Das Schlafmagazin: Ausgabe 3/2012

Das Schlafmagazin: Ausgabe 3/2012


Liebe Leserin, lieber Leser,

wir scheinen weniger guten Zeiten entgegen zu steuern. Geld wird knapp. Internationale Banken haben durch ihre Investmentbanker Milliarden verspielt,  einige EU-Mitgliedstaaten haben sich selbst in die Pleite getrieben. Doch die Großen lässt man oft laufen (heißt: da werden milliardenschwere „Rettungsschirme“ aufgespannt), die Kleinen hängt man. Beispielsweise die Patienten. Obwohl die Krankenkassen Milliarden bunkern, wird an den Patienten gespart. Eine der Vorzeigekassen, die Techniker Krankenkasse, der ihre Versicherten bislang wichtig waren, hat aktuell eine Idee aufgegriffen, an denen einige AOK-Kassen im Osten bereits gescheitert sind. Die TK hat die Versorgung von Schlafapnoepatienten ausgeschrieben. Versicherte einer „Ausschreibungskasse“ werden, so erbrachte eine aktuelle Studie, die im Dezember auf dem DGSM-Kongress vorgestellt wird, eindeutig schlechter versorgt. Sie sind mit ihrem Gerät deutlich unzufriedener, Restmüdigkeit am Tag und Abbruchrate der Therapie sind dramatisch hoch. Lesen Sie unseren Beitrag auf Seite 38. 

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Eingespart soll künftig auch an der Sicherheit im Flugverkehr werden. Man will europaweit die Dienstzeiten der Verkehrspiloten hochsetzen. Die Amerikaner tun gerade das Gegenteil, nachdem sie herausgefunden haben, das müde Piloten manche Maschinen ins Verderben steuern. Es geht um Globalisierung, um den höchstmöglichen Profit. Auch dort, wo Lärm die Menschen bis aufs äußerste strapaziert, in der Nachbarschaft von Airports, an Bahnstrecken und Autobahnen. Doch kluge Richter weisen die Manager, denen das Wohlbefinden der Menschen gleichgültig ist, wenn es um die Chance auf Gewinnsteigerung geht, immer wieder in die Schranken. Wir sprachen über die Arbeitszeiten der Piloten mit dem Vorstandssprecher der Vereinigung Cockpit.

Und schließlich geht es in dieser Ausgabe des Schlafmagazins ums Übergewicht, unter dem unsere Gesellschaft immer heftiger leidet. Die angeblich so gesunden Snacks und Drinks sind Kalorienbomben und alles andere als Gesundmacher, wie die Werbung uns ungestraft weismachen darf. Wem weder Diät noch guter Wille hilft, der kann seine neue Schlankheit auch bei den Chirurgen finden. Lesen Sie auf den folgenden Seiten alles über die aktuellen Möglichkeiten der Adipositaschirurgie.

Zuletzt eine kleine Neuerung. Smartphones sind in der Lage, QR-Codes (englisch: Quick Response, „schnelle Antwort“) zu scannen, sodass man ohne mühsames Abtippen der Internetadresse blitzschnell eine bestimmte Website finden kann. Wenn Sie den jeweiligen QR-Code bei einzelnen Beiträgen einscannen, gelangen Sie zu ergänzenden Texten, Adressen, Terminen auf unserer Website.

Ich wünsche Ihnen eine informative Lektüre und einen erholsamen Sommer

Ihre

Dr. Magda Antonic

Das Schlafmagazin: Ausgabe 3/2012

Foto:Foto: ©Radian-Alexandru / ScanStockPhoto
Inhalt

6 Operationen für Übergewichtige: Das Skalpell – Wunderwaffe gegen Adipositas?

9 Diabetes kehrt nach Magen-OP bei jedem Fünften zurück

10 So überlisten Sie den Jo-Jo-Effekt

12 Kurzfristige Diäten bringen nicht viel

14 Wie überwinde ich meinen „inneren Schweinehund“?

18 Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen: Nicht auf die leichte Schulter nehmen!

22 Die Thevo-Liste weist den Weg: Sterne für den erholsamen Schlaf 

24 point 2 – ein aussergewöhnliches CPAP aus dem Hause Hoffrichter 

25 Leben zwischen Lenkrad und Ladefläche

28 Wenn Piloten zu lange im Cockpit sitzen: Flug in den Tod

33 Todmüde

34 Ein neues Buch für RLS-Patienten: „Leben mit unruhigen Beinen“ 

36 Gesundheitskiller Lärm: Stört den Schlaf und schadet Herz und Kreislauf

38 Es wird eng für Schlafapnoe-Patienten! TK hat die Ausschreibung entdeckt

40 Reise ans Ende der Nacht

42 Mit dem richtigen Schlafsack auf ins Abenteuer

45 Ein „Kleid“ für das Atemtherapiegerät

46 Ein Baumhaus zum Träumen: das ErlebNest

50 Leiser Druckatmungsgenerator für Heimbeatmung von Obesitas- und COPD-Patienten 

Operationen für Übergewichtige


Das Skalpell – Wunderwaffe gegen Adipositas?

Werner Waldmann

Mehr als eine Million Menschen in Deutschland gilt als stark übergewichtig. Und viele von ihnen leiden an Typ-2-Diabetes. Konservative Behandlungsverfahren wie Ernährungsumstellung und mehr Bewegung bringen solchen Patienten nichts und der Diabetes lässt sich mit Insulin oder oralen Antidiabetika ebenfalls nicht heilen. „Die Adipositaschirurgie ist bei Patienten mit einem Body-Mass-Index (BMI) größer 40 bzw. bei Diabetes mellitus Typ 2 und BMI größer 35 eine evidenzbasierte und weltweit anerkannte Therapie zur anhaltenden und deutlichen Gewichtsreduktion“, so der Experte Prof. Dr. Tobias Lohmann, Chefarzt am Städtischen Krankenhaus Dresden-Neustadt. 

Die einfachste und für den Patienten am wenigsten belastende Methode zur Magenverkleinerung ist das Magenband. Dabei wird per „Schlüsselloch-Chirurgie“ ein verstellbares Band um den oberen Teil des Magens geschlungen. Dadurch entsteht oberhalb des Bandes eine kleine Magentasche, während der größere Magenanteil sich unterhalb des Bandes befindet. Durch diese künstliche Verengung gelangt die Nahrung nur langsam in den größeren Magenteil. Da die kleine obere Magentasche schon nach ein paar Bissen gefüllt ist, entsteht sehr rasch ein Sättigungsgefühl. Nimmt man mehr Nahrung zu sich, so stellt sich ein unangenehmes Druckgefühl im Oberbauch ein. 

Je nachdem, wie schnell und in welchem Ausmaß der Abnehm­erfolg eintreten soll, kann man das Band enger oder weiter stellen. Das funktioniert über eine Art Ventil, das unter die Haut implantiert wird und durch einen Schlauch mit dem Magenband verbunden ist. Über dieses Ventil kann die innen liegende Seite des Magenbandes entweder mit Flüssigkeit befüllt oder Flüssigkeit daraus abgelassen werden – so lässt sich das Magenband verstellen. 

Eine weitere Möglichkeit der Gewichtsreduktion besteht darin, einen Kunststoffballon in den Magen einzusetzen. Dies geschieht im Rahmen einer Magenspiegelung. Der Ballon wird nach der Platzierung im Magen mit einem halben bis dreiviertel Liter steriler Kochsalzlösung befüllt und führt durch sein Volumen zu einem raschen Sättigungsgefühl. Allerdings kann er nur etwa sechs Monate lang im Magen verbleiben, weil er durch die Magensäure zu sehr angegriffen wird. Nach einem halben Jahr muss bei Bedarf ein neuer Ballon eingesetzt werden. 

Die Vorteile dieser beiden Verfahren bestehen darin, dass man sie wieder rückgängig machen kann, indem man das Band bzw. den Ballon einfach entfernt.

Es gibt auch noch eine neuere Methode, bei der der Magen elektrisch stimuliert wird, was sich positiv auf den Zuckerstoffwechsel und das Sättigungsgefühl auswirken soll. Der Erfolg dieses „Magenschrittmachers“  ist jedoch noch nicht erwiesen, sodass diese Methode im Augenblick nur im Rahmen klinischer Studien eingesetzt wird. 

Abnehmen durch „Umleitung“ im Bauchraum

Bei allen anderen Verfahren wird die Anatomie im Bauchraum stärker verändert. Sie sind für die Patienten belastender, führen aber dafür auch zu besseren Abnehmerfolgen. 

