Das Schlafmagazin: Ausgabe 2/2013

Das Schlafmagazin: Ausgabe 2/2013


Liebe Leserin, lieber Leser,

Freude ist unser wichtigstes Lebenselixier. Jeden Morgen sollten wir mit Optimismus den Tag beginnen, in bester Laune. Das hält gesund, das stimuliert unser Immunsystem. Und aus solch positiver Einstellung heraus lassen sich die Ärgernisse unseres Daseins, Probleme, Ungerechtigkeiten viel besser anpacken, lösen, ertragen. Fangen wir mit einem Sonnenschein-Erlebnis an. Es dreht sich ums Bett. Bett assoziiert auch ganz besondere Erlebnisse, auf die aber wollen wir hier nicht hinaus. Ein renommierter Bettenhersteller hat uns vor kurzem eingeladen zur Präsentation eines neuen Bettes, genauer: der Unterfederung. Natürlich denkt man zuerst an eine Werbeveranstaltung, und solche Events sind meist dröge und penetrant. Andererseits kennen wir dieses Unternehmen schon lange und wissen, dass dort gute Produkte hergestellt werden. Lattoflex hat immerhin den Lattenrost erfunden, der die Bettenindustrie der Welt inspiriert hat. Und was Lattoflex-Boss Boris Thomas da vorgeführt hat – wir haben’s selber ausprobiert –, ist ein wirklich fantastisches Bett. Wir verstehen nichts von der Technik, auf der man da liegt, aber wir haben es gefühlt, haben es erlebt. Wir können uns gut vorstellen, dass die Nächte auf solch einem Bett traumhaft sind – erholsam, wie der Somnologe zu sagen pflegt.

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Hat man gut geschlafen und fühlt man sich großartig am Morgen, dann lassen sich die unangenehmen Themen leichter ertragen. Und wir haben da ein dickes Problem.  Jetzt ärgert das noch keinen. Das braucht Zeit, doch der Unbill kann sich schnell entwickeln. Ohne grundsätzlich schwarz zu sehen, glauben wir, dass die Schlafmedizin in Gefahr ist. Die Krankenkassen nagen schon lange und beharrlich an den Budgets der Schlaflabore. Wir kennen das: Die Qualität soll steigen, der Preis muss fallen. Die renommierte Techniker Krankenkasse hat zugeschlagen. Eine bundesweite Ausschreibung, bei welcher der Preis Kriterium für den Losgewinn war, war die Ouvertüre für einen Paradigmenwechsel in der schlafmedizinischen Versorgung. Dass die Preise für Geräte und Masken dramatisch unter Druck geraten, ist die eine Seite. Dass Hersteller, die kein Los gewonnen haben (oder anders gesagt: die sich nicht auf das tiefste Preisniveau eingelassen haben) betroffen reagieren, können wir nachvollziehen. Die andere Seite: Bei solchen miserablen Gewinnmargen, welche die vereinbarten Pauschalpreise enthalten können, müssen Homecare Provider künftig auf den Cent schauen. Und sparen, das kann man am leichtesten am Personal (wie das in unseren Krankenhäusern schon lange mit zum Teil dramatischen Folgen praktiziert wird), an den Mitarbeitern, die den neuen und den alten Patienten bei Einweisung und bei Problemen beistehen sollen. Die übrigen großen Kassen haben uns auf Anfrage zwar versichert, dass sie das Instrument der Ausschreibung nicht nutzen werden. Doch wenn man sich an die jetzt etablierten Niedrigpreise erst einmal gewöhnt hat, findet das begeisterte Nachahmer. Wir werden aber darauf achten, wie sich dabei die Versorgungsqualität entwickelt. Und den Krankenkassen sei es ins Stammbuch geschrieben: Eine erfolgreiche Schlafapnoe-Diagnostik und -Therapie ist erstklassige Prävention!

Für alle, die mit Schlafproblemen zu kämpfen haben, bietet das Pfalzklinikum ein neues multimodales Konzept an. Es hört sich in der Tat viel versprechend an. Und noch ein Leuchtturmthema: Adipositas. Es gibt immer mehr Zeitgenossen, die ernsthaft mit beachtlichem Übergewicht zu kämpfen haben. Dazu ein umfangreiches Gespräch mit Uwe Machleit, dem Leiter des Adipositas-Zentrums in Bochum.

Also schlafen Sie gut und ärgern Sie sich nicht! Doch kämpfen Sie für Ihre Rechte!

 

Ihr

Werner Waldmann

Das Schlafmagazin: Ausgabe 2/2013

Foto: ©Krimar/123rf
Inhalt

6 Wird die Schlafmedizin an die Wand gefahren?

8 Immer mehr Rechtsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Patienten

10 Neues Magazin zum Thema Schlaf am Start

11 Selbsthilfe Schlafapnoe nicht attraktiv genug?

12 Maskentherapie-Überfall im Schlaflabor vermeiden!

16 Schlafstörungen bei Multipler Sklerose (MS)

18 Polygrafie im Scheckkartenformat

20 Unterkieferprotrusionsschienen-Therapie

22 Die Minis von Transcend

24 Gesund und dauerhaft abnehmen

 

28 Eine Maske zum Verlieben? 

30 Chronische Insomnie: Wer kann mir jetzt noch helfen?

32 Nachtarbeiter im Schlaflabor

34 Schlafen wie auf Wolken

35 Eine Doppelmatratze – oder doch lieber zwei?

36 Wenn man im Traum fliegen kann ...  ​​​​​​​

40 Mechanismen der Gedächtnisbildung im Schlaf

44 Leserbriefe

50 Das Geheimnis der Nacht

Wird die Schlafmedizin an die Wand gefahren


Der Preis ist heiss

Laut einer Studie aus Dänemark ist die Schlafapnoe-Diagnostik und -Therapie eine präventive gesundheitliche Maßnahme von hohem Stellenwert. Eigentlich ist es Aufgabe einer weitsichtigen Krankenkasse, bereits im Vorfeld präventiv zu wirken, um spätere Krankheitskosten zu vermindern. 

Werner Waldmann 

Bislang schätzte man, dass es in Deutschland 2 bis 4 % Menschen mit einer Schlafapnoe gebe, wobei viele noch nicht identifiziert und einer Therapie zugeführt seien. Eine unbehandelte Schlafapnoe hat eklatante Folgen: Bluthochdruck, Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall. Die lebenslangen direkten Behandlungskosten pro Schlaganfallpatient in Deutschland belaufen sich auf rund 43 129 Euro. Ein weiterer kostspieliger bis lebensgefährlicher Faktor sind Menschen, die noch keine Ahnung von ihrer Schlafapnoe haben. Tagsüber erleiden sie in monotonen Situationen plötzliche Einschlafattacken. Am Steuer eines Fahrzeugs wird das lebensgefährlich. 

Alles ist noch schlimmer!

Doch es sind weit mehr Menschen von dieser Erkrankung betroffen, als bislang angenommen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine groß angelegte wissenschaftliche Studie, die in den letzten zwei Jahren von Philips durchgeführt wurde. Die Studie zeigt, dass 6,4 % der Probanden an Schlafapnoe leiden. Bisher nahm man an, dass nur 2 bis 4 % der Bevölkerung in Deutschland von dieser nächtlichen Atemstörung betroffen sind. Auffallend ist zudem, dass 78 % der betroffenen Probanden sich ihrer Schlafstörung überhaupt nicht bewusst waren. Das wären um die 5 Millionen Schlafapnoiker, die noch nichts von ihrer Krankheit wissen. Eine Zeitbombe, was künftige Gesundheitskosten angeht. Eine Zeitbombe, was die Verkehrssicherheit betrifft. 

