Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2022

Das Schlafmagazin: Ausgabe 1/2022


Liebe Leserin, lieber Leser,

ganz ehrlich: So richtig können wir nicht glauben, dass für unser Schlafmagazin nun der 20. Jahrgang beginnt. Als wir uns damals auf dieses Abenteuer eingelassen haben, hat keiner von uns gedacht, dass das Thema „Schlaf“  unser aller Leben so prägen würde. Wir waren überhaupt nicht vorbereitet, auf all das, was in kurzer Zeit nach Erscheinen des ersten Heftes auf uns zukommen sollte.

Da wir in unserem Leben vor dem Schlafmagazin Bücher für Verlage produziert haben, hatten wir weder Kontakt zu den Lesern, noch mussten wir uns um die Finanzierung kümmern, nicht mal der Vertrieb der Bücher ging uns etwas an – wir waren die Autoren und die Layouter, die von einem Verlag beauftragt und bezahlt wurden. Und dann hatte einer von uns diese Idee mit dem Magazin rund um den Schlaf. 

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Was für ein Wandel in unserem Arbeitsalltag! Nachdem die ersten Kontakte zu den Selbsthilfegruppen aufgebaut waren, gab es Tage, da stand das Telefon nicht mehr still. Die einen wollten Rat haben, die anderen Ratschläge geben. Da wir in der ersten Zeit die Hefte selbst verschickt haben, glich unser kleiner Verlag einer Lagerhalle voller Pakete und Packmaterial. Trotz der vielen Arbeit, die auch körperlich sehr anstrengend war, war die Stimmung meistens sehr gut.

Weniger gut stand es immer wieder um die Finanzierung. Leider fiel die Aufgabe mir zu, Kontakte zu den Firmen wegen möglicher Anzeigen aufzubauen. Ich bin allerdings überhaupt kein Verkäufer-Typ. Wahrscheinlich ist es besser, hier nicht ausführlicher zu werden...

Im Großen und Ganzen glaube ich aber sagen zu dürfen, dass unser Schlafmagazin ein recht anständiges Heft geworden ist. Aus den vielen Zuschriften und Anrufen, die wir von Ihnen, unseren Lesern, erhalten, folgern wir, dass Sie es gerne lesen und wichtige Tipps und Informationen für sich darin finden. Wir haben Leser, die seit dem ersten Erscheinungsjahr dabei sind, ebenso Anzeigenkunden, die uns all die Jahre treu geblieben sind. An dieser Stelle herzlichen Dank dafür!

In dieser ersten Ausgabe unseres 20. Jahrgangs informieren wir Sie über Interessantes und Wichtiges vom letzten Kongress der Schlafmediziner. Es tut sich einiges in der Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen, es gibt eine neue Leitlinie zur Schichtarbeit und über die Tagesschläfrigkeit haben wir ein interessantes Interview mit Prof. Peter Young geführt.

Ich wünsche Ihnen wie immer eine informative Lektüre.

Dr. Magda Antonic


Cover: © olegback/iStock

Die nächste Ausgabe erscheint im Mai 2022.
Inhalt

6 Immer mehr Lichtblicke in der Behandlung von Schlafstörungen –
trotz Corona und schlechter Versorgungslage

10 Orexin-Antagonisten:
Endlich Durchbruch in der Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen?

18 Für wen sind Nachtschichten zumutbar?
Neue Leitlinie zum Thema Nacht- und Schichtarbeit

22 Wie entstehen Schlafstörungen?
„Schlechte“ Gene und belastende Kindheitsereignisse können uns die Nacht zur Qual machen

28 Schlafstörungen und Depressionen: das Henne-Ei-Problem

30 „Mir fallen ständig die Augen zu“
Tagesschläfrigkeit – die neue Volkskrankheit?


