Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2013

Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2013


Liebe Leserin, lieber Leser,

nicht einmal wir haben daran geglaubt, dass aus unserer Idee, eine Zeitschrift zum Thema Schlaf auf den Markt zu bringen, tatsächlich etwas werden würde. Doch bis heute waren es 40 Ausgaben, in denen sich alles um den Schlaf und seine Probleme drehte. Und die vielen netten Anrufe und Zuschriften, die wir ständig erhalten, ermutigen uns, weiterzumachen. Wir möchten uns daher an dieser Stelle bei unseren Lesern ganz herzlich bedanken! Wir werden uns Mühe geben, Sie auch in Zukunft mit wichtigen und wissenswerten Fakten rund um den Schlaf zu informieren.Apropos Zukunft: Wir haben uns natürlich bereits ausgiebig in der Redaktion über die Somnus-Preisträger 2013 unterhalten. Wir würden uns freuen, wenn auch von Ihrer Seite Vorschläge kommen würden – etwa über unsere facebook-Seite. Für eine Preisträgerin hatten wir uns bereits definitiv entschlossen. Sie zählte zu den wenigen Frauen in der Selbsthilfegruppen-Szene und hatte noch viel vor in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. Die Nachricht von ihrem unerwarteten, tragischen Tod hat uns sehr erschüttert. Die Rede ist von Anita Ruß, der Leiterin der Schlafapnoe Selbsthilfegruppe Schweinfurt. 

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Die vorliegende Ausgabe des Schlafmagazins beschäftigt sich unter anderem mit zwei wichtigen Themen. Zum einen mit der Versorgung von Schlafapnoe-Patienten weltweit und in Deutschland. Wie gut oder wie schlecht wir in Deutschland aufgestellt sind, kann man erst beurteilen, wenn man weiß, wie die Situation in anderen Ländern ist. Unsere medizinische Versorgung ist eigentlich noch immer ziemlich gut! Was nicht heißt, dass sie nicht noch besser werden kann.

Das zweite Thema dreht sich um die immer wichtiger werdende zahnärztliche Schlafmedizin. Die Verordnung der Apnoeschienen hat in Deutschland in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen, sie ist aber noch lange nicht so etabliert wie etwa in Schweden, wo jeder zweite Schlafapnoe-Patienten mit Schienen versorgt wird. Viele Krankenkassen erstatten mittlerweile bei uns die Kosten für die Unterkieferprotrusionsschienen, es gibt aber auch einige Kassen, die die Kostenübernahme beharrlich ablehnen. Unsere Autoren geben Tipps, wie man als Patient dennoch zu seinem Recht kommt.

 

Wir wünschen Ihnen eine informative Lektüre!

 

Ihre  

Dr. Magda Antonic

Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2013

Foto: ©Wavebreak Media Ltd/123rf
Inhalt

6 Das Schlafmagazin feiert seinen 10. Geburtstag

10 „Wer schlafen kann, darf glücklich sein ...“ 

15 Welche Versorgungsqualität dürfen wir künftig erwarten? 

16  Versorgung von Schlafapnoe-Patienten weltweit: Wie gut sind wir in Deutschland aufgestellt?

20 Hilfe für Schlafapnoe-Patienten: Ein CPAP-Gerät von Hoffrichter für Kuba

24 Mit CPAP zu Wasser, zu Land und in der Luft: Mini-Atemtherapiegerät aus den USA

26 Kostenerstattung durch gesetzliche Krankenkassen: Unterkieferprotrusionsschienen bei Schlafapnoe

28 Kostenerstattung bei Unterkieferprotrusionsschienen: Beharrlichkeit führt manchmal zum Ziel

30 Fortbildung für Schlafapnoe-Betroffene: Unterkieferprotrusionsschienen

32 Rucksack statt CPAP und Polysomnografie auf Selbstzahlerbasis?: Vom Symptom zur Diagnose und Therapie

34 Streitfälle mit Krankenkassen – Ärztliche Gutachten können weiterhelfen

36 Bettenhygiene: Hausstaubmilben im Schlafbereich

38 Macht zu wenig Schlaf dick?: Mögliche Zusammenhänge zwischen Schlafmangel und Übergewicht

40 KiSS – Das Schlafstörungsprogramm für Kinder zwischen fünf und zehn Jahren

42 Mehr Lebensfreude durch Achtsamkeit

46 Eine Patientengeschichte

50 Dies & Das

Das Schlafmagazin feiert seinen 10. Geburtstag

Unser Geburtstagskind ist gerade zehn Jahre alt geworden. Das ist noch kein besonders hohes Alter. Wenn man aber daran denkt, was für „Geburtswehen“ das waren … So manch einer hat gelächelt und war sich sicher: wieder eine Eintagsfliege. Falsch gedacht.

Werner Waldmann

Das Schlafmagazin hat sich in zehn Jahren leise, aber beharrlich zum Forum nicht nur für Schlafapnoe-Betroffene entwickelt; auch andere Menschen mit Schlafstörungen haben das Magazin abonniert und scheinen es nicht bereut zu haben. Ab und zu – so hört man zumindest – schaut auch schlafmedizinisches Betreuungspersonal in das Heft hinein, ganz heimlich, und vielleicht auch mancher Mediziner.

Schlaf: ein wichtiges Thema

Eine Zeitschrift für Patienten mit Schlafstörungen scheint durchaus einem Bedürfnis zu entsprechen. In meiner Sammlung fand ich kürzlich ein paar solcher Versuche. Beispielsweise „APNO – die deutsche Apnoiker-Zeitung“. Ein Erscheinungsdatum finde ich nirgends in dem Heft, aber das muss wohl um das Jahr 2000 gewesen sein. Weitere Ausgaben sind mir nicht bekannt.

Im Frühjahr 2002 startete die „Gute Schlaf Depesche“ des GSD. Auch da gab es meines Wissens keine weiteren Ausgaben. Im Editorial ist ein junger Karl-Heinz Klevers abgebildet. Immerhin hat er mit dem „Nachtkurier“ jüngst wieder eine Mitgliederzeitschrift versucht. Es gab drei Ausgaben, dann aber ist das Unternehmen im Sande verlaufen. Der Grund, so sagte mir Karl-Heinz Klevers: Außer ihm war kaum jemand bereit, den Inhalt zu bestreiten. 

Lange gehalten hat sich „Schlafapnoe Aktuell“ mit dem Untertitel „Fachzeitschrift für Apnoiker, Ärzte, Schlaflabore, Krankenkassen und Hilfsmittelhersteller“. Herausgeber war der Fachverband Schlafapnoe – Chronische Schlafstörungen. Das Heft im DIN A5-Format war professionell gemacht. Laut Impressum stand der Sozialverband VdK dahinter. Das Heft bot interessante Beiträge, allerdings nur ganz selten Originale. Die meisten Artikel wurden aus anderen Publikationen zitiert, auch aus dem Schlafmagazin.  Problematisch empfand ich immer den Anspruch, sowohl Laien als auch Ärzte anzusprechen. Dieser Spagat hat aus verschiedenen Gründen noch nie funktioniert. Inzwischen wurde „Schlafapnoe Aktuell“ allerdings eingestellt, weil sich der VdK von seinem Fachverband getrennt hat. 

Nichts mit Schlafapnoe zu tun hat die zweimal im Jahr erscheinende traditionelle Mitgliederzeitung „Restless Legs aktuell“ der Deutschen Restless Legs Vereinigung: ein umfang- und inhaltsreiches Heft, das einerseits Informationen aus dem Mitgliederbereich, andererseits wichtige wissenschaftliche Beiträge anbietet. Und nicht zu vergessen der „Wecker“, das Mitteilungsblatt der Narkoleptiker, das ebenfalls ambitionierte interne Mitteilungen, aber auch fachliche Beiträge bringt.

