Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2008

Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2008


Liebe Leserin, lieber Leser,

unser Schlafzimmer ist eine Oase des Friedens, des vollkommenen Entspanntseins. Oder etwa nicht? Leider verhält es sich oft ganz anders. Die Angst vorm Schlafengehen hat ihre Gründe, denn der Schlaf will sich oft nicht einstellen, verweigert sich einem, und man kämpft buchstäblich um ihn. Wie kriegt man das nur hin, gut zu schlafen? Unser erster Beitrag liefert ein paar interessante Tipps.

Über die richtige Matratze wird viel diskutiert. Doch was ist eigentlich mit dem Kissen? Ist nicht gerade dieses für das Wohlbefinden zumindest beim Einschlafen verantwortlich? Wie abhängig wir vom Kissen sind, merken wir meistens im Hotelzimmer, wenn wir nicht das gewohnte Kissen im Arm halten oder unter dem Kopf spüren. Wichtige Fragen rund um dieses Thema beantwortet Marcus Mannsdörfer, dessen Bettengeschäft als „Bestes Bettenfachgeschäft Deutschlands 2008“ nominiert wurde.

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Immer mehr Menschen leiden im Alter unter einer Pumpschwäche des Herzens, einer Herzinsuffizienz. Oft geht diese Erkrankung mit der Cheyne-Stokes-Atmung einher, einer Sonderform der zentralen Schlafapnoe. Dieses noch nicht so lange bekannte Problem zeigt, wie eng Schlafmedizin und Kardiologie miteinander verzahnt sind. Und so arbeiten auch immer mehr Schlafmediziner und Kardiologen eng zusammen. Seit einiger Zeit sorgt neben der Cheyne-Stokes-Atmung auch noch ein anderes Problem bei vielen Schlafapnoe-Patienten für Verunsicherung: die so genannte komplexe Schlafapnoe. Viele Patienten mit einer obstruktiven Schlafapnoe (OSA), die mit CPAP-Geräten therapiert werden und vom Phänomen der komplexen Schlafapnoe gehört haben, bekommen es mit der Angst zu tun, weil sie meinen, dass auch bei ihnen eine komplexe Schlafapnoe auftreten könnte. Warum solche Ängste fast immer unbegründet sind, können Sie ebenfalls in dieser Ausgabe lesen. Und wir werden auch in den kommenden Heften immer wieder über aktuelle Forschungsergebnisse zu diesem Thema berichten. 

Johann Häcker ist tot. Das Team des Schlafmagazins hat diesen oft schwierigen Streiter für die Verbesserung der Diagnostik und Therapie des Schlafapnoe-Syndroms schon lange ins Herz geschlossen. Die Nachricht von seinem plötzlichen Tod hat uns sehr traurig gemacht. Nahezu zeitgleich mit seinem Tod wurde auch das Ende seines Fachverbands (BFS) eingeläutet mit dem Ziel, mit dem GSD zu verschmelzen. Und das ist nun eine wirklich gute Nachricht, denn nur gemeinsames Wirken macht stark und kann die Anliegen der Selbsthilfe in Sachen Schlafapnoe durchsetzen helfen. 

Ihre

Dr. Magda Antonic

Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2008

Foto: © AVAVA/Fotolia.com
Inhalt

Das Schlafzimmer: Raum seligen Schlummerns oder Liegestatt höllischer Qualen?    

Betrachtungen über das Kissen    

Kaufen Sie das passende Kissen!    

Herzinsuffizienz und zentrale Schlafapnoe – ein häufiges Problem

Herzinfarkt – keine „Managerkrankheit“    

Schlafapnoe verschlimmert Asthma    

Eine Annäherung an das Verhältnis zum Schlaf    

Die Frühjahrsmüdigkeit    

Schlafmangel gefährdet besonders Frauen   

Arbeiten, wenn andere frei haben   

Schlaf beschert Regensburg die Welterbe-Urkunde   

Essenszeiten verstellen die „innere Uhr“    

Die beste Ernährung für Herz und Kreislauf    

Was ist dran an Melatonin?