34 Blähungen und Aufstoßen unter CPAP-Therapie:
Wie kommt es zu dem lästigen Luftschlucken?

36 Volkskrankheit Ein- und Durchschlafstörungen:
Wo finden die vielen Patienten eine geeignete Behandlung? 

39 Endlich erschienen:
Die Patientenleitlinie zu Long-/Post-COVID

40 Schlaf auf Rezept:
Erste digitale Gesundheitsanwendung für Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen

41 Erste kostenlose Online-Schlafberatung!

42 Ein Funktionsbett mit viel Komfort und intelligenten Funktionen

43 Angenehm weich und nachhaltig:
Eukalyptus-Bettwäsche

44 Polarnacht und Mitternachtssonne:
Viele Skandinavier leiden an Schlafstörungen und Depressionen

46 Von Kriegstraumata und faulen, verfressenen Hunden:
Sterbebett-Träume als Weg zu innerem Frieden

48 Was ist eigentlich „Frühjahrsmüdigkeit“?

„Mir fallen ständig die Augen zu“


Tagesschläfrigkeit –die neue Volkskrankheit?

Nicht jeder Mensch ist immer hellwach und leistungsfähig; viele haben das 
Gefühl, dass ihnen ständig die Augen zufallen. Und das kann sehr gefährlich werden – zum Beispiel, wenn man am Steuer eines Autos sitzt. Tagesschläfrigkeit kann die verschiedensten Ursachen haben – von schlichtem Schlafmangel bis hin zur obstruktiven Schlafapnoe –, und manchmal weiß man auch gar nicht so recht, wo sie herkommt. Dementsprechend schwierig ist der Umgang mit diesem Problem. Wir sprachen mit dem Schlafmediziner 
Professor Dr. Peter Young, der an der Klinik Medical Park Reithofpark in 
Bad Feilnbach Rehamaßnahmen für Patienten mit Schlafstörungen anbietet.  

Im täglichen Sprachgebrauch ist ja normalerweise nicht von Schläfrigkeit, sondern eher von Müdigkeit die Rede. Man sagt zum Beispiel: „Ich konnte gestern Abend wieder nicht einschlafen, deshalb bin ich heute hundemüde.“ Aber in der Schlafmedizin gibt es da, glaube ich, einen Unterschied?
Prof. Young: Ja, wir unterscheiden zwischen Müdigkeit und Schläfrigkeit. Für uns ist Tagesschläfrigkeit ein Zustand, bei dem man Gefahr läuft, einzuschlafen – man muss also tatsächlich darum kämpfen, dass einem nicht die Augen zufallen. Müdigkeit dagegen ist ein Sammelbegriff für alles Mögliche – erschöpft sein, fertig sein, nicht mehr können – und somit in der Schlafmedizin ein etwas ungenauer Begriff. Müdigkeit geht aber nicht unbedingt immer mit dem Risiko einher, einzuschlafen. 

Ist Tagesschläfrigkeit in unserer Gesellschaft eigentlich weit verbreitet?
Prof. Young: Ja, obwohl es dazu eigentlich keine guten, belastbaren Zahlen aus großen wissenschaftlichen Bevölkerungsstudien gibt. Es gibt zwar verschiedene Untersuchungen von Krankenkassen – ich habe selbst mal an so einem Buch, dem „Beurer Schlafatlas 2017“, mitgewirkt, bei dem wir anhand einer Stichprobe von 2000 Menschen untersucht haben, wie es eigentlich mit der Schläfrigkeit aussieht. Ungefähren Schätzungen zufolge leiden 10% aller Bundesbürger an Tagesschläfrigkeit – und zwar nicht nur vorübergehend, so wie es jeder von uns hin und wieder kennt, sondern als Dauerzustand. 10% der Gesamtbevölkerung: Das ist eine ganze Menge – da kann man schon von einer Volkskrankheit sprechen. 