Der Anfang – ein Zufall

Wir hatten vor zehn Jahren Ratgeberbücher, vor allem medizinischen Inhalts, redaktionell und technisch produziert. Mit der Klinik Schillerhöhe in Gerlingen nahmen wir einen Ratgeber für den TRIAS-Verlag zum Thema Schnarchen in Angriff. Bei unseren Recherchen erfuhren wir, was Schlafapnoe ist. Vorher hatten wir keine Ahnung davon. Dieses Krankheitsbild war zu jener Zeit in der Öffentlichkeit kaum bekannt; auch die meisten Ärzte kannten es nicht. Zwangsläufig kamen wir auch mit Selbsthilfegruppen in Kontakt. Mit Rudolf Taugerbeck zum Beispiel, dem Chef des Landesverbands Baden-Württemberg. Rudolf Taugerbeck engagierte sich leidenschaftlich für die Selbsthilfe in Sachen Schnarchen. Er ermunterte uns, ein Magazin zu diesem Thema zu versuchen. Ich erinnere mich noch, wie er mich zum Pneumologenkongress nach München mitnahm und unsere Idee den CPAP-Firmen vorstellte. 

Eigentlich hatten wir von Anfang an kein Mitgliedermagazin einer Selbsthilfeorganisation im Sinn. Das „Schlafmagazin“ sollte thematisch breit aufgestellt sein und für alle Betroffenen mit Schlafproblemen Informationen aus Klinik und Forschung anbieten. Prof. Jürgen Zulley war von Anfang an mit dabei, ebenso Prof. Rainer Dierkesmann, damals noch Chefarzt der Klinik Schillerhöhe. Außerdem lieferte bereits ab der zweiten Ausgabe Ulrich Obergfell, Fachberater beim Homecare-Provider Glotz, seine Kolumne „Schlafapnoe-Sprechstunde“. Heute leitet Obergfell den Landesverband Baden-Württemberg.

Man muss wissen, dass sich die einzelnen SHG-Gruppierungen damals spinnefeind waren. Wir wollten uns mit dem Schlafmagazin auf keine Seite schlagen, sondern für alle berichten. Auch für Betroffene, die keiner Selbsthilfeorganisation angehörten oder angehören wollten. Die Selbsthilfelandschaft war bunt, wild und kämpferisch. Da gab es den BSD, den Fachverband von Johann Häcker, den Landesverband von Rudolf Taugerbeck in Baden-Württemberg, den VdK-Fachverband, den GSD und „Schlafapnoe“ von Udo Bertram. Bei diesen Vereinigungen drehte sich alles ums krankhafte Schnarchen. Konkurrenzlos arbeiteten die Restless Legs Vereinigung, die Narkolepsie-Gesellschaft und der Fatigatio-Verein. Manche Auseinandersetzung zwischen den Verbandschefs wurde – so hörte ich – sogar mit juristischen Waffen geführt. Taugerbeck hielt sich aus all diesen Streitereien heraus und machte seinen Landesverband im Lauf der Zeit in vorbildlicher Weise zu einer Organisation, die ohne persönlichen Zwist auskam und viel erreichte. 

Auf ins zweite Jahrzehnt

Man mag sich fragen, warum das „Schlafmagazin“ sich etabliert hat. Es ist keine Mitgliederzeitung, es behandelt alle Themen, die mit dem Schlaf – dem guten wie dem gestörten – zu tun haben. Zwar ein Special-Interest-Magazin, dennoch auf eine breite Zielgruppe zugeschnitten. Doch ohne die vielen Ärzte und Patienten, die Ideen, Anregungen und Beiträge beisteuern, wäre das Schlafmagazin nicht zu dem geworden, was es heute ist. Dafür möchten wir allen Autoren und Ideenlieferanten und vor allem unseren treuen Lesern ein herzliches Dankeschön sagen.

DGSM Kongress 2012-Bericht


„Wer schlafen kann, darf glücklich sein ...“

Das Motto des diesjährigen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) verdeutlicht, welch wichtigen Einfluss gesunder Schlaf auf unser psychisches Wohlbefinden hat. Rund 2000 Experten diskutierten vom 6. bis 8. Dezember 2012 in Berlin über neue Erkenntnisse und praktische Erfahrungen zur Bedeutung des Schlafes für Gesundheit, Leistung und Lebensqualität.

Marion Zerbst

Der Kongress hat wieder einmal gezeigt, wie eng der Schlaf mit unserer körperlichen und seelischen Gesundheit verzahnt ist: Es gibt kaum eine physische oder psychische Erkrankung, die nicht mit gestörtem Schlaf einhergeht. Manchmal sind die Schlafprobleme Ursache oder erstes Warnsignal, manchmal auch Begleitsymptom oder Folgeerscheinung anderer Krankheitsbilder.  

Schlafstörungen – ein Alarmsignal

So ist gestörter Schlaf beispielsweise ein Risikofaktor für neurologische Erkrankungen. Eine obstruktive Schlafapnoe (krankhaftes Schnarchen mit Atemaussetzern) kann das Schlaganfallrisiko drastisch erhöhen, und zwar in Abhängigkeit vom Schweregrad: Je öfter dem Schläfer nachts die Luft wegbleibt, umso eher läuft er Gefahr, einen Hirninfarkt zu erleiden. Deshalb, so betont der Neurologe und Schlafexperte Professor Claudio Bassetti, sollte man eine schwere Schlafapnoe unbedingt auch dann behandeln, wenn keine Beschwerden vorliegen – denn das Schlaganfallrisiko besteht unabhängig von der Tagessymptomatik. Standardtherapie einer obstruktiven Schlafapnoe ist nach wie vor die nasale Überdruckbeatmung (nCPAP), bei der dem Patienten über eine Nasenmaske mit Überdruck Luft in die Atemwege geblasen wird, um diese offen zu halten.

Doch auch für Menschen, die bereits einen Schlaganfall erlitten haben, ist gesunder Schlaf wichtig. Das zeigen Versuche an Ratten, bei denen Wissenschaftler künstlich einen Schlaganfall auslösten: Wurden diese Tiere anschließend einem Schlafentzug ausgesetzt, so erholten sie sich weniger gut als die Ratten, die man schlafen ließ. „Wahrscheinlich“, meint Professor Bassetti, „spielen hier Entzündungsfaktoren eine Rolle.“

Zusammenhänge zwischen gestörtem Schlaf und Demenz sind mittlerweile ebenfalls nachgewiesen. Kurzschläfer und Patienten mit schlafbezogenen Atemstörungen erkranken häufiger an einer Demenz oder einer leichten kognitiven Beeinträchtigung, die oft eine Vorstufe der Demenz ist. Menschen mit solchen leichten kognitiven Störungen haben Probleme mit der Konzentration und dem Erinnerungsvermögen, die sie als belastend empfinden, die ihre Selbständigkeit aber (noch) nicht gefährden. Bei manchen verschlimmern sich diese Symptome jedoch mit der Zeit und gehen in eine Alzheimer-Demenz über. 

Der Zusammenhang zwischen gestörtem Schlaf und Demenzerkrankungen zeigt, wie wichtig es ist, Schlafprobleme zu behandeln. Er ist aber auch eine ernste Warnung an unsere Rund-um-die-Uhr-Gesell-schaft, die sich immer weniger Ruhepausen gönnt – und in der Reizüberflutung und überhöhter Leistungsdruck einen erholsamen Schlaf immer schwieriger machen.