Häufig kommt das Magenbypassverfahren zum Einsatz, das sowohl minimalinvasiv im Rahmen einer Bauchspiegelung als auch in einer offenen Operation durchgeführt werden kann. Dabei trennt der Operateur den Magen durch eine Naht in zwei Teile – eine kleine Magentasche und den großen Restmagen, der verschlossen wird. Da die Magentasche nur wenig Nahrung aufnehmen kann, stellt sich auch bei diesem Verfahren ein rasches Sättigungsgefühl ein, und es können nur geringe Nahrungsmengen aufgenommen werden. Im Gegensatz zum Magenband gibt es beim Magenbypass aber auch noch einen zusätzlichen Effekt, der für schnelles und nachhaltiges Abnehmen sorgt: Der Dünndarm wird im Rahmen der Magenbypass-Operation nämlich so umgeleitet, dass die aufgenommene Nahrung und die Verdauungssäfte sich erst im mittleren Dünndarm miteinander vermengen. Dadurch wird ein Großteil der aufgenommenen Nährstoffe und Kalorien nicht verdaut, sondern mit dem Stuhl wieder ausgeschieden. 

Weniger Hunger durch Schlauchmagen

Beim Schlauchmagenverfahren wird der größte Teil des Magens operativ entfernt, sodass nur noch ein schmaler, bananenförmiger Rest übrig bleibt. Wegoperiert wird gerade der Teil des Magens, der die Hormone bildet, die das Hungergefühl erzeugen. Mit einem Schlauchmagen kann man daher nicht nur sehr viel weniger Nahrung aufnehmen, sondern hat auch weniger Hunger. 

Ein noch radikaleres Verfahren – die biliopankreatische Diversion – kombiniert die Schlauchmagen- und die Bypassmethode miteinander: Dabei wird ein so großer Teil des Magens entfernt, dass nur noch ein kleiner Magenrest übrig bleibt. Dieser Restmagen wird mit dem unteren Dünndarm verbunden – die „um­gangene“ Dünndarmstrecke ist also noch größer als beim Magenbypass, mit dem Ergebnis, dass noch weniger Fette und Kohlenhydrate vom Körper aufgenommen werden können. Dieses Verfahren bringt die besten Abnehmerfolge, ist aber mit höheren Risiken und postoperativen Komplikationen verbunden. Daher kommt diese Methode nur für Patienten mit extremem Übergewicht infrage. 

Es gibt auch noch eine andere Variante dieses Verfahrens, die biliopankreatische Diversion mit Duodenal-Switch: Dabei wird statt des kurzen Restmagenstücks ein länglicher Magenschlauch gebildet, was den Vorteil hat, dass der Magenausgangsmuskel erhalten bleibt. Auf diese Weise strömt der Speisebrei nicht so rasch aus dem Magen in den Dünndarm ein – das macht ihn besser verträglich. 

Was verscheucht Diabetes?

Durch solche operativen Eingriffe lässt sich nicht nur das Gewicht drastisch reduzieren; auch übergewichtsbedingte Begleiterkrankungen können gebessert, in vielen Fällen sogar geheilt werden. So bessert sich beispielsweise bei Diabetikern die Stoffwechsellage innerhalb von Tagen.

Der Forscher Tony K. T. Laman (Universität Toronto, Kanada) geht von einem Regelkreis zwischen oberem Dünndarm, Leber und Gehirn aus. Der Messfühler dazu könnte im Jejunum sitzen, dem vom Zwölffingerdarm bis zum Krummdarm reichenden Abschnitt des Dünndarms. Laman spritzte Ratten Glukose oder Fettsäuren mit einem Katheter direkt in diesen Darmabschnitt; darauf sank der Blutzucker der Tiere – eine Erklärung dafür, warum Magen-Bypass-Operationen so erfolgreich sind: ­Gelangt der Nahrungsbrei vorzeitig in den Dünndarm, aktiviert dieser wohl den hypothetisch angenommenen Messfühler. Und so verbessert sich die metabolische Situation. 

Gewichtsabnahme hilft dem ganzen Körper

Auch die Blutfettwerte verbessern sich nach der Operation, der Blutdruck sinkt, und eine übergewichtsbedingte obstruktive Schlafapnoe kann sich teilweise oder völlig zurückbilden. All diese positiven Veränderungen führen zu einer verbesserten Herzfunktion. Auch der Bewegungs­apparat erwacht zu neuem Leben: Dadurch, dass der Druck der überzähligen Pfunde von Wirbelsäule und Gelenken genommen wird, verbessert sich die Beweglichkeit, was dann auch endlich wieder die Aufnahme eines effektiven körperlichen Trainingsprogramms möglich macht. Neuere Studien zeigen außerdem, dass auch das Krebsrisiko – insbesondere für Brustkrebs – durch adipositaschirurgische Eingriffe drastisch zurückgeht.

Risiken nicht unterschätzen!

Solche Operationen sind nicht unkompliziert, gerade weil die Patienten so stark übergewichtig sind und oft bereits an Herz-Kreislauf-Erkran-kungen leiden. Als Faustregel gilt, dass das Komplikations- und Sterberisiko bei den weniger invasiven Verfahren wie Magenband und Magenballon am geringsten ist und dann – je stärker die Operation in die Anatomie des Bauchraums eingreift – immer mehr ansteigt. Doch selbst wenn man das Sterblichkeitsrisiko aufgrund der Operation mit einrechnet, haben solche Eingriffe statistisch gesehen immer noch eine deutlich lebensverlängernde Wirkung, weil sich dadurch das Übergewicht und die damit verbundenen Begleiterkrankungen stark reduzieren lassen. 

Mit der Magenverkleinerung allein ist es noch nicht getan

Nach einer starken Gewichtsabnahme entstehen Hautüberschüsse. Solche Hautschürzen, wie sie sich vor allem an Brust, Bauch, Gesäß, Hüften, Oberschenkeln und Oberarmen bilden, sehen nicht nur unschön aus, sondern können auch zu gesundheitlichen Problemen führen. Solche Hautfalten lassen sich nur schwer sauber halten, und es bilden sich leicht Entzündungen und Ekzeme darin. Die Hautschürzen müssen daher operativ beseitigt werden. Oft sind dazu mehrere aufeinanderfolgende Eingriffe erforderlich.

Keine Wunderwaffe gegen Übergewicht!

Chirurgische Verfahren zur Gewichtsreduktion sind zwar von durchschlagenderem Erfolg gekrönt als „bloße“ Diäten und Bewegungsprogramme; sie bringen aber auch Risiken und Nachteile mit sich und erfordern eine grundlegende Ernährungsumstellung. Man kann also nicht einfach so weiterleben wie bisher und hoffen, dass das Magenband oder der Magenbypass es schon richten wird. Umfragen zufolge waren viele Patienten, die einen solchen Eingriff bei sich durchführen ließen, hinterher zwar mit ihrer Gewichtsabnahme zufrieden, bereuten die Operation aber dennoch, weil ihr Leben sich dadurch so einschneidend verändert hatte. Vor allem vor der Durchführung eines radikaleren Eingriffs, der sich nicht wieder rückgängig machen lässt, sollte man daher gründlich nachdenken, die Vor- und Nachteile genau gegeneinander abwägen und sich auch eingehend ärztlich beraten lassen. 

Vor allem aber sollte man so eine Operation in einer gut ausgestatteten Klinik, die eine umfassende Betreuung anbieten kann, durchführen lassen. Denn auch für die Adipositas­chirurgie gilt: Je mehr Erfahrung eine Klinik in der Durchführung der Eingriffe mitbringt, umso niedriger ist die Komplikations- und auch die Todesrate. Außerdem sollte an dem Zentrum ein Team aus erfahrenen Diabetologen, Chirurgen, Psychologen, Ernährungsberatern und Diätologen zur Verfügung stehen, weil der Patient vor und insbesondere nach der OP eine kompetente interdisziplinäre Betreuung braucht.

Nach der Operation ist eine mehr oder weniger drastische Ernährungsumstellung angesagt; außerdem müssen die Patienten (zumindest nach invasiveren Magenverkleinerungsverfahren) regelmäßig auf Mangelerscheinungen untersucht werden. Nährstoffe, die der durch den Eingriff veränderte Verdauungstrakt jetzt nicht mehr aufnehmen kann, müssen in Form von Nahrungsergänzungsmitteln (Kalzium, Vitamine und Spurenelemente) zugeführt werden. 

Psychotherapeuten müssen vor der Operation Essstörungen oder psychische Probleme als mögliche Ursache für das Übergewicht des Patienten ausschließen bzw. behandeln. Immerhin leiden rund 50 % aller stark übergewichtigen Patienten unter psychischen Störungen! Nach einem adipositaschirurgischen Eingriff hat ein Patient oft nicht nur körperlich, sondern auch psychisch mit der Umstellung seiner Verdauung und Ernährung zu kämpfen. Hier ist eine einfühlsame psychotherapeutische Betreuung unabdingbar. 

