Das Schlafmagazin: Ausgabe 2/2022

Das Schlafmagazin: Ausgabe 2/2022


Liebe Leserin, lieber Leser,

für die Behandlung schlafbezogener Atmungsstörungen wurden im Lauf der Zeit immer wieder neue, raffiniertere Beatmungsmodi entwickelt. Beatmungsalgorithmen wie APAP, BiLevel und ASV sind wie Pilze aus dem Boden geschossen und decken nicht nur die Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe, sondern auch die Therapie anderer, komplexerer Atmungsstörungen ab. Das Problem bei dieser an sich sehr positiven Entwicklung ist, dass der schlafmedizinische Laie bei all diesen Fachbegriffen mittlerweile kaum noch durchblickt. Johanna Schramm vom Schlaflabor am Klinikum Landshut stellt die wichtigsten Beatmungsmodi in ihrem Artikel vor.

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Dass Frauen später an obstruktiver Schlafapnoe erkranken als Männer, weil ihre Hormone sie – zumindest bis zu den Wechseljahren – vor dieser schlafbezogenen Atmungsstörung schützen, weiß man schon seit längerem: Neueren Daten zufolge leiden 13 % aller Männer, aber nur 6 % aller Frauen zwischen dem 30. und 70. Lebensjahr an einer obstruktiven Schlafapnoe (OSA). Häufigkeit und Schweregrad nehmen bei beiden Geschlechtern mit dem Alter zu; bei Frauen steigt die Häufigkeit nach dem 40. Lebensjahr jedoch steiler an als bei Männern. Das liegt daran, dass der „Hormonschutz“ bei ihnen mit zunehmendem Alter nachlässt: Die weiblichen Geschlechtshormone wirken nämlich unterstützend auf die Atmung. So stärkt Progesteron beispielsweise die Muskeln, die für die Erweiterung des Rachenraums zuständig sind. Bei Männern dagegen begünstigt das männliche Geschlechtshormon Testosteron einen Kollaps der oberen Atemwege. Allerdings: Sobald es ans Kinderkriegen geht, haben Frauen ein erhöhtes Schlafapnoe-Risiko – und das ist gefährlich für Mutter und Kind. Wir berichten auch darüber.

Und noch ein Thema, über das zu wenig informiert wird: Krankhaftes Schnarchen kann auch die Augen schädigen. Und das sogar auf ziemlich heimtückische Weise: mit einem plötzlichen Verlust des Sehvermögens.

Bis heute wird das Restless Legs Syndrom von Ärzten und in der Öffentlichkeit nicht ernst genug genommen. Oft dauert es lange, bis die von Unruhe, Schmerzen und Missempfindungen in den Beinen gequälten Patienten endlich eine richtige Diagnose erhalten und adäquat behandelt werden. Woher kommt das, und was kann man selber als Patient gegen seine Beschwerden tun? Über das „Chamäleon“ unter den Schlafstörungen sprachen wir mit dem Neurologen PD Dr. Cornelius Bachmann und mit Lilo Habersack, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Restless Legs Vereinigung.

Prof. Dr. Hannah Ahlheim, Professorin für Zeitgeschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen, entführt uns ein wenig in die Vergangenheit und berichtet vom „Traum vom Schlaf im 20. Jahrhundert“.

Ich wünsche Ihnen wie immer eine informative Lektüre.