Blinde Krankenkassen?

Betrachtet man diese Situation mit kühlem Verstand und gesellschaftlicher Verantwortung, müssten unsere Krankenkassen alles tun, um Menschen mit Schlafapnoe aufzuspüren und bestmöglich zu behandeln. Das kostet Geld. Doch diese Investition erspart kommenden Generationen einen unvorstellbaren Kostentsunami. Doch wozu sollten Kassenfunktionäre ihre Budgets jetzt belasten, wo sie doch dann, wenn das Problem Schlafapnoe finanziell aus dem Ruder läuft, selbst längst nicht mehr in der Verantwortung stehen? Natürlich wissen alle, was da vorprogrammiert ist. Doch jeder denkt: Nach mir die Sintflut. Und so wird in unserer Republik die Schlafmedizin systematisch ignoriert, missachtet, finanziell ausgehungert.

Es ist schade, dass eine wirklich einmalige Möglichkeit, Erkrankungen durch eine Therapie auf lange Sicht zu vermeiden, von den Kostenträgern so wenig Beachtung erfährt.  Dabei hat die Techniker Krankenkasse den Vogel abgeschossen. 

Verhandeln oder ausschreiben?

Der Gesetzgeber sieht für die Preisgestaltung der Patientenversorgung Verhandlungen und Ausschreibungen vor. Ein paar kleinere AOKs im Osten Deutschlands haben es vor längerer Zeit auch schon mal mit Ausschreibungen versucht und sich daran die Zähne ausgebissen. 

Warum nur hat die TK gerade auf diesem Sektor als erste Kasse bundesweit eine Ausschreibung mit Brachialgewalt und hohen eigenen Kosten durchgeboxt? Die TK hatte unter ihrem vorigen Vorstand Prof. Klusen den Ruf als eine Kasse, die ihre Versicherten hervorragend versorgt. Vielleicht war das jetzige TK-Management der Meinung, dass man lieber erst einmal bei der ökonomisch irrelevanten Gruppe der Schlafapnoiker ein Exempel statuieren sollte? Wenn dies ohne Aufschrei hinhaut, kann man diese Strategie auch auf andere Felder ausdehnen. So denken Unternehmer. Das ist schlau.

Im Stil der Unternehmensberatungen

Die Boston Consulting Group (BCG), eine international tätige Unternehmensberatung, hatte nun, so geht das Gerücht, den Auftrag, der Techniker Krankenkasse strategisch unter die Arme zu greifen. Eine gute Idee. Man will seinen Versicherten einen besseren Service bieten. Manche Kassen, so schwärmte der neue Vorstand Dr. Jens Baas in einem Interview mit der Ärzte-Zeitung, verstünden sich noch zu sehr als Verwaltungsapparat. 

Eigentlich macht das auch das Wesen einer gesetzlichen Krankenversicherung aus. Wir Versicherten vertrauen diesen Institutionen unsere Gelder an, damit sie uns im Krankheitsfall ordentlich versorgen. Die BCG wollte der TK sicher mehr unternehmerisches Handeln beibringen. Da fügte es sich brillant, dass Dr. Baas zum Januar 2011 von der BCG in den Vorstand der TK wechselte und seit Beginn 2012 Vorstandsvorsitzender ist. 

Der Preis entscheidet 

Die Vergabekriterien des Ausschreibungsverfahrens hingen zu 70 % vom Preis ab; die Qualität der Versorgung spielte nur zu jämmerlichen 30 % eine Rolle. Das TK-Management hat damit eingestanden, dass ihm Versorgungsqualität nur ein Feigenblatt ist.

Das Ergebnis der Ausschreibung: Ein einziges Unternehmen hat zu 80 % den Zuschlag bekommen. Bislang standen da viele kleinere Firmen im Dienst der Patienten. Die haben jahrelang Strukturen aufgebaut und Vertrauen bei ihren Patienten erworben. Das ist viel wert und gut für die Patienten. Diese Firmen sind ab 2013 für TK-Versicherte weg vom Fenster. Und ein einziges Unternehmen, ein sehr erfahrenes, übernimmt nun einen Riesenanteil der Versorgung.

In der Industrie läuft das seit langem so. Die Großen verdrängen beharrlich die Kleinen. Aldi statt Tante Emma. Doch müssen wir das auch im Gesundheitswesen praktizieren? Ist dies der richtige Weg? 

Ob das TK-Management die Folgen dieser Ausschreibung bedacht hat? Wettbewerb kann auch des Teufels sein. Wettbewerb muss gut sein für den Verbraucher. Gut, wenn er ein besseres und preiswerteres Auto kriegt. Schlecht, wenn die medizinische Versorgung darunter leidet.

Die TK hätte bei ihrer Ausschreibung auch Qualität in den Vordergrund stellen können, also 70 % Qualität und 30 % Preis. Doch das interessierte das Management nicht. Vielleicht sind die 30 % Preiskriterium nur ein Feigenblatt, um die rein ökonomischen Erwägungen des Managements zu kaschieren?

Für die Versorgung eines TK-Schlafapnoe-Patienten gibt es heute nur noch um die 160 Euro im Jahr, so wird in der Branche gemunkelt. Da können wenige mithalten. Qualität, wie gesagt, spielt keine Rolle, nur das Einsparpotential. 

Doch auch die glücklichen Gewinner der Ausschreibungslose sind Profis, die rechnen können. Niemand kann Schlafapnoe-Patienten auf Dauer mäzenieren. Gute Geräte kosten ihr Geld und die Versorgung, die Betreuung der Patienten ist personalintensiv – und teuer. 

CPAP-Geräte haben heute einen hohen Standard. Das ist kein Luxus. Ein Gerät, das kaum zu hören ist, das einen ausgeklügelten Beatmungsalgorithmus hat, erhöht die Chance, dass der Patient die Therapie akzeptiert. Solche Geräte kosten Geld. Für eine extrem niedrige Pauschale ist das schwer zu stemmen. 

Mir ist aktuell die Mitteilung einer Kasse an einen Betroffenen auf den Schreibtisch geflattert: Um die 700 Euro beträgt die vereinbarte Jahrespauschale. Entweder werfen die Verantwortlichen dieser Kasse das Geld zum Fenster raus – oder sie setzen auf Qualität.

Wir haben bei den großen Kassen nachgefragt, wie sie es künftig halten werden: Verhandeln wollen sie, nicht ausschreiben. Die Versorgungsqualität liegt ihnen am Herzen. Offenbar wollen sie, dass die Leute ihre Geräte nutzen, um Folgeerkrankungen vorzubeugen. Denn die kosten echtes Geld.

Das hat Konsequenzen

Die TK hat sich für einen Paradigmenwechsel in der Versorgung von Schlafapnoe-Betroffenen entschieden: Statt „payment for performance“ der Beginn eines gnadenlosen Preiswettbewerbs. Sparen muss die TK nicht, verteilt sie ihre Überschüsse doch werbewirksam an ihre Mitglieder (auch wenn bei denen kaum viele Euros auf dem Konto landen.)Der neue Chef der TK – ursprünglich als Unternehmensberater bei Automobilfirmen und Banken tätig – will seine Kasse wie einen Dax-Konzern führen. Dort geht es um den shareholder value. Dort ist Ethik nicht gefragt. Doch eine Krankenkasse ist kranken Menschen verpflichtet. Die sind ihre „Aktionäre“.  

