Das Schlafmagazin: Ausgabe 2/2014

Das Schlafmagazin: Ausgabe 2/2014


Liebe Leserin, lieber Leser,

die Berufswelt verlangt von uns heute ständige Präsenz. Wach und topfit muss man sein. Den ganzen Tag über, immer öfter noch bis in den Abend hinein und sogar mitten in der Nacht – wenn sich das Smartphone meldet, weil der Geschäftspartner in den USA gerade in einem Meeting sitzt und eine wichtige Info braucht. Doch was bedeutet das für unsere Gesundheit, für unser Wohlbefinden?In unserem ersten Beitrag in dieser Ausgabe des Schlafmagazins erklären wir Ihnen einiges über unsere Schlafphasen, über unsere innere Uhr, berichten über den Weltrekord im Schlafentzug und auch über Schlafentzug als Foltermethode.

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Der Stress unseres modernen Lebens fordert seinen Tribut: Immer mehr Menschen klagen über Ein- und Durchschlafstörungen. Und nicht immer ist eine Schlafstörung leicht zu behandeln, denn mit Schlafmitteln allein ist es meistens nicht getan: Der Betroffene muss seine innere Einstellung ändern, muss wieder lernen, sich zu entspannen. Und manchmal muss er auch etwas an seinem Leben verändern – Entschleunigung, Stressreduktion ist angesagt. Nicht jeder Stress lässt sich vermeiden; aber man kann sich doch von manchen überflüssigen Belastungen im Leben befreien. Wir sprachen mit Dr. Hans-Günter Weeß, der im Schlafzentrum am Pfalzklinikum in Klingenmünster ein umfassendes Therapieprogramm für Menschen mit Schlafstörungen anbietet. Er hat auch eine Frage beantwortet, die immer wieder an unsere Redaktion gestellt wird, nämlich: Wie viel Schlaf braucht der Mensch eigentlich? 

Schmerzen können einem das Leben zur Hölle und die Nacht zur Qual machen. Und genau wie in der Schlafmedizin gibt es auch in der ärztlichen Versorgung chronischer Schmerzen noch viele Defizite. Auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag, der im März in Frankfurt stattfand, wurden neue Erkenntnisse zum Thema Schmerz und zur aktuellen Versorgungssituation präsentiert, die wir für Sie hier zusammengefasst haben.

Und wir greifen das Thema „Versorgung von Schlafapnoe-Patienten“ auf – wie immer wieder in den letzten Ausgaben des Schlafmagazins. Gemeinsam mit der Firma ResMed, dem Vorsitzenden des Arbeitskreises Schlafapnoe Niedersächsischer Selbsthilfegruppen, Reinhard Wagner, und dem Vorsitzenden des Bundesverbands Schlafapnoe und Schlafstörungen Deutschland, Werner Waldmann, fand im April in Berlin ein parlamentarisches Frühstück mit Gesundheitspolitikern zu diesem Thema statt.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre

Ihre

Dr. Magda Antonic

Das Schlafmagazin: Ausgabe 2/2016

Foto: © Lasse Kristensen/123rf.com
Inhalt

6 Wie schön ist es, wach zu sein. Verschwinde, verdammte Müdigkeit!

12 Ein- und Durchschlafstörungen – keine Bagatelle

14 Müde und schlapp am Tage? Nicht immer ist die Schlafapnoe schuld daran

15 Zigarettenrauch – kein sanftes Ruhekissen

16 Was tun, wenn man nicht schlafen kann?

24 Wie Witterungsbedingungen unseren Schlaf beeinflussen

26 Druckinstabilität von Therapiegeräten wird für Patienten zum Problem

28 Unterkieferprotrusionsschienen – eine sinnvolle Alternative bei Schlafapnoe

32 Noch ein weiter Weg bis zur guten Versorgung von Schmerzpatienten



 

36 Kopfschmerzen und Schlafstörungen

39 Tipps von der AGR: Auf das Bett kommt es an

40 Zentrale Schlafapnoe: Studie untersucht Einfluss der adaptiven Servoventilation auf chronische Herzinsuffizienz

42 Schlafapnoe-Selbsthilfe im Gespräch mit der Politik

46 Lebensgefahr für Schlafapnoe-Patienten im Krankenhaus?

46 ResMed erhält Auszeichnung für vorbildliches Bildungs- und Talentmanagement   

Rubriken
45 Abo-Formular
47 Aus der Selbsthilfe
48 Schlafapnoe-Sprechstunde
49 Wichtige Adressen
50 Impressum

Wie schön ist es, wach zu sein

Verschwinde, verdammte Müdigkeit!

Von Werner Waldmann

Unsere heutige Zeit verlangt von uns gnadenlos ständige Präsenz. Zumindest von denjenigen, die Karriere machen oder ihren Topstatus halten wollen. Doch auch schon von Schülern! Wach und topfit muss man sein. Den ganzen Tag über, immer öfter noch bis in den Abend hinein und sogar mitten in der Nacht – wenn sich das Smartphone meldet, weil der Geschäftspartner in den USA gerade in einem Meeting sitzt und eine wichtige Info braucht.

Leider macht so manchem Menschen – ob er es sich nun eingesteht oder nicht – gerade in Augenblicken, in denen höchste Wachsamkeit gefordert wird, eine Müdigkeitsattacke den berühmten Strich durch die Rechnung. Wieso plagt uns immer wieder Müdigkeit, warum lässt uns das Gehirn im Stich? Wie kriegen wir es hin, permanent wach zu sein, so wie es heutzutage offenbar von uns verlangt wird?

Nachts schlafen wir. Tagsüber sind wir wach. Eine an sich sehr sinnvolle Aufteilung. Schön wär’s, wenn wir es nur mit diesen beiden Bewusstseinszuständen zu tun hätten. Doch leider ist der Mensch keine Maschine, die man mal in den einen, mal in den anderen Modus switchen kann. Der Nachtschlaf läuft bei keinem Menschen gleichförmig ab, und ebensowenig sind wir tagsüber ohne jede Schwankung hellwach.
 

Der Schlaf – kein gleichförmiger Zustand

In der Regel durchläuft der Gesunde in der Nacht vier Schlafzyklen. Nach dem Einschlafen sinkt die Schlafkurve über zwei Leichtschlafphasen allmählich in den Tiefschlaf. Diese Tiefschlafphasen – in der Regel zwei bis drei pro Nacht – wechseln sich mit vier bis fünf REM-Schlaf-Phasen ab, die gegen Morgen immer länger werden. Die Schlaftiefe dazwischen nimmt immer mehr ab. Damit nehmen die REM-Schlaf-Phasen gut ein Viertel der Nacht ein. In diesen Schlafphasen, in denen wir unsere lebhaftesten Träume haben (und vieles von dem verarbeiten, was wir tagsüber erlebt und gelernt haben), ist unser Gehirn fast so aktiv wie im Wachzustand.

Auch tagsüber erleben wir keinen unveränderten Zustand des Wachseins und befinden uns daher auch nicht immer auf einem einheitlichen Leistungsniveau. Tagsüber kennen wir zwei Höchstphasen geistiger Präsenz. Die erste liegt morgens zwischen 10 und 12 Uhr. Bis 14 Uhr taucht unsere Leistungskurve dann stark ab (das berüchtigte „Mittagstief“), doch gegen 17 Uhr sind wir wieder topfit. 

Trotz dieser geistigen Leistungsschwankungen im Tagesprofil sind wir Menschen tagaktive Lebewesen, und die Nacht bleibt dem Schlaf vorbehalten – auch wenn wir uns manchmal noch so sehr anstrengen, die Nacht zum Tag und den Tag zur Nacht umzufunktionieren. Unsere Leistungskurve nähert sich gegen 24 Uhr dem Tiefpunkt, der dann zwischen 3 und 4 Uhr in der Nacht erreicht ist. In dieser Zeit sollten wir von uns keine besonderen Leistungen erwarten. Die meisten Autounfälle – dies ganz nebenbei – passieren morgens zwischen 3 und 4 Uhr.


Unsere innere Uhr

Hinter dieser Achterbahn unserer Wachheit und Leistungsfähigkeit stecken biologische Rhythmen. Unser Organismus besitzt eine innere Uhr, die sich tagsüber am Licht orientiert. Das ist der suprachiasmatische Nucleus (SCN), ein kleiner Nervenknoten im Gehirn, der zwischen dem Hypothalamus und der Kreuzung der beiden Sehnerven liegt. Das Tageslicht wird von den Augen registriert und über Nervenbahnen an den SCN weitergeleitet. Eigentlich sind die Zusammenhänge aber noch sehr viel komplexer, denn jede unserer Körperzellen besitzt eine eigene Uhr, und diese Milliarden von Uhren synchronisieren sich gegenseitig. Unser Körpergeschehen orientiert sich also an bestimmten vorgegebenen Rhythmen. Das ist einer der Gründe, warum wir „die Nacht nicht zum Tage machen können“, auch wenn wir uns noch so sehr darum bemühen.
 