Johann Häcker ist tot    

Wer war Johann Häcker?    

Die Zukunft unserer Schlafmedizin    

Energie-Gähnen    

Wissenschaftler im Kampf gegen den Sekundenschlaf    

Gründung der ersten Selbsthilfegruppe in Tschechien   

BFS und GSD vor endgültiger Vereinigung    

Herzinsuffizienz und zentrale Schlafapnoe – ein häufiges Problem

Immer mehr Menschen leiden unter einer Pumpschwäche des Herzens (Herzinsuffizienz). Oft geht diese Erkrankung mit einer Sonderform der zentralen Schlafapnoe, der Cheyne-Stokes-Atmung, einher. Dieses noch gar nicht so lange bekannte Problem, an dem zur Zeit eifrig geforscht wird, zeigt wieder einmal, wie eng Schlafmedizin und Kardiologie miteinander verzahnt sind.

Marion Zerbst 

Die Herzinsuffizienz ist leider immer mehr im Vormarsch begriffen. Die Gründe: Dank rasanter medizinischer Fortschritte werden wir immer älter und Risikofaktoren wie Übergewicht oder das Rauchen nehmen in der Bevölkerung immer noch zu. 

Wie kommt es zur Herzinsuffizienz?
Dank moderner Medizintechnik überleben immer mehr Menschen einen Herzinfarkt. Die durch ein Blutgerinnsel verstopfte Herzkranzarterie kann im Herzkatheterlabor wieder eröffnet und aufgeweitet sowie durch eine Art Gefäßprothese (Stent) offen gehalten werden. Wird bei einem Herzinfarkt nicht schnell genug eingegriffen, können während eines Herzinfarkts allerdings größere Areale des Herzmuskelgewebes absterben. Das Blutgerinnsel im Herzkranzgefäß schneidet Teile des Herzmuskels von der Blutversorgung und damit vom lebenswichtigen Sauerstoff ab. Dieses Muskelgewebe beginnt bereits nach 30 bis 45 Minuten abzusterben und ist dann unwiederbringlich verloren: Überlebt der Patient den Herzinfarkt, so vernarbt das abgestorbene Gewebe und kann sich anschließend nicht mehr wie das vorherige gesunde Muskelgewebe zusammenziehen. Das Herz ist in seiner Pumpfunktion gestört. Eine andere relativ häufige – vermeidbare – Ursache der Herzinsuffizienz ist ein nicht rechtzeitig erkannter, unbehandelter oder nicht richtig eingestellter Bluthochdruck. Denn dann muss das Herz jahrelang, oft jahrzehntelang gegen einen zu hohen Druck anpumpen. Irgendwann schafft es das nicht mehr und macht schlapp. Auch Herzklappenfehler und Herzrhythmusstörungen können zu einer Pumpschwäche des Herzens führen, ebenso verschleppte Virusinfekte. Im ersten Anfangsstadium bereitet sie keine Beschwerden, da Herz und Kreislauf das Problem noch ausgleichen können. Erst später treten Atemnot (v. a. bei Belastung und im Liegen), Reizhusten, eingeschränkte Leistungsfähigkeit und Wassereinlagerungen in der Lunge, den Knöcheln und Unterschenkeln auf.Die Herzinsuffizienz hat eine sehr schlechte Prognose: Mit der Zeit verschlechtert sie sich immer mehr, bis im Endstadium nur noch eine Herztransplantation hilft. Behandelt wird die Pumpschwäche u. a. mit Medikamenten (entwässernden Mitteln, Betablockern etc.) und Einschränkung der Flüssigkeits- und Salzaufnahme sowie Behandlung der Ursachen bzw. Risikofaktoren. Ferner ist es möglich, dem geschwächten Herzen durch einen Schrittmacher auf die Sprünge zu helfen. Es zeichnet sich jedoch ab, dass trotz dieser Therapiemöglichkeiten für viele Herzinsuffizienz-Patienten noch nicht die optimale Lösung gefunden ist, und man sucht daher nach neuen Wegen. 