Versorgungsqualität in Gefahr!

Ein Homecare Provider karrt den Leuten nicht nur das CPAP-Gerät mit Maske und Schlauch vors Haus. Die Patienten brauchen Beratung, manche intensiv und mit Geduld, andere weniger. Und hin und wieder gibt ein Gerät seinen Geist auf. Was dann? Da ist der Serviceberater gefragt. Der muss gar zum Patienten fahren, weil der altershalber nicht ins Zentrum kommen kann. Dieser personelle Aufwand kostet Geld. 

Eine gute Versorgung hat ihren Preis. Einen fairen Preis. Den kann eine Krankenkasse, wenn es auch lästig ist, verhandeln. Dazu schaut man sich die Kalkulation des Partners an und geht hart zur Sache. Das ist okay. Ausschreibungen sind bequem für den Ausschreibenden. Der schaut, wer der billigste ist und gibt dem den Zuschlag. Der Preis ist das entscheidende Kriterium. Die Qualität spielt eine marginale Rolle. Eine Rolle am Rande: 30 %! Bettpfannen, Badelifte, Rollatoren – eine Versorgung mit solchen Artikeln kann man über Ausschreibungsverfahren regeln. Doch die schlafmedizinische Versorgung ist ein äußerst sensibles Terrain. Da macht man ganz schnell viel kaputt und setzt die Gesundheit der Betruffenen aufs Spiel. Und riskiert viel Geld für Folgeerkrankungen! 

Der Freiburger Medizinethiker Prof. Giovanni Maio hält es für einen Riesenfehler, die Krankenversicherung den Gesetzen des Marktes zu überlassen. Die Ökonomie dürfe nur eine Dienerin der Medizin sein. Die TK sieht das wohl anders: Die Ökonomie beherrscht die Medizin.Nebenbei: Wer von den TK-Mitgliedern mit einer solchen Entwicklung, die sich anfangs harmlos ausnehmen mag, nicht einverstanden ist, hat eine simple Möglichkeit des Protestes: Er kann die Kasse wechseln. 

Es gibt eine Menge reputierlicher Krankenkassen, die statt auf Ausschreibungen zu setzen, mit den Leistungserbringen faire Preise aushandeln. Und dabei an ihre Versicherten denken. Und künftig Kosten sparen.

Immer mehr Rechtsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Patienten


Ein Interview mit Rechtsanwältin Mirja Trautmann

Wenn es um die eigene Gesundheit geht, gehen Rechtsstreitigkeiten einem besonders an die Nieren. Und die Konfliktmöglichkeiten sind leider gerade auf diesem Gebiet äußerst vielfältig: Ärztliche Behandlungsfehler, Leistungsverweigerungen der Krankenkassen, Streitigkeiten um Arzthonorare ... Da ist es wichtig, einen Anwalt zu haben, der sich im Medizinrecht auskennt – und zusätzlich am besten auch noch eine gute Rechtsschutzversicherung.

 

Warum belasten uns Rechtsstreitigkeiten im medizinischen Bereich so sehr?

Mirja Trautmann: Das kommt daher, dass es sich dabei fast immer um sehr emotionale Konflikte handelt: Es geht um den eigenen Körper, die eigene Gesundheit. Damit ist man als Mensch im Kern seines Wesens angesprochen, und es fällt einem schwerer, inneren Abstand zu der Streitigkeit zu gewinnen, als wenn es einfach nur um eine Geldsumme gehen würde. 

 

Kann man sagen, dass Prozesse im medizinrechtlichen Bereich in den letzten Jahren zugenommen haben?

Mirja Trautmann: Das liegt zum einen daran, dass die Patienten mutiger geworden sind und Konflikte mit ihrem behandelnden Arzt weniger scheuen als früher. In früheren Zeiten war der Arzt so etwas wie eine heilige Kuh oder ein „Halbgott in Weiß“, mit dem man sich nicht so gern anlegen wollte. Inzwischen sind Patienten – unabhängig davon, ob ihre Bedenken gegen den Arzt zu Recht bestehen oder nicht – einfach streitlustiger geworden. 

Zum anderen nehmen Konflikte zwischen Patienten und Kostenträgern zu, denn sowohl die gesetzlichen als auch die privaten Krankenversicherungen schauen aus finanziellen Gründen inzwischen sehr viel genauer hin, wenn es um Leistungserstattungen geht. Aus meiner Sicht steigt daher das Risiko, dass Probleme auftreten, die wir so vor 15 oder 20 Jahren sicherlich noch nicht hatten. Damals wurden die meisten Leistungen auch von den gesetzlichen Krankenversicherungen problemlos erstattet. Aber wir alle können es ja jeden Tag in den Medien verfolgen, wo die Probleme liegen – das Geld fehlt nicht nur in Griechenland, sondern auch in Deutschland an vielen Ecken, und das führt natürlich dazu, dass die Kostenträger alles sehr viel genauer prüfen.

 

Private Krankenkassen werben ja vor allem damit, dass sie im Gegensatz zu den GKVen alle medizinischen Leistungen erstatten. Stimmt das?

Mirja Trautmann: Leider hat sich auch hier vieles verändert. Ohne Namen nennen zu wollen, muss ich sagen, dass es sicherlich private Krankenversicherungen gibt, die selten auf dem Tisch des Anwalts landen, weil hier nur wenige Konfliktfälle bei den Kostenerstattungen entstehen; und es gibt Unternehmen, mit denen man als Anwalt öfter zu tun hat. Das lässt sich auch gar nicht immer eindeutig voraussagen: Es gibt Fälle, in denen Versicherungen bei nahezu gleichem Sachverhalt dem einen Versicherungsnehmer seine Kosten relativ problemlos erstatten, während der andere bei einem ähnlich gelagerten Fall Probleme bekommt. Manchmal hängt das auch damit zusammen, dass bestimmte Ärzte offensichtlich im Fokus eines Versicherers stehen, sodass er unabhängig vom individuellen Versicherungsnehmer einfach alle Fälle sammelt, die aus einer bestimmten Praxis oder einem bestimmten Krankenhaus kommen, um dann vielleicht mithilfe gesammelter Fälle Grundsatzfragen zu klären. Wenn man als betroffener Patient bzw. Kunde dieses Unternehmens in einen solchen Prüffokus gerät, dann beginnen die Probleme.

 

Wenn ich ein Problem habe (mit einem Arzt, einem Krankenhaus oder einer Krankenkasse), warum sollte ich mich dann nicht an irgendeinen Anwalt wenden, sondern an jemanden, der sich speziell im Medizinrecht auskennt? Was bringt das für Vorteile?

Mirja Trautmann: Seit mehreren Jahren gibt es in Deutschland den „Fachanwalt für Medizinrecht“. Das hängt mit der Entwicklung im Gesundheitswesen zusammen: Die Konflikte werden komplizierter, die Rechtsvorschriften sind teilweise schwer zu überschauen. Es gibt ein riesiges Konvolut an Vorschriften, die für den Laien (und damit meine ich auch den Allgemeinanwalt) nur sehr schwer durchschaubar sind. Hinzu kommt, dass der Fachanwalt für Medizinrecht auch unser Gesundheitssystem genau kennt. Außerdem muss er mindestens drei Jahre lang als Anwalt tätig gewesen sein, bevor er diesen Fachanwaltstitel erwerben kann. Er muss einen mehrstündigen theoretischen Kurs mit Prüfungen absolvieren und gegenüber der Rechtsanwaltskammer auch eine Mindestanzahl konkreter Fälle nachweisen als Beleg dafür, dass er sich nicht nur theoretisch mit dem Thema beschäftigt hat, sondern auch in der Praxis auf diesem Gebiet tätig ist. Hinzu kommt eine jährliche Fortbildungspflicht im Bereich des Medizinrechts. Mit anderen Worten: Der Patient hat es dann mit einem Anwalt zu tun, der nicht nur gelegentlich Fälle aus dem medizinrechtlichen Spektrum bearbeitet, sondern öfter – wenn nicht sogar ausschließlich – damit zu tun hat.