Der Kampf gegen den Schlaf

In der New York Times las man im Februar 1959 einen kurzen Artikel, in dem sowjetische Wissenschaftler voraussagten, dass im 21. Jahrhundert kein Mensch mehr seine Lebenszeit mit sinnlosem Schlaf verschwenden müsse. Ein oder zwei Stunden Schlaf sollten genügen. Den Russen mochte man das sogar glauben, hatten sie doch zwei Jahre vorher den ersten Satelliten ins All geschossen. Viele Leser fanden diese Vision, den Schlaf bald besiegen zu können, bestechend. Der Mensch des 21. Jahrhunderts sollte endlich in der Lage sein, sein Schlafbedürfnis zu kontrollieren.

Etwa zur gleichen Zeit machte sich der New Yorker Radio-DJ Peter Tripp daran, diese Zukunftsvision konkret auszuprobieren. Er ließ sich in einer gläsernen Box am Times Square in New York unter Bewachung einschließen und schaffte es immerhin, 201 Stunden am Stück wach zu bleiben. Ganz so toll lief der Versuch jedoch nicht. Nach 100 Stunden hatte es Tripp mit einem mächtigen, ja unbarmherzigen Gegner zu tun: dem Schlaf. Tripp fühlte sich verfolgt, die Selbstkontrolle entglitt ihm langsam, er konnte sich nicht mehr koordiniert bewegen, Halluzinationen plagten ihn. Am Ende des Experiments schlief er eine Nacht lang selig durch und fühlte sich dann am Morgen des 28. Januar 1959 wieder rundum gesund, munter und fit.
 

Ein gefundenes Fressen für die Wissenschaft

Peter Tripps Experiment war zuallererst ein Marketing-Gag für ihn und seinen Sender. Doch war natürlich auch die Wissenschaft brennend daran interessiert, die Grenzen des Schlafentzugs auszuloten. Einerseits war das Grundlagenforschung, andererseits standen dahinter auch ganz konkrete militärische Interessen. Der Zweite Weltkrieg und der Koreakrieg hatten gezeigt, dass es für die Soldaten lebenswichtig war, aufkommende Müdigkeit zu unterdrücken. Ein Soldat oder der Pilot eines Kampfjets musste in jeder Sekunde hellwach sein. Der leiseste Anflug von Müdigkeit konnte den Tod bedeuten.

Der Schlafforscher Nathaniel Kleitman interessierte sich ebenfalls für den Schlafentzug. Selbst schaffte er es, 180 Stunden wach zu bleiben. Kleitman wollte herausfinden, warum wir schlafen müssen. Weshalb es nicht möglich war, den Schlaf einfach auszutricksen. Kleitman zeigte, dass Schlafentzug zwar keine körperlichen Schäden hinterließ, jedoch für unser Wohlbefinden, unsere psychische Stabilität und ein halbwegs normales Sozialverhalten unverzichtbar war. Wer sich um den Schlaf brachte, geriet unweigerlich in einen Zustand, der ihn immer weiter von der Realität wegtrieb. Wenn die Versuchspersonen auch die Augen offen hatten – irgendwie war ihr Bewusstsein in ein Zwischenstadium gerückt.

Ein Wettstreit fand im Jahr 1957 in Oklahoma zwischen zwei Rundfunksprechern statt, die in zwei Krankenhauszimmern permanent am Mikrofon saßen. Sie schafften es zwar, ebenfalls fast 170 Stunden wach zu bleiben, doch gut ging es ihnen 

im Endstadium dieses Experiments nicht. Ihr Gedächtnis versagte, ihr Konzentrationsvermögen ließ nach. Beispielsweise wunderte sich der eine Radiosprecher darüber, dass auf dem Krankenhausflur plötzlich keine Autos mehr fuhren.

Von Soldaten wurde berichtet, dass Schlafentzug bei ihnen erschütternde psychische Folgen hatte. Schlafmangel konnte Psychosen auslösen, die erst durch lange psychiatrische Behandlung wieder in den Griff zu bekommen wa­ren. Halluzinationen waren an der Tagesordnung. Ein Fuß mutierte zum drohenden Ungeheuer, man sah sich von Legionen von Spinnentieren belästigt, die Stimmung der Leute schwankte zwischen depressiven Phasen und Euphorie. Am Ende ließ sie auch ihr Körper im Stich: Die Soldaten brachen zusammen.
 

Schlafentzug statt Daumenschrauben

Geheimdienste nutzen diese Erkenntnis gerne und foltern ihre Delinquenten nicht mehr mit mechanischen Instrumenten, sondern setzen auf brutalen Schlafentzug. Diese Technik wurde zur Meisterschaft entwickelt. Die Gefangenen von Guantánamo Bay beispielsweise wurden systematisch zum Wachsein gezwungen – mit grellem Licht, lauter Musik und körperlicher Drangsalierung. Schlafentzug als Foltermethode hatten auch schon ohne wissenschaftlichen Background Stalins Schergen und die Nazi-Gestapo als probates Mittel entdeckt, ihre Gefangenen zu zermürben.
 

Nachhilfe fürs Wachsein: die tägliche Tasse Kaffee

Viele von uns beginnen ihren Büroalltag mit einer Tasse Kaffee. Ohne den schwarzen Koffeinschock läuft nichts am frühen Morgen. Kaffee begleitet die Teilnehmer durch jede kleinere oder größere Besprechung. Die Tasse Kaffee ist fast schon ein Ritual – doch nicht nur, denn Kaffee hilft tatsächlich kurzfristig, die Konzentration zurückzugewinnen. Vom französischen Schriftsteller Balzac ist bekannt, dass er ohne Kaffee nicht schreiben konnte. Sebastian Bach komponierte sogar eine Kaffeekantate. Und müden Autofahrern wird empfohlen, auf keinen Fall in diesem Zustand weiterzufahren, weil dadurch das Reaktionsvermögen rapide absinkt und die Gefahr für einen Sekundenschlaf am Steuer drastisch steigt: Sobald der Autofahrer erste Anzeichen von Müdigkeit an sich bemerkt, soll er eine Pause einlegen, sich eine Maxitasse Kaffee gönnen und dann im Wagen eine halbe Stunde vor sich hin dösen, bis das Koffein wirkt. Damit ist die Gefahr des Sekundenschlafs gebannt. Allerdings nur kurzfristig: Der halbstündige „Power-Schlaf“ in Kombination mit einer Tasse Kaffee ist kein Ersatz für ausreichenden Nachtschlaf und ermöglicht es auch keineswegs, auf der Reise in den Sommerurlaub an einem Stück von Deutschland bis Spanien durchzubrettern, wie manche Autofahrer es unvernünftigerweise tun.
 

Wie Koffein wirkt

Der geliebte Kaffee ist eigentlich ein Nervengift, ein Purin-Alkaloid. Pflanzen erzeugen es, um Fressfeinde und Parasiten abzuschrecken. Man findet es in Kaffee- und Teesträuchern. (Früher nannte man das Koffein im Tee „Tein“, obwohl es sich um dieselbe Substanz handelt.)

Die wachmachende Wirkung beim Menschen lässt sich ganz einfach erklären: Bei geistiger Arbeit sind unsere Nervenzellen sehr aktiv und leiten mithilfe von Neurotransmittern Informationen von Zelle zu Zelle. Dabei entsteht ein Nebenprodukt, das Adenosin. Wird davon zu viel produziert, setzt sich das Adenosin zwischen benachbarten Nervenzellen fest und vermindert den raschen Transport der Informationen. Der Mensch fühlt sich erschöpft, wird schläfrig und fährt seine Aktivitäten daher zurück oder macht ein Schläfchen. 

Jetzt kommt der Kaffee ins Spiel: Koffein-Moleküle ähneln den Adenosin-Molekülen. Haben wir Koffein im Körper, docken statt des Adenosins die Koffein-Moleküle an den Nervenbahnen an. Im Gegensatz zu den Adenosin-Molekülen halten sie aber den Informationstransport nicht auf. Dieser Effekt tritt ungefähr 20 bis 30 Minuten nach dem Kaffeegenuss ein. Dann zirkuliert das Koffein im Blut; und damit ist die bremsende Adenosin-Wirkung ausgeschaltet. Kaffee hindert den Organismus also daran, nach zu großer Anstrengung seine Nervenaktivitäten zurückzufahren. Trinkt man aber zu häufig Kaffee, produziert der Organismus einfach mehr Adenosin, und wir benötigen daher auch mehr Koffein, um dieselbe Wirkung zu erzielen. So entsteht eine Sucht nach Kaffee. 