Herz und Schlaf: eng miteinander verzahnt
Zum Glück öffnen sich die Kardiologen immer mehr der Erkenntnis, dass schlafbezogene Atmungsstörungen und Herzerkrankungen eng miteinander zusammenhängen. Bereits seit längerem ist durch große Studien erwiesen, dass eine unbehandelte obstruktive Schlafapnoe (OSA) die Entstehung von Bluthochdruck und Arteriosklerose begünstigt und somit das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko erhöht. Seit einiger Zeit weiß man auch, dass die OSA die Entwicklung von Herzrhythmusstörungen und einer Herzinsuffizienz begünstigt: Denn das Herz muss gegen den bei den nächtlichen Atemstillständen entstehenden enormen Unterdruck im Brustraum anpumpen und wird dadurch ständig belastet. Zusätzlich kommt es jede Nacht zu Sauerstoffmangelzuständen, vielen Stress- und Aufwachreaktionen sowie zu gestörtem Schlaf. Durch eine adäquate CPAP-Therapie kann man all diesen Herz-Kreislauf-Problemen vorbeugen und sie oft auch wieder bessern, sollte die Schlafapnoe bereits zu Schäden am Herz-Kreislauf-System geführt haben. Eine Herzinsuffizienz geht häufig mit einer spezifischen Form der zentralen Schlafapnoe einher: der Cheyne-Stokes-Atmung, benannt nach ihren beiden Entdeckern, den Ärzten John Cheyne und William Stokes. Dabei handelt es sich um ein periodisches An- und Abschwellen der Atemtiefe und Atemfrequenz (Häufigkeit der Atemzüge). Die Atemzüge werden nach und nach immer flacher, bis es schließlich zu einer Atempause (Apnoe) kommt. Dann setzt die Atmung wieder ein, und Atemfrequenz und Atemtiefe nehmen allmählich zu, bis eine kurze Weckreaktion (Arousal) eintritt. Anschließend geht das Ganze wieder von vorne los.Ursache dieses Problems ist eine Regulationsstörung des Atemzentrums im Gehirn, die nicht nur bei Herzinsuffizienz, sondern auch nach einem Schlaganfall häufig auftreten kann. Im Gegensatz zum typischen obstruktiven Schlafapnoiker „sägen“ Cheyne-Stokes-Patienten nachts keine Bäume ab; deshalb wird dieses krankhafte Atemmuster nicht so leicht entdeckt. Auch ihre Tagesmüdigkeit ist weniger ausgeprägt als bei OSA und fällt weniger auf, weil Herzinsuffizienz-Patienten ohnehin in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind und ihren Mittagsschlaf brauchen. Im Rahmen einer Polygrafie (ambulante Atmungsaufzeichnung) kann man die Cheyne-Stokes-Atmung jedoch entdecken. 