 

Wie gehen Sie vor, wenn ein Patient Sie wegen eines solchen Problems aufsucht? Sprechen Sie zuerst einmal mit der Gegenseite, um vielleicht zu einer außergerichtlichen Vereinbarung zu finden?

Mirja Trautmann: Die gerichtliche Auseinandersetzung ist (egal ob die Gegenseite ein Arzt, ein Krankenhaus oder eine Versicherung ist) aus meiner Sicht immer der allerletzte Weg. Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen dauern Prozesse relativ lange, obwohl wir hier in Baden-Württemberg im Vergleich zum Bundesdurchschnitt gute Gerichte und relativ kurze Verfahrensdauern haben. Außerdem stellen sie meiner Erfahrung nach gerade für Patienten eine schwere Belastung dar, die im Vorfeld oft unterschätzt wird: Der Prozess geht einem einfach nicht mehr aus dem Kopf, man nimmt ihn auch nach Hause und in den Schlaf mit. Es kommen Schriftsätze der Gegenseite, über die man sich aufregt, weil man der Meinung ist, dass der Sachverhalt darin falsch oder verzerrt dargestellt wird. Mit anderen Worten: Ein solcher Prozess belastet unabhängig von der Rechtslage das persönliche Leben. Dazu kommt natürlich auch noch die Kostenfrage: Ist der Patient nicht rechtsschutzversichert, so muss er, wenn er der Kläger ist, zunächst Gerichtskosten vorschießen, Anwaltskosten tragen – und das alles bei ungewissem Prozessausgang, also mit dem Risiko, am Ende auch die Anwaltskosten der Gegenseite übernehmen zu müssen. Insofern ist es – auch um das Arzt-Patienten-Verhältnis bzw. das Verhältnis zur Krankenversicherung nicht unnötig zu belasten – immer empfehlenswert, eine außergerichtliche Lösung anzustreben. 

Ich versuche den Sachverhalt im Vorfeld so gut wie möglich aufzuklären, um mir ein Bild davon machen zu können, was passiert ist und wo die rechtlichen Probleme liegen könnten. Schon kleine Details können manchmal zu einer anderen juristischen Einschätzung führen. Deshalb ist es so wichtig, im Vorfeld zunächst einmal alles an Material, Unterlagen und sonstigen Informationen zu sammeln, was man vom Patienten oder auch von anderen Stellen bekommen kann. Man bittet den Patienten also zum Beispiel um eine Liste der Ärzte, bei denen er in Behandlung war und die über Informationen zu seinem Problem verfügen könnten. Oder man fordert von der Krankenversicherung die aktuellen Tarifbedingungen oder den aktuellen Versicherungsschein an, um sicherzugehen, dass man da nicht von falschen Voraussetzungen ausgeht. Meist bittet man den Patienten auch um ein Gedächtnisprotokoll: Es ist oft sehr hilfreich, wenn die Leute sich hinsetzen und versuchen, niederzuschreiben, wie sie was erlebt haben und woran sie sich erinnern. Oft wissen die Patienten ja gar nicht, dass ein Detail für den Anwalt von großem Interesse sein kann. Und sie haben auch oft Angst, so ein Protokoll aufzusetzen. Ich erlebe immer wieder, dass ein Patient einwendet: Aber ich bin doch kein Jurist – wie soll ich das denn jetzt formulieren? Das alles ist für mich als Anwalt aber nicht wichtig, denn das Juristische habe ich zu erledigen. Deshalb sage ich meinen Klienten immer: Schreiben Sie es einfach so auf, wie es Ihnen in die Feder fließt, ich mache dann schon das Richtige daraus. Aber es ist einfach wichtig, auch mit Erinnerungen zu arbeiten; und da rechtliche Auseinandersetzungen immer eine gewisse Zeit dauern, erinnert man sich nach ein paar Monaten oft nicht mehr an Details. Deswegen ist das möglichst zeitnahe Gedächtnisprotokoll für mich als Anwalt eine wichtige Grundlage.

 

Übernimmt die Rechtsschutzversicherung in einem solchen Streitfall die Kosten?

Mirja Trautmann: Da muss ich mit der Lieblingsantwort des Juristen antworten: Es kommt darauf an – nämlich darauf, welchen Tarif der Patient abgeschlossen hat. Im Bereich der Rechtsschutzversicherung gibt es verschiedene Bausteine. Es hängt also alles davon ab, welche Module im Rechtsschutzversicherungsvertrag des Patienten eingeschlossen sind. Bei Streitigkeiten mit gesetzlichen Krankenkassen wird die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts nicht bezahlt; das heißt, dort würde man Unterstützung durch die Rechtsschutzversicherung erst dann bekommen, wenn man beim Sozialgericht Klage erhebt. Im Bereich der Arzthaftung (also wenn jemand Ansprüche gegen seinen Arzt geltend macht) und bei Verträgen mit privaten Krankenversicherungen sind die Kosten hingegen abgedeckt, wenn der Rechtsschutzversicherungsvertrag sich auf allgemeines Vertragsrecht oder Ähnliches bezieht.

 

Man hört ja oft, dass Rechtsschutzversicherungen nur dann die Kosten übernehmen, wenn gute Chancen auf den Gewinn eines Prozesses bestehen. Stimmt das?

Mirja Trautmann: Es ist nicht ganz falsch. Rechtsschutzversicherungen haben aufgrund der Versicherungsbedingungen die Möglichkeit, bei Fällen, die sie für absolut aussichtslos halten (bei denen also sozusagen vorprogrammiert ist, dass der Versicherer das Geld verlieren wird), eine Deckungszusage zu verweigern. Ich persönlich habe so etwas aber in den vielen Jahren, die ich schon als Anwältin tätig bin, noch kein einziges Mal erlebt. In manchen Fällen erfordert es zwar etwas Korrespondenz im Vorfeld, um eine Deckungszusage zu bekommen; aber normalerweise klappt es dann doch.

 

Dann empfiehlt es sich ja wohl grundsätzlich, eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen, denn man gerät schnell mal in Streit mit einer Krankenversicherung oder einem Arzt, und das kann teuer werden.

Mirja Trautmann: Das ist richtig. Vor allem ist dabei zu bedenken, dass es nicht ausreicht, die Versicherung erst abzuschließen, wenn der Konflikt sich bereits am Horizont abzeichnet; denn dann zahlt die Versicherungsgesellschaft nicht. Außerdem gibt es bei den meisten Rechtsschutzversicherungen drei Monate Wartezeit. Das bedeutet: Ich schließe jetzt einen Vertrag ab, genieße aber erst drei Monate später Rechtsschutz. Für alle Fälle, die in dieser dreimonatigen Wartezeit „auf den Tisch“ kommen, besteht auch nach Ablauf der Wartezeit kein Versicherungsschutz. 

 

Wie finde ich als Patient, der sich nicht auskennt, in meiner Stadt oder meiner Gegend einen auf Medizinrecht spezialisierten Anwalt?