Nebenbei bewirkt das Koffein auch noch weitere Leistungssteigerungen in anderen Organen und Organsystemen. Beispielsweise steigen Blutdruck und Körpertemperatur, Herz- und Muskelleistung werden stimuliert, die Verdauung wird angeregt, die Blutgefäße werden erweitert.
 

Blitzkrieg mit Pervitin

Mit Willensstärke allein kann man den Schlaf nicht in die Knie zwingen. Das schafft man nur mithilfe von Chemie. Auf diesem Gebiet waren die Deutschen führend. Die Strategie der Blitzkriege, der Überfall auf Polen, Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich – all das war der Chemie geschuldet. Die Welt um das nationalsozialistische Deutschland wunderte sich, wie die deutschen Landser unerschütterlich bis zu 60 Kilometer am Tag marschieren konnten. Das Geheimnis war Eingeweihten unter den Spitznamen „Panzerschokolade“, „Stuka-Tabletten“ oder „Hermann-Göring-Pillen“ geläufig. Gemeint war damit die Substanz Methamphetamin, die die Temmler-Werke 1937 unter dem Markennamen Pervitin beim Reichspatentamt anmeldeten und von 1938 bis 1988 herstellten.

Pervitin war ursprünglich als Asthmamittel gedacht, hatte aber einen erstaunlichen Nebeneffekt: Es war ein toller Muntermacher. Anfangs ging man damit sehr großzügig um. Man brachte sogar Pralinen mit dem neuen Wachmacher auf den Markt. Die Militärs begriffen rasch, dass man mit Pervitin Schlachten gewinnen konnte. Pervitin-Tabletten vertrieben Müdigkeit und Angst, unterdrückten Schmerz, Hungergefühl und Kälteempfindung, bauten Selbstvertrauen auf und machten aggressiv – alles Eigenschaften, die man sich von Soldaten wünscht. Zwischen April und Juni 1940 kaufte die deutsche Wehrmacht über 35 Millionen Tabletten Pervitin und gab sie großzügig an die Truppen weiter. Die Soldaten nahmen das Mittel täglich ein. In den Briefen, die Heinrich Böll von der Front schickte, bat er seine Eltern immer wieder um Pervitin-Tabletten.

Doch Pervitin machte süchtig und zwang zu ständiger Steigerung der Dosis. Dem Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti wurde bald klar, dass die Popularität dieses Muntermachers für die Wehrkraft ziemlich negative Folgen haben könnte. Denn die helfenden Hände in der Heimat, die sich den tristen Kriegsalltag ebenfalls mit Pervitin erträglicher zu machen versuchten, sollten fit bleiben, um den industriellen Nachschub für die Kriegsmaschinerie an den Fronten zu liefern. Da konnte man sich nicht mit einem Volk von Drogensüchtigen herumschlagen. Für die Front galt das nicht. Die Militärführer nutzten das Kampfpotenzial der Droge auch weiterhin aus. Vor allem Soldaten, die beispielsweise in Einmann-U-Booten auf Himmelfahrtskommandos geschickt wurden, hätten diese Missionen ohne chemische Hilfe nicht gemeistert.

Die Nazis schreckten auch nicht vor Menschenversuchen in den KZs zurück, um die Möglichkeiten von Stimulanzien auszuloten. Häftlinge bekamen eine Mischung aus Pervitin, Kokain und Koffein und mussten mit Lederersatzstoffen um die bloßen Füße stundenlang marschieren, mit Sandsäcken über den Schultern, um herauszufinden, wie die heimische Schuhindustrie billige Schuhe produzieren konnte. Als Kinder in den letzten Kriegstagen als Flakhelfer und Straßenkämpfer eingezogen wurden, half man auch ihnen mit den teuflischen Tabletten, damit sie sich mit mehr Enthusiasmus in den Endkampf stürzten.

Hitler erhielt sogar eine „Sonderanfertigung“ des Pervitins, das mit Koffein kombiniert war. Koffein steigerte die Pervitinwirkung noch. Offenbar brauchte Hitler diese Droge dringend, um die Realität des Krieges auszublenden.

Das Kriegsende bedeutete noch lange nicht das Ende des Pervitins. Kriegsheimkehrer waren süchtig nach dem Stoff. Die Apotheken boten die Tabletten frei verkäuflich an und halfen den Menschen so, die Beschwernisse der Nachkriegszeit zu ertragen. Auch die Bundeswehr versorgte ihre Soldaten bis Anfang der 70er Jahre mit der Droge, und DDR-Militärs hielten ihre Grenzbewacher bis 1988 damit wach. Heute ist Pervitin out (die Pharmaindustrie hat inzwischen raffiniertere Wachmacher mit weniger Nebenwirkungen entwickelt), führt aber als Droge Crystal Meth, die wachmachend und euphorisierend wirkt und innerhalb kürzester Zeit zum körperlichen und psychischen Zusammenbruch führt, weiterhin eine unrühmliche Existenz.
 

Doping bei Piloten

Wer einen Kampfjet fliegt, muss in jeder Sekunde geistig absolut präsent sein. Das gilt auch für die Bodentruppen. Hightech-Kriege stellen extreme Anforderungen an den Menschen, denen dieser von Natur aus nicht genügen kann. Im Cockpit eines Überschalljets sind menschliche Schwächen tödlich. Und die Crews, die Langstreckenbomber steuern, müssen stundenlang die Eintönigkeit des Anflugs ertragen und dann plötzlich hellwach ihre Mission erfüllen.

Amphetamin ist eine synthetische psychotrope Substanz, die das Zentralnervensystem anregt. Amphetamin wirkt stimulierend und euphorisierend und gilt als Droge. Auf dem Schwarzmarkt wird die Substanz unter den Namen Speed oder Pep angeboten. Amphetaminpräparate wie Dexedrin werden in der U.S. Air Force als „Go-pills“ bezeichnet und seit langem fast wie Kopfschmerzpillen an die Langstreckenpiloten verteilt, um sie vor Schläfrigkeit und Konzentrationsabfällen zu bewahren. Nach der Landung gibt es dann die „No-go-pills“: Beruhigungsmittel, die die Crews wieder aus ihrem euphorischen Zustand herausholen.

Diese Drogen machen mutig und übermütig. So passiert es schon einmal, dass die Flieger auch eigene Bodentruppen mit einer Rakete auslöschen, weil ihr Bewusstsein auf Angriff geschaltet ist.
 

Muntermacher als Lernhilfe und Tuning fürs Gehirn?

Ritalin, Modafinil & Co. peppen das Gedächtnis auf und wirken beim Lernen wahre Wunder. Und geistig fit will und muss jeder sein, wenn es um die Wurst geht, wenn man vor einer Prüfung steht, wenn eine wichtige Arbeit in letzter Minute noch abgeschlossen werden soll. Die aktuelle Strategie heißt Neuro-Enhancement. Damit ist nichts anderes gemeint als die Einnahme psychoaktiver Substanzen, um die geistige Leistung zu optimieren – ein großes Anliegen unserer Intellektuellen. Gelernt wird am liebsten en bloc: Innerhalb von vier Tagen und Nächten muss der Prüfungsstoff ins Gedächtnis getrichtert werden. Trotz abendlicher Partyverpflichtungen, denn Spaß muss auch noch sein – Spaß ist schließlich soziale Netzwerkpflege. Und beileibe nicht nur Schüler und Studenten sind für moderne pharmakologische Stützen dankbar, sondern auch Angestellte, Freiberufler, PR-Spezialisten, Künstler, Manager, Politiker – einfach Leute in wichtigen Positionen. Und keinesfalls nur die jungen, aufstrebenden Talente, nein, besonders auch ältere Menschen, bei denen es nicht mehr so schnell läuft und die daher die Konkurrenz fürchten müssen. Jeder Job muss rasend schnell und optimiert über die Bühne gehen. Top oder Flop. Unsere Gesellschaft kennt und würdigt nur Leistung. Spitzenleistung. Doch solche Supermann-Effekte schafft der Normalmensch nicht. Also schaffen wir den Übermenschen pharmakologisch, programmieren uns mit ein paar Pillen auf Erfolg.