CPAP für Epileptiker

Nicht nur Demenz-Patienten, sondern auch Epileptiker leiden überzufällig häufig an Schlafapnoe. Behandelt man diese Patienten mit einer CPAP-Therapie, so lassen ihre epileptischen Anfälle sich deutlich besser unter Kontrolle bringen. „Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn ein Drittel aller Epilepsie-Patienten sind therapierefraktär, das heißt, sie sprechen auf eine Behandlung mit Antiepileptika nicht an“, betont Professor Bassetti. Solchen Menschen könnte die Behandlung mit einem CPAP-Gerät helfen.

Und nicht zuletzt können Schlafstörungen auch ein Warnsignal für einen Herzinfarkt sein. In einer neueren Studie wurden Patienten gefragt, wie ihr Schlaf kurz vor dem Infarktereignis gewesen sei – mit erschreckendem Ergebnis: Fast 40 % der Patienten gaben an, in den zwei Wochen vor dem Infarkt unter Ein- oder Durchschlafstörungen gelitten zu haben! 

Und wer dauernd schlecht schläft, der lebt sowieso ausgesprochen gefährlich: Studien zeigen, dass Kurzschläfer und Menschen mit verminderter Schlafqualität ein erhöhtes 

Risiko für Herz-Kreislauf-Erkran-kungen haben und dass Ein- und Durchschlafstörungen die Prognose von Patienten, die bereits an einer solchen Krankheit leiden, verschlechtern. Schlafexperten gehen mittlerweile davon aus, dass die frühzeitige Entdeckung und Behandlung solcher Schlafstörungen die Symptome und den Schweregrad von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessern könnte.

Sage mir, wie du schläfst ... und ich sage dir, wer du bist! 

Ganz so einfach ist es vielleicht nicht immer; doch die Erkenntnis, dass Schlaf und Persönlichkeit eng miteinander zusammenhängen, gewinnt in der Schlafforschung und Schlafmedizin einen immer höheren Stellenwert. Immer mehr Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnien) – der häufigsten Schlafstörung, die es gibt – Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, die einem gesunden, erholsamen Schlaf nicht gerade zuträglich sind. Eine Therapie, die bei diesen Charaktereigenschaften ansetzt, könnte den Schlaf dieser bedauernswerten Zeitgenossen womöglich verbessern. Denn die Superpille, die erholsamen Schlaf schenkt, ohne die Schlafarchitektur zu zerstören, und über längere Zeit eingenommen werden kann, ohne abhängig zu machen oder andere unerwünschte Nebenwirkungen zu verursachen, wurde trotz aller Fortschritte in der Schlafforschung bis heute leider nicht gefunden. Deshalb setzt man in der Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen stark auf nicht-medikamentöse Behandlungsmaßnahmen: Die Menschen müssen „lernen“, wieder besser zu schlafen – z. B., indem sie sich schlaffördernde Verhaltensweisen angewöhnen und alle beeinflussbaren Faktoren, die einen guten Schlaf stören könnten, nach Möglichkeit eliminieren. 

Schon seit längerem zeigen Studien, dass Insomniker zum Grübeln neigen und sehr selbstkritisch sind: Sie reagieren sensibler auf eigene Fehler als schlafgesunde Menschen, zweifeln stärker an ihrer Leistungsfähigkeit und haben eher das Gefühl, dass das bisher Erreichte nicht ihren Zielvorstellungen entspricht. Außerdem plagt sie auch häufig der Gedanke, den Erwartungen ihrer Mitmenschen nicht gerecht werden zu können. 

Eine Gruppe von Schlafforschern der Universität Freiburg hat nun herausgefunden, dass Insomnie-Patienten außerdem zu besonders pünktlichem und gründlichem Verhalten neigen. Sie kommen immer rechtzeitig oder sogar zu früh zu ihren Behandlungsterminen in die Klinik, wobei hier eine interessante „Dosis-Wirkungs-Beziehung“ zu beobachten ist: Diejenigen, die am schlechtesten schlafen, nehmen es mit der Pünktlichkeit am genauesten. Außerdem füllen sie Fragebogen besonders gründlich aus und schreiben oft sogar noch Extra-Kommentare dazu, in denen sie ihre Antworten akribisch erläutern. 

Worin liegt der praktische Nutzen solcher Untersuchungen? Ganz einfach: Es gibt bereits psychotherapeutische Verfahren zur Behandlung von übermäßigem Perfektionismus, die für Menschen mit Essstörungen entwickelt wurden. Damit könnte man auch Insomnie-Patienten behandeln – und wer weiß: Wenn sie nicht mehr so perfekt sein wollen, schlafen sie ja vielleicht auch wieder besser ...

„Ich habe heute Nacht wieder kein Auge zugetan ...“

Zu allem Überfluss leiden viele Insomniker außerdem an einer gestörten Schlafwahrnehmung. Jeder kennt den häufig zitierten Dialog zwischen Ehemann und Ehefrau:

Sie: „Ich habe heute Nacht wieder kein Auge zugetan.“

Er: „Das kann nicht sein. Du hast doch geschnarcht wie ein Säbelzahntiger!“

Nichts bringt das Problem chronisch schlafgestörter Menschen besser auf den Punkt. Insomniker schätzen ihre nächtliche Schlafdauer nämlich meistens weitaus kürzer ein, als sie tatsächlich ist, und erleben nach der Untersuchung im Schlaflabor dann oft eine freudige Überraschung, wenn sie erfahren, dass sie zwar nicht gerade gut, aber doch deutlich besser geschlafen haben, als sie dachten. So etwas kann auf diese Menschen, die sich ständig Sorgen darüber machen, wie sie nach ihrer kurzen Nacht den nächsten Tag durchstehen sollen, sehr beruhigend wirken.

Inzwischen gibt es sogar ein Behandlungsverfahren für Insomnie-Patienten mit gestörter Schlafwahrnehmung, das von Schlafmedizinern der Universität Regensburg entwickelt wurde – ein wichtiger Fortschritt, denn es ist sehr belastend für schlafgestörte Menschen, wenn sie nach (objektiv) erfolgreicher Therapie dennoch keine subjektive Verbesserung ihres Schlafs spüren. Deshalb führten die Diplompsychologinnen Dr. Tatjana Crönlein und Julia Holl mit ihrem Team eine Vorstudie an Insomnie-Patienten durch, die schon jahrelang unter Schlafproblemen und einer Schlafwahrnehmungsstörung litten. Und nicht nur das: Diese Patienten berichteten auch öfter über negative Körperwahrnehmungen vor dem Einschlafen als schlafgesunde Menschen. 

Die Probanden wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Mit der einen Gruppe führten die Schlafmediziner zunächst eine Atemmeditation und anschließend eine progressive Muskelentspannungsübung durch, damit sie innerlich locker wurden – was gerade Insomnikern schwerfällt. Dann folgte eine geleitete Fantasiereise, die der Schärfung ihrer Selbstwahrnehmungsfähigkeit diente. Anschließend mussten die Patienten Fragen zu ihrem Empfinden beantworten: „Spüren Sie einmal in sich hinein. Wie fühlen Sie sich gerade? Empfinden Sie ein Gefühl der Wärme? Sind Sie müde? Woran merken Sie das?“ So sollte ihre Aufmerksamkeit von den negativ getönten Körperwahrnehmungen weg- und auf schlafassoziierte Empfindungen hingelenkt werden. 

Anschließend besprachen die Trainer mit den Patienten ihre individuellen Einschlaf- und Entspannungswahrnehmungen.

Das Training hat tatsächlich geholfen: Die Probanden konnten ihren Schlaf jetzt deutlich realistischer einschätzen als vorher – auf jeden Fall besser als die Patienten aus der Kontrollgruppe, mit denen die Schlaftrainer lediglich die Atemmeditation und die Entspannungsübung, nicht aber das Schlafwahrnehmungstraining durchgeführt hatten. 