Diabetes kehrt nach Magen-OP bei jedem Fünften zurück

Vielleicht ist der optimistische Glaube, mit solchen Eingriffen gewissermaßen „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“ zu können, doch etwas voreilig. Eine US-amerikanische Langzeitstudie hat nämlich inzwischen gezeigt, dass der Diabetes bei einem Fünftel der Operierten nach drei bis fünf Jahren wieder auftritt. In einer rückblickenden Analyse untersuchten die Autoren dieser Studie Daten von Patienten, die sich im Zeitraum von 2000 bis 2007 in der Mayo Clinic Arizona/USA einer Magenbypass-Operation unterzogen hatten. Von 138 Patienten mit Diabetes mellitus wurden 72 mindestens drei Jahre lang nachbeobachtet. Von 66 Patienten, deren Diabetes nach der Operation verschwunden war, trat dieser bei 14 wieder auf: bei 5 nach zwei Jahren und bei jeweils 3 nach drei, vier und fünf Jahren. Je länger der Diabetes vor der Operation bestanden hatte, desto wahrscheinlicher war ein Wiederauftreten. Die Experten diskutierten deshalb unter anderem, früher zu operieren. Prof. Dr. h. c. Helmut Schatz, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, empfiehlt, zunächst die Ergebnisse bei größeren Patientenzahlen nach längeren Zeiträumen abzuwarten. Denn einerseits könne sich der Diabetes durch eine Operation zwar zurückbilden oder zumindest mehr oder weniger lange bessern. Dadurch könnten auch mögliche diabetische Folgekrankheiten wie Erblindungen, Nierenversagen, Herzinfarkte und Schlaganfälle vermindert oder sogar verhindert werden. Dies werden aber erst Langzeitstudien zeigen können, wobei das Überleben letztlich der härteste Parameter sein wird. Auf der anderen Seite stünden die nicht unerheblichen, kurz- und vor allem langfristigen Folgen einer nicht mehr rückgängig zu machenden Operation für den Diabetespatienten. Direkt nach der OP kann es zu einem Auseinanderweichen der Wundränder (Nahtinsuffizienz) im Operationsgebiet und zu Fisteln kommen. Als Folge der Gewichtsabnahme besteht ein erhöhtes Gallensteinrisiko. Zudem können Verwachsungen entstehen. Langfristig muss man auf Defizite im Vitamin- und Nährstoffhaushalt achten und diese ständig ausgleichen. Als wichtig hat sich außerdem ein stabiles soziales Umfeld erwiesen. Auch der operierte Patient sollte psychisch stabil sein.Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, 12. Juli 2012

 

Übergewicht: nur mit Konsequenz zu überwinden


So überlisten Sie den Jo-Jo-Effekt

Marion Zerbst

Es ist schwierig, überflüssige Pfunde loszuwerden. Noch schwerer aber scheint es zu sein, hinterher auch dauerhaft schlank zu bleiben: Nur rund 15 % aller Menschen schaffen es, eine erfolgreiche Gewichtsabnahme über mehrere Jahre zu halten. Die meisten nehmen bereits im darauffolgenden Jahr 30 bis 50 % ihres verlorenen Gewichts wieder zu, und nach drei bis fünf Jahren sind sie genauso übergewichtig wie vorher. 

Im Rahmen einer neuen Studie, der „Essen-Bochum Obesity Treatment Study“ (EBOTS), untersuchen deutsche Wissenschaftler über 500 stark übergewichtige (adipöse) Männer und Frauen, um herauszufinden, welche Faktoren für einen langfristigen Gewichtserhalt nach der Gewichtsabnahme wichtig sind.

Dabei wurden verschiedene Personengruppen unter die Lupe genommen: Über 250 Patienten nahmen ein Jahr lang an einem Gewichtsreduktionsprogramm teil, das neben einer Abnahmephase mit Formula-Diät (Optifast®) ein ausgewogenes Ernährungs- und Bewegungsverhalten förderte und entsprechende Verhaltensweisen in Gruppensitzungen unter psychologischer Anleitung besprach. Eine zweite Gruppe von 153 adipösen Männern und Frauen unterzog sich einem chirurgischen Eingriff und ließ sich ein Magenband legen. Als Kontrollgruppe dienten 128 adipöse bzw. 174 normalgewichtige Personen, die nicht an einer Gewichtsabnahme interessiert waren.

Die Studie zeigt, dass diejenigen Patienten, die sich einer chirurgischen Maßnahme unterzogen, sowohl kurzzeitig als auch im Langzeitverlauf den größten Erfolg hatten: Diese Patienten nahmen im ersten Jahr nach der Operation im Durchschnitt fast 37 kg ab; vier Jahre nach dem Eingriff lag ihre durchschnittliche Gewichtsabnahme immerhin noch bei 34,5 kg. Die Behandlungsgruppe, die mittels Formula-Diät plus Verhaltensänderung abgenommen hatte, erreichte im Jahr nach der Behandlung nur eine durchschnitt­liche Gewichtsreduktion von rund 18 kg; und nach vier Jahren war ihr durchschnittlicher Abnehmerfolg auf bloße 3,7 kg zusammengeschmolzen.

Viele Übergewichtige haben psychische Probleme

Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass stark übergewichtige Menschen häufiger unter psychischen Problemen (vor allem Depressionen, Angst- und Essstörungen) leiden. Zu der Frage, inwieweit solche Probleme sich auf den Gewichtsverlauf auswirken, gibt es unterschiedliche Ergebnisse. So weiß man beispielsweise, dass Depressionen und Verhaltensstörungen in Kindheit und Jugend das Risiko für die Entstehung von Übergewicht im Erwachsenenalter erhöhen. Für erwachsene Menschen ist dieser Zusammenhang allerdings nicht belegt. 

Auch die EBOTS-Studie ging der Frage nach der Auswirkung psychischer Störungen auf das Gewicht nach. Nach der bisherigen Datenanalyse wirkt sich die seelische Situation jedoch nur bei denjenigen Patienten auf den Gewichtsverlauf aus, die sich einer Operation zur Gewichtsreduktion unterzogen. Bei diesen Patienten verschlechterte eine Depression die Chance, das erreichte Gewicht auch langfristig zu halten. Woran das liegt, weiß man nicht genau; möglicherweise laufen depressive Menschen eher Gefahr, in ungesundes Essverhalten zu verfallen, oder es fällt ihnen schwerer, sich an die strengen Ernährungsregeln zu halten, die nach einem solchen Eingriff eingehalten werden müssen. Daher ist anzuraten, in diesen Fällen möglichst rasch therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen und nicht zu warten, bis das Gewicht wieder nach oben geklettert ist.

 Ein schwieriger, aber lohnender Weg

Was soll man nach den Ergebnissen dieser Studie denn nun tun, um sein Gewicht langfristig zu halten? Hier sind gleich mehrere Verhaltensweisen wichtig: Zunächst einmal muss man lernen, sich beim Essen zu kontrollieren. Zweitens darf man sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, sondern sollte die einmal erreichten Lebensstiländerungen ständig überprüfen, damit sie einem auch in „Fleisch und Blut“ übergehen. 

Wie man so etwas anstellt, bleibt jedem selbst überlassen; es gibt die verschiedensten Strategien dafür. Manche Leute tragen sich ihre Sporttermine in den Terminkalender ein, um auch wirklich daran zu denken und sich für diesen Zeitpunkt nichts anderes vorzunehmen. Wieder andere verabreden sich zum Joggen oder Schwimmen mit Freunden; denn erstens macht Sport vielen Menschen in der Gruppe mehr Spaß, und zweitens setzt man sich dadurch unter einen gewissen Zugzwang. Zu kontrolliertem Essverhalten gehört, niemals „nebenbei“ zu essen und Mahlzeiten oder Snacks nicht als Belohnung oder Trostpflaster bei Frust und Stimmungstiefs einzusetzen. Nachteilig wirkt sich auch ein Essverhalten aus, das sich an externen Reizen (beispielsweise Uhrzeiten oder Speisenangebot) orientiert. Stattdessen sollte man wieder lernen, auf die Signale seines Körpers (Hunger- bzw. Sättigungsgefühl) zu achten.

Ferner ist eine längerfristige Nachbetreuung vorteilhaft, um den veränderten Lebensstil zu festigen. Wer das Gefühl hat, es allein nicht zu schaffen, sollte sich also Hilfe holen. Grundsätzlich braucht man fürs Gewichtsma­nage­ment einen langen Atem: Adipositas muss als chronische Erkrankung begriffen werden, meint Dr. Tanja Legenbauer, eine der Projektleiterinnen der Studie. Man sollte seinem Gewicht permanent zu Leibe rücken – alle Anstrengungen nützen nichts, wenn die Patienten hinterher wieder in alte Gewohnheiten zurückfallen. Sein Gewicht zu halten, sei eher mit einem lebenslangen Marathon zu vergleichen und ­definitiv keine Kurzstrecke. 