Schlechte Lebensqualität, kürzere Lebenserwartung
Herzinsuffiziente Patienten, die an diesem Atemmuster leiden, haben nicht nur eine schlechtere Lebensqualität, sondern auch eine kürzere Lebenserwartung als Menschen mit Herzinsuffizienz ohne Cheyne-Stokes-Atmung. Neue Untersuchungen deuten aber darauf hin, dass eine adäquate Behandlung dieser Atemstörung auch die Überlebenszeit der Patienten verlängern kann. Eine große kanadische Studie, die CANPAP-Studie, hat gezeigt, dass eine CPAP-Therapie keine geeignete  Behandlung für diese Form der zentralen Schlafapnoe ist. Besser geeignet ist eine relativ neu entwickelte Beatmungstherapie, die adaptive Servoventilation, die sich genau an den an- und abschwellenden Atemrhythmus des Patienten anpasst und ihm in jeder Situation die passende Atmungsunterstützung gibt. Mittlerweile sind mehrere Beatmungsgeräte zur Behandlung der Cheyne-Stokes-Atmung auf dem Markt. Die Firma ResMed hat mit ihrem Gerät, Auto Set CS 2, bereits gute Ergebnisse erzielt, sodass sie jetzt eine groß angelegte Studie mit dem Auto Set CS 2 durchführt: Die SERVE HF-Studie (das Kürzel HF steht für heart failure = Herzinsuffizienz) will anhand von 1260 herzinsuffizienten Patienten mit Cheyne-Stokes-Atmung u.a. untersuchen, ob Patienten, die mit Auto Set CS 2 behandelt werden, seltener aufgrund einer Verschlechterung ihrer Herzinsuffizienz versterben oder ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Das Innovative an dieser Studie: Schlafmediziner und Kardiologen, die bisher häufig unter Berührungsängsten litten, werden dabei eng zusammenarbeiten – denn anders geht es bei diesem Krankheitsbild nicht. Erste Ergebnisse dieser Studie, die Anfang dieses Jahres mit zwei großen Kick-off-Meetings in Berlin und München startete, werden voraussichtlich im Jahr 2012 vorliegen und könnten die Therapie der Herzinsuffizienz maßgeblich verändern. Wir werden in der nächsten Ausgabe des Schlafmagazins (Mai 2008) ausführlich über das Problem von Herzinsuffizienz und Cheyne-Stokes-Atmung und natürlich auch über die geplante Studie berichten.

Komplexe Schlafapnoe und Cheyne-Stokes-Atmung – zweierlei Schuh
Seit einiger Zeit sorgt neben der Cheyne-Stokes-Atmung auch noch ein anderes Problem bei vielen Schlafapnoe-Patienten für Verunsicherung: die so genannte komplexe Schlafapnoe. Wir berichteten in der Ausgabe 1/2007 in einem Artikel von Prof. Helmut Teschler über diese Sonderform der Schlafapnoe, bei der Patienten, die unbehandelt an einer obstruktiven Schlafapnoe leiden, unter einer CPAP-Therapie zentrale Apnoen entwickeln.Viele OSA-Patienten, die mit CPAP therapiert werden und vom Phänomen der komplexen Schlafapnoe gehört haben, bekommen jetzt Angst, weil sie meinen, dass dieses Problem – womöglich unbemerkt – auch bei ihnen auftreten könnte. Solche Ängste sind jedoch fast immer unbegründet. Denn erfahrungsgemäß entwickeln nur weniger als 5% aller mit CPAP behandelten OSA-Patienten diese Atmungsstörung. Zusätzlich verschwindet das Problem häufig bei etwa der Hälfte der Patienten einige Wochen nach Einleitung der CPAP-Therapie von allein wieder. Außerdem zeigen sich diese zentralen Apnoen normalerweise bereits in der Therapieeinleitungsnacht, sodass das Schlaflabor-Team Gegenmaßnahmen ergreifen kann, indem es die betreffenden Patienten engmaschig beobachtet und gegebenenfalls auf eine andere Form der nächtlichen Beatmung umstellt. Prof. Teschler beschäftigt sich zur Zeit intensiv mit diesem Problem und Möglichkeiten seiner Behandlung; wir werden über den neuesten Stand seiner Forschungsarbeit berichten. Noch eine zweite Sorge, die manche Schlafapnoe-Patienten quält, ist unbegründet: nämlich dass die zentralen Atemstillstände, die bei einer komplexen Schlafapnoe auftreten, mit der Cheyne-Stokes-Atmung herzinsuffizienter Patienten identisch sein könnten – oder dass gar die Gefahr besteht, durch CPAP könne man eine Herzinsuffizienz entwickeln. Genau das Gegenteil ist der Fall: Durch den Therapiedruck beseitigt das CPAP-Gerät den Unterdruck, der ja sonst durch die Atemstillstände im Brustkorb entstehen würde. Das Herz muss sich nicht mehr gegen diesen Unterdruck zusammenziehen, wird also durch die CPAP-Beatmung entlastet und nicht belastet. Ferner haben die zentralen Apnoen bei der komplexen Schlafapnoe nichts mit dem an- und abschwellenden Atemmuster bei der Cheyne-Stokes-Atmung in Verbindung mit einer Herzinsuffizienz zu tun. Bisher gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die zentralen Apnoen bei einer komplexen Schlafapnoe „gefährlich“ sind. Man weiß gar nicht, ob sie überhaupt behandelt werden müssen – und wenn ja, wie. Auch hierzu gibt es momentan noch keine gesicherten wissenschaftlichen Ergebnisse, aber es wird intensiv darüber geforscht, u. a. im Rahmen der Studie von Prof. Teschler. Wir sehen also spannenden Zeiten entgegen und werden Sie über alle neuen Erkenntnisse auf dem Laufenden halten.