Dieses Schlafwahrnehmungstraining wird nun im Rahmen eines stationären verhaltenstherapeutischen Gruppenprogramms zur Therapie der primären Insomnie am Schlafmedizinischen Zentrum des Bezirksklinikums Regensburg regelmäßig angeboten. Das Programm besteht auch noch aus verschiedenen anderen therapeutischen Modulen wie z. B. Maßnahmen zur Schlafrestriktion und Schlafhygiene. Patienten können sich zum Zweck dieser Behandlung von ihrem Haus- oder Facharzt an das Schlafmedizinische Zentrum überweisen lassen.

Studieren – ein Alptraum?

Ein besonderer Schwerpunkt des Schlafkongresses lag in der Diagnostik und Therapie von Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter. Aktuelle Erkenntnisse aus der neurologischen Schlafmedizin belegen die negativen Folgen für Lernen und Leistung, wenn Kinder und Jugendliche zu kurz schlafen und durch den Einsatz von Computerspielen und Fernsehen am Abend immer mehr ihr natürliches Schlafbedürfnis ignorieren. Neue Studien zeigen den Zusammenhang zwischen gesundem Schlaf und Gedächtniskonsolidierung und den maßgeblichen Einfluss eines ausreichenden, erholsamen Schlafs auf das psychische Wohlbefinden und die geistige Entwicklung. 

Ein weiteres wichtiges Thema waren Schlafstörungen und Leistungseinschränkungen bei Studierenden, über die es in der Schlafforschung bisher nur wenige Untersuchungen gab. Auf der diesjährigen DGSM-Tagung wurden Ergebnisse gleich mehrerer Studien mit über 2000 Studenten präsentiert. Sie zeigen, dass Schlafstörungen ein häufiges Problem bei Studierenden sind, die oft einer starken Mehrfachbelastung durch Nebenjob, Wohnsituation und hohen Leistungsdruck ausgesetzt sind. Oft gehen diese Schlafstörungen mit depressiven Verstimmungen einher.  

Ein Schlafproblem kommt selten allein

Auch Alpträume kommen bei Studierenden öfter vor als in der Allgemeinbevölkerung. Eine Studie von Schlafforschern der Universitäten Würzburg, Tübingen und Koblenz-Landau ging der Sache auf den Grund und stellte fest, dass diese meist nicht das einzige Problem sind: Gerade alptraumgeplagte Studenten leiden zusätzlich oft unter Ein- und Durchschlafstörungen. Und nicht nur das: Auch ihr Selbstbewusstsein scheint angeknackst zu sein. Zumindest trauen sie sich nicht sehr viel zu. Die Studie untersuchte nämlich auch die so genannte Selbstwirksamkeitserwartung und stellte fest, dass diese bei Studierenden mit Insomnien und/oder Alpträumen besonders niedrig ist. 

„Selbstwirksamkeitserwartung“ ist nichts anderes als der Glaube, dass man eine gewünschte Handlung erfolgreich ausführen kann – also die optimistische Selbstüberzeugung: „Ja, das schaffe ich!“ Sie ist bei 

Menschen mit psychischen Problemen wie Angst, Depressionen und Essstörungen meist nicht sehr ausgeprägt.

Gefährlicher Schlafstörungs-Cocktail

Im Rahmen der Studie wurden alle Studierenden der Universität Tübingen per E-Mail über die Befragung informiert. Über 2000 Studenten füllten einen Online-Fragebogen zu Schlafqualität, Alpträumen, Ein- und Durchschlafen und Ängsten beim Zubettgehen aus. Fast 25 % der Studierenden berichteten, immer wieder unter Alpträumen zu leiden – davon über 18 % mehr als einmal, knapp 6 % sogar über dreimal pro Woche. Frauen waren häufiger betroffen als Männer. Außerdem litt die Hälfte der Studenten unter Ein- und Durchschlafstörungen und unruhigem Schlaf. Vor allem diejenigen, die sehr oft Alpträume hatten, konnten abends schlecht einschlafen. 

Ferner konnte in der Studie ein hoher Zusammenhang zwischen Alpträumen, Schlafstörungen und niedriger Selbstwirksamkeitserwartung festgestellt werden.  Und dieser Mix aus verschiedenen Schlafproblemen und angeknackstem Selbstbewusstsein scheint ein gefährlicher Cocktail zu sein. 

Verschiedene Untersuchungen zeigen nämlich, dass Menschen mit Insomnie und Alpträumen besonders selbstmordgefährdet sind. Schon allein die Verkürzung der Schlafdauer scheint mit vermehrten Suizidgedanken einherzugehen. Deshalb sollten Ärzte im Gespräch mit Patienten, die unter Insomnie, Alpträumen oder nächtlichen Panikattacken leiden, grundsätzlich abklären, ob diese selbstmordgefährdet sind – und auch schlafgestörte Menschen selbst sollten sich dieser Gefahr bewusst sein. Denn solche Störungen sind durch schlafhygienische Maßnahmen, Insomnie-Behandlungsprogramme, Psychotherapie und Medikamente in den meisten Fällen gut behandelbar; und so eine Behandlung kann im Ernstfall lebensrettend sein.

Vorbeugen ist besser als schlecht schlafen

Sogar Vorbeugung ist möglich. Dies zeigt eine Studie, in der gesunde Studentinnen sich einem achtwöchigen Stressbewältigungsprogramm unterzogen. Die Teilnehmerinnen mussten zwei Wochen lang Schlaftagebücher mit Abend- und Morgenprotokollen ausfüllen, hatten nach dem Kurs tatsächlich einen längeren Nachtschlaf und fühlten sich morgens entspannter. Fazit: Jeder, der (noch) gut schläft, aber bereits merkt, dass ihm der tägliche Stress über den Kopf zu wachsen droht, sollte die Notbremse ziehen und versuchen, mehr Ruhe in seinen Alltag zu bringen. Wer das ohne fremde Hilfe nicht schafft, kann Stressbewältigungsstrategien und Entspannungsverfahren wie beispielsweise autogenes Training in Kursen erlernen.

Zu frühes Aufstehen kann krank machen

Die einen sind Frühaufsteher, die anderen Nachtschwärmer: Menschen gehören unterschiedlichen Chronotypen an. (Umgangssprachlich bezeichnet man sie auch als „Lerchen“ und „Eulen“.) Erstmals haben Wissenschaftler nun den Einfluss von Schlafenszeiten und dem menschlichen Chronotyp auf die Leistungsfähigkeit untersucht. Wie die innere Uhr tickt, die über Schlafen und Wachen entscheidet, erforscht Professor Till Roenneberg mit seinem Team an der Ludwig-Maximilians-Universität München: „Unser biologischer Rhythmus ist angeboren, und seine Missachtung kann krank machen“, so der renommierte Schlafforscher. 

Neue Untersuchungen zeigen, dass ein Drittel der menschlichen Gene nur zu bestimmten Zeiten aktiviert wird und Zellstoffwechsel, Immunsystem und Leistungsfähigkeit einem individuellen Rhythmus unterliegen. 

So genießt derjenige den effektivsten Schlaf, der in dem Zeitfenster schlafen kann, das ihm seine innere Uhr vorgibt. Wer jedoch als „Spättyp“ schon frühmorgens anfängt zu arbeiten, bekommt zu wenig Schlaf, weil er abends seinem individuellen Schlaf-wach-Rhythmus entsprechend spät einschläft und morgens, wenn um sechs oder sieben Uhr der Wecker schellt, bereits wieder aufstehen muss, obwohl seine biologische Schlafenszeit noch gar nicht beendet ist. Permanent gegen die innere Uhr zu leben, kann zu chronischem Schlafmangel führen. Und dieses Schlafdefizit macht auf die Dauer krank. 