Zwei Substanzen haben Karriere gemacht. Einmal Methylphenidat (bekannt unter dem Handelsnamen „Ritalin“) – ein altbekanntes Medikament, seit sechs Jahrzehnten auf dem Markt. Die Psychiatrie setzt das Mittel gegen die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) ein. Ein Mittel für Kinder, das massenhaft verordnet wird. Ritalin soll die Konzentration fördern, beim Lernen helfen, die Hirnleistung verstärken. Man meint auch die Wirkungsweise zu kennen: Die Substanz erleichtert die Weiterleitung elektrischer Signale zwischen Wahrnehmungsarealen des Gehirns und der Großhirnrinde. Ritalin verändert die Plastizität der Nervenzellen und schafft neue Synapsenverbände zwischen einzelnen Hirnarealen. Dies fördert die Kommunikation im Gehirn und steigert die Gedächtnisleistung. Kurz und gut: Ritalin erhöht die Konzentrationsfähigkeit und fördert den Lernerfolg. Und gerade das ist ja erwünscht.

Modafinil (Vigil®) wirkt anders als die Amphetamine. Es stimuliert wohl die Aktivität der Botenstoffe Noradrenalin und Dopamin. Modafinil verbessert Wachheit und Aufmerksamkeit und verringert die Müdigkeit. So zeigte eine Studie, dass die Droge bei jungen, gesunden Piloten, die 40 Stunden lang nicht schlafen durften, Aufmerksamkeit und Psychomotorik verbesserte und es ihnen ermöglichte, komplizierte Aufgaben im Flugsimulator zu absolvieren. Zugelassen ist das Mittel mittlerweile nur noch zur Behandlung von Narkoleptikern, die unter exzessiver Schläfrigkeit leiden; doch viele gesunde Menschen missbrauchen es als Wachmacher und Leistungsdroge.
 

Macht Neuro-Enhancement kreativ?

Mittel zum Hirndoping stärken Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeitsleistung und Wachheit. Es fällt einem dann leichter, sich auf eine Aufgabe zu fokussieren. Ablenkende Reize werden ausgeschaltet. Dies unterstützt ein mehr oder weniger mechanisches Lernen, nicht jedoch den kreativen Prozess. Mit Kreativität ist der Vorgang gemeint, dass man Informationen, die nicht miteinander verknüpft sind, zusammenbringt und auf diese Weise etwas Neues schafft. Manche Forscher sind sogar der Meinung, dass Neuro-Enhancer den Geist weniger frei schweifen lassen und so den schöpferischen Prozess behindern.

Hirndoping kann auch noch weitere Nachteile haben. Da diese Mittel leicht zur Überschätzung der eigenen Möglichkeiten führen, vermag man reale Risiken vielleicht nicht mehr zu erkennen oder schätzt sie falsch ein.
 

Ist Hirndoping gerechtfertigt?

Schließlich bleibt noch eine juristische Frage. Wer bei Prüfungen leistungssteigernde Substanzen einnimmt, verschafft sich gegenüber den anderen Prüfungskandidaten einen Vorteil. Im Sport ist so etwas inzwischen tabu. Sicher ist es unfair, wenn der eine Prüfungskandidat mithilfe von Medikamenten eine bessere Gedächtnisleistung erbringt als der andere, der solche Hilfsmittel nicht einnimmt. Andererseits gibt es weitaus mehr Prüfungen als Sportwettkämpfe. Da stellt sich natürlich schon die Frage, wie man bei Prüfungen mithilfe von Stichproben schwarze Schafe herausfiltern soll, die ein paar Pillen eingeworfen haben, um leistungsfähig zu sein. Blutproben vor jeder Abiturklausur oder Examensarbeit? Das wäre im Hinblick auf die Gleichstellung aller Examenskandidaten strenggenommen zwar vielleicht angezeigt, ist aber wohl doch eher eine unrealistische Vorstellung.

Was tun, wenn man nicht schlafen kann?

Ein Gespräch mit dem Schlafexperten Dr. Weess

Heutzutage klagen viele Menschen über Ein- und Durchschlafstörungen – und es werden immer mehr. Denn der Stress unseres modernen Lebens fordert seinen Tribut. Und nicht immer ist eine Schlafstörung leicht zu behandeln, denn mit Schlafmitteln allein ist es meistens nicht getan: Der Betroffene muss seine innere Einstellung ändern, muss wieder lernen, sich zu entspannen. Und manchmal muss er auch etwas an seinem Leben verändern – Entschleunigung, Stressreduktion ist angesagt. Nicht jeder Stress lässt sich vermeiden; aber man kann sich doch von manchen überflüssigen Belastungen im Leben befreien. Wir sprachen mit Dr. Hans-Günter Weeß, der im Schlafzentrum am Pfalzklinikum in Klingenmünster ein umfassendes Therapieprogramm für Menschen mit Schlafstörungen anbietet.
 

Schlafstörungen sind ja heutzutage weit verbreitet. Wenn man nicht ein- oder durchschlafen kann – ist das dann schon eine Krankheit?

Dr. Weeß: Das hängt davon ab, wie ausgeprägt die Probleme sind und wie häufig pro Woche sie auftreten. Und es kommt auch darauf an, ob sie mit negativen Auswirkungen auf das Erleben, Verhalten und Befinden am nächsten Tag einhergehen. Wenn Probleme mit dem Ein- oder Durchschlafen mehr als dreimal pro Woche über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten bestehen, sprechen wir von einer akuten Ein- und Durchschlafstörung (Insomnie); wenn sie länger als drei Monate dauern, gehen wir von einer chronischen Insomnie aus. Aber ohne Beeinträchtigung im Befinden am Tage wird man diese Diagnose nicht stellen; denn manche Menschen brauchen eben einfach weniger Schlaf. Solange sie sich tagsüber ausgeschlafen und leistungsfähig fühlen, sich gut konzentrieren und ihren Alltagsaufgaben nachkommen können, ist eine reduzierte Schlafmenge in der Nacht kein Problem. 

Der Mensch ist ja keine Maschine, die sich sagen kann: Jetzt muss ich schlafen. Schließlich gibt es auch ungünstige Umstände bei Tage, die bewirken, dass man abends nicht einschlafen kann – vielleicht, weil man noch über Probleme oder Ereignisse nachgrübelt, die einen tagsüber beschäftigt haben. Aber damit muss man vielleicht leben, dass es mit dem Ein- und Durchschlafen mal besser und mal schlechter klappt.

Schwankungen im Schlafvermögen sind etwas völlig Normales. Es kann durchaus sein, dass man bei einer akuten körperlichen, psychischen oder mentalen Belastung einmal nicht so gut schläft oder im Rahmen einer Art Lebenskrise mit vorübergehenden Schlafproblemen reagiert.
 

Was kann man selber dagegen tun, wenn einem manchmal im Bett die Gedanken einfach nicht aus dem Kopf gehen, sodass man nicht einschlafen kann? 

Dr. Weeß: Es gibt kein Patentrezept, das man einfach nur anzuwenden braucht, und dann schläft man wieder gut; denn dann wären Schlafstörungen in unserer Bevölkerung wahrscheinlich weniger häufig. Aber natürlich gibt es viele Tipps, Tricks und Strategien für einen besseren Schlaf. Grundsätzlich ist es immer hilfreich, wenn man das, was einen im Bett beschäftigt, vorher schon gedanklich zu bearbeiten versucht, z. B. im Rahmen eines Einschlafrituals. Das heißt, man zieht sich rechtzeitig vor dem Zubettgehen von allen Alltagsaktivitäten zurück, sucht sich ein stilles Plätzchen und denkt noch mal über die Dinge nach, die einen tagsüber beschäftigt haben. Oft verlieren die Probleme dadurch schon ein bisschen von ihrem Druck; und wenn man dann ins Bett geht, kann man seine Sorgen eher beiseite schieben und wieder in eine entspannte Gemütslage kommen. Man kann vor dem Einschlafen aber auch Entspannungsverfahren wie progressive Muskelrelaxation, autogenes Training oder Fantasiereisen praktizieren. Und vor allem sollte man auf eine gute Schlafhygiene (also die Einhaltung gewisser „Spielregeln“ für einen gesunden Schlaf) achten. Und da gehört sicherlich an erster Stelle mit dazu, dass man den Schlaf auf der Couch vor dem Fernseher vermeidet. Das ist zwar der Ort, wo der Deutsche am besten schlafen kann; aber leider ist dieser „Fernsehschlaf“ auch der Einschlafkiller Nummer eins. Denn dadurch wird der erste Schlafdruck bereits abgebaut.
 