Was für Ursachen hat diese Tagesschläfrigkeit?
Prof. Young: Zu den häufigsten Ursachen gehören Schlafprobleme wie beispielsweise die obstruktive Schlafapnoe oder chronische Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnien). Andererseits ist in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten aber auch ein gewisser Schlafverlust zu beobachten: Wir schlafen immer kürzer – und das, obwohl wir wissen, dass unser Schlafbedarf in erster Linie genetisch festgelegt ist, wir damit also eigentlich gegen die biologischen Bedürfnisse unseres Körpers leben. Schuld daran ist vor allem der Medienkonsum, und zwar nicht der klassische Fernseher, sondern die digitalen Medien mit ihrer ständigen Verfügbarkeit. Ein weiteres Problem liegt wahrscheinlich darin, dass durch die Arbeitsverdichtung in unserer heutigen Gesellschaft Arbeitsrhythmen entstanden sind, die den Menschen weniger Schlaf gönnen. Und daraus resultiert dann am Ende natürlich eine vermehrte Gesamtschläfrigkeit. Nicht umsonst ist in der Literatur immer wieder von unserer „schlaflosen Gesellschaft“ die Rede. Aber wirklich gute, groß angelegte wissenschaftliche Untersuchungen gibt es dazu nicht. Über die eigentliche Ursache des Tagesschläfrigkeitsproblems wissen wir zurzeit leider noch nicht viel.

Welche diagnostischen Maßnahmen oder Untersuchungen gibt es für Menschen, die unter Tagesschläfrigkeit leiden?
Prof. Young: Eine der wichtigsten Maßnahmen, um in der Diagnostik weiterzukommen, ist die gezielte schlafmedizinische Anamnese – also das Gespräch mit dem Patienten. Außerdem ist es häufig sinnvoll, solche Menschen auf das Vorliegen einer obstruktiven Schlafapnoe zu untersuchen, denn das ist eine sehr häufige Ursache für Tagesschläfrigkeit. Nur leider herrscht bei uns in Deutschland eine schlafmedizinische Unterversorgung: Es gibt nicht nur sehr lange Wartezeiten in den Schlaflaboren, sondern es fehlt auch an schlafmedizinisch ausgebildeten Kollegen, die oft schon anhand der Krankengeschichte des Patienten erkennen können, wo das Problem liegt.

Wie kann man feststellen, ob ein Patient mit Tagesschläfrigkeit noch fahrtüchtig ist?
Prof. Young: Dafür gibt es zwei diagnostische Säulen. Die erste Säule ist die medizinische Begutachtung durch den Spezialisten: Was für Symptome schildert der Patient, welchen Eindruck macht er im klinischen Gespräch? Und die zweite Säule sind natürlich die diagnostischen Untersuchungsverfahren – von Patientenfragebögen bis hin zur Aufmerksamkeitstestung. Sehr häufig wird zum Beispiel der Epworth-Schläfrigkeitstest eingesetzt, bei dem der Patient angeben muss, mit wie hoher Wahrscheinlichkeit er in acht verschiedenen Situationen einnicken oder einschlafen würde. Das ist allerdings eine rein subjektive Einschätzung. Außerdem gibt es neuropsychologische Aufmerksamkeitstests, die beispielsweise untersuchen, wie gut der Patient auf sich schnell verändernde Situationen reagieren kann. Und im Schlaflabor kann man anhand von Tagschlaftestungen untersuchen, wie lange der Patient es aushält, in einer bestimmten Situation wach zu bleiben – zum Beispiel, indem man ihn in ein halb abgedunkeltes Zimmer setzt und auffordert, sich in halb sitzender Position wachzuhalten.