„Eulen“ sind im Nachteil

Laut Auswertung spezieller Chronotyp-Fragebogen liegen für 60 % aller Deutschen die Arbeitszeiten zu früh und zwingen sie, entgegen ihrem Chronotyp zu leben. „Das führt zum sozialen Jetlag“, warnt Till Roenneberg – und hat nach aktuellen Erkenntnissen negative Auswirkungen auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Dem Jetlag vergleichbar, der nach Flügen über Zeitzonen eintritt, begleitet dieser Konflikt zwischen biologischer und sozialer Uhr die Betroffenen meist ihr Leben lang. Je stärker er ausgeprägt ist, desto mehr sinkt das psychische Wohlbefinden. Viele „Nachteulen“, die während der Arbeitswoche permanent mit hängenden Augenlidern durch die 

Gegend laufen, holen den versäumten Schlaf dann am Wochenende nach – aber auch das ist nicht gerade ein ausgewogener Lebensrhythmus und zehrt auf die Dauer an der Substanz. 

Tatsächlich zeigt eine neue Untersuchung, die auf dem DGSM-Kongress vorgestellt wurde, dass Eulen emotional instabiler sind: Sie gaben an, bei einer Kopfrechenaufgabe, die ihnen im Rahmen der Studie vorgelegt wurde, mehr Stress erlebt zu haben als die Morgentypen. Eine Analyse der Studie zeigte eindeutig, dass diese vermehrte Stressanfälligkeit auf die schlechtere Schlafqualität der Abendtypen zurückzuführen war. 

Das Forscherteam um Professor Roenneberg konnte sogar einen Zusammenhang zwischen sozialem Jetlag und zunehmendem Körpergewicht feststellen. Eine neue Studie erforscht jetzt das Zusammenspiel von innerer Uhr, sozialem Jetlag und Diabetes. 

Schichtarbeit soll den individuellen Schlaf-wach-Rhythmus berücksichtigen

Die schlimmsten Angriffe auf die innere Uhr sind Nachtschichten und Wechselschichten. Deshalb sollte bei der Schichtplangestaltung unbedingt auf den Chronotyp Rücksicht genommen werden – was bisher jedoch leider nicht geschieht. 

Auch die meisten Studien über die Folgen von Schichtarbeit beziehen den Chronotyp nicht in ihre Analysen ein – obwohl man die gesundheitsschädlichen Wirkungen von Schichtarbeit nur auf diese Weise wissenschaftlich fundiert nachweisen und wirksame Strategien zu deren Einschränkung entwickeln könnte, betont Roenneberg. 

Eine kürzlich von ihm durchgeführte Studie beweist, wie wichtig das ist: Sie ermittelte bei über 370 Wechselschichtarbeitern anhand 

von Fragebogen das Schlaf-wach-Verhalten und die Schlafqualität. Dabei zeigte sich erwartungsgemäß, dass die Schlafdauer von späten Chronotypen in der Frühschicht deutlich kürzer ist, während in der Spät- und Nachtschicht die Lerchen sehr viel weniger Schlaf bekommen. Man müsste bei der Schichtplangestaltung also wohl tatsächlich mehr Rücksicht auf den individuellen Schlaf-wach-Rhythmus der Mitarbeiter nehmen. 

Schlafprobleme von A bis Z

Im Rahmen des DGSM-Kongresses fand diesmal auch ein Patientenforum unter dem Motto „Schlafprobleme von A wie Alptraum bis Z wie Zähneknirschen“ statt. Dazu waren alle interessierten Bürger – insbesondere natürlich von Schlafstörungen und Schlaferkrankungen Betroffene – zu einer Diskussionsrunde mit Schlafexperten und Vertretern von Selbsthilfegruppen eingeladen. Sie hatten auch die Möglichkeit, ihre Fragen zum Thema Schlaf und Schlafstörungen direkt an die Experten auf dem Podium zu stellen – und das Forum hat gezeigt, dass der Informationsbedarf sehr groß ist. 

Dem Schwerpunktthema des Kongresses entsprechend gab es außerdem erstmals einen Jugendtag, der die Auswirkungen von Schlaf auf die Leistungsfähigkeit thematisierte und in Vorträgen und Diskussionen die wichtige Bedeutung eines erholsamen, gesunden Schlafes vermittelte. Denn guter Schlaf beginnt meistens im Kopf: Gründliche Aufklärung der Bevölkerung ist notwendig, um die Menschen für die Wichtigkeit einer erholsamen Nachtruhe zu sensibilisieren, damit sie Probleme erkennen und bei Schlafstörungen ärztliche Hilfe suchen. 

Macht zu wenig Schlaf dick?


Mögliche Zusammenhänge zwischen Schlafmangel und Übergewicht

In der Forschung mehren sich die Hinweise darauf, dass zu kurze Schlafdauer ein Risikofaktor für Übergewicht ist. Zumindest bei Kindern scheint an dieser Hypothese etwas dran zu sein. 

Anne Greveling

Wir schlafen immer weniger. Unsere moderne Leistungsgesellschaft, die Engagement rund um die Uhr verlangt, die Unterhaltungsindustrie, die 24 Stunden pro Tag Entertainment bietet, Verkehrslärm, der vielen Menschen die Nacht zur Qual werden lässt – unser hektischer Lebensstil fordert seinen Tribut. Wissenschaftliche Untersuchungen aus den USA zeigen, dass die durchschnittliche Schlafdauer der Menschen sich in den letzten 50 Jahren um anderthalb bis zwei Stunden reduziert hat. Unser Schlafbedarf, der genetisch festgelegt ist (der eine braucht ein bisschen mehr Schlaf, der andere kommt mit fünf oder sechs Stunden aus), ist jedoch gleich geblieben.  

Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass die Menschen in den westlichen Industrieländern immer dicker werden. Das hat verschiedenste Ursachen (sitzende Berufe, zu wenig körperliche Aktivität in der Freizeit, ungesunde Ernährung etc.). Dennoch lag es angesichts dieser beiden unübersehbaren Tendenzen nahe, einmal nach einem möglichen Zusammenhang zwischen Schlafmangel und Übergewicht zu fahnden. 

Auf den ersten Blick erscheint diese Idee weit hergeholt. Was haben Nachtruhe und Gewicht miteinander zu tun? Wie kann zu wenig Schlaf dick machen? Hierzu gibt es verschiedene Hypothesen. Am häufigsten wird die Leptin-Ghrelin-Theorie angeführt. Appetit und Sättigungsgefühl werden durch zwei Hormone gesteuert: Das im Magen gebildete Ghrelin steigert den Appetit, während das hauptsächlich vom Fettgewebe produzierte Leptin appetithemmend wirkt. Untersuchungen zeigen, dass zu wenig Schlaf mit erhöhten Ghrelin- und erniedrigten Leptinspiegeln im Blut einhergeht, somit also die Esslust fördert. Ganz so einfach, wie es scheint, ist die Sache allerdings nicht: Denn andererseits steigt der Leptinspiegel proportional zur Körperfettmasse an, was dieser Tendenz wiederum entgegenwirkt. 

Macht Schlafmangel nun dick oder nicht? Die zu dieser Frage vorliegenden Studien haben widersprüchliche Ergebnisse erbracht. Manche Untersuchungen zeigten einen eindeutigen Zusammenhang zwischen zu wenig Schlaf und Übergewicht, andere nicht. In wieder anderen Studien ging sowohl zu kurzer als auch zu langer Schlaf mit erhöhtem Körpergewicht einher, während Menschen mit normaler Schlafdauer (sieben bis acht Stunden) eher zu normalem Gewicht tendierten. 