Der Schlaf hat in unserer Gesellschaft – vor allem bei Jugendlichen und bei Menschen, die mitten im Berufsleben stehen – einen recht geringen Stellenwert: Heutzutage ist man rund um die Uhr per Handy abrufbereit und sitzt bis spätabends vor dem Fernseher oder Computer. Schlaf gilt vielen Menschen als lästige Zeitverschwendung.

Dr. Weeß: Stimmt. Der Schlaf wird in unserer heutigen Zeit leider nicht mehr so hoch geschätzt, wie er eigentlich sollte – denn er ist ja unabdingbar für unsere Gesundheit, unser psychisches Wohlbefinden und auch für eine hohe Lebenserwartung. Trotzdem ist der Schlaf in unserer Gesellschaft ein Stück weit verpönt. Das erkennt man auch daran, dass der eigentlich sehr gesundheits- und leistungsfördernde Mittagsschlaf bei uns eher ein bisschen belächelt wird. In asiatischen Ländern ist das ganz anders: Da hat man ein Recht auf Mittagsschlaf; und wenn ein Vorgesetzter durch seine Abteilung geht und einen Mitarbeiter sieht, der am Schreibtisch ein Nickerchen hält, denkt er: „Der muss aber tüchtig gearbeitet haben, dass er jetzt einen Mittagsschlaf braucht.“ In unseren westlichen Industrienationen würde man so ein Schläfchen (oder neudeutsch: Power-Nap) eher dahingehend interpretieren, dass der betreffende Mitarbeiter faul ist. Hinzu kommt, dass die neuen Medien vor allem Kindern und Jugendlichen sehr viel Schlaf rauben. 

Es gibt etliche Studien, die zeigen, dass die Smartphone- und Handy-Nutzer häufiger über Schlafprobleme klagen, tagsüber eher müde und unausgeschlafen sind und dann auch in ihren schulischen Leistungen nachlassen. 
 

Was für Ratschläge können Sie schlafgestörten Menschen für ihre Schlafhygiene geben? Was sollte man vor dem Einschlafen tun, und vor allem: Was darf man nicht tun?

Dr. Weeß: Es ist wichtig, dass man in der Bettsituation gut abschalten kann, also nicht grübelt. Und man darf auch nicht ins Bett gehen, um schlafen zu wollen! Denn wer krampfhaft schlafen will, der strengt sich an, und Anstrengung ist der Feind des Schlafs. 

Bei der Schlafhygiene geht es aber in erster Linie um bestimmte Verhaltensweisen. Dazu gehört z. B., dass Alkohol zwar eine schlafanstoßende Wirkung hat, sich aber in zu hoher Dosis sehr negativ auf den Schlaf auswirken kann. Anfangs kann man die psychische Entspannung, das Abschalten – das der Schlafgestörte ja häufig verlernt hat – durch die entspannende Wirkung des Alkohols unterstützen. Aber sobald man diejenige Alkoholmenge überschreitet, die beim Mann einem Viertelliter und bei der Frau einem Achtelliter Wein entspricht, hat der Alkohol bereits eine tiefschlafunterdrückende Wirkung und kann in der zweiten Nachthälfte vermehrt zu Schlafunterbrechungen, innerer Anspannung, Unruhe, Schwitzen und Alpträumen führen. Im Hinblick auf die Erholsamkeit des Schlafs ist übermäßiger Alkoholkonsum also eher kontraproduktiv.
 

Und wie steht es mit dem Essen am Abend?

Dr. Weeß: Ein voller Magen, der arbeiten und verdauen muss, stört den Schlaf. Es ist ein Widerspruch in sich, wenn ein Teil des Körpers entspannt sein und ein anderer Teil – eben der Magen – Schwerstarbeit verrichten soll. Deshalb sollte man abends nur noch leichte Kost zu sich nehmen. Wichtig ist auch ein ausreichender zeitlicher Abstand zwischen Abendessen und Zubettgehen. Genau dasselbe gilt übrigens auch für den Sport. Ich habe immer wieder Patienten, die meinen, dass sie, wenn sie sich sportlich sehr intensiv betätigen und anstrengen, dadurch müde werden und somit auch gut schlafen müssten; aber das ist häufig gar nicht der Fall. Ein normales Maß an körperlicher Aktivität reicht für einen gesunden Schlaf völlig aus. Und bitte keine sportliche Aktivität in den letzten zwei Stunden vor dem Zubettgehen!
 

Was soll man tun, wenn man nachts aufwacht, absolut nicht mehr müde ist und nicht wieder einschlafen kann? Soll man dann aufstehen?

Dr. Weeß: Die allerwichtigste Spielregel lautet: Nachts auf keinen Fall auf die Uhr schauen! Das ist auch eine wichtige schlafhygienische Regel, dass man den Wecker vom Nachttisch verbannen sollte. Man kann ihn z. B. unters Bett stellen, damit man ihn morgens hört; aber die nächtliche Zeitregistrierung – das Rechnen: „Wie viel habe ich geschlafen, und wie viel könnte ich jetzt noch schlafen, wenn ich gleich wieder einschlafe?“ – ist geradezu ein Patentrezept für Unruhe und innere Anspannung. 

Wenn man nachts aufwacht und sich wach, aber trotzdem innerlich wohl und psychisch entspannt fühlt, besteht keine Notwendigkeit, aufzustehen. Man kann sich dann einfach eine schöne Zeit im Bett machen. Sollte das Wachheitsgefühl in der Nacht aber einer verstärkten inneren Unruhe oder vermehrten Beschäftigung mit Alltagsproblemen entspringen, dann empfiehlt es sich doch, aufzustehen und das Schlafzimmer zu verlassen – erstens, um etwas Distanz zu den Problemen zu gewinnen, aber auch, um die Psychohygiene des Schlafzimmers zu bewahren: Beim gesunden Schläfer besteht eine unbewusste Koppelung zwischen Schlafzimmer, Schlafumgebung und dem inneren Gefühl von Entpflichtung, Entspannung, Distanzierung vom Alltag. Bei vielen Schlafgestörten ist diese unbewusste Koppelung verlorengegangen; sie denken im Schlafzimmer über Dinge nach, die zu Unwohlsein und Anspannung führen – und damit sind wir wieder beim Thema: Anspannung ist der Feind des Schlafs. 
 

Wie soll man sein Schlafzimmer gestalten? Die meisten Menschen investieren viel Zeit und Geld in die Einrichtung von Wohnzimmer, Kinderzimmer, Küche usw., aber im Schlafzimmer stellt man alles Mögliche ab – vom Bügelbrett über das Fernsehgerät bis hin zum Korb mit der Schmutzwäsche. Wie sollte das ideale Schlafzimmer eingerichtet sein? Welche Temperatur und was für eine Beleuchtung soll es haben? 

Dr. Weeß: Das ideale Schlafzimmer sollte so wenig wie möglich an den Alltag erinnern. Es soll ein Ort des Wohlfühlens sein. Ich vergleiche das immer mit dem Gefühl, das man hat, wenn man sich ein Wellness-Wochenende gönnt, im Whirlpool sitzt und der Alltag ganz weit weg ist, oder wenn man im Urlaub ist – so eine Atmosphäre soll das Schlafzimmer bieten, und da liegt es eigentlich auf der Hand, dass es nicht als Abstellraum genutzt werden sollte und dass auch Alltagsbeschäftigungen bzw. die Gegenstände dafür dort nichts zu suchen haben: Computer, Fernseher, Bügelbrett, Nähmaschine und andere Dinge, die mit Alltagsaktivitäten zu tun haben, gehören nicht ins Schlafzimmer. 

Was die Einrichtung anbelangt, besagt die Farbpsychologie ja, dass Blautöne eher etwas Beruhigendes haben und Rottöne vermieden werden sollten, weil man damit Unruhe assoziiert. Wenn man will, kann man sich daran orientieren und das Schlafzimmer dementsprechend gestalten. Vor allem aber sollte das Bett bequem und rückengerecht sein, um auch eine körperliche Entspannung zu ermöglichen. 
 

Und bei welcher Temperatur soll man schlafen? Manche Leute lassen ja selbst im tiefsten Winter nachts das Fenster offen ...