Wie sieht es eigentlich mit den gesetzlichen Bestimmungen aus? Unter welchen Umständen macht sich ein Patient mit Tagesschläfrigkeit strafbar, wenn er trotzdem am Straßen-verkehr teilnimmt?
Prof. Young: Für uns Ärzte und Neurologen gibt es verschiedene Krankheitsbilder, die uns dazu verpflichten, einen Menschen darüber aufzuklären, dass er gemäß den Beurteilungsrichtlinien im Straßenverkehr fahruntauglich ist. In Deutschland ist jeder aktive Verkehrsteilnehmer selbst dafür verantwortlich, keine gefährlichen Situationen – sprich: Unfälle – zu verursachen. Das heißt, wenn ich einen Patienten über das Problem aufgeklärt habe, muss er selber entscheiden, dass es für ihn nicht verantwortbar ist, Auto zu fahren. Schlafmediziner melden Patienten nicht an die Straßenverkehrsbehörden oder die Polizei. Doch wenn ich jemanden über seine Fahruntauglichkeit aufgeklärt und das auch dokumentiert habe und er dann einen Unfall baut – egal ob Eigen- oder Fremdverschulden –, gilt das Prinzip der Beweisumkehr: Das heißt, der Patient muss nachweisen, dass der Unfall nicht durch seine Tagesschläfrigkeit passiert ist. Und das ist unmöglich! Das heißt, er gerät dadurch in echte Gefahr – nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern möglicherweise setzt er sich sogar dem Vorwurf des Totschlags aus, denn er kann weder der Versicherung noch dem Staatsanwalt gegenüber beweisen, dass er nicht schläfrig war.

Welche nicht-medikamentösen Behandlungs- oder Selbsthilfemaßnahmen gegen Tagesschläfrigkeit gibt es?
Prof. Young: Wenn die Tagesschläfrigkeit von einer nächtlichen Atmungsstörung herrührt, wäre eine CPAP-Therapie die richtige Maßnahme. Doch für viele Patienten ist auch das Thema Schlafmangel relevant. Denn wenn ich eigentlich weiß: „Ich brauche ungefähr sieben bis neun Stunden Schlaf“, aber trotzdem immer nur fünf Stunden pro Nacht schlafe, dann würde eine ganz einfache Abhilfemaßnahme darin bestehen, wieder mehr zu schlafen. Ebenso wichtig sind schlafhygienische Maßnahmen: Ich muss für eine geeignete Schlafumgebung sorgen – nicht zu laut, nicht zu hell – und mir schlafstörende Verhaltensweisen abgewöhnen. Im Zweifelsfall ist außerdem eine internistische Abklärung sinnvoll, denn es gibt auch internistische Erkrankungen, die zu Tagesschläfrigkeit führen können. 

Was für schlaffördernde Maßnahmen gibt es denn?
Prof. Young: Wichtig ist zum Beispiel, sich an regelmäßige Zubettgehzeiten zu halten und vor dem Schlafengehen keinen oder zumindest nur wenig Alkohol zu trinken. Und wer nachts nicht schlafen kann, der sollte den Schlaf tagsüber meiden wie der Teufel das Weihwasser! Das ist eine ganz einfache Maßnahme, die aber in der Verhaltenstherapie bei chronischen Ein- und Durchschlafstörungen eine sehr wichtige Rolle spielt. Denn das machen viele Menschen reflexartig falsch: Man hat in der Nacht nicht gut geschlafen, ist immer wieder aufgewacht, und dann sagt man sich: „Okay, ich lege mich am Tag noch ein bisschen hin.“ Doch dadurch nimmt das nächtliche Schlafbedürfnis ab, und die nächste Nacht wird noch schlechter. Oder man überlegt sich: „Ich habe letzte Nacht nicht gut geschlafen, also gehe ich heute statt um elf schon um neun Uhr ins Bett.“ Auch das ist falsch. Jemand, der nachts immer wieder aufwacht, sollte sich tagsüber gar nicht hinlegen, sondern, wenn er normalerweise eigentlich um elf Uhr ins Bett geht, stattdessen lieber einmal versuchen, erst um zwölf oder halb eins schlafen zu gehen. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, dass das funktioniert, denn ich mache es genauso, wenn ich nachts schlecht schlafe: Dann gehe ich lieber eine Stunde später ins Bett, mache vorher noch einen kleinen Spaziergang oder lese ein bisschen. Dadurch wird die ununterbrochene nächtliche Schlafdauer wieder länger.