Mirja Trautmann: Entweder durch Mund-zu-Mund-Propaganda, also Empfehlungen von Bekannten, die schon einmal von einem solchen Anwalt beraten oder vertreten wurden und mit ihm zufrieden waren. Ansonsten würde ich empfehlen, sich bei der Rechtsanwaltskammer zu erkundigen. In Baden-Württemberg gibt es vier Anwaltskammern, die im Grunde genommen unseren vier Regierungsbezirken entsprechen; und jede dieser Kammern bietet auf ihrer Homepage eine Anwaltssuche mit verschiedenen Suchkriterien an. Zum Beispiel kann man dort angeben: Ich suche einen Fachanwalt für Medizinrecht plus Stadt oder Postleitzahl; dann erhält man in der Regel mehrere Adressen. Als Nächstes würde ich empfehlen, den Internetauftritt der betreffenden Kanzlei anzuschauen und dann dort anzurufen. Das erste Telefonat ist kostenlos, sofern man nicht gleich eine rechtliche Frage stellt, die beantwortet werden soll. Aber für den Erstkontakt – um zu hören: Ist mir die Stimme des Anwalts sympathisch? Ist er für mein Problem zuständig? – eignet sich so ein Telefonat sehr gut. Man sollte als Patient durchaus mehrere Anwälte anrufen, um beurteilen zu können, welcher am besten zu einem passt.

 

Sind Sie nur für Baden-Württemberg zuständig oder für die ganze Bundesrepublik?

Mirja Trautmann: Ich bin bundesweit tätig, wobei natürlich jeder Anwalt um seinen Kanzleisitz herum die meisten Mandate akquiriert. Doch mein Tätigkeitsfeld reicht bis an den Bodensee hinunter, nach Baden hinein und auch über die Grenze nach Bayern und Südhessen. Ich war aber durchaus auch schon bundesweit tätig. Denn es ist nur ganz selten erforderlich, dass man sich persönlich mit seinem Mandanten zusammensetzt. Meist reichen Telefonate, Briefe, E-Mails und ähnliche Kommunikationswege aus. Deshalb ist es grundsätzlich auch kein Hindernis, wenn der Patient etwas weiter weg wohnt.

 

Mirja Trautmann

Rechtsanwältin & Fachanwältin für Medizinrecht

 

Simon & Partner
Rechtsanwälte
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70192 Stuttgart
Tel.: 0711 2594333
Fax: 0711 25943344
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Masken-Therapieüberfall im Schlaflabor vermeiden


Im Gespräch mit Dr. Hubert Trötschler 

Der Patient hat eine ungewohnte Nacht im Schlaflabor hinter sich gebracht. Die Diagnose wird bestätigt. Und an der ist nicht zu rütteln: Aus dem lästigen Schnarchen ist tatsächlich eine ausgewachsene Schlafapnoe geworden. Mit allen möglichen Gesundheitsrisiken: Bluthochdruck, Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall. Der Patient erhält nun ein Therapiegerät mit Maske, eine meist kurze Einweisung und gute Wünsche. Inzwischen weiß man, dass die Therapie mit dem Atemgerät in der Realität des Patientenalltags so einfach nicht ist. Wer damit nicht zurechtkommt, wendet sich nicht immer an die betreuende medizintechnische Firma oder an das Schlaflabor: Oft werden die verordnete Maske und das Gerät ungenutzt in die Ecke gestellt. Und das war’s dann. Therapie adieu. Denn Schlafapnoe tut nicht weh. 

Der Freiburger Schlafmediziner Dr. med. Hubert Trötschler hat sich eine Strategie ausgedacht, die Therapietreue zu unterstützen und damit in gewissem Umfang auch zu garantieren. Werner Waldmann befragte ihn, wie er das erreicht. Übrigens: Therapietreue bezeichnen die Mediziner auch inhaltsschwerer als „Compliance“ oder seit neuestem als „Adhärenz“. Doch alle drei Begriffe meinen dasselbe.

 

Herr Dr. Trötschler, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Compliance-Kurse für Schlafapnoe-Betroffene anzubieten, und zwar schon im Vorfeld, bevor die Patienten Therapiegerät und Maske erhalten?

Dr. Trötschler: Im Unterschied zu meiner früheren Tätigkeit in der Klinik sehe ich bei meiner jetzigen überaus interessanten Tätigkeit als niedergelassener Arzt viel mehr Patienten, die mit ihrer Maske nicht klarkommen. Ich musste feststellen, dass es viel mehr Patienten als von mir erwartet sind, die eine verordnete Maske nicht oder nicht ausreichend gut nutzen, wie uns von den Krankenkassen oft vorgehalten wurde.  

Bei anderen chronischen Krankheiten wissen wir, dass nur ein informierter Patient ein erfolgreicher Patient sein kann (Asthma, COPD, Hypertonie, Diabetes mellitus, Marcumartherapie u. a.). Daher lag es auf der Hand, dass eine Therapie wie die Maskentherapie, die noch viel stärker von der eigenen Überzeugung abhängig ist, auch eine besondere Schulung benötigt. Diese Schulung geht inhaltlich weit über die Standardeinweisung im Schlaflabor und die technische Einweisung durch die versorgende Technikfirma hinaus.

Aus meinen klinischen Erfahrungen aus der Rehabilitation entstand daher die Überzeugung, dass bei der Versorgung von Schlafapnoe gerade in der Behandlungsphase vor dem Schlaflabor wichtige Interventionsmöglichkeiten nicht optimal ausgeschöpft werden. Ich war überzeugt, dass dieser Weg –„Schlafschule vor Schlaflabor“ – dazu beitragen wird, die Versorgung von Betroffenen zu verbessern. 

Zweck dieser Schulung vor dem Schlaflabor ist eine umfassende Wissensvermittlung über die Erkrankung Schlafapnoe und deren sinnvolle Therapie-Möglichkeiten. 

Ich fragte mich auch, wo liegen die Schwachstellen in der bisherigen Art der Versorgung? Beim Patienten? Bei den zuweisenden Ärzten? An der Versorgung im Schlaflabor? An der technischen Einweisung durch die versorgende Firma? Oder gar am Gesundheitssystem, z. B. an den Vergütungen? 

Es war für mich klar, dass nur durch Wissensvermittlung und durch die Förderung von Diagnose-Einsicht und Therapiebereitschaft eine bessere Adhärenz erzielt werden kann. Mir war es wichtig, den Menschen und nicht nur einen polygraphischen Schlafapnoebefund zu behandeln.

Sie haben den Begriff „Therapieüberfall im Schlaflabor“ geprägt. Was meinen Sie damit?

Dr. Trötschler: Normalerweise läuft es doch so: Der Patient wird ins Schlaflabor überwiesen, hat eine Wartezeit von einem bis acht Monaten, hat keine klare Vorstellung davon, was im Schlaflabor passieren wird und ist auch im Vorfeld nicht darüber aufgeklärt, dass er meist nur ins Schlaflabor kommt, um eine Maskentherapie zu beginnen. Die Zeit für den Patienten, die Notwendigkeit einer Maskentherapie zu verarbeiten, ist für viele Betroffene unmittelbar nach einer ersten Schlaflabornacht zu kurz. Diese Patienten erfahren eine Maskenanpassung schlichtweg als Überfall. Das schreckt einige Patienten ab. Andere Patienten tolerieren die Maske schon primär nicht, aus Angst und anderen Gründen. Das waren in unserem Schlaflabor vor der Schulung immerhin ca. 15 % aller Patienten. In anderen Schlaflaboren dürfte dieser Anteil in ähnlicher Häufung anzutreffen sein. Diese Patienten benötigen eine behutsamere Vorbereitung vor dem Schlaflabor. Jeder Patient sollte vor dem Schlaflabor wissen, was auf ihn zukommt. Seitdem wir im Schlaflabor Freiburg diese Schulung durchführen, sehen wir Patienten mit primärer Masken-Ablehnung im Schlaflabor nicht mehr.