Aber die Mühe lohnt sich – auch im Hinblick auf das seelische Wohlbefinden: Insbesondere bei den operierten Patienten, die stark abgenommen hatten, war ein und zwei Jahre nach dem chirurgischen 

Eingriff eine deutliche Besserung ihrer depressiven Symptomatik und Lebensqualität zu beobachten. Man fühlt sich also wohler, wenn man nicht mehr so viele überflüssige Pfunde mit sich herumschleppt.

Die ersten Jahre sind am schwersten

Auch andere Studien haben untersucht, wie Menschen es schaffen, ihr Wunschgewicht dauerhaft zu halten, und wie viel man denn überhaupt abnehmen sollte. Sie sind teilweise zu recht ähnlichen Ergebnissen gekommen wie die EBOTS-Studie.

Nicht jeder erreicht durch eine Gewichtsreduktion tatsächlich sein Wunschgewicht. Aber schon mit ein paar Kilo weniger kann man sein Risiko deutlich senken. So weiß man beispielsweise, dass übergewichtsbedingte Risiken und Erkrankungen sich bereits durch eine Gewichtsabnahme von mindestens 5 % des Ausgangsgewichts deutlich bessern lassen – natürlich nur, wenn man das erreichte Gewicht auch hält. 

Optimal wäre es allerdings, mindestens 10 kg abzuspecken: Denn die Erfahrung zeigt, dass Menschen, die weniger als 10 kg verlieren, ein höheres Risiko für eine erneute Gewichtszunahme haben. Außerdem ist die Gefahr einer erneuten Zunahme in den ersten Jahren nach der Gewichtsreduktion am höchsten. 

Wer es also schafft, sein Gewicht zwei oder drei Jahre lang zu halten, kann gelassen in die Zukunft schauen: Ihm wird das Gewichtsmanagement mit der Zeit immer leichter fallen. 

Kontrolliert essen – regelmäßig bewegen

In den USA wird seit 1994 ein großes Register über mehr als 10000 Personen geführt, die kräftig abgenommen und ihr Gewicht hinterher auch über einen langen Zeitraum gehalten haben. 

Wie haben diese Menschen das eigentlich geschafft? 

Einfach war es nicht: Sie haben sich fettarm ernährt, regelmäßig ihr Gewicht kontrolliert und sich viel bewegt. Nur durch bewusste Ernährung allein schafft es offenbar kaum jemand, dauerhaft abzunehmen. An der Spitze der sportlichen Aktivitäten steht zügiges Gehen oder Walken, gefolgt von Radfahren, Gewichtheben, Joggen, Aerobic und Treppensteigen. Im Vergleich dazu erhöhten Menschen, die nach einer Gewichtsabnahme erneut zunahmen, ihren Fettkonsum nach einer Weile wieder, begannen unkontrollierter zu essen und bewegten sich deutlich weniger. Das Erfolgsrezept ist also eigentlich ganz einfach – aber eben nicht immer leicht umzusetzen: Man muss „dranbleiben“!  

 

Kurzfristige Diäten bringen nicht viel

Wir fragten Dr. Tanja Legenbauer, was man nach den Erkenntnissen der EBOTS-Studie tun muss, um sein Gewicht dauerhaft zu halten.

An einer erneuten Gewichtszunahme ist häufig der Jo-Jo-Effekt schuld: Durch die Gewichtsreduktionsdiät hat sich der Energiebedarf des Körpers verringert. Isst man dann im Anschluss an eine Diät wieder „normal“, so nimmt man erneut zu – oft sogar noch mehr, als man durch die Diät abgenommen hatte. Wie kann man diesen Effekt überlisten?

Wichtig ist eine langfristige Umstellung des Essverhaltens. Der Jo-Jo-Effekt tritt insbesondere dann auf, wenn die Kalorienzahl sehr stark reduziert und nach einem kurzen Zeitraum dann wieder ganz normal gegessen wird. Aus diesem Grund sind die heutigen Diäten auch multimodal und langfristig angelegt. 

Dies bedeutet, dass neben der Ernährungsumstellung und -änderung auch das bisherige Essverhalten beleuchtet und ein gesundes Bewegungsverhalten aufgebaut sowie der Umgang mit Stress und anderen ungünstigen Verhaltensweisen betrachtet wird. 

Der Jo-Jo-Effekt kann also nur „überlistet“ werden, wenn es nicht um eine kurzfristige Diät geht, sondern tatsächlich um eine generelle „Lebensstiländerung“, welche sowohl die Ernährung als auch das Bewegungsverhalten umfasst. Ferner sollte jeder wissen, welche „Fallen“ dazu führen, dass sich bei ihm wieder ein ungünstiges Ernährungs- und/oder Bewegungsverhalten einschleicht.  

Sie empfehlen eine tägliche Gewichtskontrolle, um rechtzeitig gegensteuern zu können, wenn der Zeiger der Waage wieder nach oben schnellt. Ab welcher Gewichtszunahme soll man denn etwas unternehmen, und welche Maßnahmen sind sinnvoll?

So einfach ist das nicht zu sagen – prinzipiell kann das Gewicht ja bis zu zwei oder drei Kilo nach oben oder unten schwanken. Wichtig ist, dass ein stetiger Trend nach oben erkannt wird und man so möglicherweise sich erneut einschleichende Ernährungsfehler oder fehlende Bewegung erkennt und etwas dagegen tun kann. Zwei Kilo sind schneller abzunehmen als fünf Kilo. 

Prinzipiell geht es aber eher darum, dafür sensibilisiert zu werden, wenn sich wieder alte Gewohnheiten einschleichen. 

Wie schafft man es, den mannigfaltigen äußeren Reizen zu widerstehen und sich stattdessen an inneren Hungersignalen zu orientieren?

Bevor gegessen wird, sollten Betroffene zunächst einmal überprüfen, ob sie tatsächlich hungrig sind oder ob es eher Appetit oder etwas anderes ist, das zum „Zugreifen“ verleitet. Ein Beispiel: Ich gehe vom U-Bahnhof nach Hause und komme an einer Bäckerei vorbei. Es riecht unglaublich lecker, und ich kaufe mir ein Stückchen, obwohl ich gleich zu Hause bin und mir dort ein gesundes Abendbrot zubereiten könnte. Hier geht es also darum, nicht in die Bäckerei zu gehen, sondern zu überlegen, was in mir den Impuls ausgelöst hat, das Stückchen zu kaufen. Statt diesem Impuls nachzugeben, sollte man sich dann bessere Alternativen überlegen (zu Hause essen, denn das ist ausgewogener) oder sich bewusst machen, warum gerade jetzt das Verlangen nach Essen entstanden ist: Vielleicht hat man den ganzen Tag nichts Richtiges gegessen und ist daher jetzt ausgehungert. Das ist möglicherweise eine „alte“ Verhaltensweise, die sich wegen Stress im Job wieder eingeschlichen hat. Die Konsequenz daraus wäre, in Zukunft wieder regelmäßiger und ausreichend zu essen.

Wenn Piloten zu lange im Cockpit sitzen


Flug in den Tod

Werner Waldmann

Dem Fahrer eines Trucks oder Omnibusses werden strenge Fahrzeitbegrenzungen auferlegt. Täglich darf der Fahrer nur 9 Stunden am Steuer sitzen, maximal zweimal in der Woche bis zu 10 Stunden. Nach 4,5 Stunden am Lenkrad ist eine Pause von 45 Minuten fällig. Die Polizei überprüft die Lenk- und Ruhezeiten mit Argusaugen. Werden sie überschritten, drohen Bußgelder. Vorschriften, wie lange ein Pilot am Steuer seines Airliners sitzen darf, gibt es ebenfalls, doch diese Reglements ähneln eher einem Kaugummi: Sie lassen sich je nach ökonomischen Interessen in die Länge ziehen. In der Luft zählt offenbar weniger die Sicherheit, sondern Wirtschaftlichkeit. Piloten sind teuer, jedenfalls teurer als die Fahrer von LKWs oder Omnibussen. 

Ein Auto oder Flugzeug zu steuern, erfordert hohe Konzentration. Doch leider ist auch sehr viel Monotonie dabei: Man starrt auf die Straße vor sich, man starrt in den Himmel und auf die Instrumente. Berufskraftfahrern ebenso wie Berufspiloten droht daher eine nicht zu unterschätzende Gefahr: Schläfrigkeit, Erschöpfung, Fatigue. Und dieser Zustand kann zum kurzzeitigen Einnicken führen, wenn man dem Schlafbedürfnis nicht rechtzeitig nachgibt. 