Dr. Magda Antonic


Coverbild: ©galbiati/iStock

Die nächste Ausgabe erscheint im August 2022.
Inhalt

6 CPAP, APAP, BiLevel, ASV – wer blickt da noch durch?

14 Durch Schlafapnoe wird ein freudiges Ereignis 
zur Risikoschwangerschaft!

16 Schlafapnoe:
Frauen haben nicht nur wegen der Hormone die Nase vorn!

18 Mund-Nasen-Masken:
Leider viel zu oft verschrieben

18 Neuerscheinung „Guter Schlaf“

20 Schnarchen und Schlafapnoe die rote Karte zeigen:
Mit Sport können Sie etwas für Ihre nächtliche Atmung tun!

23 Neue Informationen zur Geräterückrufaktion der Firma Philips  

24 Rehabilitation bei Ein- und Durchschlafstörungen – 
ein mühsamer, aber lohnender Weg  

27 Leichter lernen durch Rosenduft? 
Bahnbrechende neue Erkenntnisse zum Thema Schlaf und Gedächtnis  

30 Was hat Vitamin D mit dem Schlaf zu tun?  

33 Restless Legs: das „Chamäleon“ unter den Schlafstörungen  

38 NAION: Wenn Schlafapnoe ins Auge geht

42 Besser, schneller, kürzer?
Der Traum vom Schlaf im 20. Jahrhundert  

47 Neue Vitalität durch entspanntes Schlafen  

48 World Sleep 2022: 
Neues vom Welt-Schlaf-Kongress in Rom  

NAION:


Wenn Schlafapnoe ins Auge geht

Werner Waldmann


Dass eine unbehandelte obstruktive Schlafapnoe die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, ja sogar Potenzstörungen begünstigen kann, weiß man schon seit langem. Doch kaum jemand (weder Ärzte noch Betroffene) ist sich darüber im Klaren, dass krankhaftes Schnarchen auch die Augen schädigen kann. Und das sogar auf ziemlich heimtückische Weise: mit einem plötzlichen Verlust des Sehvermögens.

Eine unbemerkte oder nicht adäquat behandelte Schlafapnoe kann schwerwiegende körperliche Schäden verursachen. Man denkt da zunächst einmal an Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck und Arteriosklerose, die – wenn sie die Herzkranzgefäße oder hirnversorgenden Arterien betreffen – schlimmstenfalls zum Herzinfarkt oder Schlaganfall führen können. Auch im Bett klappt es bei Männern mit krankhaftem Schnarchen oft nicht mehr so gut; denn in den Penisarterien bilden sich als Folge einer Schlafapnoe oft arteriosklerotische Ablagerungen, sodass die Schwellkörper sich nicht mehr richtig mit Blut füllen können. 
Der gemeinsame Nenner all dieser Schlafapnoe-Folgeerkrankungen sind Durchblutungsstörungen. Und auch unser Sehnerv ist natürlich dringend auf eine ausreichende Blutversorgung angewiesen. Daher kann krankhaftes Schnarchen mit Atemaussetzern auch die Augen in Mitleidenschaft ziehen. 

Eine Krankheit – viele Ursachen
Hinter dem Kürzel NAION verbirgt sich eine Erkrankung, die außerhalb der Augenheilkunde kaum jemand kennt: die nicht arteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie. Diese nahezu unaussprechliche Augenkrankheit äußert sich durch eine plötzliche, schmerzlose einseitige Sehverschlechterung, die meist morgens beim Erwachen auftritt; im Extremfall kann der Patient auf dem betroffenen Auge gar nichts mehr sehen. 
Natürlich geht man bei so einem erschreckend plötzlichen Verlust des Sehvermögens sofort zum Augenarzt. Wenn dieser das Auge mit dem Ophthalmoskop untersucht, fällt ihm auf, dass der Sehnervenkopf (die sogenannte Papille) abnormal unscharf abgrenzbar ist – ein Zeichen für eine verminderte Durchblutung. Und genau diese schlechte Durchblutung ist die Ursache für die plötzliche Sehstörung.  
Um das zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, wie der Sehvorgang abläuft: Dabei fällt Licht durch die Augenlinse auf die Netzhaut am Augenhintergrund. Diese Netzhaut fungiert wie ein Film, den man in einen Fotoapparat einlegt: Sie besteht aus Millionen lichtempfindlicher Nervenzellen, die das einfallende Bild aufnehmen. Die Fortsätze dieser Nervenzellen (Nervenfasern) sammeln sich am hinteren Ende des Augapfels und bilden zusammen den Sehnerv. Als Sehnervenkopf oder Papille wird im augenärztlichen Fachjargon die Stelle bezeichnet, wo der Sehnerv aus der Augenhöhle austritt, um ins Gehirn zu gelangen, wo die optischen Informationen dann verarbeitet werden.
Ist dieser Sehnervenkopf nicht richtig mit Blut  versorgt, wird der Nerv irreparabel geschädigt. So kommt es zu dem plötzlichen Verlust des Sehvermögens; denn der Sehnerv reagiert besonders empfindlich auf Sauerstoffmangel. 
Aber wodurch entsteht diese Durchblutungsstörung?
Diese Frage ist bis heute noch nicht endgültig geklärt; man geht jedoch davon aus, dass bei einer NAION gleich mehrere verschiedene Ursachen zusammenkommen. Folgende ursächliche Faktoren werden vermutet:

  • vorbestehende Herz-Kreislauf-Probleme
  • besondere anatomische Gegebenheiten
  • Einnahme bestimmter Medikamente
  • und eine obstruktive Schlafapnoe.

Tatsächlich sind die betroffenen Patienten normalerweise älter. Meist tritt eine NAION erst ab dem 50. Lebensjahr auf – einem Alter, in dem oft bereits Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder zumindest entsprechende Risikofaktoren bestehen. Dafür spricht eine wissenschaftliche Arbeit, die gezeigt hat, dass das Schlaganfallrisiko bei NAION-Patienten um das Zweifache erhöht war: Rund 5 % der Patienten hatten bereits einen Schlaganfall erlitten; bei knapp 2 % kam es während der Nachbeobachtungszeit von zirka einem Jahr zu einem Schlaganfall. Auch „Mini-Schlaganfälle“ (transitorische ischämische Attacken) traten vor und nach einer NAION gehäuft auf. 
Andere Untersuchungen zeigen, dass NAION-Patienten sehr häufig Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen (z. B. einen zu hohen Cholesterinspiegel) aufweisen. Diabetes kommt bei solchen Patienten sogar doppelt so häufig vor wie bei Menschen gleichen Alters ohne NAION! Besonders gefährlich für die Augen ist ein schlecht eingestellter Diabetes. 
Man vermutet aber, dass Herz-Kreislauf-Probleme nicht die einzige Ursache für eine NAION sind, sondern meist auch noch ungünstige Eigenschaften des Sehnervenkopfs hinzukommen: Wenn er einen besonders kleinen Durchmesser hat (der Sehnerv auf seinem Weg ins Gehirn also eine besonders enge Durchgangsstelle passieren muss), wirkt sich das ebenfalls negativ auf die Durchblutung aus und kann das Risiko für eine NAION erhöhen. Das Gleiche gilt für sogenannte Drusenpapillen, die kalkartige Ablagerungen an den Rändern aufweisen – auch dadurch wird die Durchtrittsstelle des Sehnervs durch die Lederhaut des Auges zu eng.
Ferner tritt die NAION besonders häufig nach einer Kataraktoperation auf, bei der die natürliche Augenlinse (die sich durch einen Grauen Star eingetrübt hat, was in vorgerücktem Alter früher oder später bei allen Menschen passiert) chirurgisch durch eine künstliche Linse ersetzt wird. Auch die Einnahme von PDE5-Hemmern wie Sildenafil (Viagra®) und Tadalafil (Cialis®) gegen Potenzstörungen oder Amiodaron (einem Medikament gegen Herzrhythmusstörungen) erhöht das Risiko für eine NAION. 
Da die plötzliche Verschlechterung des Sehvermögens besonders häufig morgens beim Aufwachen auftritt, liegt natürlich der Gedanke nahe, dass nachts irgendetwas passieren muss, was die Entstehung dieser Erkrankung begünstigt. Als Wissenschaftler dieser Frage nachgingen, stellten sie fest, dass bei über 50 % aller NAION-Patienten eine obstruktive Schlafapnoe vorlag – eigentlich kein Wunder, weil es durch die nächtlichen Atemaussetzer natürlich zu einer Sauerstoffunterversorgung kommt. 