Erhöhter Körperfettanteil durch Schlafmangel

Neuere Studien deuten darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Schlafdauer und Körpermasse (wenn es ihn denn überhaupt gibt) in erster Linie auf einen erhöhten Anteil an Fettgewebe zurückzuführen sein könnte. In einer dieser Untersuchungen hatten Probanden, die weniger als fünf Stunden pro Nacht schliefen, einen höheren Körperfettanteil als „Normalschläfer“. Andere Studien zeigten, dass Menschen mit kurzer Schlafdauer einen höheren Bauchumfang haben. 

Klarer als bei Erwachsenen scheint der Zusammenhang zwischen Schlafmangel und Übergewicht bei Kindern zu sein. Auch bei ihnen ging zu kurzer Schlaf in den Studien zu dieser Frage mit einem erhöhten Anteil an Fettgewebe einher. Und es zeigte sich, dass vor allem Kinder mit stark erhöhtem Body-Mass-Index (BMI) häufig zu wenig schlafen. Untersuchungen an Jugendlichen er­-gaben außerdem, dass junge Menschen, die zu kurz schlafen, zu einem erhöhten Konsum fetthaltiger Lebensmittel neigen. Da immer mehr Kinder und Jugendliche übergewichtig sind, ist es also auf jeden Fall sinnvoll, wenn Eltern darauf achten, dass ihre Kinder genügend Schlaf bekommen, statt bis in den späten Abend hinein vor dem Fernseher oder Computerbildschirm zu sitzen. Im Kindesalter wird nicht nur das Fundament für die Entwicklung gesunder (oder ungesunder) Schlafmuster gelegt; auch eine Übergewichtsprävention scheint in dieser Lebensphase besonders erfolgversprechend zu sein. 

Quelle: S. Hense, O. Bayer: Schlafdauer und Übergewicht. Somnologie 2012; 16:99–105

 

Wechselwirkungen zwischen Schlafstörungen und Diabetes

Ein Diabetes kann zu Schlafstörungen führen – beispielsweise aufgrund von Diabetes-Komplikationen wie neuropathischen Schmerzen, die vielen Diabetikern die Nacht zur Qual machen, oder durch den Stress, den Krankheit und Therapie mit sich bringen. Es gibt aber immer mehr Hinweise darauf, dass Ein- und Durchschlafprobleme umgekehrt auch das Diabetesrisiko erhöhen. Eine neue Studie aus Japan bestätigt, dass es hier tatsächlich einen Zusammenhang zu geben scheint: Wissenschaftler in Tokio analysierten die Gesundheitsdaten von über 1000 Männern, die sich bei ihrer japanischen Firma dem alljährlichen Gesundheitstest unterzogen. Bei diesem Test wurden unter anderem der Langzeit-Blutzuckerwert (HbA1c) bestimmt und Symptome für Schlafstörungen abgefragt.

Das Ergebnis: Ein erhöhter HbA1c-Wert (der bei über 5 % der Probanden festgestellt wurde) korrelierte eindeutig mit Durchschlafproblemen und zu frühem morgendlichem Erwachen. Warum Menschen, die schlecht schlafen, ein erhöhtes Diabetesrisiko haben, weiß man noch nicht genau. Möglicherweise bewirkt der schlechte Schlaf eine Ausschüttung von Stresshormonen wie beispielsweise Kortisol, die die Diabetes-Entstehung begünstigen. Das Fazit der Autoren: Hausärzte sollten bei Patienten mit Schlafstörungen vermehrt darauf achten, ob bei diesen ein Diabetes oder Prädiabetes vorliegt.

Kachi Y et al.: Association between insomnia symptoms and hemoglobin A1c level in Japanese men. PLoS One 2011: e21420 (Epub)

Mehr Lebensfreude durch Achtsamkeit

Marion Zerbst

Früher war das Leben vielleicht nicht schöner, aber einfacher. Man arbeitete 40 oder 50 Stunden pro Woche und ging nach Feierabend nach Hause, wo die Familie und zwei Fernsehprogramme auf einen warteten. Kein Handy, keine SMS, keine E-Mails, keine hundert Verpflichtungen, keine tausend Freizeitangebote. Man schaute sich im Fernsehen ein Quiz oder die Sportschau an, spielte mit der Familie noch eine Partie Rommee und ging dann ins Bett. Einmal im Jahr machte man Urlaub im Schwarzwald oder auf Mallorca.

Man lebte im Jetzt und Hier. Es blieb einem nichts anderes übrig. Heute dagegen: Reizüberflutung auf allen Kanälen; mehrere Telefone, die gleichzeitig klingeln; Computerspiele, „Big Brother“ und „Deutschland sucht den Superstar“ – sinnlose Animation rund um die Uhr. Von der Arbeit nach Hause gekommen, findet man meistens auch dort keine Ruhe, sondern muss weiter E-Mails beantworten, ständig erreichbar sein. Selbst eine „Nur“-Hausfrau und -Mutter (wo gibt es so etwas heute noch?) ist normalerweise viele Stunden pro Woche damit beschäftigt, ihre Kinder von der Hausaufgabenbetreuung zum Ballettunterricht und abends noch zum Pantomime-Kurs zu fahren. 

Manche Leute gewöhnen sich so sehr an diesen Zustand ständigen Gehetztseins, dass sie süchtig danach werden. In ihrem Leben muss immer etwas los sein. Beim Autofahren muss das Radio laufen, nebenher unterhält man sich noch mit seinem Beifahrer, schimpft auf den Idioten da vorne oder telefoniert auf dem Handy (auch wenn’s verboten ist). Selbst die knapp bemessene Freizeit artet in Stress aus, weil man das Gefühl hat, so viel wie möglich hineinpacken zu müssen. 

Andere leiden unter der ständigen Hektik, belegen Zeitmanagement-Seminare oder Yoga-Kurse und gehen nach Feierabend noch ins Fitnessstudio in der Hoffnung, ihren Adrenalinspiegel dadurch ein bisschen herunterfahren zu können. All das meistens nur mit dem Erfolg, dass noch ein Termin mehr im Kalender steht und man erst recht nicht mehr dazu kommt, endlich einmal aufzuatmen und loszulassen. Denn Entspannung nach Terminplan – das funktioniert nicht.

Kein Wunder, dass Depressionen, Angststörungen, Schlafprobleme und Burnout inzwischen zu den Volkskrankheiten gehören. 

Wie kommt man heraus aus dem Hamsterrad? Wir können die Uhr nicht zurückdrehen, das Handy nicht in den Mülleimer werfen, den unzähligen Anforderungen und Freizeitangeboten und der permanenten Reizüberflutung nicht entfliehen.

Da hilft nur eines: wieder bewusst Achtsamkeit erlernen. Die Idee ist nicht neu. Die gab es schon vor Jahrtausenden; nur ist sie jetzt, in unserer hektischen Zeit, in einer unsicheren Wirtschaftslage voller Ängste und Sorgen, aktueller denn je. Wir alle kennen die uralte Geschichte von dem Zen-Meister, der von ein paar Ratsuchenden gefragt wurde, wie er es denn schaffe, immer so glücklich und gelassen zu sein.