 

Sie informieren Ihre Patienten auch in der Praxis, im Einzelgespräch, bevor diese ins Schlaflabor kommen?

Dr. Trötschler: Wir erklären ihnen, die Zusammenhänge. Alle Informationen über „was ist ein Schlaflabor?“, „welche Gesundheitsrisiken hat ein unbehandeltes Schlafapnoesyndrom?“, „welche Therapiemöglichkeiten gibt es?“ „was ist Schlafhygiene?“, „welche Unfallrisiken hat ein unbehandeltes Schlafapnoesyndrom?“ sind in einer Sammelmappe zum Eigenstudium vereint. Wir empfehlen jedem Patienten, diese Literatur zu lesen und das Patientenseminar im Schlaflabor/ Schlafschule Freiburg zu besuchen. Die Seminare für Betroffene, Angehörige und Interessierte finden monatlich statt und dauern zwei Stunden. Es ist eine kompakte Fortbildung zu den Themen Schlaf, Gesundheit, Schnarchen und Atempausen, die für Patienten verständlich vorgetragen wird. Jeder Patient, der dieses Seminar besuchte, kommt mit der Therapie besser zurecht. Inzwischen nehmen über 30 % meiner Patienten dieses Angebot wahr.

 

Dieses System ist mir noch nirgendwo begegnet.

Dr. Trötschler: Das Konzept hier in Freiburg ist meines Wissens einmalig, quasi ein Leuchtturmprojekt. Die Gründe hierfür liegen in der derzeitigen Vergütungsregelung für Ärzte und Kliniken. Im Unterschied zu operativen und technischen Leistungen wird sprechende und erklärende Medizin nicht gebührend oder gar nicht honoriert. Dabei ist Schlafmedizin mehr als Schlafapnoe-Maskentherapie. Das sehen die derzeitigen Vergütungssysteme leider zum Nachteil der Betroffenen noch nicht so. Kein Arzt kann sich die Zeit nehmen, seinem Patienten die komplexen Zusammenhänge von Schlaf, Schlafstörungen und Therapiemöglichkeiten im Einzelgespräch umfassend aufzuzeigen. Ich investiere sehr viel Zeit in das Gespräch mit meinen Patienten, um ihnen ihre Krankheit und die notwendige Therapie zu erläutern und sie vor allem dazu zu motivieren, diese anzunehmen.

 

Das wird Ihnen aber nicht vergütet?

Dr. Trötschler: Nein, nicht von den Kassen. Da ich dieses Angebot auch nicht völlig umsonst anbieten kann, erbitte ich einen niedrigen symbolischen Unkostenbeitrag von den Personen, die sich das leisten können. Der Rest stammt von meiner beruflichen Überzeugung und Begeisterung, ist also mein berufliches Hobby. Hauptmotivation war natürlich auch, eigene Daten zur Wirksamkeit der Schlafschule zu erarbeiten. 

 

Wie könnten Kostenträger überzeugt werden, dies als Pilotprojekt zu fahren?

Dr. Trötschler: Ich habe das Gespräch mit den Krankenkassen gesucht. Die großen Krankenkassen sind informiert und kennen auch die Inhalte und die überzeugenden Ergebnisse unseres Schulungsprogrammes. Allerdings erkenne ich bei den Krankenkassen derzeit keinerlei Bereitschaft, für ein solches Modell der präventiven Medizin und der Effizienzsteigerung einer CPAP-Therapie eine adäquate Vergütung bereit zu stellen. Ich habe den Eindruck, dass sich Krankenkassen manchmal ähnlich verhalten, wie manche Patienten ohne gute Therapietreue. Denn ohne Bereitschaft und Überzeugung geht gar nichts, weder Gespräche über sinnvolle Vergütungen noch eine gute Therapietreue. Gerade die großen Krankenkassen müssten ein besonderes Interesse an diesem Modell haben, falls es ihnen wirklich um die bessere Versorgung ihrer Versicherten geht. Wir haben durch diese Schulung eine signifikante Steigerung der Maskenakzeptanz von 25 % erreicht. Dies konnte ein ehemaliger Mitarbeiter mit seiner wissenschaftlichen Arbeit nachweisen.

 

Wie bewerben Sie Ihre Kurse?

Dr. Trötschler: Den Patienten empfehle ich im persönlichen Gespräch, an diesem Seminar teilzunehmen. Wir informieren regelmäßig Hausärzte, Fachärzte und Kliniken über die Termine. Ich führte auch Gespräche mit den kooperierenden Schlafmedizinern im Universitätsklinikum. 

  

Lässt sich eine geringe Therapietreue vielleicht auch damit erklären, dass eine Schlafapnoe eigentlich nicht weh tut und man das Gerät ohne unmittelbare Folgen weglassen kann?

Dr. Trötschler: Wir haben festgestellt, dass etwa die Hälfte der Patienten mit einer Maskentherapie von Anfang an gut umgehen kann, wenn eine klinische Verbesserung noch im Schlaflabor spürbar ist. Wir sahen aber auch, dass jeder zweite Schlafapnoepatient einen zusätzlichen Schulungsbedarf benötigt, mit dem Ziel der Förderung von Diagnoseeinsicht und Therapiebereitschaft. Auf jeden Fall tun sich Patienten mit eindeutigen Symptomen leichter bei der Maskennutzung, wenn sie eine Besserung ihres Befindens am Tage verspüren. Wir kennen aber auch Patienten, die auch durch Schulungsmaßnahmen nicht therapierbar sind, wenn jegliche Einsicht und Bereitschaft fehlt. Diese Patienten sind weder schulungsbereit noch motivierbar. Hilfreich ist, wenn ein hohes Maß an innerer Überzeugung und an Selbstwirksamkeit vorhanden ist. Die subjektive Verbesserung der Schlafqualität ist jedoch das Entscheidende. Daher sollte für jeden Patienten mit Therapiebedürftigkeit die Möglichkeit bestehen, eine Maskentherapie zu erfahren und zu erproben.

 

Welche Rolle spielt das Schamgefühl gegenüber dem Partner oder der Partnerin?

Dr. Trötschler: Es gibt Männer, die Schwierigkeiten mit der Maske haben, weil sie glauben, ihre meist jüngere Lebenspartnerin möchte nicht neben einem alternden Mann mit Maske schlafen. Diese Patienten suchen in falscher Eitelkeit oft Fremdhilfe, einschließlich operativer Hilfen, nur um keine Maske zu benötigen. Dies sind aber nur wenige Patienten.

 

Wie sinnvoll ist es, in Vorgesprächen auch den Partner oder die Partnerin in die Therapie mit einzubeziehen?

Dr. Trötschler: Dies ist eine sehr wichtige Therapiemaßnahme. Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner, Ehefrauen oder Ehemänner sollten genauso wie der Patient informiert sein. Deshalb dürfen diese Personen auch kostenlos an unserem Schulungsseminar teilnehmen und sind auch gern gesehen bei Vor- und Nachgesprächen. Das garantiert die Harmonie zuhause. Wir sprechen dann von der guten sozialen Unterstützung im häuslichen Umfeld.