Wann ist eine medikamentöse Behandlung von Tagesschläfrigkeit sinnvoll?
Prof. Young: Bei einer Tagesschläfrigkeit ungeklärter Ursache hat es zunächst einmal gar keinen Sinn, ein Medikament einzunehmen. In so einem Fall sollte zunächst eine entsprechende Diagnostik erfolgen: Schlafanamnese, Schlaf-labor usw. Wenn es sich bei der Schläfrigkeit dagegen um eine eigenständige Erkrankung handelt (zum Beispiel gibt es verschiedene Schlafstörungen, die zu Tagesschläfrigkeit führen, wie beispielsweise eine Narkolepsie oder Insomnie), kann man diese mit Medikamenten – sogenannten Stimulanzien – behandeln.
Mittlerweile sind in Deutschland zwei neue Stimulanzien zugelassen – unter anderem auch für Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe, die trotz adäquater Therapie immer noch unter Tagesschläfrigkeit leiden. Aber ich warne davor, ein wach machendes Medikament einzunehmen, ohne dass vorher eine ordentliche Diagnose gestellt worden ist! 

Inzwischen gibt es insgesamt vier Medikamente gegen Tagesschläfrigkeit: Methylphenidat (Ritalin®), Modafinil (Vigil®) und die beiden neueren Substanzen.
Prof. Young: Genau. Zwei Medikamente wurden in der EU erst vor kurzem zur Behandlung von Tagesschläfrigkeit zugelassen: Sunosi® (Solriamfetol) und Pitolisant, eine Substanz, die unter dem Namen Wakix® schon seit längerem bei Narkolepsie eingesetzt wird und unter dem Markennamen Ozawade® nun auch eine Marktzulassung zur Behandlung von Tagesschläfrigkeit bei obstruktiver Schlafapnoe erhalten hat. Beide Medikamente eignen sich gut zur Behandlung von Tagesschläfrigkeit bei Schlafapnoe-Patienten, deren schlafbezogene Atmungsstörung gut eingestellt ist, die aber trotzdem immer noch unter einer gewissen Restschläfrigkeit leiden.

Worin besteht der Unterschied zwischen den beiden neueren Medikamenten, auch im 
Vergleich zu Modafinil?

Prof. Young: Alle drei haben biochemisch verschiedene Wirkmechanismen, das heißt, sie greifen an unterschiedlichen Rezeptoren und Systemen an. Bei Solriamfetol handelt es sich um einen Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer. Dopamin und Noradrenalin sind Nervenbotenstoffe (Neurotransmitter), de- ren Anstieg zu einer Abnahme von Tagesschläfrigkeit führt. Solriamfetol hemmt die Wiederaufnahme dieser Neurotransmitter im Gehirn. Auf diese Weise bleiben die Botenstoffe länger aktiv – die Tagesschläfrigkeit nimmt ab. Pitolisant dagegen ist ein Wirkstoff, der auf einen bestimmten Typ von Histaminrezeptoren wirkt. Durch die Blockierung dieses Rezeptors erhöht Pitolisant die Ausschüttung von Histamin, einem anregend und aktivierend wirkenden Nervenbotenstoff, aber auch von anderen Neurotransmittern wie Acetylcholin, Noradrenalin und Dopamin in der Großhirnrinde und fördert auf diese Weise die Wachheit. Bei Modafinil kennen wir den Wirkmechanismus nicht genau. Jedenfalls handelt es sich bei allen drei Stimulanzien um unterschiedliche Mechanismen. Ob man diese Präparate vielleicht sogar irgendwann mal in Kombination miteinander einsetzen kann, ist im Augenblick schwer zu sagen – in der Hand erfahrener Schlafmediziner, die genügend Erfahrung damit haben, wäre eine Kombinationstherapie aber sicherlich denkbar.

Sind bei diesen beiden neuen Substanzen Nebenwirkungen bekannt?
Prof. Young: Die meisten Stimulanzien haben wahrscheinlich einen gewissen Effekt auf den Blutdruck; der ist aber nach allem, was wir derzeit wissen, sehr gering. Eines muss man allerdings sagen – vor allem im Hinblick auf Solriamfetol und Pitolisant: Wir wissen, dass sich bei vielen neuen Präparaten erst in der täglichen Anwendung zeigt, wie relevant die Nebenwirkungen, die man in klinischen Studien beobachtet hat, wirklich sind. Im Augenblick setzen wir in unserer Klinik beide Substanzen ohne nennenswerte negative Erfahrungen ein, gehen also von einer hohen Medikamentensicherheit aus.