Unfallstatistiken gehen davon aus, dass rund 6 % aller tödlichen Verkehrsunfälle auf das Konto des Sekundenschlafs gehen. Nachweisen lässt sich dies nur selten, und so liegt der tatsächliche Anteil höchstwahrscheinlich weit höher. Ein Verkehrsunfall wegen Übermüdung kann für den Kraftfahrer weitreichende Konsequenzen haben. Man weiß, dass ein gesunder Mensch nicht einfach einnickt, ohne zuvor Anzeichen seiner Müdigkeit wahrgenommen zu haben. Passiert ein Unfall mit Personenschaden, bei dem nachweislich Übermüdung des Fahrers im Spiel war, so ist das eine fahrlässige Handlung und kann bestraft werden. Die Straßenverkehrsordnung bestimmt, dass nur derjenige ein Fahrzeug lenken darf, der sich in einer körper­lichen und psychischen Verfassung befindet, in der er sein Fahrzeug beherrscht.

Müdigkeit in deutschen Cockpits?

Der Berufsverband der deutschen Piloten führte im Herbst 2011 eine Umfrage durch. 37 % der Piloten gaben dabei an, während eines Fluges schon einmal ungewollt eingeschlafen zu sein. 93 % gestanden, dass ihnen aus Übermüdung schon einmal ein Fehler im Cockpit unterlaufen sei. Und 14 % gaben anonym zu, aufgrund von Übermüdung schon einmal tatsächlich in einen sicherheitskritischen Vorfall verwickelt gewesen zu sein.

Unsere gute alte Lufthansa, Deutschlands Vorzeige-Airline, hat immer auf ihre Sicherheitsstandards geachtet, ihre Piloten sorgfältig ausgewählt, akribisch geschult, zwischendurch immer wieder überprüft und sie auch zeitlich nicht überstrapaziert. Seit Anfang der 1990er-Jahre fliegt man bei der Lufthansa weit­gehend nach den alten, damals in Deutschland gültigen Gesetzen. Diese ließen auch teilweise Härten zu. Heute gelten europaweit jedoch deutlich schlechtere Bedingungen, die aber bei der Lufthansa infolge eines unveränderten Tarifvertrags nicht wirklich zur Anwendung kommen.

Doch unsere Welt ist inzwischen globalisiert. Und das bedeutet: Die Konkurrenz schläft nicht und bietet Flüge zu Schnäppchenpreisen an. Sicherheit ist teuer. Billig-Airlines verschenken nichts und wollen ebenfalls Gewinn einfahren. Deshalb müssen sie extrem sparsam wirtschaften. Und sie sparen eben leider nicht nur am Service, sondern quetschen auch ihr Cockpit-Personal bis zum Gehtnichtmehr aus. An Sicherheit denkt man dabei nicht, man spricht höchstens davon. Das wird so lange gut gehen, bis einmal ein Flieger vom Himmel fällt. 

Lufthansapilot Jörg Handwerg fliegt einen Airbus A 320. Er ist Pressesprecher des deutschen Berufsverbands der Piloten, der Vereinigung Cockpit. Dieser Verband kümmert sich um die berufs- und tarifpolitischen Fragen deutscher Verkehrspiloten. Handwerg kennt die Arbeitszeitbestimmungen seiner Kollegen genau. „Wir dürfen im Augenblick im Normalfall bis zu 13 Stunden pro Tag fliegen“, so Handwerg. „Allerdings darf die Airline zweimal in der Woche auch 14 Stunden Dienst verlangen. Darüber hinaus gibt es noch das Instrument des Kommandantenentscheids: Der Kommandant darf in begründeten Ausnahmefällen die maximale Arbeitszeit um zwei Stunden verlängern, jedoch nicht über 15 Stunden hinaus. “

Der Flugpassagier mag sich dabei wenig denken. Immerhin verdienen Piloten ziemlich gut, und dafür sollen sie auch etwas tun. Nur wird dabei leicht vergessen, dass Piloten zwar einen hochkomplexen Beruf mit hoher Verantwortung ausüben und extremem psychischen Stress ausgesetzt sind, jedoch leider auch nur Menschen sind – und Menschen sind nun einmal nicht unbegrenzt belastbar. Auch Piloten unterliegen einem Biorhythmus. Auch Piloten werden müde. Und das kann sehr schnell in einer Katastrophe enden. In den Unfallberichten wird dann von menschlichem Versagen gesprochen. Selten findet man darin aber ein Wort darüber, wo die Ursache für solches Versagen lag.

American-Airlines-Flug 1420

Am Abend des 1. Juni 1999 um 23.50 Uhr Ortszeit verunglückte der American-Airlines-Flug 1420 bei der Landung in Little Rock, Arkansas. Die McDonnell Douglas MD-82 schoss über die Landebahn hinaus, kollidierte mit Teilen der dahinter befindlichen Anflugnavigationsantennen, rutschte über ein angrenzendes Feldstück in ein leeres Flutbecken und krachte in die Anflugbefeuerung. Das Flugzeug fing sofort Feuer. Der Kapitän und zehn Passagiere wurden getötet, der Kopilot und 105 Fluggäste überlebten, zum Teil schwer verletzt. Der Journalist Tim van Beveren hat diesen Fall akribisch rekonstruiert.

Zwei Jahre später lag der Unfallbericht vor. Danach führte die Maschine  ihren Sinkflug, später den Anflug und auch die Landung durch, als eine schwere Gewitterfront durch Little Rock zog. Nach den Windverhältnissen am Boden hätte das Flugzeug gar nicht landen dürfen. Der Besatzung war diese prekäre Lage nicht verborgen geblieben. Sie hätte den völlig instabilen Anflug abbrechen müssen, tat es aber nicht. 

Offenbar waren die Piloten übermüdet. Der Flug von Texas hatte zwar nur eine Stunde und zehn Minuten gedauert. Doch der Unfall ereignete sich wenige Minuten vor Mitternacht, als die beiden Piloten bereits fast 14 Stunden Dienstzeit hinter sich hatten und länger als 16 Stunden auf den Beinen waren. Ihre mangelhaften Reaktionen zeigen, wie menschliches Verhalten durch Erschöpfung beeinträchtigt wird.

Müdigkeit lässt sich freilich auch 

in diesem Falle nicht nachweisen, höchstens vermuten. Der Cockpit-Voice-Recorder hatte 26 Minuten vor dem Aufsetzen der Maschine ein deutlich hörbares Gähnen der Piloten dokumentiert. Beide Piloten waren am Vorabend gegen 22 Uhr zu Bett gegangen und hatten bis etwa 7.30 Uhr am nächsten Morgen durchgeschlafen. Beide waren zum Zeitpunkt des Unfalls jedoch schon mehr als 

16 Stunden wach und befanden sich damit an der oberen Grenze der durchschnittlichen täglichen Wachphase.

Medizinisch-wissenschaftliche Langzeituntersuchungen haben gezeigt, dass die Sorgfalt bei der Ausübung einer Tätigkeit besonders dann nachlässt, wenn diese Wachphase verlängert wird. Piloten, die länger als 13 Stunden wach sind, begehen deutlich mehr Fehler als ihre Kollegen, die erst vor fünf Stunden aufgestanden sind. Der Unfallzeitpunkt um zehn Minuten vor Mitternacht lag fast zwei Stunden nach der Zeit, zu der die Piloten am Vorabend zu Bett gegangen waren, und außerhalb der normalen Schlafenszeit des Kapitäns zwischen 21.30 und 22 Uhr. Nach Ansicht von Medizinern und Psychologen bauten der Körper und die kognitiven Leistungen der Piloten besonders in der letzten Stunde des Flugeinsatzes erheblich ab.

Entscheidend ist nicht die effektive Flugzeit im Cockpit, sondern die Wachzeit, also die Zeitspanne, die seit dem Aufstehen vergangen ist – ein wichtiger Aspekt, der bei Diskussionen über Einsatzzeiten und Flugplanungen von den Managern der Airlines gegenüber Pilotenvertretungen und Gewerkschaften gerne vernachlässigt wird.

Höhere Flugdienstzeiten für Europa

Jedes EU-Land hat bis heute eigene ergänzende Regelungen zu den derzeit geltenden Bestimmungen. Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) ist nun dabei, neue Vorschriften für die Flugdienstzeiten für alle europäischen Staaten festzulegen. „Harmonisieren“ nennt sich dieser Prozess. Künftig sollen Piloten selbst nach Wachzeiten von 20 und mehr Stunden noch am Steuer ihres Flugzeugs sitzen!