„Wenn ich liege, dann liege ich“, antwortete der alte Meister. „Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich esse, dann esse ich und wenn ich spreche, dann spreche ich.“ 

Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Dann sagte einer: „Aber das tun wir doch auch. Wir schlafen, essen und gehen. Was machst du denn noch darüber hinaus?“ 

Wieder antwortete der Meister: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich esse, dann esse ich und wenn ich spreche, dann spreche ich.“ 

Und wieder wandten die Leute ein: „Das tun wir doch auch.“
Da sagte er zu ihnen: „Nein. Wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon. Wenn ihr steht, dann lauft ihr schon, und wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel.“ 

Dieses In-der-Gegenwart-Leben, das der alte Zen-Meister uns empfiehlt, klingt leichter, als es ist. Oft muss man die sinnlose Hetze unseres modernen Lebens erst mal eine Weile durchgemacht haben, ehe man zu dieser Art von Achtsamkeit findet. Und sie wird einem auch nicht geschenkt – man muss sie sich erarbeiten.  

Im Jetzt und Hier sein

Ich sitze im Taxi, bin auf dem Weg zu einer wichtigen Besprechung. Natürlich könnte ich jetzt hektisch meine Notizen durchblättern und die Präsentation, die ich gleich halten muss, in Gedanken noch einmal Folie für Folie durchgehen. Vielleicht steigt dadurch meine Chance auf einen erfolgreichen Vortrag – auf jeden Fall aber mein Blutdruck.

Doch eigentlich könnte ich auch etwas ganz anderes tun. Es ist Mai. In der Landschaft, die an meinem Taxifenster vorbeifliegt, blühen Obstbäume, Vergissmeinnicht und Anemonen – und sie werden erst in zwölf Monaten wieder so schön blühen wie jetzt. Ich lege meine Notizen beiseite, schaue hinaus, bewundere jeden Baum und jeden Strauch. Ich kurble die Fensterscheibe hinunter und sauge den betäubenden Blütenduft und den würzigen Geruch des Bärlauchs tief in meine Lungen hinein. 

Als ich am Besprechungsort ankomme, bin ich nicht mehr ganz so aufgeregt und nervös wie vorher. Mit einem Lächeln betrete ich den Besprechungsraum und begrüße meine Zuhörer. 

Ich sitze im Wartezimmer meines Schmerztherapeuten. Es geht mir nicht gut. Das Kreuz tut weh. Und zu allem Überfluss hat meine Krankenkasse mir vor kurzem mitgeteilt, dass sie die Kosten für meine Schmerztherapie nicht mehr länger zu übernehmen gedenkt, weil sie an deren „medizinischer Notwendigkeit“ zweifelt. Die ständigen Rückenschmerzen zermürben mich; und die Aussicht auf einen langwierigen Rechtsstreit mit der Krankenversicherung trägt auch nicht gerade zu meiner Erheiterung bei. 

Aber Grübeln und Sich-Ärgern bringen ja nichts. Ich schaue mir die Orchidee an, die im Wartezimmer auf dem Tisch steht, bewundere die Farbnuancen und die feine Musterung ihrer Blüten. Ein kleines Wunderwerk der Natur. Ich höre dem Vogelgezwitscher zu, das durch das geöffnete Fenster ins Zimmer dringt, und freue mich auf den kleinen Besuch im Straßencafé, mit dem ich mich nach meinem Arztbesuch belohnen werde. Als ich kurze Zeit später ins Behandlungszimmer gerufen werde, tun die Spritzen des Arztes ein bisschen weniger weh als sonst, und ich sehe dem Streit mit meiner Krankenkasse mit etwas mehr Optimismus entgegen. 

Ich nehme mir vor, künftig meinen ganzen Alltag so zu gestalten. Trotz Hektik will ich mir in Zukunft jeden Tag mindestens zehn Minuten Zeit nehmen, um in aller Ruhe am liebevoll gedeckten Tisch zu frühstücken. Erst dann gehe ich den Tag an. Statt Musik immer nur so nebenbei zu hören, während der Arbeit oder beim Putzen, lege ich mich abends bei schummriger Beleuchtung oder Kerzenlicht auf die Couch und lege meine Lieblings-CD auf. Ich achte auf alle Feinheiten der Musik, genieße jeden Akkord und lasse den Tag in Ruhe ausklingen. 

Die Ruhe der Resignation

Sicher kennen Sie das auch: Sie können nicht schlafen, weil Ihnen noch tausend Gedanken im Kopf herumgehen oder Sie sich über irgendetwas Sorgen machen. Leider funktioniert das Grübeln mitten in der Nacht am allerbesten. 

Entnervt schauen Sie auf die Uhr: schon halb drei. Jetzt muss ich unbedingt einschlafen, dann habe ich wenigstens noch vier Stunden, bis der Wecker klingelt ... 

Nach einer Stunde wieder ein Blick auf die Uhr: halb vier. Dann halb fünf. Jetzt lohnt es sich eigentlich schon gar nicht mehr, die Augen zuzumachen ...

Das ist der letzte Gedanke, an den Sie sich noch erinnern können, ehe Sie tatsächlich einschlafen. 

Der bekannte Schlafforscher und Diplompsychologe Hans-Günter Weeß erklärt dieses Phänomen folgendermaßen: „In dem Augenblick, in dem man sich sagt: ,Eigentlich lohnt es sich gar nicht mehr...’, stellt sich ein Gefühl der Resignation ein, und in dieser Resignation steckt eine heilsame Portion Entspannung: ,Jetzt ist ja sowieso alles egal.’ Im Gefolge dieser Entspannung übermannt einen Müdigkeit und endlich auch der ersehnte Schlaf – auch wenn er jetzt vielleicht nur noch ein oder zwei Stunden dauert.“

So seltsam es klingen mag – diese heilsame Resignation lässt sich auch auf das Leben übertragen. Erinnern Sie sich noch an jenen eigentümlichen Schwebezustand jedes Jahr kurz vor den Sommerferien, wenn die Klassenarbeiten alle geschrieben waren und die Zeugnisse längst feststanden? Ob gute oder schlechte Zensuren, ob die Versetzung gefährdet war oder die Eltern zufrieden sein würden – es war alles entschieden. Die Würfel waren gefallen, jetzt war nichts mehr zu ändern, und man konnte das Leben und vielleicht sogar die Schule endlich mal so richtig genießen. Jeden Tag auskosten – ohne Zwang, ohne Leistungsdruck. 

Diesen Zustand „kurz vor den Sommerferien“ kennen wir auch von unserem späteren Leben her; nur können wir ihn nicht immer genießen, weil wir das Heilsame, das in der Resignation liegt, nicht begreifen. Weil wir nicht aufhören können, uns immer weiter unter Druck zu setzen. 

„Life is what happens to you while you’re busy making other plans“ („Leben ist das, was uns passiert, während wir andere Pläne machen“) – dieses Zitat aus einem Song von John Lennon ist die beste Definition des Lebens, die ich kenne. Oft kümmern wir uns gar nicht so richtig um das, was in unserem Leben gerade passiert, weil unserer Meinung nach ja jetzt eigentlich etwas ganz anderes „dran“ wäre. Manchmal kommt es uns sogar so vor, als seien wir im völlig falschen Film. Eigentlich müsste ich jetzt schon längst Art Director in einer großen Werbeagentur sein, statt mich als Webdesigner mühsam von Auftrag zu Auftrag zu hangeln. Eigentlich müsste ich mittlerweile verheiratet sein und ein oder zwei Kinder haben, statt mir aus kurzlebigen Beziehungen und gelegentlichen One-Night-Stands ein improvisiertes Privatleben zusammenzustückeln. Eigentlich sollte ich schon längst nicht mehr bei meinen Eltern wohnen, sondern auf eigenen Füßen stehen ...

Wir konzentrieren uns auf unsere Zukunftspläne und -träume oder ärgern uns über verpasste Chancen – und währenddessen geht das Leben an uns vorbei. Ich muss doch unbedingt einmal am Nordpol gewesen sein, muss unbedingt noch diesen Roman veröffentlichen, den Partner fürs Leben finden oder die Beförderung bekommen, auf die ich schon seit Jahren warte, sonst kann ich nicht glücklich sein. Ich muss, ich muss, ich muss, ich will, ich will, ich will ...