Neue Erkenntnisse über Melatonin


Was ist dran an dem „Wunderhormon“?

Melatonin werden zahlreiche positive Wirkungen zugeschrieben – so soll es beispielsweise den Schlaf fördern, den Schlaf-wach-Rhythmus synchronisieren, das Immunsystem stärken und vor Krebs schützen. Neueste Erkenntnisse über das Hormon untermauern zumindest einige dieser hoffnungsvollen Hypothesen. 

Annemarie Döring

Das „Schlafhormon“ Melatonin wird in der Zirbeldrüse (Epiphyse), einer etwa erbsengroßen Drüse im Zwischenhirn, gebildet, und zwar fast ausschließlich nachts. Seine Aufgaben im menschlichen Organismus sind noch längst nicht alle erforscht; es scheint aber ein wichtiges Hormon zu sein: Immerhin besteht die Zirbeldrüse zu 80% aus Melatonin produzierenden Zellen.Schon 1958 entdeckte und beschrieb der amerikanische Hautarzt Dr. Aaron Lerner die chemische Struktur des Melatonins, nahm in einem Selbstversuch 100 mg des Hormons ein und stellte fest, dass er daraufhin müde wurde. Vor allem in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurde das Melatonin dann näher erforscht, und man stellte fest, dass es u. a. das Immunsystem stärkt, das Tumorwachstum hemmt und die aggressiven, zellschädigenden Sauerstoffradikale unschädlich macht. So machte das Hormon in den Medien als Jungbrunnen und Wundermittel gegen alle möglichen Alterungserscheinungen und altersbedingten Erkrankungen Furore. Auch heute noch beschaffen viele Menschen sich das Hormon (das bei uns nicht auf dem Markt erhältlich ist) aus dem Internet und nehmen es regelmäßig ein in der Hoffnung, dadurch besser zu schlafen, fit, aktiv, jung und attraktiv zu bleiben – denn auch gegen die Hautalterung soll es helfen.Was ist dran an dem „Wunderhormon“ Melatonin?Nach wie vor sind viele seiner Wirkungen noch nicht ausreichend erforscht. Man weiß, dass die Melatoninsekretion durch den im Hypothalamus (einem Teil des Zwischenhirns) gelegenen Nucleus suprachiasmaticus, den Sitz unserer „inneren Uhr“, gesteuert wird, und zwar in Abhängigkeit von der Umgebungshelligkeit. Diese wird durch Lichtrezeptoren in der Netzhaut gemessen, die die aufgenommenen Hell-dunkel-Informationen dann an den Nucleus suprachiasmaticus weiterleiten. In den frühen Abendstunden steigt die Melatoninsekretion in der Zirbeldrüse als Reaktion auf die zunehmende Dunkelheit steil an, erreicht zwischen zwei und drei Uhr nachts ihren Höhepunkt und fällt in den frühen Morgenstunden bis in die Nähe der Nachweisgrenze ab, wo sie den ganzen Tag über bleibt. 