Dr. Weeß: Es gibt Bettgenossen, die meinen: Je tiefer die Temperatur im Schlafzimmer, umso tiefer sei dann auch der Schlaf. Dem ist sicherlich nicht so. Wenn beim Ausatmen Nebelschwaden aus dem Mund aufsteigen, ist es zu kühl; und dann ist es für den Organismus – vor allem für die Lungen – sehr belastend, während des Schlafs permanent für die notwendige Erwärmung der Luft und des Körpers zu sorgen. Wir gehen heute davon aus, dass eine Raumtemperatur von 16 bis 18 Grad im Schlafzimmer optimal ist. Die Luft sollte auch nicht zu trocken sein, sodass die Atemwege keinem Stress unterliegen.
 

Ist Lesen im Bett vor dem Einschlafen kontraproduktiv, oder kann es vielleicht sogar eine kleine Einschlafhilfe sein?

Dr. Weeß: Das hängt ganz vom Lesertypus ab. Wenn das Lesen dazu führt, dass man gut abschalten kann und rasch in einen Zustand der Entspannung kommt, dann kann es ein wunderbares Einschlafmittel sein; wenn der Betreffende aber eine Leseratte oder ein begeisterter Krimifan ist und sich sagt: „Fünf Seiten lese ich jetzt noch“ – und dann noch mal fünf Seiten, und sich so um den Nachtschlaf bringt –, ist das sicherlich kein geeignetes Einschlafmittel.
 

Wenn man sich ein paar Nächte hintereinander um die Ohren geschlagen hat – kann man den versäumten Schlaf dann in den darauffolgenden Nächten nachholen?

Dr. Weeß: Der Amerikaner Randy Gardner, der in den 1960er-Jahren im Rahmen eines wissenschaftlichen Experiments den Weltrekord im Schlafentzug aufstellte, hat 264 Stunden hintereinander nicht geschlafen. Und er hat dieses Schlafdefizit anschließend tatsächlich nachgeholt – aber nicht etwa so, dass er elfmal acht Stunden, also 88 Stunden geschlafen hat, sondern in der ersten Schlafperiode nach dem Schlafentzug hat er ungefähr 16 Stunden geschlafen und in der darauffolgenden Nacht 14 Stunden; und dann war er in der dritten Nacht eigentlich fast schon wieder auf seinem normalen Schlafmaß. Allerdings hat er in den ersten Nächten nach dem Schlafentzug enorm viel Tiefschlaf nachgeholt; das heißt, er hatte in den ersten beiden Nächten einen sehr hohen Tiefschlafanteil im Verhältnis zu unserem üblichen Prozentsatz an Tiefschlaf pro Nacht. In gewisser Weise wurde das Schlafdefizit also schon ausgeglichen. Trotzdem waren elf Tage ohne Schlaf für diesen Mann mit hoher körperlicher Belastung und sicherlich auch mit einem veränderten Stoffwechsel verbunden; denn wir wissen aus neueren Studien, dass Schlafmangel schon über wenige Tage hinweg unser Immunsystem schwächen kann. Die Entzündungswerte im Blut gehen hoch, und der Zucker aus dem Blut kann schlechter abgebaut werden.
 

Es gibt ja auch Menschen, die wollen möglichst wach sein und den Schlaf bekämpfen, auch aus beruflichen Gründen – Piloten z. B. Im Zweiten Weltkrieg war die „Panzerschokolade“ (das Aufputschmittel Pervitin, das der heutigen Droge Crystal Meth entspricht) sehr berühmt; heutzutage gibt es andere Medikamente, beispielsweise Modafinil, um die Vigilanz zu fördern. Was halten Sie davon? Bringt es körperliche Nachteile mit sich, wenn man solche Substanzen zu oft einnimmt?

Dr. Weeß: Es scheint in unserer Leistungsgesellschaft tatsächlich immer notwendiger zu werden, eine Art Gehirndoping zu betreiben – sei es während des Studiums, im Beruf oder vor Prüfungen. Der Konsum solcher antriebssteigernden Medikamente oder „Gedächtnis-Enhancer“, wie sie manchmal auch genannt werden, nimmt zu; man kann sie sich auch illegal über das Internet besorgen. Grundsätzlich muss man jedoch bedenken, dass es sich dabei um Medikamente handelt, die Wirkungen, aber auch Nebenwirkungen haben. Viele wirken auf das Herz-Kreislauf-System und erhöhen den Blutdruck; manche können auch zu Gewöhnung und Abhängigkeit führen. Solche Medikamente stellen, wenn man sie ohne ärztliche Verordnung einnimmt, grundsätzlich ein Risiko dar, vor allem im Langzeitgebrauch. Man weiß z. B., dass Methylphenidat (Ritalin) bei Langzeitgebrauch zu Frontalhirn- und Persönlichkeitsveränderungen führen kann. Ich persönlich würde aufgrund des erhöhten Gesundheitsrisikos strikt davor warnen, solche Medikamente ohne ärztliche Verordnung einzunehmen. 
 

Wenn man das Gefühl hat, schlecht zu schlafen, greift man gerne zu Schlafmitteln. Da gibt es schwächere, nicht verschreibungspflichtige Mittel – Baldrian & Co. – und natürlich auch rezeptpflichtige Medikamente. Ist die Einnahme von Schlafmitteln empfehlenswert?

Dr. Weeß: Bei leichten Schlafstörungen haben die nicht rezeptpflichtigen Medikamente, die man frei verkäuflich in der Apotheke erwerben kann, durchaus ihre Berechtigung. Denn dann ist das Anspannungsniveau des Patienten noch nicht so stark erhöht, sodass diese leichteren Schlafmittel durchaus die notwendige Entspannung herbeiführen können. Viele Schlafgestörte haben allerdings ein zu hohes psychophysiologisches Anspannungsniveau, sodass solche „sanften“ pflanzlichen Medikamente nicht beruhigend genug wirken. Außerdem wurde nur bei ganz wenigen rezeptfreien Schlafmitteln tatsächlich eine wissenschaftliche Prüfung der Wirksamkeit durchgeführt, wie alle rezeptpflichtigen Medikamente sie im Rahmen ihrer klinischen Prüfung durchlaufen müssen. Bei den rezeptpflichtigen Schlafmitteln ist die Erfolgswahrscheinlichkeit also höher. 
 

Melatonin ist inzwischen auch in Form klinisch geprüfter, verschreibungspflichtiger Medikamente auf dem Markt. Bisher musste man sich dieses „Schlafhormon“ ja immer aus Amerika beschaffen. Aber da lag die Substanz nicht in retardierter Form vor und wirkte daher auch nicht so gut. Was halten Sie von Melatonin?

Dr. Weeß: Grundsätzlich ist Melatonin ja ein natürlicher Botenstoff in unserem Gehirn, also ein Hormon, das den Schlaf unterstützt oder einleitet, und zwar immer beim Hell-dunkel-Wechsel, also wenn es Nacht wird. Von daher wird dem Melatonin schon eine potenzielle Wirksamkeit zugeschrieben. Man hat auch den in den USA erhältlichen Melatonintabletten (die es dort sogar im Supermarkt zu kaufen gibt, weil sie als Nahrungsergänzungsmittel gelten) eine gewisse Wirkung gegen Jetlag zugeschrieben, allerdings nicht gegen Schlafstörungen. Mittlerweile gibt es zwei melatoninhaltige bzw. melatoninähnliche Präparate auf dem Markt: einmal als Schlafmittel (Circadin®), zum anderen als beruhigend und schlaffördernd wirkendes Antidepressivum (Valdoxan®). Beide scheinen eine gewisse positive Wirksamkeit zu haben – wobei es auch Medikamente gibt, die eine noch stärkere schlaffördernde Wirkung haben. 
 

Zu den „klassischen“ Schlafmitteln gehören ja einerseits die Benzodiazepine und andererseits eine Gruppe neuerer benzodiazepinähnlicher Wirkstoffe: die sogenannten Z-Substanzen, die noch besser wirken und weniger nachteilige Wirkungen haben sollen als die „Benzos“. 

Dr. Weeß: Grundsätzlich sind Benzodiazepine und auch die neueren Benzodiazepinrezeptoragonisten oder Z-Substanzen hervorragende Medikamente gegen Schlafstörungen, weil sie im Vergleich zu allen anderen schlaffördernden Substanzen ein relativ geringes Nebenwirkungspotenzial haben; das heißt, sie wirken nicht so stark toxisch und haben weniger nachteilige Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System. Ein großes Problem bei beiden Substanzklassen ist allerdings die Tatsache, dass sie zu Gewöhnung und Abhängigkeit führen können. Das heißt, sie wirken hervorragend, wenn man sie sachgerecht anwendet; und sachgerechte Anwendung heißt: zwei oder vier Wochen lang. Nur in wenigen Ausnahmefällen ist eine Einnahmedauer von acht oder zwölf Wochen erlaubt; aber in diesen Einnahmezeiträumen können schon erste Gewöhnungen und Abhängigkeiten auftreten. Wir haben in Deutschland zwischen 1,1 und 1,9 Millionen schlafmittelabhängige Menschen. Darin zeigt sich auch die Hilflosigkeit unseres Gesundheitssystems gegenüber den vielen Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen, denen man diese Medikamente dann aus der Not heraus und mangels Alternativen eben oft über eine zu lange Zeitdauer verordnet. 