Sunosi® muss ja jeden Tag eingenommen werden, dieses Mittel kann man also nicht nur nach Bedarf anwenden wie etwa Modafinil?
Prof. Young: Ich sage dazu mal Jein. Wir haben momentan noch viel zu wenig Erfahrungen damit, dieses Mittel anders einzunehmen, als der Hersteller es empfiehlt. Wir haben das Modafinil früher auch ganz regelmäßig angewendet und sehen jetzt, dass die Patienten die Einnahme eben doch ein bisschen flexibler handhaben können, indem sie zum Beispiel sagen: „Ich mache am Wochenende einfach mal eine Pause und nehme das Mittel erst am Montag oder Dienstag wieder ein“ – also eine sogenannte Intervalltherapie. Das könnte auch für Solriamfetol gelten.
Bei Pitolisant ist die Situation wieder ein bisschen anders: Dieses Mittel kennen wir ja bisher in erster Linie aus der Behandlung der Narkolepsie, wo es auch gegen Kataplexien wirkt. Bei dieser Erkrankung muss es wahrscheinlich wirklich regelmäßig eingenommen werden. Aber als Ozawade® – also in der Indikation bei obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom mit Restschläfrigkeit – besteht vielleicht auch die Möglichkeit einer Intervalltherapie. Momentan sind wir allerdings gehalten, unseren Patienten diese beiden Substanzen zur regelmäßigen Einnahme zu verordnen.

Welche dieser wach machenden Substanzen eignen sich besonders gut für welche Zielgruppe – Schichtarbeiter, Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe oder Narkoleptiker?
Prof. Young: Fangen wir mal bei der einfachsten Frage an: Das ist sicherlich die Narkolepsie, also eine klar definierte Erkrankung, bei der eine exzessive Tagesschläfrigkeit als Hauptsymptom besteht. Da wissen wir, dass wir mit Methylphenidat, Modafinil, Solriamfetol und Pitolisant bei bis zu 70% der Patienten eine relevante Verbesserung der Tageswachheit erreichen können. Auch bei der obstruktiven Schlafapnoe wirken Solriamfetol und Pitolisant gut gegen Tagesschläfrigkeit. Diese Wirkung hat man früher auch mit Modafinil erreicht; nur wurde die Zulassung dieser Substanz für Restschläfrigkeit bei Schlafapnoe-Betroffenen im Jahr 2011 zurückgenommen, sodass Modafinil jetzt nur noch zur Behandlung erwachsener Narkolepsie-Patienten mit exzessiver Tagesschläfrigkeit zugelassen ist. Da kommt uns die neue Zulassung von Solriamfetol und Pitolisant zur Behandlung von Restschläfrigkeit bei obstruktiver Schlafapnoe sehr gelegen, weil diese beiden neuen Substanzen ebenfalls eine relevante Verbesserung der Tageswachheit bewirken. Jetzt kommt aber das große WENN: Sie sollten nämlich nur dann verordnet werden, wenn man sicher ist, dass die Schlafapnoe des Patienten durch eine CPAP-Therapie oder andere Verfahren auch wirklich gut eingestellt ist, also keine Rest-Apnoen mehr vorhanden sind.
Bei der Schichtarbeit würde ich mit medikamentösen Behandlungsversuchen grundsätzlich erst mal sehr zurückhaltend sein, da wir wissen, dass Schichtarbeiter gegen ihren chronobio
logischen Rhythmus leben und arbeiten.

Prof. Dr. Peter Young ist
Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Neurologie
Medical Park Bad Feilnbach
Reithofpark
Reithof 1
83075 Bad Feilnbach
Tel.: 08066 18-9160
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