„Dieser Gesetzesentwurf“, so Jörg Handwerg, „entspringt wirtschaftlichen Interessen der Airlines. Eine einheitliche Regelung in Europa ist an sich schon sinnvoll, denn was sollen wir mit unterschiedlichen Wettbewerbs- und Sicherheitsniveaus in den verschiedenen Ländern der EU? Für den Fluggast wäre es kaum nachvollziehbar, dass sich die Sicherheit in Frankreich von der in Deutschland unterscheidet. Wettbewerbsgründe sind jedoch das eigentliche Motiv für diese Harmonisierung.“

Seit Jahren ist bekannt, dass Piloten mit einem Schlafdefizit häufiger in Unfälle verwickelt sind als ihre „ausgeruhten“ Kollegen. Allerdings gab es lange keine repräsentativen statistischen Auswertungen, die dies beweisen konnten. Erst nach dem Unfall von American-Airlines-Flug 1420 in Little Rock untersuchte die US-Behörde alle schwerwiegenden Zwischenfälle mit planmäßigen Passagierflügen zwischen 1978 und 1999 genauer. „Seit Anfang der 1990er-Jahre ist man darauf gekommen, dass Übermüdung bei diesen Unfällen immer öfter eine Rolle spielt“, so Jörg Handwerg. „Seitdem schaut man bei Unfällen genauer hin und prüft, ob Müdigkeit ein Grund gewesen sein könnte. In den letzten zehn Jahren hat in den USA eine Reihe von Unfällen dazu geführt, dass man die Dienstzeitregeln für Piloten überarbeitet hat. Dabei orientierte man sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen, sodass die Regelungen jetzt in Teilen deutlich vernünftiger sind als in Europa, z. B. sind nachts nur 9 Stunden Dienstzeit erlaubt.“ 

Wann befindet sich ein Pilot im Dienst?

„Grundsätzlich beginnt die Arbeitszeit des Piloten mit den Vorbereitungen für den ersten Flug und endet nach dem Abstellen der Triebwerke des letzten Fluges“, erklärt Jörg Handwerg die Arbeitsrealität einer Cockpit-Crew. „Kommt es zu Verzögerungen des letzten Fluges und wird damit die Arbeitszeit ausgedehnt, so ist dies nur bis zu einer gewissen Grenze erlaubt. Überschreiten wir dieses Zeitlimit, so müssen wir entweder sagen: Wir können nicht mehr, und das Flugzeug muss stehen bleiben – mit allen Konsequenzen –, oder wir brauchen einen so genannten Kommandantenentscheid. Der Kapitän darf nach Befragen der Crew den Dienst noch einmal verlängern. Das kann durchaus vernünftige Gründe haben. Der Kommandantenentscheid soll eine Ausnahmeregelung sein, um unvorhergesehene Verspätungen zu korrigieren. Nehmen wir an, Sie fliegen in ein Land mit schlechter Sicherheitslage und haben ein technisches Problem, das gelöst werden muss. Bevor Sie nun dort mit der gesamten Crew ins Hotel gehen, kann der Kommandant entscheiden, den Dienst zu verlängern und wieder zum Ausgangsflughafen zurückzukehren.“

Doch die Piloten haben den Eindruck, dass der Flugplan von den Airlines dergestalt geplant wird, dass der Kommandantenentscheid wissentlich in Kauf genommen wird. „In den letzten Jahren“, so Handwerg, „mussten wir leider beobachten, dass dank Computerplanung unsere 

Arbeitszeiten immer enger an das Maximum des Zulässigen herangeplant werden. Das bedeutet, dass es heute so gut wie keine Zeitpuffer mehr gibt, die sich früher aus Unzulänglichkeiten der Planung heraus ergeben haben. Heute ist alles perfekt bis zum Limit durchorganisiert. Die Folge davon ist, dass es immer häufiger eines Kommandantenentscheids bedarf. Die Alternative wäre, einen Flug abzusagen, mit allen Folgen für unsere Gäste und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Nachteilen für das Unternehmen. Davor schrecken wir automatisch zurück. Doch damit wird der Kommandantenentscheid allmählich zur Routine.“

Der Gesetzgeber schreibt zwar vor, dass die letztendliche Entscheidung dem Kapitän obliegt. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Handwerg: „Wenn Piloten wegen Überschreiten der Dienstzeit oder Müdigkeit ein paarmal einen Flug abgesagt oder unterbrochen haben, dann kommt es vor, dass sie von ihrem Vorgesetzten schnell einmal gefragt werden, ob sie denn dauernd zu müde zum Fliegen oder ob sie überhaupt geeignet sind, diesen Beruf auszuüben; offenbar hält man der Belastung nicht stand. Anders gesagt: Es ist schlichtweg unrealistisch, dass ein Flug aus Müdigkeit oder Erschöpfung abgebrochen wird und zwischengelandet wird – auch wenn dies dem Gesetz nach zulässig wäre. Vor allem die finanziellen Konsequenzen sind enorm und entsprechend hoch der Druck weiterzufliegen.“

Auch Piloten unterliegen dem natürlichen Schlaf-wach-Rhythmus

Der biologische Schlaf-wach-Rhyth-mus eines Menschen wird von Zellen, die den Hirnstamm durchziehen (der Formatio reticularis), gesteuert. Sie regulieren Müdigkeit und Wachheit. Jede einzelne Körperzelle besitzt eine innere Uhr. Unser Organismus orientiert sich am periodischen Wechsel von Hell und Dunkel. Wenn man ­jedoch auf Langstreckenflügen die Zeitzonen wechselt, gerät diese Uhr ins Stolpern. Die Zeitverschiebung macht auch nach der Rückkehr die Erholung schwieriger. Doch auch auf Kurz- und Mittelstrecken spielt der Biorhythmus eine Rolle. Der Jetlag, auch Zeitzonenkater genannt, lässt sich nicht wegtrainieren. 

Das Gesetz berücksichtigt den Schlaf-wach-Rhythmus ja auch und gibt dem Arbeitgeber auf, „so zu planen, dass starke Wechsel und Übermüdung möglichst vermieden werden“. Doch man muss es realistisch sehen: Bei der Flugzeitenplanung geht man regelmäßig bis an die Grenzen, und da bedeutet schon eine kleine Zeitverschiebung, dass auf den Schlaf-wach-Rhythmus kaum mehr Rücksicht genommen wird.

Und wer garantiert den Piloten, dass sie auch im Hotel erholsam schlafen? „Gesetzlich ist das nicht zu regeln“, so Jörg Handwerg. „Die Airlines achten schon darauf, dass wir Hotels bekommen, die uns einen guten Schlaf ermöglichen. Wenn neben einem Hotel eine Baustelle eröffnet wird, drängen wir in der Regel darauf, möglichst schnell aus diesem Hotel auszuziehen. Es wäre fahrlässig, wenn man das ignorieren und sich sagen würde: Na ja, dann schlafen wir halt weniger gut.“ 

Und die Gesundheit?

Müdigkeit kann auch auf Krankheiten zurückgehen. Beispielsweise auf eine Schlafapnoe, die den Nachtschlaf stört und zu Tagesschläfrigkeit führt. Eigentlich müssten gerade Piloten regelmäßig sehr gründlich medizinisch untersucht werden, um eine Leistungsminderung infolge einer körperlichen Störung rechtzeitig erkennen und beheben zu können. Jörg Handwerg winkt ab: „Piloten werden nicht auf Schlafapnoe untersucht, außer man macht das privat, weil einem der Partner erzählt, dass man zu viel schnarcht. Doch das ist kein Bestandteil der fliegerärztlichen Untersuchung. Auch das Belastungs-EKG gibt es nur noch alle paar Jahre. Das alles ist sehr stark re­­duziert worden, wie ganz allgemein 

die Untersuchungen im fliegerischen Bereich immer weiter zurückgeschraubt werden. Die Anforderungen werden immer geringer. So wird heute auch eine Sehschwäche nicht mehr so rigoros bewertet wie früher. Es wird massiv gespart, und die fliegerärztliche Untersuchung ist heute bei weitem nicht mehr das, was sie vor 20 Jahren einmal war.

Wir sehen diese Entwicklung sehr kritisch, vor allem auch vor dem Hintergrund des jüngsten Trends, die Menschen länger arbeiten zu lassen. Wir hatten in diesem Jahr auch die Entscheidung auf europäischer Ebene, dass Kollegen nun – entgegen tarifvertraglichen Regelungen – auch mit über 60 Jahren noch fliegen dürfen. Gerade vor diesem Hintergrund halten wir es für sehr bedenklich, dass die fliegerärztlichen Untersuchungen immer weiter zurückgefahren werden. Das Gegenteil wäre notwendig, wenn man die Leute schon länger und intensiver arbeiten lässt.“ 

Airline gleich Airline?