Außerdem haben diese Substanzen trotz subjektiver Besserung messbar negative Wirkungen auf den Schlaf: Sie verändern das physiologische Schlafmuster, unterdrücken den Tiefschlaf und den REM-Schlaf, die beide für unsere körperliche und psychische Regeneration sehr wichtig sind. Und so haben sie in der Langzeitanwendung dann möglicherweise auch eine paradoxe Wirkung, sodass sie die Schlafstörung nicht bessern, sondern im Gegenteil sogar schlafstörungsverstärkend wirken können. 

Das Abhängigkeitspotenzial der neueren Substanzklasse – also der Z-Substanzen – wird übrigens geringer eingeschätzt als dasjenige der Benzodiazepine. Wenn man zu einer dieser beiden Substanzklassen greifen möchte, wird man also wohl eher die Z-Substanzen bevorzugen.
 

Nun ist es ja leider so, dass viele Hausärzte ihren Patienten bei Einschlafproblemen gerne solche Substanzen verschreiben, aber nicht darauf achten, dass man die nach einiger Zeit wieder absetzen muss. Wie werden sie denn überhaupt abgesetzt – plötzlich oder ausschleichend?

Dr. Weeß: Die Art des Absetzens hängt sicherlich vom vorhergehenden Einnahmeverhalten ab. Wenn jemand eine Z-Substanz z. B. nur zweimal pro Woche angewendet hat, gehe ich davon aus, dass er dieses Medikament dann relativ lange ohne Gewöhnung oder Abhängigkeitsproblematik einnehmen kann; wenn jemand ein solches Schlafmittel dagegen jeden Abend eingenommen hat und bereits eine erste körperliche Gewöhnung eingetreten ist, dann ist eine schrittweise Reduktion absolut notwendig; ein abruptes Absetzen könnte das Risiko für eine Übererregung des Gehirns – sprich: für einen epileptischen Anfall – erhöhen. Grundsätzlich sollte man das Absetzen immer mit seinem Arzt besprechen.
 

Und wie entwöhnt man Patienten, die von solchen Medikamenten abhängig geworden sind? Kann das der Hausarzt machen, oder braucht man dazu einen Schlafmediziner oder Psychiater?

Dr. Weeß: Auch das hängt davon ab, wie stark die Gewöhnung ist und was für Begleiterkrankungen vorliegen, ob es sich um einen jüngeren oder älteren Patienten handelt und ob es über die Dauer der Anwendung zu einer Dosissteigerung gekommen ist oder nicht. Wir gehen heute davon aus: Wenn es sich um einen älteren Patienten handelt, der die Dosis im Verlauf seiner Therapie nicht gesteigert hat, kann man so ein Medikament bei guter Wirksamkeit in Einzelfällen auch mal über die vorgeschriebene Behandlungszeit hinaus verordnen. Allerdings gehören sowohl die Z-Substanzen als auch die Benzodiazepine zu den Medikamenten, die das Auftreten von nächtlichen Stürzen und Oberschenkelhalsbrüchen begünstigen. Es wird auch diskutiert, ob sich dadurch nicht vielleicht sogar die in einzelnen Studien gezeigte verkürzte Lebenserwartung unter Einnahme solcher Substanzen erklären lässt – eben über die negative Wirkung auf Wachheit und Aufmerksamkeit und die dadurch vermehrten Stürze mit Oberschenkelhalsbrüchen. Deshalb muss man bei älteren Patienten mit solchen Mitteln als Dauermedikation sehr vorsichtig sein; aber wie gesagt: In Einzelfällen führen wir bei älteren Menschen nicht unbedingt einen Schlafmittelentzug durch. Bei allen anderen Patienten ist ein Entzug angeraten. 

Je nach Schweregrad der Gewöhnung kann das ambulant über den Hausarzt geschehen, der das Mittel dann über mehrere Monate hinweg schrittweise reduziert; bei stärkerer Abhängigkeit – vor allem, wenn der Patient das Medikament in hohen Dosen eingenommen hat – kann ein stationärer Entzug notwendig sein.
 

Wie wirksam sind Schlafmittel eigentlich? Bekommt man eine Schlafstörung damit in den Griff?

Dr. Weeß: Grundsätzlich stellen Schlafmittel in den meisten Fällen eine symptomatische Behandlung dar – das heißt, sie behandeln nur selten die Ursache des Schlafproblems. Solche Medikamente können durchaus sinnvoll sein, um den „Teufelskreis“ der Schlafstörung zu durchbrechen; aber als einzige schlaffördernde Maßnahme reichen sie meistens nicht aus, sondern müssen in der Regel mit nicht-medikamentösen Methoden kombiniert werden, mit denen man Schlafstörungen nachhaltiger behandeln und oft auch „heilen“ kann – z. B. mit Psychoedukation.
 

Was ist das?

Dr. Weeß: Unter Psychoedukation verstehen wir die Anleitung des Patienten dahingehend, dass er sich schlaffördernde Verhaltensweisen angewöhnt – man vermittelt ihm also die bereits erwähnten Regeln der Schlafhygiene. 

Außerdem leitet man ihn dazu an, seine innere Einstellung so zu verändern, dass Schlaf wieder möglich wird. Sprich: Wir möchten bei so einem Patienten erreichen, dass er 

in einen inneren Entspannungszustand kommt; und vor allem wollen wir ihn dazu bringen, dass er nicht mehr um den Schlaf ringt, also nicht um jeden Preis schlafen möchte, weil das wiederum anspannungsverstärkend wirkt und somit die Schlafstörung verschlimmern könnte.
 

Es gibt ja auch noch eine andere nicht-medikamentöse Behandlungsmethode bei Schlafstörungen: die kognitive Verhaltenstherapie. Wie funktioniert die?

Dr. Weeß: Dabei erarbeiten wir gemeinsam mit dem Patienten die psychodynamischen Ursachen seiner Schlafstörung. Wir analysieren seine Problematik in der Bett-, aber meistens auch in der Tagessituation und üben spezielle schlaffördernde Methoden wie Stimuluskontrolle oder Schlafrestriktion, aber auch gedankliche Techniken wie beispielsweise Fantasiereisen mit ihm ein. Also ein ganzes Potpourri an schlaffördernden Maßnahmen – und die versuchen wir in den Alltag und die Bettsituation des Patienten zu integrieren. Diese kognitive Verhaltenstherapie, die meist etwas länger dauert, braucht man eher bei schwereren Schlafstörungen. Bei leichteren Schlafstörungen kommen wir in aller Regel mit Schlafhygiene und Psychoedukation aus.
 

Was ist Stimuluskontrolle?

Dr. Weeß: Bei der Stimuluskontrolle wird der Patient dazu angeleitet, die unbewusste Koppelung zwischen Bettsituation und Entspannung, die beim gesunden Schläfer vorhanden ist, wieder herbeizuführen. Oft fühlt der Schlafgestörte sich, bevor er ins Bett geht, ja noch ganz entspannt und ist auch müde; aber sobald er ins Bett geht, ist es damit vorbei. Schlafgestörte Menschen beschreiben dieses Phänomen oft folgendermaßen: „Es ist so, wie wenn man einen Lichtschalter umlegt – plötzlich bin ich hellwach.“ Dieses Phänomen ist Ausdruck der Konditionierung: Schlafzimmer oder Bett = unangenehmer Ort. Dort werden alle Probleme der Welt gewälzt; das ist ein Ort, wo Stress und Anspannung entstehen, Stresshormone wie Kortisol und Adrenalin ausgeschüttet werden – und all das ist mit Schlaf inkompatibel. Bei der Stimuluskontrolle vermittelt man dem Patienten daher folgende Spielregel: Sobald er sich im Schlafzimmer nicht mehr wohlfühlt, sobald er eine Neigung zum Grübeln verspürt und über Alltagsprobleme nachzudenken beginnt, soll er aufstehen und diese Gedankenarbeit außerhalb des Schlafzimmers erledigen, um wieder eine unbewusste Koppelung zwischen Schlafzimmer und Entspannung herzustellen.
 

Und was ist eine Schlafrestriktionstherapie?