Selten, aber schwer behandelbar
Zum Glück ist diese Erkrankung eher selten: Von 100 000 über 50-Jährigen erkranken pro Jahr nur zwei bis zehn Menschen daran. Trotzdem handelt es sich dabei um ein ernstzunehmendes Leiden, da das Sehvermögen sich bei den meisten Betroffenen kaum oder gar nicht bessert; es kann sich im Lauf der Zeit sogar noch verschlechtern. Außerdem tritt innerhalb der nächsten Jahre in rund 15 % aller Fälle auch beim zweiten Auge eine NAION auf. 
Hinzu kommt, dass es für diese Augenerkrankung kaum gute Behandlungsmöglichkeiten gibt. Untersuchungen zeigen, dass Kortikosteroide bei vielen Patienten zu einer Besserung des Sehvermögens führen, was darauf zurückführen sein mag, dass die geschwollene Papille dadurch schneller abschwillt, sodass sich die Durchblutung im Sehnervenkopf verbessert. 
Leider ist die Einnahme von hochdosiertem Kortison die einzige medikamentöse Behandlungsmöglichkeit einer NAION; und man weiß auch nicht genau, wie lange und in welcher Dosis das Medikament verabreicht werden soll. Auf jeden Fall ist eine mehrwöchige Therapie zu empfehlen, die natürlich auch mit unerwünschten Nebenwirkungen einhergehen kann. Besonders aussichtsreich ist eine Kortisontherapie offenbar, wenn das Sehvermögen des Patienten zu Beginn der Erkrankung sehr schlecht war. Manche Experten empfehlen zusätzlich eine Senkung des Augeninnendrucks. 
Da für das betroffene Auge leider oft nicht mehr viel getan werden kann, konzentrieren sich die Bemühungen in erster Linie darauf, einem Rezidiv (Wiederauftreten der Erkrankung am Partnerauge) vorzubeugen. Dazu muss man zunächst einmal nach den Ursachen für die Ersterkrankung fahnden und versuchen, diese so gut wie möglich in den Griff zu bekommen. Das ist ohnehin sinnvoll, denn dabei handelt es sich in erster Linie um Risikofaktoren, mit deren Behandlung man auch etwaigen Herz-Kreislauf-Ereignissen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall vorbeugen kann:

1) Falls der Patient raucht, sollte er das sofort aufgeben.

2) Mithilfe einer 24-Stunden-Blutdruckmessung kann festgestellt werden, ob sein Blutdruck zu hoch ist. 

3) Umfangreiche Laboruntersuchungen (u. a. CRP, Blutsenkung, Blutbild, Nierenwerte, Blutzucker, HbA1c, Cholesterin) sollen abklären, ob der Patient bereits an einem Diabetes oder einer Herz-Kreislauf-Erkrankung leidet.

4) Auch die Durchführung eines Langzeit-EKGs, Herz-Echos und einer Ultraschalluntersuchung der beiden Halsschlagadern ist zu empfehlen, um eine etwaige Herzerkrankung bzw. arteriosklerotische Ablagerungen in den Halsschlagadern auszuschließen, die das Schlaganfallrisiko erhöhen.  

Das ist zwar eine ganze Batterie an Untersuchungen, aber es lohnt sich, denn immerhin steht das Augenlicht des Patienten auf dem Spiel, und außerdem kann man Herz-Kreislauf-Erkrankungen dadurch frühzeitig erkennen und ihnen notfalls entgegenwirken!
Viele Experten empfehlen auch, dem Patienten niedrigdosierte Acetylsalicylsäure (ASS) zu verschreiben. Ob sich dieses Medikament positiv auf das Sehvermögen auswirkt oder einem Rezidiv vorbeugen kann, ist zwar umstritten; zumindest ist es aber eine gute Vorbeugungsmaßnahme gegen einen möglicherweise drohenden Herzinfarkt oder Schlaganfall. 

Ab ins Schlaflabor!
Da auch eine obstruktive Schlafapnoe hinter der NAION stecken oder ihr Auftreten zumindest begünstigen kann, sollten alle Betroffenen sich einer Polysomnografie im Schlaflabor unterziehen. Falls eine Schlafapnoe vorliegt, muss diese unbedingt konsequent behandelt werden, um einem Rezidiv am zweiten Auge vorzubeugen.
 



Literatur:
H. Wilhelm et al.: Die nicht arteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie (NAION) 
Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 1260–1269 

H. Nazari et al.: The Challenge of Managing NAION. Retina Specialist, February 20, 2017
www.retina-specialist.com/article/the-challenge-of-managing-naion