Der Markt ist seit langem zweigeteilt: Einerseits die Billigflieger, andererseits etablierte nationale Airlines wie die Lufthansa. Sicherheit ist nicht zum Schnäppchenpreis zu haben. Wie gehen die Billig-Airlines mit ihren Piloten um? „Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Unternehmen“, so Handwerg. „Die Lufthansa ist sicherlich eine Airline, die schon aus der Tradition heraus weitgehend auf Sicherheit achtet. Aber auch die Lufthansa gerät durch ihre Mitbewerber immer mehr unter Kostendruck. Einerseits müssen wir die Überkapazitäten im Luftfahrtbereich sehen, andererseits müssen sich die Unternehmen fragen, wie viel mehr Geld ein Passagier für sein Ticket zu bezahlen bereit ist, um damit auch mehr Sicherheit einzukaufen, die er meist nicht bewusst erleben kann!“

Ist Müdigkeit nachzuweisen?

Übermüdung lässt sich nur schwer nachweisen. Und man fragt sich immer erst danach, wenn etwas passiert ist, ob Müdigkeit im Spiel war. Doch tote Piloten können nicht mehr zur Aufklärung beitragen. Aus den Aufzeichnungen des Voice­recorders und Flugdatenschreibers lassen sich Vermutungen rekonstruieren. Doch jeder Beteiligte hat ein Interesse daran, solche Probleme unter den Teppich zu kehren. Den Airlines gefällt es nicht, wegen möglicher Sicherheitsprobleme in die Medien zu geraten. Die Politik will die Unternehmen aus Wettbewerbsgründen mit anderen Ländern ebenfalls nicht in Misskredit bringen, geschweige denn wegen unzureichender gesetzlicher Vorschriften eine Schuld zugewiesen bekommen. Piloten werden sich hü­ten, offen einzugestehen, dass ih­nen im Cockpit schon einmal die Augen ­zugefallen sind, da der Gesetzgeber ihnen durch entsprechende Paragraphen geschickt die Verantwortung in den Schoß legt. 

Die Amerikaner gehen seit Jahren einen anderen Weg: Sie haben ein Meldesystem etabliert, bei dem jeder Pilot anonym einen Report zum Thema Übermüdung abgeben kann. So etwas gibt es in Europa leider nicht. „Die Vereinigung Cockpit fordert dies schon seit geraumer Zeit“, so Jörg Handwerg, „doch es existiert bei uns keine gesetzliche Grundlage für ein solches System, und es gibt auch keine Stelle, die diese Aufgabe übernehmen will. Das kostet Geld und am Ende kommt dabei auch noch raus, dass nicht alles im grünen Bereich ist – beides will der Gesetzgeber lieber nicht hören.“

Können intelligente Flugzeuge müde Piloten ersetzen?

„Dass Flugzeuge heute absolut sicher sind und auch automatisch geflogen werden können“, erklärt Handwerg, „ist eine allgemein verbreitete Meinung. Der Autopilot kann uns Routinetätigkeiten abnehmen, und das ist durchaus sinnvoll, weil man so auch die Ermüdung verringern kann. Doch auch der Autopilot muss immer überwacht werden. Auch ein Computer kann ausfallen. Ebenso gibt es im Flugzeug mechanische Systemausfälle. Wir müssen Routinetätigkeiten erledigen – den Funkverkehr führen, das Wetter beobachten und gegebenenfalls ausweichen –, die man auf den ersten Blick nicht sieht. Wenn man ins Cockpit schaut, denken die Leute oft: Die sitzen da nur rum und machen nichts. Der Autopilot kann gewisse manuelle Tätigkeiten übernehmen, er kann unter bestimmten Voraussetzungen auch automatisch landen, aber er kann einen Flug nicht managen. Er vollbringt keine eigene Denkleistung, sondern führt nur das aus, was ihm programmiert wird. Er kann keine Entscheidungen fällen, weiß also nicht genau: wann muss ich z. B. die Klappen ausfahren, wann die Geschwindigkeit reduzieren. Besonders in Problemsituationen ist natürlich der Mensch gefragt. Er muss mitunter innerhalb von Sekundenbruchteilen aus seiner Erfahrung und Intuition heraus entscheiden, wie zu handeln ist, um das Flugzeug zu retten. Das kann kein Computer. Ein Computer wiederholt unendlich oft die Fehler, die ihm einprogrammiert wurden; der Mensch lernt dazu.“ 

Der Vorstoß der EASA

Die Europäische Luftfahrtagentur EASA will die maximale Dienstzeit der Piloten europaweit auf bis zu 16 Stunden täglich verlängern. Dabei sind unter optimalen Arbeitsbedingungen (Arbeitsbeginn am Morgen) gerade noch 12 bis 14 Stunden im Cockpit zu leisten. Andererseits weiß man durch seriöse Studien, dass das Unfallrisiko bereits ab einer Dienstzeit von über 13 Stunden um das Fünffache steigt; und nachts sollen laut EASA Piloten 11 Stunden fliegen, während alle Wissenschaftler, eigens von der EASA befragt, 10 Stunden als das Maximum angeben, ab dem gefährliche Übermüdung weitestgehend vermieden werden kann; dies ist aber schon ein Kompromiss aus Wirtschaftlichkeit und Sicherheit. Die EASA hält auch ­Bereitschaftsdienstregelungen mit Wachzeiten bis zu 21 Stunden für problemlos. Und es geht noch weiter: Zweimal in der Woche soll die Ruhezeit auf nur 7,5 Stunden verkürzt werden. (Aus dem aktuellen Vorschlag der EASA wurde diese Bestimmung wieder gestrichen, jedoch machen nun einige Airlines massiven Druck, diese Bestimmungen wieder in den endgültigen Vorschlag aufzunehmen.)

Bei unvorhergesehener Übermüdung wurde auf Anregung der NASA schon vor Jahren die „Napping Policy“ auch in Deutschland eingeführt: In Absprache mit dem Kollegen kann ein Pilot, der sich übermüdet fühlt, für maximal 20 bis 30 Minuten die Augen schließen und sich entspannen. Das hilft, um wieder fit zu sein. Dass fast 93 % aller befragten Piloten auf Langstreckenflügen dieses Verfahren schon einmal angewendet haben, zeigt, wie anstrengend schon allein die jetzigen Dienstzeitregelungen sind. Was einst als Notfallmaßnahme gedacht war, ist heute Routine. Aber auch Flüge auf Kurz- und Mittelstrecke sind ein Problem, denn hier müssen die Piloten am Tag mehrere Flüge absolvieren, was bedeutet, dass ebenso lange Dienstzeiten erreicht werden können.

Wem fühlen sich die Verantwortlichen der EASA verpflichtet: den Airlines oder der Leistungsfähigkeit ihrer Piloten? Wer hat in der EASA das Sagen? Jörg Handwerg: „Es gibt eine Arbeitsgruppe, die sich schon seit mehreren Jahren mit dieser Thematik beschäftigt, und in dieser Gruppe sind auch Kollegen des europäischen Pilotenverbandes vertreten. Doch eine Beteiligung bedeutet noch lange nicht, dass man auch gehört wird. Wir werden dort mit unseren Positionen weitgehend ignoriert, obwohl wir nur fordern, was durch wissenschaftliche Erkenntnisse erwiesen ist. Mehrere Studien haben klar gezeigt, dass Entscheidungsprozesse, Reaktionsgeschwindigkeit und die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen, maßgeblich vom Grad der Wachheit abhängen. Insofern müssen wir im Cockpit jederzeit hellwach sein. Denn wenn ein technischer Notfall eintritt, müssen wir blitzschnell reagieren.“

Hoffen auf die Politik

Die Erfahrung zeigt, dass sich in der Politik meistens erst dann etwas tut, wenn entsprechender Druck vorhanden ist. Wenn es jetzt zu einem katastrophalen Flugzeugunglück käme, an dem eindeutig Übermüdung schuld ist, dann würden sich die Politiker rasch des Problems annehmen. Man erinnere sich nur daran, wie die Kernschmelze in Japan von heute auf morgen das Aus der Kernenergie in Deutschland provozierte! Doch solange alles klappt, wagt niemand, ein funktionierendes System zu ändern. „Das ist in diesem Fall aus unserer Sicht grundfalsch“, kritisiert Jörg Handwerg, „denn wir müssen die aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen berücksichtigen. Tut man  das nicht, handelt man grob fahrlässig, vielleicht sogar vorsätzlich. Wir hoffen, dass die neuen EASA-Regeln so nicht Wirklichkeit werden. Das wäre eine Gefährdung des Luftverkehrs, eine Gefährdung des gesamten Sicherheitssystems Luftfahrt. Es würden mehr Unfälle passieren, wenn das so umgesetzt wird.“

Es wird eng für Schlafapnoe-Patienten!