Dr. Weeß: Die Schlafrestriktionstherapie orientiert sich an dem Motto: „Weniger ist mehr“ – das heißt, weniger Zeit im Bett führt zu mehr Schlaf. Das klingt zwar im ersten Moment paradox; aber wir machen uns dabei gleich verschiedene Mechanismen zunutze, um dem Patienten wieder zu einem besseren Schlaf zu verhelfen. Erstens führen wir bewusst ein Schlafdefizit herbei, indem wir dem Patienten eine zu knappe Bettzeit verordnen, sodass sich über mehrere Tage hinweg ein hoher Schlafdruck aufbaut. Dieser Schlafdruck führt dazu, dass der Patient die zugegebenermaßen wenige Zeit, die er im Bett liegt, über kurz oder lang dann doch schlafend verbringt. Und das hat eine positive psychische Wirkung auf ihn, denn er macht die Erfahrung: „Ich kann ja wieder schlafen, wenn ich im Bett bin!“ Das gibt ihm neues Selbstbewusstsein und ein Gefühl der Kompetenz („Ich habe meinen Schlaf wieder im Griff“); und das führt wiederum zu einer Beruhigung und Entspannung in der Bettsituation. Wir haben hier also gleich zwei Wirkmechanismen: hoher Schlafdruck und mehr Entspannung. Und sobald der Patient wieder besser schläft, darf er dann schrittweise auch wieder mehr Zeit im Bett verbringen, sodass er meist schon innerhalb von ein paar Wochen wieder zu einem guten und erholsamen Schlaf findet.
 

Das funktioniert aber sicher nur bei einem stationären Aufenthalt in einer Schlafklinik, oder geht das auch zu Hause? 

Dr. Weeß: Man kann diese Therapie sowohl zu Hause als auch stationär durchführen. Natürlich braucht man für eine ambulante Durchführung in der häuslichen Umgebung einen mündigen, selbstverantwortlichen Patienten. Und zum anderen sind uns da natürlich auch Grenzen gesetzt, weil wir mit einem Berufstätigen, der womöglich auch noch Auto fährt, keine Schlafrestriktion in der Größenordnung von vier oder fünf Stunden pro Nacht durchführen können; denn dadurch würden wir sein Unfallrisiko im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz erhöhen. Ambulant kann man die Schlafrestriktion also nur in abgeschwächter Form durchführen. In der Klinik dagegen kann man die Bettzeit so weit einschränken, dass der Patient tatsächlich nur vier oder fünf Stunden pro Nacht im Bett liegen darf; und das tun wir bei unseren stationären Therapieprogrammen auch.
 

Sie haben ja am Klinikum Klingenmünster ein Konzept entwickelt, mit dem Sie schlafgestörte Patienten besonders intensiv und erfolgreich behandeln. Wie sieht dieses Therapiekonzept aus?

Dr. Weeß: Wir haben ein gestuftes Behandlungskonzept für unterschiedliche Schweregrade von Ein- und Durchschlafstörungen. Da steht an erster Stelle die ambulante Diagnostik und Beratung, die im Rahmen von ein oder zwei einfachen Beratungsstunden stattfinden kann. 

Auf der nächsten Stufe kommt die verhaltenstherapeutische Kurzzeitintervention, die ambulant, aber komprimiert über zwei Tage stattfindet – in Form eines zweitägigen Schlafschulkurses. Denn da es in Deutschland nur wenige Therapieangebote dieser Art gibt, reisen die Patienten zum Teil von weither an und können kein Angebot wahrnehmen, das sich über acht oder zehn Wochen erstreckt und jeweils nur zwei Stunden pro Woche umfasst. 

Für alle Patienten, die von ambulanten Maßnahmen und verhaltenstherapeutischen Kurzzeitinterventionen nicht profitiert haben, gibt es ein stationäres Behandlungskonzept, das sich über knapp drei Wochen erstreckt. Diese stationäre Behandlung ist den Patienten mit chronischen und schweren Schlafstörungen vorbehalten.
 

Leiden Schlafapnoe-Patienten eigentlich auch unter Ein- und Durchschlafstörungen? 

Dr. Weeß: Ja, es gibt eine ganze Reihe von Studien zu dieser Frage, die allesamt aussagen, dass 20–50 % der Patienten mit Schlafapnoe auch von Ein- und Durchschlafstörungen betroffen sind. Viele Experten fordern daher, dass der Arzt, der die Schlafapnoe behandelt, nicht nur Experte auf diesem Gebiet sein sollte, sondern sich auch auf dem Gebiet der Insomnien auskennen muss, damit er seine Schlafapnoe-Patienten umfassend behandeln kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Patient die Schlafapnoe-Behandlung, die ja meistens über eine nächtliche Überdruckbeatmung (CPAP) erfolgt, nicht konsequent durchführt, weil Maske und Gerät seine Schlafproblematik noch mehr verstärken.
 

Haben Sie bei Ihrer Arbeit viele Erfolgserlebnisse – gibt es schwer schlafgestörte Patienten, die ihre Insomnie überhaupt nicht in den Griff bekamen und denen Sie dann doch noch helfen konnten?

Dr. Weeß: Da wir ja eine spezialisierte Einrichtung mit Schwerpunkt Ein- und Durchschlafstörungen sind, stellen solche schweren Fälle für uns fast schon die Regel dar. Wir haben ganz viele Patienten, die seit Jahren, manchmal sogar Jahrzehnten an Ein- und Durchschlafstörungen leiden; und wir freuen uns natürlich sehr darüber, dass viele dieser Patienten, wenn sie unser stationäres Programm durchlaufen, doch wieder zu einem deutlich besseren Schlaf kommen. Diese 

Patienten sind dann auch glücklicher und leistungsfähiger, haben eine bessere Lebensqualität und bringen uns als Therapeuten dann natürlich auch eine gewisse Dankbarkeit entgegen. So etwas tut einem immer gut.
 

Wie viel Schlaf braucht der Mensch eigentlich? In dieser Frage widersprechen sich die wissenschaftlichen Untersuchungen ja zum Teil. Die einen sagen: Zu lange im Bett zu bleiben, ist schädlich für die Gesundheit, damit verkürzt man das Leben; die anderen empfehlen möglichst viel Schlaf. 

Dr. Weeß: Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. 75 % der Deutschen schlafen zwischen sechs und acht Stunden. 12–13 % schlafen mehr als acht Stunden, und ein ähnlicher Prozentsatz schläft weniger als sechs Stunden. In epidemiologischen Studien scheint eine Schlafdauer zwischen sechseinhalb und siebeneinhalb Stunden mit der längsten Lebenserwartung einherzugehen. Aber uns Schlafmediziner interessiert die Schlafmenge eigentlich gar nicht so sehr. Für uns ist entscheidend, wie sich der betreffende Patient am Tage fühlt. Ob er jetzt drei oder zehn Stunden geschlafen hat, ist also weniger entscheidend als die Frage: Ist er ausgeschlafen und leistungsfähig? Und wenn er das ist, dann haben ihm möglicherweise eben auch drei Stunden Schlaf gereicht, während andere Menschen neun oder zehn Stunden schlafen müssen, um sich wieder erholt und fit zu fühlen. Letztendlich entscheidet das Gefühl des Ausgeschlafenseins über die notwendige Schlafmenge.
 

Haben Sie den Eindruck, dass Schlafstörungen heutzutage immer häufiger werden?

Dr. Weeß: Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten, weil die wissenschaftlichen Methoden und Möglichkeiten vor 50 oder 100 Jahren nicht die gleichen waren wie heute. Aber das, was wir wissen und erschließen können, scheint tatsächlich darauf hinzudeuten, dass der Mensch – vor allem in den Industrienationen – im Vergleich zu vor 100 Jahren heute weniger schläft; der Unterschied beträgt ungefähr eine Stunde. Es gibt auch Umfragen, in denen Menschen befragt wurden: Schlafen Sie heute weniger als vor fünf Jahren? Und erstaunlicherweise antworten darauf doch immerhin 30–50 % der Befragten mit Ja. Dazu passt, dass bei unseren beiden Behandlungsangeboten – der ambulanten Schlafschule und der stationären Therapie – ein zunehmender Bedarf zu beobachten ist.
 

Woran könnte das liegen?

Dr. Weeß: Stressbelastungen, Existenzängste, die Verdichtung in der Arbeitswelt, aber auch unsere zunehmende Erreichbarkeit über die neuen Medien – all diese Faktoren scheinen dazu beizutragen, dass der Schlaf heute allgemein etwas kürzer kommt als früher.