterschwelligen Reaktivierung („replay“) der frisch gelernten Gedächtnisinhalte beruht, die während des Schlafes im Gehirn abläuft. Diese Reaktivierung bleibt unterschwellig, weil sie nicht mit entsprechendem Erleben verbunden ist und auch nicht, wie häufig vermutet wird, mit Träumen einhergeht. Die im Schlaf beobachtbaren Gedächtnisreaktivierungen beschränken sich in der Tat auf neuronale Erregungsmuster, die im Schlaf in genau derselben Form ablaufen, wie man sie im Wachzustand in der vorausgehenden Lernphase beobachtet hat. 

Deltaschlaf festigt deklarative Gedächtnisinhalte, REM-Schlaf prozedurale und emotionale Inhalte
Die Kernstadien des Schlafes sind der REM-Schlaf (REM – „rapid eye movement“), der mit Träumen assoziiert ist, und der Deltaschlaf (auch Tiefschlaf oder „slow wave sleep“ genannt). Während landläufig angenommen wird, dass frische Gedächtnisinhalte vor allem im REM- oder Traumschlaf erneut verarbeitet werden, zeigen neuere Arbeiten, dass beide Kernschlafstadien an der Konsolidierung von Gedächtnisinhalten mitwirken, dabei jedoch unterschiedliche Funktionen erfüllen. Gedächtnisinhalte wie gelernte Vokabeln und bewusste Erlebnisse des Vortages, die im deklarativen Gedächtnissystem abgespeichert werden, profitieren insbesondere, wenn auch nicht ausschließlich, vom Deltaschlaf, der den frühen Teil des nächtlichen Schlafs dominiert. Demgegenüber profitieren Inhalte, die nicht im deklarativen System abgespeichert werden, wie etwa prozedurale motorische Fertigkeiten, aber auch die an bestimmte Erlebnisse gekoppelten Emotionen, vor allem vom REM-Schlaf. REM-Schlaf führt beispielsweise dazu, dass Probanden aversive Bilder von Unfällen, die ihnen schon einmal präsentiert worden sind, als verstärkt aversiv empfinden, ein Befund übrigens, der der von Sigmund Freud angenommenen kathartischen, also reinigenden Wirkung des Traumschlafes widerspricht. Eher muss angenommen werden, dass ein dauerhaftes „Vergessen“ traumatischer Erlebnisse durch den Entzug von Schlaf und REM-Schlaf erreicht werden kann. 

Da der Schlaf Gedächtnisinhalte verfestigt, führen Störungen des Schlafs zu entsprechenden Einschränkungen der Gedächtnisbildung. Patienten mit Insomnie zeigen einen verminderten Deltaschlaf. Entsprechend wurde in ersten Studien mit diesen Patienten eine verschlechterte Konsolidierung deklarativer Gedächtnisinhalte beobachtet. Auch mit zunehmendem Alter beobachtet man eine deutliche Abnahme vor allem des Deltaschlafs, die bereits im mittleren Lebensalter von 50 Jahren deutlich wird. Vergleiche von jungen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren mit solchen über 50 Jahren zeigen, dass das Ausmaß der Konsolidierung deklarativer Gedächtnisinhalte im Schlaf ganz eng mit der regulären Ausprägung des Deltaschlafs verknüpft ist – dies kann als weiterer Beleg für die förderliche Wirkung ausreichenden Schlafs auf Gedächtnisfunktionen aufgefasst werden. In den allermeisten der hier vorgestellten Studien wurde die Konsolidierungswirkung nur einer einzigen nächtlichen Schlafperiode untersucht. Umso relevanter sind diese Befunde für die Gedächtnisfunktion des Schlafes angesichts der Tatsache, dass der Mensch jede Nacht schläft. 

Quellen:

Backhaus J, Junghanns K, Born J, Hohaus K, Faasch F, Hohagen F (2006) Impaired declarative memory consolidation during sleep in patients with primary insomnia. Biol Psychiatry 27: Epub ahead of print. 

Born J, Rasch B, Gais S (2006) Sleep to remember. Neuroscientist, 12:410-24. 

Gais S, Lucas B, Born J (2006) Sleep after learning aids memory recall. Learn Mem 13:259-62. Wagner U, Gais S, Haider H, Verleger R, Born J (2004) Sleep inspires insight. Nature 427:352-355. 

Fischer S, Hallschmid M, Elsner AL, Born J (2002) Sleep forms memory for finger skills. Proc Natl Acad Sci USA 99(18):11987-11991.