 

Wie kann man Patienten helfen, die unter der Maske Angstgefühle oder eine Klaustrophobie entwickeln?

Dr. Trötschler: Es gibt eine größere Anzahl von Patienten, die aus verschiedenen Gründen unter Angst leiden. Bei diesen Menschen sollte verhindert werden, dass sie eine Maskentherapie beginnen, ohne dass deren Angst erkannt wird. In einem Vorgespräch stelle ich daher die banale Frage: „Können Sie sich vorstellen, mit einer Maske zu schlafen?“ Ist die Antwort: „Ich weiß es nicht“, so frage ich: „Haben Sie schon einmal eine Maske gesehen?“ „Nein.“ Dann ich: „Hier haben Sie eine Maske. Nehmen Sie diese bitte in die Hand. Setzen Sie die Maske mit Kopfgeschirr einmal auf und gehen vor den Spiegel. Können Sie sich vorstellen, damit zu schlafen, wenn Ihnen dies hilft?“ 

Danach wird der Patienten schrittweise an den Gebrauch der Maske herangeführt. Dazu erhält er eine Maske leihweise, die er zuerst stundenweise, zuletzt auch eine ganze Nacht erleben kann. Kann sich der Patient dies nicht vorstellen, leite ich eine Gesprächstherapie ein, um seine Angst zu ergründen.

 

Empfiehlt es sich dabei, mit einem Psychotherapeuten zusammenzuarbeiten?

Dr. Trötschler: Ja, im besonderen Fall schon. Wir arbeiten in Freiburg in einem Netzwerk von Schlafmediziner der Universität und Psychotherapeuten gut zusammen. Ich wünsche mir eine Kurzzeitintervention von einem Psychotherapeuten, der es sich zutraut, mit ca. sechs Sitzungen einen Effekt zu erzielen, um danach bald mit der notwendigen Maskentherapie beginnen zu können. 

  

Helfen Entspannungstechniken bei Problemen mit der Maske?

Dr. Trötschler: Wenn jemand Angst hat, leidet er unter Stress. Im Rahmen der Stressbewältigung ist jede Maßnahme zur Angstbewältigung hilfreich. Die Frage ist, welche Form von Entspannung muss es sein? Ich denke, dass nicht jeder einen Psychotherapeuten braucht, sondern dass primär ein gutes soziales Umfeld mit intakter Familie oder guten Freunden hilfreich sein können. 

 

Für CPAP-Compliance gibt es keine allgemeingültige Definition, wann ein Patient therapietreu ist, wann nicht. Ist es die Anzahl der Stunden pro Nacht? Wie sehen Sie das? Was ist eine optimale Compliance? 

Dr. Trötschler: In der Tat gibt es keine wirklich anerkannte einheitliche Definition einer guten Therapietreue. Eine Nutzung der Therapie unter vier Stunden bringt selten eine klinische Verbesserung. Eine Maskennutzung von durchschnittlich weniger als vier Stunden pro Nacht an mehr als 70 % der Verordnungstage wird als ausreichend gute Nutzung gesehen. Ideal wäre, wenn das Gerät an mehr als sechs Stunden pro Nacht und an über 90 % der Tage verwendet wird. Patienten mit hoher Therapietreue schaffen daher meist mehr als sechs Stunden Maskennutzung. Manche schlechte Nutzer kommen zwar auch auf fünf Stunden pro Therapienacht, dies jedoch nur jede dritte Nacht. Das hilft dann wenig. Das ist so, als wenn ich einen erhöhten Blutdruck nur jeden dritten Tag mit einer Tablette behandeln würde. Ich glaube aber auch, dass diese Therapietreue nicht in jeden Fall so streng gesehen werden darf; ich kenne einige Patienten, die als Schichtarbeiter nie auf eine optimale Stundenzahl kommen, die diesen Kriterien voll entspricht, aber dennoch davon profitieren.

 

Dr. med. Hubert N. Trötschler ist Internist und hat seit 2002 eine fachärztliche Praxis für Pneumologie und Schlafmedizin 

 

Bismarckallee 10
79098 Freiburg i.Br.
Tel.: 0761 36615
Fax: 0761 278686
www.dr-troetschler.de  

Wenn man im Traum fliegen kann


Der Preis ist heiss

Prof. Dr. Michael Schredl

Flugträume sind ein sehr spannendes Phänomen. Sowohl für die Träumer selbst, weil es riesigen Spaß macht, ganz ohne Hilfsmittel durch die Lüfte zu schweben – ein alter Menschheitstraum. Andererseits interessiert sich auch die Forschung dafür, warum im Traum Dinge vorkommen, die nie im Wachzustand erlebt worden sind. Der vorliegende Artikel gibt einen Einblick in die Forschung auf diesem Gebiet, die noch in den Kinderschuhen steckt.

In Flugträumen kann das Traum-Ich ohne entsprechende Hilfsmittel fliegen oder auch schweben. Je nach Studie geben 30 bis 63,5 % der Befragten an, in ihrem Leben schon einmal Flugträume gehabt zu haben – also ein weitverbreitetes Phänomen. Schaut man sich jedoch die Häufigkeit im Vergleich zu anderen Träumen an, so zeigt sich, dass Fliegen nur in 1 bis 2 % der Träume vorkommt. Menschen träumen also nicht jede Nacht vom Fliegen, sondern höchstens ab und zu einmal.

 

Wie sehen Flugträume aus?

Obwohl die meisten Flugversuche im Traum ganz ohne Hilfsmittel erfolgen, gibt es eine große Bandbreite von Gerätschaften, mit denen geflogen wird. Das kann ein magischer Holzstab sein, den man in der Hand hält, eine Eisenplatte, auf der man sitzt, ein Auto oder Bus oder sogar ein Haus, in dem man sich befindet. Auch die Flugtechnik ist variabel: Manche wenden eine Schwimm- oder Tauchtechnik an, andere wedeln mit den Händen und wieder andere fliegen durch die Kraft der Konzentration, ohne ihren Körper oder Teile davon zu bewegen. Fast immer werden Flugträume als positiv empfunden: Es ist ein erhebendes Gefühl, über der Landschaft zu schweben oder etwas zu können, was andere nicht können. 

In einem eigenen Flugtraum, der lange zurückliegt, habe ich versucht, durch die Demonstration meiner Flugkünste ein Mädchen zu beeindrucken. Es hat funktioniert – im Traum. Es gibt auch Flugträume, in denen gemeinsam geflogen wird, also andere Traumpersonen auch fliegen. Auslöser für Flugträume können Springen, schnelles Laufen, Treppenhinunterlaufen sein: Hierbei kann dem Traum-Ich auffallen, dass Fliegen möglich ist. Eine weitere Variante sind die sogenannten luziden Träume oder Klarträume. Das sind Träume, in denen dem Träumer/der Träumerin bewusst ist, dass er/sie träumt. Geübte Klarträumer können dann Dinge tun, die ihnen Spaß machen. Und Fliegen steht da ganz oben auf der Prioritätenliste: einfach hochspringen und wegfliegen. Dieses Traumthema ist häufiger als Sex; denn den kann man ja auch im Wachzustand haben. Trotz der starken positiven Gefühle können im Flugtraum auch Ängste auftreten. Zum Beispiel gibt es Berichte über störende Hochspannungsleitungen; doch die Hauptangst ist, dass es mit dem Fliegen ohne Hilfsmittel doch nicht klappt und man abstürzen könnte. Um diese Gefahr zu verringern, gibt es Träumer, die nicht so hoch fliegen, um beim Nachlassen ihrer Kräfte nicht so tief zu fallen.