Techniker Krankenkasse hat die Ausschreibung entdeckt

Werner Waldmann

Die AOK im Osten Deutschlands hat bereits vor einiger Zeit ausprobiert, wie man an Betroffenen sparen kann, die wegen ihrer Schlafapnoe ein Atemtherapiegerät brauchen. Ausschreibung nennt man das Verfahren: Man gab Leistungserbringern, auf Neudeutsch „Homecare Provider“ genannt, die Möglichkeit, ein Angebot für eingeschränkte regionale Gebiete abzugeben, um die Patienten zu betreuen. Das hatte fatale Folgen: Bisherige Vertragspartner und zuverlässige regionale Versorger wurden dadurch enorm unter Preisdruck gesetzt. Sinn dieser Strategie: den billigsten Anbieter zu finden, um schlicht an der Patientenversorgung zu sparen. Versorgungsqualität spielt dabei keine Rolle! Das mag für Hilfsmittel wie Bettschüsseln und Gehhilfen angemessen sein. Je höher und bedeutsamer jedoch der Dienstleistungsanteil und damit die Qualität der Einweisung und Beratung während der gesamten Versorgungszeit ist, desto fraglicher ist die Praxis der Ausschreibung. 

Die Kooperation zwischen Arzt im Schlaflabor und dem Versorgungsunternehmen muss reibungslos funktionieren, damit der Versorgungsablauf im Sinne des Patienten sichergestellt werden kann. Bisherige funktionierende Abläufe, die sich über Jahre hinweg entwickelt haben, werden durch die Stückelung von Gebieten und neuen, nicht vor Ort agierenden Ausschreibungsgewinnern vernichtet. Das hat die Praxis der letzten Jahre gezeigt.

In der Baubranche sind Ausschreibungen üblich. Baubehörden geben da dem Billigsten den Zuschlag, auch wenn das Resultat dann Schrott ist wie etwa das sanierte Schauspielhaus in Stuttgart oder in Hamburg die Elbharmonie. Die Krankenkassen, mit Ausnahme der AOK, haben sich im Bereich der Schlaftherapie von den Ausschreibungen weitgehend abgewendet. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Techniker Krankenkasse trotz der Erkenntnisse anderer Krankenkassen vorwagt und europaweit (Bekanntmachung im EU-Amtsblatt unter Nr. 2012/ S 88-144670) Atemtherapiegeräte ausgeschrieben hat. 

Das Verfahren läuft unter strenger Geheimhaltung: „Es gilt der Grundsatz des Geheimwettbewerbs.“ Der Bieter muss zwar seine Kompetenz in einem Fragebogen bestätigen, jedoch heißt es in den Zuschlagskriterien: „Unter den Angeboten ... wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt." Die Wirtschaftlichkeit setzt sich aus 70 % Preis und 30 % Qualität zusammen. Die Wertung zur 30 % Qualität beinhaltet jedoch keine Patientenbetreuungsaspekte, sondern lediglich die Abfrage, wer die meisten Geräte und Maskenmodelle liefern kann. Derjenige erhält dann auch die meisten Punkte.

In der Ausschreibung hört es sich so an, als würden in der Wertung die Qualität, das Personal, das Organisationskonzept sowie ein Lieferkonzept berücksichtigt. Dem ist aber nicht so. Maßgebend ist der Anbieter mit dem niedrigsten Preis. Hinzu kommt, dass es einer von nur noch maximal 6 Anbietern ist, der versorgen darf. Während es bisher keine Einschränkungen als Leistungserbringer bzw. Medizintechnikfachhändler mit entsprechender Qualifikation gab, Partner der TK zu sein, wird nun der Mittelstand ausgeschaltet.

Warum rückt ausgerechnet die Technikerkrankenkasse soweit von sich selbst ab? Bisher stand sie für eine angemessene wirtschaftliche und gute Versorgung für ihre Versicherten. Nun behandelt sie Schlafapnoe-Patienten, die in Bewertung der Zahlen und Schwere der Erkrankung im Hinblick auf die Folgen bei Nichtbehandlung den Status eines Diabetikers haben, wie Versicherte zweiter Klasse. Das ist neu! Welchen Weg geht die TK nun? Von der Qualitätskasse zur Billigkasse? Die Hilfsmittelausgaben betragen bei der TK rund 3,5 %, die Ausgaben für die eigene Verwaltung gut 5 %. Der gewählte Schritt, auf derartige Weise Kosten am Patient einzusparen, erschüttert daher.

Natürlich lassen sich die Vergabebürokraten der TK auch Qualität vom Anbieter außerhalb der Wertung zusichern, die aber wird später eher sehr, sehr nachlässig überprüft. Für die Kasse gilt: Augen zu und durch, Hauptsache der Preis stimmt. Damals kam bei der AOK- Ausschreibung heraus, dass eine Firma im Saarland in Ostdeutschland lebende Patienten (also am anderen Ende der Republik!) versorgen wollte. Natürlich per Post und Telefon. Ohne persönliche Beratung, Betreuung und Wartung der Geräte. Nun weiß man, wie delikat es gerade ist, CPAP-Betroffene zur Therapietreue anzuregen. Das funktioniert nicht, indem man Gerät und Maske dem Patienten zuschickt nach dem Prinzip Vogel friss oder stirb. Immerhin haben wir schon lange die Erfahrung gemacht, dass derjenige Homecare Provider die beste Arbeit leistet, der seine Patienten regional, zeitnah und ohne Einschränkungen versorgen kann. Da kann der Patient schnell mal hinfahren oder die Firma schickt einen Mitarbeiter hin. Wenn da aber irre Entfernungen zu überwinden sind, rechnet sich das nicht mehr. Also fährt die Firma den Service zurück, schließlich will und muss sie etwas verdienen, um nicht pleite zu gehen.

Wir sehen schon am Ende dieses Sparsamkeitswahns auf Patientenkosten CPAP-Geräte, die in Asien entwickelt und zusammengeschraubt werden. Dabei wird von den Krankenkassen das prophylaktische Potential eines Atemtherapiegerätes bisher noch weitgehend ignoriert. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle werden durch Anwendung dieser effektiven Therapie weit nach hinten geschoben und der Diabetes wird günstig beeinflusst, aber nur dann, wenn die Geräte auch benutzt werden. Mit einer rechtzeitigen und effektiven Therapie der Schlafapnoe lassen sich im Gesundheitswesen enorme Kosten sparen. Nur einen Bruchteil davon kosten qualitativ hochwertige Beatmungsgeräte und ein guter Vor-Ort-Service. Eine hohe Therapietreue kann man nur dann erwarten, wenn die Geräte über moderne Steuerungsfunktionen verfügen, welche die etablierten Hersteller permanent weiterentwickeln. Billiggeräte sind für den Patienten kaum auszuhalten. Sie liefern oft zu wenig Luft, es kommt zu viel Lärm über den Schlauch in die Maske, und Steuerungsfunktionen, welche die Atmungsaktivität fördern, besitzen sie schon gar nicht. Im schlimmsten Fall wandern solche untauglichen, jedoch „preisgünstigen“ Geräte in den Schrank – und der Patient bleibt untherapiert. Die Zahl der Therapieabbrecher ist in der Literatur mit bis zu 17 % angegeben und sie steigt mit Abnahme der Versorgungsqualität. Sie lässt sich verringern mit hoher Gerätequalität und effektiver Betreuung durch den Leistungserbringer. Gerade in den ersten beiden Wochen der Therapie braucht es eine enge Anbindung des Patienten zum Arzt und zum Leistungserbringer.

Eine qualitativ hochwertige CPAP-Therapie ist ein perfektes Mittel, um dem Gesundheitssystem Geld zu sparen. Die Kostenträger denken leider zu kurz. Qualität kostet Geld. Und die Hersteller werden on the long run dazu gezwungen, mindere Qualität zu akzeptieren. Wer sich diesem Prozess verweigert und eisern an Qualität festhält, wird untergehen.

Doch letztendlich geht es nicht allein nur um die Therapiegeräte. Es geht auch um die Servicequalität – und die kann man nicht ins Ausland verlagern! Beratung geht nicht über Hotlines und Internet. Bei oft betagten Schlafapnoe-Patienten ist eine persönliche, eine menschliche Zuwendung unabdingbar. 

Den Kostenträger ist dieser Aspekt gleichgültig; die sehen nur die Zahlen. Wahrhaft, wohin steuern wir? In das Zeitalter menschlicher Medizin?