Warum Melatonin müde macht
Der abendliche Melatoninanstieg führt zu einer Erweiterung der peripheren Blutgefäße, die als Einschlafsignal wirkt. Darüber hinaus besitzt Melatonin die Fähigkeit, in alle Zellen unseres Körpers einzudringen und diesen die Information „Dunkelheit“ bzw. „Nacht“ zu vermitteln. Man vermutet, dass es auf diese Weise wie der Taktstock eines biologischen Orchesters nicht nur Schlaf und Wachsein koordiniert, sondern darüber hinaus zur Synchronisation sämtlicher Organe und Organsysteme beiträgt: Es gibt ihnen das Signal, sich auf die Aufgaben und Funktionen, die sie zum jeweiligen Zeitpunkt zu erfüllen haben, einzustellen. Melatonin sorgt also dafür, dass unser Organismus nicht „aus dem Takt“ gerät. 

Alzheimer-Krankheit durch Melatoninmangel?
Leider verkalkt die Zirbeldrüse im Lauf unseres Lebens und bildet mit zunehmendem Alter immer weniger Melatonin – vielleicht einer der Gründe dafür, warum ältere Menschen weniger gut schlafen und anfälliger für verschiedene Erkrankungen werden. Erwiesen ist bislang allerdings nur eine Korrelation zwischen Melatonindefizit, Verringerung des REM-Schlaf-(Traumschlaf)-Anteils und Alzheimer-Demenz: In einer Studie untersuchten Wissenschaftler bei 279 Patienten mit Alzheimer-Krankheit, anderen Demenz-Formen, leichter kognitiver Beeinträchtigung oder Depressionen sowie bei 37 gesunden Probanden mittels Computertomogafie den Grad der Verkalkung der Zirbeldrüse. Dabei stellten sie fest, dass Alzheimer-Patienten viel weniger unverkalktes Zirbeldrüsengewebe besaßen als die gesunden Probanden und als die Patienten mit anderen Demenzformen, Depressionen oder kognitiver Beeinträchtigung. Die Alzheimer-Demenz ist die bisher einzige Erkrankung, bei der nachweislich ein REM-Schlafdefizit vorliegt. 

Melatonineinnahme – ja oder nein?
Doch was eine Einnahme von Melatonin eigentlich in unserem Organismus bewirkt, darüber wissen wir nach wie vor viel zu wenig. Zwar sind sich die meisten Wissenschaftler darüber einig, dass das Hormon einen gestörten Schlaf positiv beeinflussen kann – aber wie und warum, darüber tappen wir nach wie vor im Dunkeln. Man weiß bis jetzt nur, dass Melatonin bei Menschen, die zu wenig REM-Schlaf haben, den REM-Schlaf-Anteil normalisieren kann. Außerdem ist das Hormon ein Chronobiotikum: Das heißt, es ist in der Lage, einen aus dem Takt geratenen Schlaf-wach-Rhythmus wieder zu synchronisieren. Allerdings empfehlen Mediziner die Einnahme von Melatonin zum jetzigen Zeitpunkt nicht, weil die Datenlage zur Dosierung und zur Indikation (d. h. zu den Krankheitsbildern bzw. Schlafstörungen, gegen die das Hormon helfen könnte) bislang noch viel zu unsicher ist: Man weiß schlicht und einfach immer noch zu wenig über das geheimnisvolle Schlafhormon, und daher bezeichnen Ärzte es als leichtsinnig, sich die Tabletten einfach aus dem Internet zu besorgen und sie „einzuwerfen“ in der Hoffnung, dadurch ewig jung zu bleiben oder besser schlafen zu können. Wenn überhaupt, sollte Melatonin nur unter strikter ärztlicher Kontrolle genommen werden – nicht zuletzt deshalb, weil auch der Einnahmezeitpunkt eine wichtige Rolle für die Wirkung spielt. Beim Schichtarbeitersyndrom, so weiß man inzwischen, liegt der ideale Zeitpunkt für die Einnahme zwischen 21 und 23 Uhr abends. Zur Resynchronisation eines durch Schichtarbeit aus dem Takt geratenen Schlaf-wach-Rhythmus scheinen Dosierungen zwischen 3 und 10 mg erforderlich zu sein; Genaues weiß man allerdings auch hierüber noch nicht. Sobald die erwünschte synchronisierende Wirkung eingetreten ist, kann man das Melatonin nach dem derzeitigen Kenntnisstand wieder absetzen; der Effekt sollte trotzdem weiterhin anhalten.Wichtig ist es, Melatonin immer zum gleichen Zeitpunkt einzunehmen. Und genau das machen viele Menschen falsch: Sie nehmen das Hormon eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen ein in der Hoffnung, besser schlafen zu können; und da die meisten Leute abends nicht immer zur selben Zeit schlafen gehen, variiert auch der Zeitpunkt ihrer Melatonineinnahme sehr stark. Das ist neuen Erkenntnissen zufolge kontraproduktiv, denn damit kann man genau den entgegengesetzten Effekt erzielen und Störungen des Schlaf-wach-Rhythmus erzeugen, die den Symptomen eines Schichtarbeiter-Syndroms ähneln. 