 

„Normale“ Flugträume

Über der Beschäftigung mit außergewöhnlichen Flugträumen wurde die Untersuchung der normalen Flugträume ganz vernachlässigt. Normale Flugträume sind Träume, in denen das Traum-Ich in einem Flugzeug, Helikopter, Raumschiff oder etwas Ähnlichem sitzt. In einer Traumserie von 6701 Träumen über einen Zeitraum von 15 Jahren zeigte sich, dass diese Flugträume bei dieser Person deutlich zugenommen haben, nachdem sie ihre erste Flugreise unternommen hatte. Spannend wäre die Frage, ob Piloten oder Stewardessen, die sehr häufig fliegen, auch von ihrem Arbeitsplatz träumen, also mehr normale Flugträume haben. Das wäre im Sinne der Kontinuitätshypothese des Traumerlebens, die besagt, dass unsere Wacherfahrungswelt sich im Traum widerspiegelt. 

 

Erklärungen für Flugträume

Über die Jahre haben viele Autoren über die mögliche Ursache von Flugträumen spekuliert (siehe Tabelle 1). Zunächst ging man von physiologischen Ursachen für Flugträume aus, z. B. der Atembewegung der Lungenflügel oder dem fehlenden Input von taktilen Reizen. Aus der Tiefenentspannung ist bekannt, dass ein Gefühl der Schwerelosigkeit auftreten kann, wenn die Muskeln ganz entspannt sind. Das passt auf den REM-Schlaf, da das Gehirnzentrum, das den REM-Schlaf steuert, gleichzeitig die Weiterleitung der Nervenimpulse vom motorischen Gehirnareal an die Muskeln stark abdämpft, sodass die Muskelspannung im REM-Schlaf sehr niedrig ist. Ein psychoanalytischer Autor brachte die Erektion mit Flugträumen in Zusammenhang (da sie die Schwerkraft überwindet). Er zitiert auch einen frühen norwegischen Traumforscher (Mourly Vold), der beschrieb, dass er nach dem Aufwachen aus einem Flugtraum eine Erektion an sich beobachtete. Da man heute weiß, dass fast alle REM-Phasen von Erektionen begleitet werden, ist diese Erklärung für Flugträume allerdings hinfällig. 

In neuerer Zeit wurde dann noch das Erklärungsmodell formuliert, dass das Gleichgewichtsorgan während des Schlafens spezifische Impulse ans Gehirn sendet. Doch alle diese Theorien haben den Nachteil, dass sie nicht erklären können, warum nur ca. 1 bis 2 % aller Träume Flugträume sind, obwohl Muskelentspannung, Erektion oder Wahrnehmungen aus dem Gleichgewichtsorgan ja in jeder REM-Phase vorliegen. Die psychologischen Theorien versuchen, Flugträume aufgrund von spezifischen Themen aus dem Wachleben zu erklären. Von Sigmund Freud stammt die Idee, dass Flugträume Erinnerungen an alte Kindheitserlebnisse sind. Kinder haben ungeheuren Spaß daran, von Erwachsenen in die Luft geworfen und wieder aufgefangen zu werden, machen also „Flugerfahrungen“. C. G. Jung sah in Flugträumen einen Ausdruck davon, dass es der Person gelungen ist, ein Problem des Wachlebens zu überwinden. Für Alfred Adler drücken Flugträume den Wunsch aus, zu dominieren. 

Aufgrund der Erfahrung im Flugtraum kann man nachvollziehen, dass sich in solchen Träumen ein Gefühl der Freiheit ausdrückt. Allerdings geben Krishnan und Kollegen auch die Möglichkeit an, dass das Wegfliegen, das von Kindern häufiger beschrieben wird (sie fliegen vor einer Bedrohung davon), möglicherweise auch ein Vermeidungsverhalten widerspiegeln könnte. Von Siebenthal geht so weit, zu sagen, dass der Flugtraum etwas widerspiegelt, was im Traum zwar funktioniert, aber im Wachleben nicht (nach seiner Theorie die Erektion). Meine eigene Theorie ist, dass Flugträume im Sinne der Kontinuitätshypothese positive Gefühle des Wachlebens widerspiegeln. In der Umgangssprache gibt es ja auch Metaphern, die in dieses Bild passen: „auf Wolken schweben“, wenn man verliebt ist, ein „Gefühlshoch“, das „Auf und Ab“ der Stimmung, wobei das Oben als positiver Zustand gesehen wird. Dazu würden auch die Ängste passen, die in Flugträumen auftreten können. Wenn man sich im Hoch befindet, kann natürlich die Angst auftreten, dass man gefühlsmäßig „abstürzt“. 

 

Forschung zu Flugträumen

Wissenschaftliche Studien zum Thema Flugträume sind leider sehr selten. Ein Forscher hat beobachtet, dass Drachenflug-Ausbilder mehr Flugträume haben. Aber ob Personen, die häufig fliegen, nicht nur mehr „normale“ Flugträume, sondern auch mehr Flugträume ohne Hilfsmittel haben, wurde bisher nicht untersucht. In einer Analyse konnte ich Daten des Instituts für Demoskopie in Allensbach zu dieser Fragestellung auswerten. Zu vier Zeitpunkten (1956, 1970, 1981, 2000) wurden insgesamt fast 6000 Personen befragt, ob sie in letzter Zeit vom Fliegen geträumt hätten. Insgesamt wurde diese Frage von 7,5 % der Befragten bejaht (von Männern und Frauen gleich häufig). Dabei gab es einen signifikanten Zeiteffekt, das heißt, die Häufigkeit der Flugträume nahm über die Jahre zu: 6,2 % (1956), 7,9 % (1970), 8,2 % (1981), 10,0 % (2000). Da die Menschen heute mehr Flugreisen unternehmen als früher, könnte das die Zunahme begründen. In einer weiteren Studie an Studierenden konnte ich zeigen, dass Personen, die von Flugträumen berichteten, eine im Durchschnitt etwas positivere Persönlichkeitsdisposition haben als Menschen ohne Flugträume. Bei Fallträumen (Fallen ins Bodenlose) war es umgekehrt. Dieses Ergebnis stützt die Annahme, dass Flugträume möglicherweise Gefühle aus dem Wachzustand widerspiegeln. Um das genau zu erfassen, müsste man allerdings Tagebuchstudien durchführen, bei denen die Personen ihre Gefühle im Wachzustand und ihre Träume protokollieren. Da Flugträume sehr selten sind, ist das sehr aufwändig.

 

Flugträume – nach wie vor ein Rätsel

Auch wenn die wenigen Studien darauf hindeuten, dass Flugträume mit den Wachgefühlen der Träumenden in Verbindung stehen könnten, stellt sich die Frage, warum wir von Dingen träumen, die im Wachleben ganz und gar unmöglich sind. Das ist auch ein Grund, warum es so schwierig ist, über die Erlebnisse im Flugtraum zu reden: Kein Mensch weiß, wie es sich „wirklich“ anfühlt, weil es diese Gefühle im Wachzustand nicht gibt – ganz ohne Hilfsmittel zu fliegen, ist nur im Traum möglich. Mit Drachenfliegen, Segelfliegen, Fallschirmspringen oder anderen Dingen, die im Wachzustand möglich sind, ist es etwas anderes. Wie kommt unser schlafendes Gehirn auf die Idee, solche Erlebnisgeschichten zu produzieren? Das ist eine ungelöste und deshalb faszinierende Frage für kommende Generationen von Traumforschern.