Bis uns irgendwann klar wird, was wir uns damit antun.
Ich habe die Lebensmitte längst hinter mir. Viele Lebensziele habe ich nicht erreicht, und wahrscheinlich werde ich sie auch nicht mehr erreichen. Das kann mich traurig machen, vielleicht auch verbittert. Aber hat es nicht auch etwas Befreiendes? Jetzt kann ich es mir in aller Ruhe im Jetzt und Hier gemütlich machen – frei von jeder Erwartungshaltung, frei von allem Leistungsdruck, so wie damals als Schülerin kurz vor den Sommerferien. Ich kann mich ins Straßencafé des Lebens setzen und das Leben und Treiben um mich herum beobachten, ohne mich dadurch aus der Ruhe bringen zu lassen. Und wer weiß, ob das „Lebensglück“, dem ich viele Jahre lang hinterhergejagt bin, mich am Ende wirklich so glücklich gemacht hätte?

Annehmen, was ist

Ich kann mir dieses Jahr keinen Sommerurlaub leisten. Obwohl ich ihn so dringend nötig gehabt hätte. Aber es geht einfach nicht. Die Waschmaschine ist kaputt, der Chef hat Kurzarbeit angekündigt, und die Krankenversicherung hat dieses Jahr schon wieder ihre Beiträge erhöht. Was danach übrig bleibt, reicht gerade noch zum Überleben, aber nicht fürs Vergnügen. Ade, Ferienhaus auf Amrum oder Segeltörn in der Karibik. 

Natürlich kann ich mich jetzt ärgern und dem verlorenen Urlaub nachtrauern. Aber ich kann auch das Beste aus der Situation machen. Das annehmen, was jetzt im Augenblick gerade ist. Kann es mir zu Hause gemütlich machen und zusehen, wie die Schmetterlinge auf meinem Balkon von Blüte zu Blüte fliegen. Oder meine eigene Heimatstadt und deren Umgebung erkunden, die ich eigentlich noch gar nicht so richtig kenne, weil ich im Urlaub bisher immer weggefahren bin: die Kunstgalerien, die Biergärten, den kleinen Badesee am Stadtrand. 

Carla schläft schlecht. Die Wechseljahre machen ihr zu schaffen. Ständig diese fliegenden Hitzen und die innere Unruhe ... Wehmütig denkt sie daran, wie gut sie früher schlafen konnte – in dem Augenblick, wo sie das Licht ausmachte, weilte sie schon im seligen Reich der Träume und wurde morgens erst wieder wach, wenn der Wecker klingelte. Aber jetzt – jetzt sind ihre Nächte nur noch eine Qual. 

Man kann es freilich auch anders sehen. Die Lebensberaterin Brigitte Hieronimus begleitet Frauen in den Wechseljahren und zeigt Möglichkeiten zur Bewältigung der Probleme auf, die dieser Lebensabschnitt mit sich bringt. Natürlich kann man sich über die Schlaflosigkeit ärgern, meint sie. Man kann die wachen Stunden aber auch dazu nutzen, seinen Gedanken nachzuhängen, eine Bilanz seines Lebens zu ziehen. Sich selbst näherzukommen. „Wann haben wir so viel Zeit für uns allein wie in der Nacht?“, schreibt sie in ihrem Buch „Vom Glück der Schlaflosigkeit“. „Kein aufdringliches Telefon. Kein Termindruck. Der Lärm des Tages ruht. Ein wunderbares Geschenk: Zeit. Zeit, die helfen kann, eine Antwort auf die aktuellen Lebensfragen zu finden. Wo stehe ich? Wo will ich hin? Was habe ich erreicht? Was möchte ich gern noch tun?“

Die Bürde des Lebens akzeptieren

Natürlich kann Schlaflosigkeit eine Bürde sein. Vor allem dann, wenn man noch im Berufsleben steht und am nächsten Tag zeitig aufstehen muss. Doch selbst in den Bürden des Lebens lässt sich manchmal noch ein positiver Sinn erkennen. Schließlich sind sie unsere ständigen Begleiter, und zumindest ab einem gewissen Alter ist kein Mensch mehr ohne irgendeine Bürde, die ihm das Leben schwer macht: Eine chronische Krankheit. Erzwungener Vorruhestand. Oder der Tod eines geliebten Menschen, den man noch nicht verwunden hat. Manfred Kyber findet in seinem Roman „Die drei Lichter der kleinen Veronika“ sehr treffende Worte dafür, wie quälend eine solche Last sein kann und wie man sie doch durch seine Sichtweise zu etwas Positivem machen kann – in der Gestalt des armen Hausierers Aron Mendel, der mit einem schweren Kasten auf dem Rücken von Gehöft zu Gehöft zieht und seine Ware zu verkaufen versucht.  

„Ich weiß es noch wie heute, wie groß die Kinderseligkeit solch eines Einkaufs war“, erinnert sich der Autor des Romans an seine Jugendzeit. „Noch besser und noch tiefer aber weiß ich es, wie sie zu Ende ging. Ich sehe es noch vor mir, wie der alte Jude Schublade um Schublade schloss, wie er den groben Leinensack über den Kasten zog und ihn mit einer einzigen ruckhaften Bewegung auf die Schultern lud. Da packte mich mit einem Male der Gedanke: dieser Kasten ist viel zu schwer für den alten Mann ... Langsam, mit dem gleichmäßigen Schritt ergebener Übung verschwand der alte Jude auf der Landstraße, und ich sah ihm nach, wie er den Kasten weiterschleppte, wie die Traggurte in die Schultern einschneiden und die Bürde ihm den Rücken krumm bog. Ein grenzenloses Mitleid mit dem alten Manne überkam mich, und der teuer erkaufte Plunder brannte mir in der Hand wie ein unrechtes Gut“, so schreibt Manfred Kyber. „Zum ersten Male begriff ich etwas vom Fluch der Menschheit und von der Qual, mit der sie ihre Bürde fremd und einsam durch verdunkeltes Dasein trägt.“ Aber er begreift auch, dass uns diese Erfahrung erst zum Menschen macht, denn „umso mehr erkennt man die Bürde bei Menschen, Tieren und Pflanzen, und in denen, welche sie tragen, sieht man den Bruder. Ich glaube, Aron Mendel, um diese Erkenntnis gibt man seine Bürde nicht mehr her.“

Auch in dieser Erkenntnis steckt ein Stück Achtsamkeit, und auch sie kann uns den Weg zu einem gelasseneren Leben weisen. 

Was schon der alte buddhistische Meister wusste – wie wichtig es für unser seelisches Wohlbefinden ist, in der Gegenwart zu leben –, die neu­-esten Erkenntnisse der modernen Glücksforschung bestätigen es: Wissenschaftler haben eine neue Application entwickelt, mit deren Hilfe sie ihre Probanden immer wieder auf deren Smartphone anrufen und fragen, was sie denn gerade tun und wie sie sich dabei fühlen. So soll eine Art „Psychologie des Alltagslebens“ entstehen. Und was sie dabei herausgefunden haben, ist wirklich erstaunlich: Je mehr wir uns auf das konzentrieren, was wir gerade tun, umso glücklicher sind wir. Wenn unsere Gedanken abschweifen, leidet unsere Stimmung – selbst wenn wir dabei gar nicht an etwas Negatives denken. 

Ein weiterer guter Grund, Achtsamkeit zu trainieren und unsere Gedanken und Gefühle immer wieder in die Gegenwart zurückzuholen.