Melatonin – doch keine Wunderdroge?
Das Hormonpräparat Melatonin soll Schlafstörungen bessern und daher auch helfen, mit Jetlag-Problemen besser zurechtzukommen. Viele Vielflieger beschaffen sich das Präparat aus dem Internet, um nach einem Langstreckenflug am Ankunftsort gleich wieder „fit wie ein Turnschuh“ zu sein. Wir haben Experten von der Pilotengewerkschaft „Vereinigung Cockpit“ gefragt, ob das Hormonpräparat, das den Schlaf-wach-Rhythmus wieder synchronisieren soll, nicht auch für Piloten und andere Menschen, die berufsbedingt häufig weite Strecken fliegen müssen, eine sinnvolle Alternative sein könnte. „Wir gehen davon aus, dass es Kollegen gibt, die Melatonin nehmen, aber wir können nicht sagen, wie viele es sind“, meint Flugkapitän Andreas Keller. „Ich habe es selber ausprobiert und kann meine Erfahrungen damit auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Bitte lasst die Finger davon.“ Warum? „Erstens kennen wir die Nebenwirkungen nicht – noch nicht. Melatonin ist ein Hormonpräparat, das dem Körper in hundertfacher Überdosis zugeführt wird, und bisher konnte in keiner verfügbaren Langzeitstudie beobachtet werden, was es tatsächlich an Nebenwirkungen mit sich bringt. Es bewirkt bei denjenigen, die es einnehmen, ganz verschiedene Resultate – die einen werden dadurch ein bisschen fitter, die anderen kommen etwas schneller wieder in die Zeitzone vor Ort herein.“ Doch ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass der Körper dieses Hormon ja nicht über den ganzen Tag ausschüttet, sondern nur zu bestimmten Zeitpunkten. „Physiologen sagen: Melatonin muss man zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt nehmen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Tut man dies nicht, so kann es genau in das Gegenteil umschlagen. Und da kein Mensch ständig seine Körpertemperatur misst, auch niemand genau weiß, wann und wo in seinem Körper welcher Zyklus abläuft, und wir außerdem verschiedenste Körperzyklen haben, die unterschiedlich asynchron zur Umgebung laufen können, weiß keiner genau, wann er nun eigentlich Melatonin nehmen müsste. Daher kann ich eigentlich nur einen Rat geben: Lasst es bleiben!“ Ein weiteres Problem: Melatonin ist auf dem Markt nicht immer eindeutig in einer definierten Dosierung und auch nicht unbedingt in der entsprechenden Reinheit verfügbar. Hinzu kommt, dass Piloten im Allgemeinen zu wenig schlafmedizinische Vorbildung haben, um solche Selbstversuche bei sich durchzuführen. Dies gilt auch für Manager und sonstige „Vielflieger“.